Geldwertschwund und materielle Freiheit


September 2022

Geldwertschwund und materielle Freiheit

Geld-Budgets, gespeist aus dem Realeinkommen, umgrenzen die materielle Freiheit

„Er war nicht reich, er verfügte nur über unerschöpfliches Taschengeld“, liest man bei dem Schriftsteller Bodo Kirchhoff (geb. 1948) über eine Romanfigur. Man wundert sich darüber; denn gewöhnlich ist jede natürliche und juristische Person im Land durch ein festes Geld-Budget für Ausgaben aller Art beschränkt, das zumeist ganz aus Arbeits- und Vermögensein­kommen stammt, und das den Rahmen für die persönliche Verwirklichung der materiellen Freiheit durch alle Arten von Gütern und Vermögensaufbau bildet. Beide Quellen dieser Mit­tel sind latent gefährdet. Für die Massen Kleiner Leute droht Arbeitslosigkeit den Spielraum für Käufe und Vermögensbildung einzuschränken sowie das inzwischen unergiebige Konten­sparen, mit dem seit den Sparkassengründungen im 19. Jahrhundert „für Zeiten des Alters und der Not“ vorgesorgt werden sollte. Ein „unerschöpfliches“ Budget der Romanfigur bei Kirch­hoff könnte vielleicht zu einem Multimilliardär passen, dessen Budget jederzeit auch aus den Beständen aufgestockt werden kann, nicht aber zu Otto Normalverbraucher oder zu Lieschen Müller, die Inflation alsbald als Verminderung des Realeinkommens und als Abstriche ihrer materiellen Freiheit spüren.

Aktuelle Gefährdungen des Realeinkommens und der materiellen Freiheit

Nach Robert Shiller (geb. 1946), im Jahre 2013 mit dem Wirtschaftsnobelpreis geehrt, sollte man Bevölkerungen in entwickelten Volkswirtschaften gegenwärtig nach zwei Klassen unter­scheiden: Einer kleinen kosmopolitischen Klasse (I), die weltgewandt, vermögend, bestens gebildet und im Arbeitsleben bestens bezahlt ist, sowie einer großen lokalen Klasse (II) der Unter- und Mittelschicht, deren Mitglieder real kaum mehr verdienen als vor Jahrzehnten und froh sind, wenn sie nicht arbeitslos werden. Die Menschenmassen der Klasse II sind stets stärker von Gefährdungen des Realeinkommens betroffen. Neben drohender Arbeitslosigkeit und einer zu beklagenden Zinslosigkeit des Kontensparens stehen alle Bürger in Deutschland nun vor einer weit größeren Gefährdung ihres Lebens in Freiheit und Wohlstand, nämlich einem umfassenden Anstieg aller Preise von Konsumgütern (Waren und Dienstleistungen) und auch von Immobilien. Preissteigerungen mindern das Realeinkommen (sowie die Kauf­kraft des Geldvermögens insgesamt); denn man kann nun weniger „für sein Geld“ kaufen. Man spricht von Inflation“, weil man früher dachte, das Übel käme vom „Einfließen“ allzu großer Geldmengen in die Wirtschaftsgesellschaft. Für Studienanfänger der Ökonomik steht es noch als Mankiw-Regel Nr. 9 in allen Lehrbüchern des Gregory Mankiw (geb. 1958): „Die Preise steigen, wenn zu viel Geld in Umlauf gesetzt wird.“ Dies zu vermeiden, war in West­deutschland seit Einführung der DM am 20. 6. 1948 die Bank deutscher Länder, später Deut­sche Bundesbank, als unabhängige Zentralnotenbank besorgt und dabei erfolgreich tätig. Die kosmopolitische Klasse I kommt in Zeiten der Inflation persönlich besser zurecht als die lo­kale Klasse II. Die Kosmopoliten der Klasse I wissen nämlich besser mit Sachwerten (Immo­bilien und Aktien) umzugehen. Aber: Nicht alle Leute hat die Geschichte hierzulande zu Kosmopoliten gemacht, wie ein Philosoph 2012 mutig in einer Tübinger Weltethos-Rede meinte.

Der systemzerstörerische Inflationsprozess

Auch die Kosmopoliten – anderswo wären sie die „Nomenklatura“ der Bessergestellten – werden vom Übel erfasst, sobald beim Übergang von galoppierender Inflation zur altbekann­ten Hyperinflation der Irrsinn im Alltag ausbricht, wie ihn ein Tübinger Arzt einst beschrieb: „Nach meiner Geigenstunde musste die Frau des Musiklehrers jeweils sofort mit dem Geld zum Kaufmann laufen, denn nach der nächsten Stunde hatte das Geld bereits wieder weniger Kaufkraft.“ Ähnlich war es von 1946 bis 1948 – vor Einführung der DM am 20. 6. 1948 – als sich ganz Deutschland „im Strudel des Untergangs der Reichsmark-Welt“ befand. Es gab da­mals fast nur noch rücksichtslose Einzelaktionen zur Selbstbehauptung und kein sinnvolles wirtschaftliches Zusammenwirken mehr (so Bodo Spiethoff, 1918-2000). Damals wurde aus­nahmslos jedem Menschen sonnenklar, wie zentral wichtig gutes, wertstabiles Geld und eine verlässlich stabilitätsorientierte Zentralnotenbank für das Funktionieren einer freiheitlichen Wirtschaft sind. Wertstabiles Geldgehört zusammen mit Budget-Disziplinaller Wirtschafts­einheiten zu den wichtigsten Pfeilern freiheitlicher Wirtschaftsgesellschaften des Typs „Marktwirtschaftliche Demokratie“. Von Bargeldoder Stückgeld (geprägte Münzen oder ge­druckte Scheine) „in der Hand“ gehe übrigens ein Gefühl von materieller Freiheit für den In­haber aus (so Fjodor Dostojewski, 1821-1881). Schlimmer noch als im RM-Deutschland ist der Wirtschaftsprozess bei der völligen Abschaffung des Geldes (und der Freiheit!) in Kam­bodscha zu Schaden gekommen, als die barbarischen „Roten Khmer“ von 1975 bis 1978 herrschten. Im Kreml sind die Schriften des ökonomisch beschlagenen Wladimir I. Lenin (1870-1924) und sein fundierter Ratschlag gut bekannt, zur Zerstörung kapitalistischer Sys­teme deren Währungen zu ruinieren.

Kritisch kann es alsbald werden, falls die Masse der Kleinen Leute bei der Deckung ihrer „Grundbedürfnisse“ Schwierigkeiten erfährt und sich sodann über die Demokratiemechanis­men energisch gegen politische Mehrheiten und Regierende wendet. Im schlimmsten Falle ist bei einer Hyperinflation der von Walter Eucken (1891-1950) vorhergesagte Übergang von einer Wirtschaftskrise zu einer Staatskrise zu erwarten. Bund und Länder – die Gebietskörper­schaften – vermögen keinesfalls die gesamte Bevölkerung von den Inflationslasten zu befrei­en. Ob die Regierenden die unzufriedenen Massen an Wählern mit dem üblichen „Manage­ment der öffentlichen Meinung“ beruhigen können, ist ungewiss. Eine ausgeprägte, galoppie­rende Inflation schädigt per Funktionseinbußen die allokative Effizienz einer Volkswirtschaft (d. h. die bestmögliche Umsetzung der Ressourcen in Güter) sowie offensichtlich auch die distributive Effizienz einer Volkswirtschaft (d. h. die Zufriedenheit der Gesellschaft mit einer als „fair“ empfundenen Verteilung der Einkommen und der Vermögen). Bei inflationsbeding­ter Absenkung sämtlicher Realeinkommen der Bevölkerung kommt es zu einer Umkehr der optimistischen Erhard-Prophezeiung „Wohlstand für alle“, die auch alle „Schlechtergestell­ten“ zu ruhigem Abwarten bewegen sollte. Die ethische Frage einer fairen und insofern ge­rechten Verteilung bricht auf (so John B. Clark, 1847-1938), und die nach Robert J. Shiller (geb. 1946) benachteiligte „lokale Klasse der Unter- und Mittelschicht“ wird sich im politi­schen Raum Gehör verschaffen. Die Inflation verschärft – erstens – für Teile der Bevölkerung die Fragen der Verteilung und der Gerechtigkeit; sie bringt aber auch – zweitens – für das gute Funktionieren einer freien Wirtschaftsgesellschaft Rückschritte mit sich (bis hin zu Tur­bulenzen, die das Systemvertrauen zerstören).

Die wirtschaftsstatistische Schätzung des Phänomens der Inflation

Zerbrachen sich Doktoranden in Westdeutschland mit Blick auf die DM vor Jahrzehnten noch darüber den Kopf, ob eine „schleichende Inflation“ zu bemerken ist oder nicht, so stehen die Zeichen in Gesamtdeutschland als Teil des Euro-Raumes heute mit Inflationsraten von 7,5 % (17. 8. 2022) und mehr beinahe schon in Richtung auf eine allgemein gefühlte galoppieren­den Inflation“, die kein gewöhnliches Wirtschaftsleben mehr ermöglicht und eigentlich keiner wirt­schaftsstatistischen Abklärung mehr bedarf. Das deutsche Statistische Bundesamt nimmt den überjährigen „Verbraucherpreisindex“, der die gewogenen Preise von 650 Gütern erfasst, als „Inflationsrate“. Mit Vereinfachungen der Lehrbücher, wonach nominales Sozialprodukt oder Bruttoinlandsprodukt gleich realem Sozialprodukt oder Bruttoinlandsprodukt „mal Preisni­veau“ sind, zeigt sich die Messaufgabe klarer: Der inflatorische Zuwachs des Preisni­veaus entspricht in etwa der Differenz von nominaler und realer Wachstumsrate von Sozial­produkt oder Bruttoinlandsprodukt. Andere sagten, nahe an Mankiw: „Langfristig wird die Inflations­rate durch die Differenz der Wachstumsrate der Geldmenge und des realen Sozial­produkts bestimmt.“ Neben den amtsstatistischen Inflationsraten vermag jeder Zeitgenosse aus wirt­schaftlichem Miterleben Einzelaspekte einer anekdotischen Evidenz zu berichten. Über 70 Jahre hinweg sind die Nettogehälter von Abteilungsleitern mit Familien und Hausbau von monatlich DM 350 auf schließlich rund € 4.000 (d. s. ca. DM 8.000) gestiegen sowie die Ent­lohnung des Chefs von DM 1.100 monatlich auf etwa € 40.000 (d. s. ca. DM 80.000). Das Einfamilienhaus war seinerzeit für rund DM 20.000 zu erstellen, inzwischen hat man 1,2 Mil­lionen € (d. s. 2,4 Millionen alter DM) dafür aufzubringen.

Anfangsvorstellungen für eine Modellierung des Inflationsprozesses

Phänomen und Problem der Inflation sind evolutorischer oder dynamischer Natur. Die Er­stimpulse der gegenwärtigen Inflation in Deutschland kann man meines Erachtens auf (1.) zu hohe Geldmengen-Steigerungen, aus­gelöst durch die Europäische Zentralbank (Mankiw-Regel Nr. 9) und die Geschäftsbanken, und (2.) auf zwei Versionen der importierten Inflation zurückführen. Importierte Inflationen wirken so: Einmal als die offensichtliche Fortpflanzung verteuerter Einfuhren an Gas, Rohöl sowie industriellen Vorprodukten und sonstigen Gütern durch erhöhte Verknappungen. Zum anderen gibt es für inländische Preissteige­rungen bei den hiesigen Produzenten kein Halten mehr, wenn die Anbieter feststellen, dass die Verteuerung bei potenziellen ausländischen Konkurrenten noch üppiger ausfallen. Sie können dann unge­fährdet „nachziehen“. Hinzu kommt in Deutschland (3.) ein immenser und komplexer Kos­tenblock an direkter und indirekter Kriegshilfe für die Ukraine (statt einer wünschenswer­teren Entwicklungshilfe), der real – über die Haushalte der Gebietskörperschaf­ten – zulasten des Volkseinkommens und der Bevölkerung geht. Eine „Solidarität der Werte“ kann überteuert ausfallen, sofern niemand mehr die Gelegenheit hat, vergangene politische Fehler zu revidie­ren (Aufgliederung der alten Sowjetunion ohne Rücksicht auf die Demografie, Versäumnis von regionalen Autonomieangeboten, Missachtung internationaler Vermittlungen im Vor­feld). Empirisch gesehen sind die Erstimpulse der deutschen Inflation eine Kombination aus monetären und nicht-monetären Ursachen.

Die Zweit- und Folgeimpulse des Inflationsprozesses könnten sich in etwa so einstellen: Die erhöhten Produktionskosten („cost push“) pflanzen sich – je nach Marktmacht – in weiteren Preissteigerungen fort. Dadurch werden Tarifvertragsparteien zu Verhandlungen aktiviert, in denen die Gewerkschaften Lohnsteigerungen durchsetzen („wage push“). Indirekt kommen dabei noch Gewinndruck („profit push“) und Steuerdruck („tax push“), aber auch administra­tive Preissetzungen durch die öffentliche Hand („administered prices“) verstärkend zur Gel­tung. Alle diese Impulse können im weiteren Verlauf der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu nachfrageseitigen Rückwirkungen auf die Inflation zusammenwirken („demand pull“, „demand shift“). Ein makroökonometrisches dynamisches Modell der nationalen Volkswirt­schaft dafür ist schwerlich zu erstellen, weil unterjährige Teilprozesse sich nur verzögert in statisti­schen Daten spiegeln und zudem mit einwirkenden Partnerländern abgeglichen werden müssten (so bei MEMMOD der Deutschen Bundesbank und bei QUEST der Europäischen Kommission üblich).

Die Beschleunigung des Übels durch das „Mithaltenwollen“ im Ungewissen

In ihrem Systemvertrauen gestört, bemühen sich alle Menschen, bei den inflationsbedingten Einschnitten in ihr Realeinkommen und bei entsprechenden Einschnürungen des Rahmens ihrer materiellen Freiheit gegenzusteuern und im „vernebelten Gesamtgeschehen“ mitzuhal­ten. Die Festbesoldeten und die Ruheständler sind dabei seit eh und je im Hintertreffen. Vor­teile an Reaktionsgeschwindigkeit haben alle Freiberufler und unternehmerisch Tätigen. Als ein gruppenartiges „Mithalten“ kennt man die „Preis-Lohn-Spiralen“, mit denen die Tarifver­tragsparteien schließlich kaum mehr zurechtkommen. Gesucht werden dann Formeln der Be­friedung, wie etwa die einer produktivitätsorientierten Lohn-Steigerungs-Politik. Es ist keine schlichte Unersättlichkeit jener vom „Stamme Nimm“, die den üblen Inflationsprozess verfes­ti­gen und beschleunigen. Eher schon ist es die Unkenntnis des dynamischen Gesamtsystems, das Einzelpersonen bei ihren Handlungen und Entscheidungen mit „beschränkter Rationalität“ nicht annähernd deutlich vor Augen haben können. In dieser Lage könnte ein Vorschlag von Milton Friedman (1912-2006), im Jahre 1976 mit dem Wirtschaftsnobelpreis geehrt, die Lage beruhigen: Gesetzliche Regelbindung der jährlichen Zentralbank-Geldausweitung, evtl. mit Verfassungsrang. Die Überreaktion der Ängstlichen auf das Tempo der Inflation könnte sich dadurch beruhigen. Die Väter und Mütter der „Marktwirtschaftlichen Demokratie“ verlangen nie die weite Sicht der Einzelnen über den Tag hinaus für ihre ökonomischen Aktivitäten. Eine „Islamische Marktwirtschaft“ nur sowie auch Anhänger des „Jonas-Imperativs“ glauben ambitionierteren Erwartungen gerecht werden zu können, so dass Einzelne mit einzelnen Hand­lungen die letztendlichen Gesamtwirkungen überblicken.

Was ist zu erwarten und zu tun?

  1.  Nicht nur in USA tendieren Regierende dazu, genehme volkswirtschaftliche Berater aus­zuwählen, was bei der Vielfalt wirtschaftlichen Wissens für unterschiedliche Zeiten und Regionen nicht besonders auffällt. Dies weiß man, und dies wusste bereits der frühere US-Starjournalist Henry Hazlitt (1894-1993) zu berichten. So hätte man die bleibende Hete­rogenität des Euro-Währungsraums bei der Einführung des Euro für 23 wirtschaftlich recht heterogene Staaten und die damit verbundene eingeschränkte Wirkmöglichkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) gegen Inflationen mit einiger Wahrscheinlichkeit in Rechnung stellen können. Das ist nicht mehr zu ändern. Der frühere Kölner Wirt­schaftsprofessor Hans Willgerodt (1924-2012) hätte sich über diese institutionelle Schief­lage kaum gewundert; er musste wiederholt schon feststellen: „Die Geschichte des Geldes ist nicht zuletzt eine Geschichte seines bewussten oder unbewussten Missbrauchs durch die Politik.“
  2. Tatsache ist, dass die EZB derzeit noch nicht das hohe Maß an Vertrauen in der Bevölke­rung genießt, das die Deutsche Bundesbank in der DM-Zeit hatte. Man argwöhnt gewisse multinationale Einflüsse der weniger stabilitätsbewussten Glieder aus dem Hintergrund. Beim Effekten-Ankauf mit Geldmengenzufluss wurde der Präsident der Bundesbank näm­lich nicht selten überstimmt. Daran ist zu arbeiten, evtl. mit politischer Systemänderung. Frühere Zinsbindungen der Geschäftsbanken an den Diskont- und/oder Lombardsatz soll­ten dabei nicht wettbewerbsideologisch tabu sein. Damit wäre auch die Einflussnahme auf den Sektor der Geschäftsbanken leichter und sicherer möglich. Ähnlicher Logik will die Regierung – nebenbei bemerkt – künftig für den Strom-Markt folgen.
  3. Jede Zentralnotenbank rechnet übertrieben sicher auf die indirekte Steuerung auch der riesigen Buchgeldmenge der Geschäftsbanken durch die Zentralbank-Geldmenge. Die Denkfiguren der „Weiterleitung“ (auch bei Kunden-Einlagen) erfahren eine übergroße Wertschätzung. Zu wenig beachtet wird m. E. die „aktive Buchgeldschöpfung“ der Ge­schäftsbanken, die einen weiten Spielraum genießt. Die Leitungen der Geschäftsbanken praktizieren nicht mehr jene volkswirtschaftlich motivierten Beschränkungen, die man von der unmittelbaren Nachkriegsgeneration der Sparkassen- und Genossenschaftsleitun­gen kannte. Eine einvernehmliche Selbstbeschränkung aller Geschäftsbanken bei der Buchgeld-Schöpfung wäre erwägenswert. Niemand wünscht sich ein lähmendes „Voll­geld“ im Sinne von Irving Fisher (1867-1947).
  4. Die Einschätzung der Marktmacht als inflationswirksame Kraft ist zwiespältig. Macht zu haben bedeutet nämlich nicht, sie auch auszuschöpfen. Zwar dominiert der Cournot-Monopolist nach Augustin Cournot (1801-1877), der – kenntnisreich – mit mathemati­scher Routine exakt gewinnmaximierend pro Periode verfährt, doch sollte man den Pfis­ter-Monopolisten nach Bernhard Pfister (1900-1987) nicht übersehen, der – markterfahren und zukunftsbewusst – als aufgeklärt, bedächtig und zurückhaltend agierend gilt. Gewoll­te Maximierung gerät in der Praxis nebenbei bemerkt zumeist nur zu einem befriedigen­den Resultat der Suffizierung. Am Beispiel von Cournot- und Pfister-Monopol sind die zu vermutenden Marktmacht-Effekte empirisch aufzuklären. Eine spannende Frage ist, ob und wie sich der hohe Anteil ausländischer Aktionäre von ca. 60 % auf die Führung und Mäßigung der DAX-Aktiengesellschaften auswirkt.
  5. Wichtig ist das ausländische Umfeld – im Euro-Währungsraum und in anderen Räumen. Die Fortpflanzung der Import-Preissteigerungen im Inland sind eine Tatsache von altbe­kannter „importierter Inflation“. Ihre „Weiterwälzung“ auf Endabnehmer in Zeiten fortge­schrittenen Inflationsgeschehens wird unterstellt. Eine lange Zeit unbeachtete zweite Art „importierter Inflation“ sind inländische Preissteigerungen angesichts der Verteuerungen im Ausland, so dass keine Auslandskonkurrenz der Newcomer zu befürchten ist.
  6. Nicht zufällig stehen Preisniveau- und Geldwertstabilität in jedem Zielebündel eines so­genannten „Magischen Vielecks“ weit vorne (beim „Magischen Dreieck“ wie beim „Ma­gischen Neuneck“). Die makroökonomischen Ziele-Bündel heißen „Magische Vielecke“, weil – angesichts von Zielkonflikten – nur mit ein wenig Hexerei sämtliche Einzelziele („Ecken“) gleichzeitig und halbwegs gleichmäßig zu erreichen sind.
  7. Wichtigster Adressat in Sachen Inflationsbekämpfung ist der Staat in allen seinen Gliede­rungen (insbesondere Gebietskörperschaften), und zwar mit der Beschaffungs- und Aus­gabenpolitik sowie mit der Einnahmenpolitik, insbesondere den sogenannten „admi­nistrierten Preisen“. Zwar richtet sich die Fiskalpolitik nach aller Erfahrung primär auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, doch darf man erwarten, dass auch die übrigen Kom­ponenten des Makro-Zielebündels wie Preisniveau- und Geldwertstabilisierung beachtet werden. Dabei registrieren Finanzminister und Kämmerer aller Gebietskörperschaften bei Inflation (und Niedrigzins) eine Erleichterung der Schuldenlast. Aktuell wird sich der staatliche Sektor zwar – einerseits – als Hauptakteur der Inflationsbekämpfung begreifen, doch muss man ihn – andererseits – als überfordert und überlastet durch unkalkulierbare Großprojekte sehen: Klimakrise, Energiewende, demografische Überlastung der Sozial­versicherung, Ukraine-Kriegshilfe, Rückwirkungen der Russland-Sanktionen und Erneue­rung des Verteidigungsbereichs. Das Können des Gewollten wird fragwürdig. Schlimms­tenfalls tritt ein, was Harry Maier (1934-2010) nach Hegel für die Endphase der DDR-Gesellschaft notierte: In Ungeduld Unmögliches an Zielen verlangen, zu denen es keine Mittel gibt.  
  8. Mit Blick auf den gesetzlich festgelegten Makro-Zielekatalog vermögen Koa­litionsregierungen und vielleicht sogar Parteien generell nach dem Arrow-Paradoxon kein schlüssiges, überzeugendes Bild abzugeben. Man ist lange schon gewarnt: „Eine richtige Idee, die schwierig ist, hat in Demokratien stets weniger Erfolg als eine falsche, die ein­fach ist“ (so Alexis de Toqueville, 1805-1859). Der Schweizer Alfred Meier (geb. 1937) suchte dem ab 1988 mit einem neuen Verständnis von Wirt­schaftspolitik Rechnung zu tragen: Wahrgenommene Problem beseitigen, bisweilen dazu nur symbolisch Wahrneh­mung und Ordnungsvorstellungen verändern!
  9. Die Makroökonomik und ihre tonangebenden Regierungsberater nahmen um das Jahr 1974 herum einen Schwenk in der Zuweisung politischer „Zuständigkeiten“ und „Ver­antwortungen“ vor: Beschäftigungspolitik geschieht durch Verteilungsergebnisse der Ta­rifvertragsparteien, Preisniveau- und Geldwertstabilität müsse „der Staat“ (zusammen mit der Zentralnotenbank) durch Fiskal- und Geldpolitik verantworten. Es war die Zeit, als der Monetarismus den zuvor dominanten Keynesianismus verdrängte, und als Milton Fried­man (1912-2006) im Jahre 1976 mit dem Wirtschaftsnobelpreis geehrt wurde. Seit damals erst kamen Geld-Lehrstühle an den Universitäten vermehrt in den Rang eines Ordinariats. Zuvor verfolgten die tonangebenden Berater i. S. Makroökonomik die entgegengesetzte Regelung: Vollbeschäftigung garantiere der Staat, Preisniveau- und Geldwertstabilität er­gebe sich aus den Vertragsabschlüssen der Tarifvertragsparteien.
  10. Methodologisch falsch ist es, derartige Schwarz-Weiß-Regelungen „reiner Theoreti­ker“ für alle Zeiten und alle Regionen als gültig und tragfähig zu betrachten. Damit würde nämlich die Ansicht vertreten, dass die Nationalökonomik doch einer regelrechten, immer und überall gültigen Theorie fähig wäre, was ich seit 1896 nach Rudolf Stammler (1856-1938) und anderen für ausgeschlossen halte. Man betrachte eher die unterschiedlichen Makro-Modelle der 9 oder 16 Länder, die dem MEMMOD-Bundesbankmodell oder dem QUEST-EC-Modell angeschlossen sind (und ihre Veränderungen im Laufe der Zeit). Das simulative Handhaben staatlicher Akti­onsimpulse mit den möglichen Inflationswirkungen in der Vergangenheit wird ein rele­vanteres Bild zeigen. Unklar bleiben – temporal und re­gional – Zukunftswirkungen auf eine Dämpfung der Inflation.
  11. Unterschiedliche Quasi-Theorien, regional und temporal eingeschränkt empirisch gül­tig, implizieren unterschiedliche Maßnahmenwirkungen der Wirtschaftspolitik. Nicht je­der kann der Versuchung widerstehen, spezielle Quasi-Theorien zu verallgemeinern und nach der eingeschlossenen – favorisierten – Maßnahmenwirkung auszuwählen. Diese Leute haben sich den Spott des Danny Kaye (1911-1987) verdient: „Wirtschaftswissen­schaft ist das einzige Fach, in dem jedes Jahr auf dieselben Fragen andere Antworten rich­tig sind.“
  12. Erforderlich ist ein „Inflationsbewusstsein“ zur Mobilisierung aller Gruppen der Be­völkerung (ähnlich dem bestehenden „Umweltbewusstsein“ oder dem noch zu stärkenden „Bevölkerungsbewusstsein“), damit die ernste Inflationsgefahr für die „Marktwirtschaftli­che Demokratie“ nicht kleingeredet wird und Verständnis für eine drohende Aufgabenüberlas­tung des Staates entsteht. Mit langem Atem und viel Geduld von allen Seiten nur kann eine Nationalökonomie aus dem Inflationsfieber zum Stabilitätsbewusstsein zurückfinden.

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Adolf Wagner

Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Adolf Wagner war Gründungsdirektor des Instituts für Empirische Wirtschafts­forschung (IEW) der Universität Leipzig, vormals auch Direktor des Instituts für Angewandte Wirt­schaftsforschung (IAW) der Universität Tübingen und Co-Direktor des Instituts für Sozial- und Fami­lienpolitik der Universität Marburg sowie Lehrstuhlinhaber an den Universitäten Reutlingen, Marburg, Tübingen und Leipzig. In den 29 Jahren als Mitherausgeber der „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik“ (davon 11 Jahre geschäftsführend) hat er auch Bücher für G. Mankiw, M. Taylor und P. Krugman übersetzt. Wagner war mehrmals Dekan und an der Universität Leipzig für einige Zeit auch Prorektor. Letzter Diplomand des namhaften Münchener Professors Erich Preiser, habilitiert für Volkswirtschaftslehre und Statistik in Tübingen. Im vorakademischen Berufsleben war er erfolgreich im bayerischen Sparkassenwesen engagiert. Näheres: www.adolfwagner.eu.

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