Alle Arbeitsplätze in die USA? Piraterie mit dem Narrenschiff

Weltkrieg um Wohlstand vom Narrenschiff aus?

Protektionismus mit Drittländer-Schädigung – durch bekannte „Beggar-my-neighbour-Policy“, auch „Beggar-thy-neighbour-Policy“ – war von entwickelten Nationalökonomien aus lange schon nicht mehr zu erwarten. So etwas macht und toleriert „man“ – seit Adam Smith (1723-1790) – unter demokratischen Zivilgesellschaften nicht mehr! Traute man derartige Vorgehensweisen der etablierten Wissenschaft der Nationalökonomik ernsthaft zu, so müsste man einem Jonathan Aldred und seinem Buch von 2019 beipflichten: „Licence to be Bad. How Economics Corrupted Us“. Als der Reutlinger und Tübinger Friedrich List (1789-1846), der international bekannteste deutsche Nationalökonom neben Karl Marx, seine „sieben Tod­sünden“ der Ökonomik aufschrieb, war er vermutlich von einem Buch des Mittelalters ange­regt, dem 1496 in Basel erschienen „Narrenschiff“. Man darf es in Erinnerung rufen: Todsün­de Nr. 6 war schon damals „Natur- und Umweltzerstö­rung“, als Todsünde Nr. 7 waren zudem „Nationale Hybris und nationaler Egoismus“ ver­zeichnet. Die selbstverständliche Verpflich­tung aller Parlamentarier und Politiker mit Au­genmaß und Amtseid auf das Gemeinwohl – ob in der Gemeinde, dem Landkreis, dem Bun­desland oder der Republik – wird nicht in Frage gestellt. Es geht um das protzig überzogene, rücksichtslose Einfordern und Veranlassen – oftmals mit Krieg, stets aber mit naiven Vorstel­lungen von Zusammenhängen und Wirkungen der Weltwirtschaft. Dazu passend (und damals ohne Resonanz) legte der Journalist Gabor Steingart (geb. 1962) im Jahre 2006 das Buch „Weltkrieg um Wohlstand. Wie Macht und Reichtum neu verteilt werden“ vor, im Anhang mit einem Diskussionsbeitrag von Paul A. Samuelson (1915-2009). 

Der besondere Beispielfall

Unternehmungen, die ihre Betriebe in die USA verlagern, sind von den horrenden US-Importzöllen befreit. Sie würden damit jedoch ihre Arbeitsplätze in die USA verlagern und in der „Heimat-Region“ zur Arbeitslosigkeit beitragen. Zur Rückführung der US-Arbeitslosigkeit wäre damit nur dann ein Beitrag geleistet, wenn die US-Arbeitslosen eine geeignete berufliche Qualifikation aufweisen. Man muss ()1.) zwischen Arbeitsplätzen mit hoher Qualifikationsanforderung und mit niedrigen, Mindestlohn-Anforderungen unterschei­den. Man muss (2.) die immensen, für die Unternehmungen und für ihre Nationalökonomen verlorenen „Sunk Costs“ mit langen Produktionsausfällen bedenken. Ferner sind (3.) die real begründeten Kursverluste der Aktienmärkte zu bedenken, die in den USA das mit Kapitalde­ckung konzipierte Rentensystem tangieren. Weder (4.) mit der restriktiven Zuwanderung, noch mit demografischer und schulischer Voraussetzung könnten die USA die gelingende Verlagerungspolitik flankieren. Zuletzt wird (5.) der „human factor“ Unzuverlässigkeit den Erfolg verhindern. Überdies müssten sich (6.) die Gewerkschaften in den USA sowie in den übrigen Ländern dazu positionieren. 

Frühe Zweifel an der Wirksamkeit einer Arbeitsplätze-Verlagerung

Abhijit V. Banerjee (geb. 1961) und Esther Duflo (geb. 1972) nahmen die Entwicklungslän­der-Perspektive ein, als sie die Zoll-Konzeptionen von US-Präsident Donald Trump aus seiner ersten Amtsperiode in ihrem Buch von 2019 aufgriffen: „Good Economics for Hard Times. Better Answers to Our Biggest Problems“. Dabei dachten sie an das Ungefähre an Wissen, nicht an die Schlechtigkeit der handelnden Personen. Die Nationalökonomik ist bekanntlich keine Art einer simplen „Sozialphysik“ mit immer und überall einsetzbaren Hebeln und He­belgesetzen. “Society does not have fundamental laws. Economics deals with the real world and is much messier than that. At best we can talk in terms of tendencies, context-specific regulari­ties, and likely consequences” (so Dani Rodrik, b. 1957). Angewandte Nationalöko­nomik kann bisweilen zu „Quasi-Theorien“ oder „Perspektivischen Wahrheiten“ führen. Eine „bedingte Wahrheitsfähigkeit“ kennzeichnet alle Sozialwissenschaften. Kurt W. Rothschild (1914-2010), einziger Sozialist der Rothschild-Sippe, umschrieb die Schwierigkei­ten mit der Nationalökonomik 1998 treffend auf seine Weise: „Objektiv sind die Zusammen­hänge des Wirtschaftsablaufs sehr komplex und selbst für Experten nur schwer und bruch­stückhaft durchschaubar, und subjektiv werden die diversen Abläufe je nach Position und Interessenla­ge sehr verschieden gesehen und beurteilt. Beide Faktoren tragen dazu bei, dass sowohl in Theorie wie in Praxis meist keine einheitlichen Beurteilungen und Bewertungen bestehen.“ 

Turbulenter innovativer Strukturwandel und permanente demografische Erneuerung bilden Erschwernisse der Analyse, die mit freiheitsbedingten Informationsgrenzen sowie diversen Verfahren der Komplexitätsreduktion verstärkt werden und im Ungefähren verharren. Selbst die Mitglieder von Sachverständigenräten haben unterschiedliche Modelle der zu beurteilen Wirklichkeit vor sich, statt sich in gebotener Weise zu vergleichen und nach Plausibilität zu einigen (so Heidi Schelbert-Syfrig, 1934-2019). Die Materie erfordert Fingerspitzengefühl oder hochgradiges „Tacit Knowledge“. Überhebliche Einfaltspinsel haben davon keine Ah­nung. Ein neuerlicher Fall vom „Narrenschiff“ ist die seit Jahrzehnten im Fach bekannte, von Leuten mit Anstand abzulehnende „Beggar-my-neighbour-Policy“, das erbärmliche Ver­schieben eigener wirtschaftspolitischer Probleme auf Nachbarn oder gar befreundete Natio­nen.

Die zweifelhafte neuzeitliche Führungsauslese

„Die Eigenschaften, die ein Funktionär oder Politiker braucht, um gewählt zu werden, wei­chen von den Eigenschaften ab, die für den Arbeitserfolg nach der Wahl entscheidend sind. Es ist deshalb nicht gewährleistet, dass sich durch Wahlen eine leistungsfähige Elite bildet“ (so Manfred Wulff, 1933-2022). Die Tübinger Formulierung aus dem Jahre 1985 deckt sich mit den späteren Ausführungen des US-Politikwissenschaftlers Murray Edelman (1919-2001). Sie könnte auf den – wiederum – amtierenden US-Präsidenten Trump zutreffen, der die Mas­sen geschickt zu seiner Wahl anregte, jedoch offenkundige wirtschaftspolitische Defizite auf­weist. Nicht gerade überschwänglich positiv wird die Welt beschrieben, „that produced Don­ald Trump, Jair Bolsonaro, and Brexit and will produce many more disasters unless we do something about it” (so Banerjee and Duflo). Der letzte verzweifelte Satz des Buches lautet (wohl wegen der unberücksichtigten Aspekte): “Economics is too important to be left to the economists.“

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