Abstract [de]: Was ist unter globaler Zivilgesellschaft zu verstehen? Lässt sich ein derart komplexes Konzept überhaupt definieren? Wer sind die Akteure und was sind die Ziele?

Diese Zusammenfassung der aktuellen Forschung in Bezug auf die globale Zivilgesellschaft soll einen Überblick darüber geben, wie das Konzept in der Wissenschaft aufgefasst wird und in welche Richtungen geforscht oder auch kontrovers diskutiert wird. Hierdurch kann dann auch deutlich werden, an welcher Stelle das IfS in dieser Forschungslandschaft einzuordnen ist.


Januar 2012

Ein Überblick über die aktuelle Forschung zur globalen Zivilgesellschaft

Einleitung

Globale Zivilgesellschaft – was lässt sich darunter verstehen? Ulrich Hemel spricht in der Eröffnungsrede des IfS von dem Bereich, der

„über Staaten und Staatenbünde wie die EU und die USA hinausgeht […] [und] vom eigenen Selbstverständnis her am Gemeinwohl Maß nimmt, aber nicht unmittelbar staatlich oder parteipolitisch verfasst ist.“[1]

Das Ziel des Instituts für Sozialstrategie ist es nun, aktiv an der Gestaltung eben dieser globalen Zivilgesellschaft mitzuwirken, sei es auf theoretisch-wissenschaftlicher Ebene einer Sozialstrategie oder auch in der Praxis. Wie aus der Definition bereits hervorgeht, ist der Bereich der globalen Zivilgesellschaft überaus komplex und kann auf unterschiedlichste Weise eingegrenzt werden. Um das Thema möglichst umfassend aufzugreifen, arbeitet das IfS interdisziplinär, seine Mitarbeiter und Partnerorganisationen sind in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Bereichen zu Hause. Denn das IfS ist überzeugt, dass so ein nachhaltiger Beitrag zur Bewältigung aktueller Herausforderungen wie zum Beispiel Migrationsthemen, Klimawandel und Wirtschaftsethik geleistet werden kann. Die globale Zivilgesellschaft steht in engem Zusammenhang mit diesen Themen. Zu untersuchen, wo genau dieser Zusammenhang besteht und wie diese Probleme strategisch über die globale Zivilgesellschaft angegangen werden können, auch das ist Aufgabe und Ziel des IfS.

Die vorliegende Aufarbeitung des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses soll nun aufzeigen, wo genau sich das Institut für Sozialstrategie in diesem Forschungsfeld befindet. Wodurch zeichnet es sich aus? Und wo sind Zusammenhänge zu anderen Forschungsansätzen? 

Im Folgenden soll nun der Forschungsstand in drei wesentlichen Disziplinen umrissen werden: der Politikwissenschaft, der Geschichtswissenschaft und der Philosophie. Die Politikwissenschaft betrachtet die globale Zivilgesellschaft vordergründig auf deskriptiver Ebene. Welchen Einfluss nimmt sie bzw. kann sie nehmen auf politische und wirtschaftliche Prozesse? Die Geschichtswissenschaft beschäftigt sich mit der Historie des Begriffes, um so auch den Blick dafür zu schärfen, was (globale) Zivilgesellschaft war und ist, wo sich begriffliche Feinheiten herauskristallisiert haben und in welche Richtung die Entwicklung der letzten Zeit geht. Die Philosophie letztendlich beschäftigt sich mit der Herausstellung der Rolle einer globalen Zivilgesellschaft im politischen Gefüge (politische Philosophie) und nicht zuletzt mit ihrer normativen Rolle (Ethik). Denn die Frage nach den Pflichten und Möglichkeiten einer globalen Zivilgesellschaft sollte gerade in Bezug auf ihre strategische Gestaltung nicht zu kurz kommen.

Zunächst werden unterschiedliche Definitionsansätze dargestellt, denn generell kann globale Zivilgesellschaft auf drei unterschiedliche Weisen aufgefasst werden: Als politische Gegenbewegung, als gesellschaftliche, aber institutionalisierte Bewegung oder im breiten Sinne als Dimension neben der Politik.

Daraufhin werden die historische, die sozialwissenschaftliche und die moralphilosophische Perspektive grob umrissen, mitsamt ihren Zielen und Ergebnissen.

Im Anschluss an die Darstellung des wissenschaftlichen Diskurses soll noch einmal explizit der Bezug zum IfS hergestellt werden. Auf welchen Ansätzen kann das IfS aufbauen? Wie integriert es die unterschiedlichen, theoretischen Ansätze und wodurch hebt es sich hervor? Denn das Innovative an der Herangehensweise des IfS ist seine Interdisziplinarität und die Verbindung von Theorie und Praxis. So sollen aufbauend auf eine breite, theoretische Basis konkrete Ziele zur praktischen Gestaltung der globalen Zivilgesellschaft entwickelt werden.

Definitionen

Das Konzept der globalen Zivilgesellschaft unterliegt keiner einheitlichen Definition. Je nach Perspektive und Betrachtungsausschnitt ergeben sich verschiedene Ebenen der Begriffsverwendung. Was Jürgen Kocka in Bezug auf die europäische Zivilgesellschaft feststellt, bewahrheitet sich umso mehr auf globaler Ebene: 

„Angesichts der vielfältigen und unterschiedlichen Erwartungen die der Verbreitung des Begriffs zugrunde liegen, verwundert es wenig, dass kein voller Konsens darüber besteht, was ‚Zivilgesellschaft meint und was der Begriff ein- und ausschließen soll. Eine ausformulierte sozialwissenschaftliche Theorie der Zivilgesellschaft fehlt.“[2]

Zivilgesellschaft als politische Gegenbewegung zu einem autoritären Staat

Unter dieser Definition erlebte der Begriff der Zivilgesellschaft im Allgemeinen seine Renaissance in den achtziger und neunziger Jahren im Zuge der Bürgerbewegungen in Lateinamerika und Ostmitteleuropa.[3]

Zivilgesellschaft wird hier hauptsächlich auf das aktive Moment des zivilgesellschaftlichen Widerstandes gegen staatliche Repressionen reduziert. In der Regel handelt es sich hier um selbst organisierte, friedliche Demonstrationen und Bewegungen, die sich gegen politische Missstände auflehnen. Als Beispiele wären die Volkswiderstände Ende der achtziger Jahre in Osteuropa gegen die sozialistisch-kommunistischen Herrschaftsregime zu nennen oder aktuell die Bewegungen des arabischen Frühlings in Ländern wie Ägypten, Libyen oder Syrien. Gerade letztere sind ein gutes Beispiel für die Entwicklung einer globalen Zivilgesellschaft, denn durch die Nutzung des Internets wurde eine internationale Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Akteure möglich, welche eine wesentliche Rolle bei den Protesten und Aufständen spielte.

Problematisch bei dieser Definition ist jedoch die immer noch vorhandene Einschränkung auf bestimmte Regierungen und somit staatliche Bereiche, wonach die jeweiligen zivilgesellschaftlichen Bewegungen als unabhängig voneinander aufgefasst werden müssen. So sind die Akteure des zivilgesellschaftlichen Aufstandes in Syrien hauptsächlich an den Problemen dort interessiert, auch wenn sie in enger Verbindung zu Bewegungen in z.B. Ägypten stehen mögen. Somit ist eine vereinte, globale Zivilgesellschaft mit dieser Definition nur schwer vereinbar, da unter sie zumeist nach Nationalstaaten getrennte Bewegungen fallen, die sich untereinander vehement in Zielsetzungen und Vorgehensweisen unterscheiden können.

Zivilgesellschaft als gesellschaftliche, institutionalisierte Bewegung[4]

Häufig wird globale Zivilgesellschaft auch als institutionalisierte, gesellschaftliche Bewegung aufgefasst. Hier wird das Konzept auf die Gesamtheit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beschränkt, welche die Interessen der Zivilgesellschaft zumeist unabhängig von staatlichen Grenzen bündeln und zur Geltung bringen. Als bekannte Vertreter wären hier internationale NGOs zu nennen wie z.B. Amnesty International oder Greenpeace. Sie sind von wirtschaftlichen und staatlichen Organisationen zu unterscheiden, da sie weder nach Profit streben noch verfassungsgemäß legitimiert sind, z.B. durch demokratische Wahlen. Ihre Funktionen sind vielfältig, hauptsächlich handelt es sich jedoch um die Überwachung und Ergänzung wirtschaftlicher und staatlicher Tätigkeiten, vor allem im sozialen und Umweltbereich.[5]

Der Nachteil dieses Ansatzes besteht nicht nur in der Beschränkung auf institutionalisierte Bewegungen, sondern auch in der damit vorausgesetzten Infrastruktur, die eine solche Institutionalisierung überhaupt erst ermöglicht. Diese ist gerade in Entwicklungsländern häufig nicht existent, was dazu führt, dass man dort hauptsächlich auf externe NGOs aus industrialisierten Ländern trifft. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht auch dort eigene Ausformungen einer globalen Zivilgesellschaft geben kann, die nur eben nicht oder weniger gut institutionalisiert sind. Als Beispiel wären hier Dorfgemeinschaften zu nennen oder auch spontane Zusammenkünfte und Vereinigungen. Die Protestbewegungen des Arabischen Frühlings würden unter diese Definition zum Beispiel nicht fallen, weil diese gerade in ihren Anfangsstadien zumeist privat und spontan organisiert waren. 

Zivilgesellschaft im weiten Sinne: Was nicht Staat und was nicht organisiertes Verbrechen ist.

Dies ist die allgemeinste und auch wohl die verbreiteteste Auffassung in der Forschung[6], die auch das IfS seiner wissenschaftlichen Arbeit zugrunde legt. Demnach umfasst globale Zivilgesellschaft alle Assoziationen jenseits der staatlichen Sphäre, die eigene, unterschiedlichste Interessen auf unterschiedlichste Weise zu befördern versuchen. Abgesehen vom Ausschluss organisierter Kriminalität, werden weitere Eingrenzungen bewusst nicht vorgenommen, um die Pluralität, Fragmentierung und Diversität der zivilgesellschaftlichen Organisationen als gewollte Merkmale beizubehalten. So fallen institutionalisierte Organisationen wie NGOs und Gewerkschaften genauso unter den Begriff wie spontane Protestbewegungen und ehrenamtliches Engagement in der lokalen Gemeinde. 

Im Gegensatz zu anderen Definitionen wird hier kein entsprechender politischer bzw. institutioneller Rahmen vorausgesetzt, sodass die diese Definition ohne Einschränkungen global anwendbar ist.

Gosewinkel et al. konkretisieren diese breite Auffassung insofern, als dass sie von der rein bereichslogischen Verwendung (Raum jenseits von Staat und Verbrechen, ohne weitere Präzisierung) zu einer handlungslogischen Konzeption übergehen. Hiernach zeichnet sich Zivilgesellschaft durch eine spezielle Form sozialen Handelns aus, d.i. selbstorganisiertes und friedliches Handeln im öffentlichen Raum mit dem Ziel, das allgemeine Wohl zu befördern.[7] Somit ist nicht jeder automatisch ein Mitglied der Zivilgesellschaft, der nicht staatlich oder wirtschaftlich verfasst ist. Stattdessen wird der Fokus auf die zivilgesellschaftlichen Akteure gelegt, welche sich aktiv für das Gemeinwohl in welcher Form auch immer engagieren.

Definitorische Problembereiche

Uneins ist der wissenschaftliche Diskurs, ob die Dimension des Wirtschaftlichen in den Bereich der Zivilgesellschaft (gerade in Bezug auf die Definition im weiten Sinne) mit einbezogen werden soll[8] oder ob sie eine eigenständige Dimension nebst Zivilgesellschaft und Politik einnimmt.[9] Das Institut für Sozialstrategie begreift Unternehmen ganz bewusst als Akteure der Zivilgesellschaft, während andere sie als oppositionelle Akteure auffassen.

Eine weitere definitorische Schwierigkeit ergibt sich in Bezug auf die Exklusion krimineller Gruppen. Während das organisierte Verbrechen wie z.B. die Mafia explizit auszuschließen ist, ist der Fall weniger klar, wenn es darum geht, sich über staatliche Repressionsmaßnahmen hinwegzusetzen. Gerade der zivilgesellschaftliche Protest schließt häufig illegale Handlungen mehr oder minder gravierenden Ausmaßes mit ein, sei es das Besetzen von Gleisen im Zuge des Protestes gegen Castortransporte, das Veröffentlichen regierungskritischer Texte in Ländern mit eingeschränkter Meinungsfreiheit oder der tatsächliche Kampf gegen Vertreter eines Regimes wie aktuell in Libyen oder Syrien. 

Forschungsschwerpunkte / Perspektiven

Aufgrund der Vielfältigkeit der Idee „Globale Zivilgesellschaft“ gibt es auch dementsprechend unterschiedliche Perspektiven, unter denen man das Konzept beleuchten kann. Unterschieden werden soll hier der historische Blickwinkel, die politikwissenschaftliche sowie die moralphilosophische Herangehensweise. Wie bereits in der Einleitung erläutert wurde, geben diese Disziplinen Antwort auf die wesentlichen Fragen: Was ist eine globale Zivilgesellschaft? Was kann sie bewirken? Was sollte sie bewirken? 

Ein Blick in die Geschichte des Begriffes „Globale Zivilgesellschaft“ verdeutlicht auch seine Bedeutung(en). Gerade bei so vielschichtigen Konzepten wie diesem ist es wichtig, zu verstehen, warum es in bestimmten Regionen zu bestimmten Zeiten wie aufgefasst wurde/wird. Denn nur so werden die verschiedenen Bedeutungsdimensionen deutlich. Es wird nachvollziehbar, warum z.B. in Osteuropa der Begriff des Zivilen wesentlich stärker politisch behaftet ist als im Rest Europas, wo man sich eher auf die soziale Dimension konzentriert im Sinne von humanitären NGOs.

Die Politikwissenschaft geht vor allem deskriptiv vor, indem die  begriffliche und konzeptuelle Entwicklung der globalen Zivilgesellschaft bis hin zum heutigen Stand betrachtet wird. Auch der Einfluss zivilgesellschaftlicher Bewegungen auf die Geschichte wird empirisch untersucht. Besonders interessant sind Bedeutung und Auswirkungen der globalen Zivilgesellschaft auf globale, politische Prozesse, worauf in dieser Darstellung auch der Fokus gelegt werden soll. Weiterhin ist die Frage, was eine funktionierende Zivilgesellschaft ausmacht und wie die ihr günstigen Bedingungen befördert werden können, von Interesse. 

Der moralphilosophische Blick richtet sich dann auf das Potential der globalen Zivilgesellschaft: Was kann und sollte sie leisten? Gibt es ethische Fragen oder Kontroversen? Wie können diese gelöst werden?

Historische Entwicklung der globalen Zivilgesellschaft

Im Laufe der historischen Entwicklung hat sich das Verständnis der Zivilgesellschaft gewandelt, weshalb in der Geschichtsforschung der Begriff auf allgemeinster Ebene verstanden wird, das Zivile also zunächst einmal als Gegenstück zum Politischen. Der Begriff selbst besteht in der deutschen Sprache erst seit 1989, zuvor sprach man von einer „bürgerlichen Gesellschaft“. Dies jedoch kennzeichnete den Unterschied zwischen dem politischen und privaten Bürger nicht deutlich, auch wenn diese Unterscheidung ideengeschichtlich spätestens seit der Aufklärung besteht.

Einer der ersten, der sich explizit mit dem Begriff beschäftigt, ist Erasmus von Rotterdam. Seine Verwendung des Zivilen wäre zu übersetzen als eine Art Befolgen gesellschaftlicher Normen, die sich stufenartig je nach gesellschaftlichem Stand definieren. Wer sich also seinem Stand angemessen verhält, verhält sich zivil. Daraus wird im weiteren Verlauf des Mittelalters dann eine Bezeichnung für die Lebensweise des gehobenen Bürgertums.

Erst durch die Aufklärung werden die Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit mit dem Begriff der Zivilgesellschaft in Verbindung gebracht. Dies erhebt die Zivilgesellschaft erstmals von der deskriptiven auf die normative Ebene. Der Begriff wendet sich von der alten Definition des Bürgertums ab, die Spaltung zwischen privatem Bürger (EN: civil society) und politischem, gehobenen Bürgertum (EN: bourgeois society) stellt sich ein. Mit Kant etabliert sich die Idee der Weltgesellschaft, welche jedoch die staatliche Ebene mit einbezieht. Erst Hegel führt die explizite Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ein. Marx und Engels schließlich grenzen den Begriff der Bourgeoisie endgültig von dem der Zivilgesellschaft im Allgemeinen ab. Während die Bourgeoisie durch ihren Besitz und Einfluss als Teil (partei)politischer Prozesse verstanden werden muss, ist die Zivilgesellschaft klar von diesen abzugrenzen, wenn nicht sogar als Gegengewicht zu betrachten.

Vor dem Hintergrund der Revolutionsversuche und des ersten Weltkrieges unternimmt Gramsci dann erstmals eine funktionale Analyse der Zivilgesellschaft, welche ihr im Rahmen von Herrschaftsbildungen innerhalb einer Gesellschaft ein eigenes Gewicht verleiht. Er verdeutlicht den kontradiktorischen Zusammenhang von Staat und Zivilgesellschaft, was im Unterschied zu Hegel auch die zivilgesellschaftliche Dimension aus dem Politischen entfernt.

Eine explizite normative Dimension kommt der Zivilgesellschaft erst wieder in heutiger Zeit zu, wo sie, vor allem seit den ost- und mitteleuropäischen zivilen Protestbewegungen, in enger Verbindung zur liberalen Demokratie steht, mit der Eigenschaft eines staatlichen Korrektivs. Aufgrund ihrer ansteigenden Relevanz wächst auch die Anzahl der Konzeptualisierungsversuche von Zivilgesellschaft und damit deren Verschiedenheit. Walzer zum Beispiel betrachtet die Zivilgesellschaft aus einem kommunitaristischen Blickwinkel, hebt das Kollektiv der Zivilgesellschaft hervor. Habermas hingegen fokussiert ihre diskursethische Bedeutung, betrachtet die Zivilgesellschaft also als Plattform für die Abwägung und Rationalisierung von Werten und Normen, aber auch politischer Vorgänge.[10]

Im Zuge der Globalisierung rückt dann zunehmend die globale Zivilgesellschaft in den Fokus der Betrachtung als Gegenpol zur rein wirtschaftlichen Vernetzung der Welt.[11]

Es zeigt sich also, dass der Begriff der Zivilgesellschaft im Laufe der Geschichte auf unterschiedlichste Weise Verwendung fand und zunehmend normativ aufgeladen wurde. Hierin liegen auch wohl die vielen Kontroversen begründet, die mit dem globaler Zivilgesellschaft verbunden sind und im Folgenden umrissen werden sollen.

Politikwissenschaftliche Perspektive

Ganz allgemein betrachtet handele es sich bei der Zivilgesellschaft um einen „Idealtypus sozialer Interaktion“, wie er sich bei marktwirtschaftlichen Vorgängen oder auch eindeutigen Herrschaftsverhältnissen herausbilden könne.[12] Hieraus ergibt sich auch die Unterscheidung zwischen Zivilgesellschaft als politische Strategie und Zivilgesellschaft als normatives Ideal, auf die Keane hinweist.[13] Ersteres fällt in den Bereich der Sozialwissenschaften. Um jedoch eine solche politische Strategie zu entwickeln, müsse man erst einmal analytisch-deskriptiv vorgehen und die strukturellen Einzelheiten wie zum Beispiel Schlüsselinstitutionen herausarbeiten. Darauf aufbauend könne man dann die Chancen, Gefahren und Ziele einer politischen Strategie ableiten. Die generelle Funktion einer (globalen) Zivilgesellschaft wird von Walzer gut auf den Punkt gebracht:

„Die Bürger eines demokratischen Staates sind in diesem Sinne nicht bereits erfüllte Wesen. Sie müssen auch woanders Mitglied sein, in kleineren, zugänglicheren, weniger anspruchsvollen und gefährlichen Orten als dem modernen Staat. Denn nur an solchen Orten können sie politische Kompetenz erlangen, lernen zu gewinnen, zu verlieren und Kompromisse zu schließen, Freunde und Verbündete gewinnen und Zugang zu oppositionellen Ideen bekommen.“ [14]

Die hier beschriebene Ebene zivilgesellschaftlicher Interaktion ist heute mehr denn je als eine globalisierte zu betrachten, da zum einen eine Zivilgesellschaft wesentlich dynamischer und ungebundener sein kann als der Nationalstaat. Auch ist im heutigen Informationszeitalter eine enge Vernetzung durch Kommunikation und Information unabhängig von physischen Distanzen möglich. Dies führt zu verbindenden Elementen wie gemeinsamen Referenzpunkten (z.B. 9/11, Finanz- und Wirtschaftskrisen), gemeinsamen Themen (Bevölkerungsentwicklung, Klimawandel) wie auch der Entdeckung von Interessenüberschneidungen (Überleben, Wohlstand, Familie), welche eine Zivilgesellschaft auch über den Globus zusammenhalten können.[15]

Dennoch sei darüber nicht zu vergessen, dass die Pluralität ein elementares Merkmal gerade einer globalen Zivilgesellschaft ist, welches nicht nur unvermeidlich, sondern auch erwünscht ist. Krebs zufolge kann dann ein solches Gefüge in organisierter Form „als ‚Vergrösserungsglas‘ [sic!][dienen], indem [es] die Anliegen einzelner Individuen bündelt und bei den Teilen der Gesellschaft, die wirtschaftliche oder politische Macht innehaben, vertritt“.[16] Diese Funktion sei gerade in Bezug auf Minderheiten, bei der Entwicklungshilfe und Demokratieförderung von besonderer Wichtigkeit. Auch haben zivilgesellschaftliche Institutionen Klein zufolge einen erheblichen meinungsbildenden Einfluss auf die nicht organisierte Gesellschaft.[17] Eine solche Betrachtung der funktionalen Ebene fokussiert sich im Besonderen auf den klar organisierten Teil der Zivilgesellschaft in Form von NGOs, Vereinen, Gewerkschaften etc.. Nicht zuletzt deshalb, weil deren Einfluss leichter zu erfassen ist. 

Besonders im Fokus der sozialwissenschaftlichen Betrachtungen liegt das Verhältnis der globalen Zivilgesellschaft zur ‚klassischen‘ parteilichen und nationalstaatlichen Politik. Nach mehrheitlicher Auffassung kann auch eine globale Zivilgesellschaft nicht ohne das Gerüst aus gesetzlichen Vorgaben, ideellen und kulturellen Spezifika und staatlicher Organisation auskommen, wie es der Nationalstaat bereitzustellen vermag. Die Generierung von sozialer Gerechtigkeit und die Rücksichtnahme auf kulturelle Eigenheiten bilden das Fundament, das den Bürgern und Bürgerinnen überhaupt erst zivilgesellschaftliche Organisation und freies Engagement in diverseste Richtungen ermöglicht.

Umgekehrt sei aber auch der Staat abhängig von einer gesunden Zivilgesellschaft. Wenn beide nicht auf gemeinsamer Basis ineinandergreifen, seien weder Nationalstaat noch Zivilgesellschaft überlebensfähig. Die Zivilgesellschaft auch nicht auf globaler Ebene, da die lokalen Gruppierungen für sie das Fundament bilden. Laut Walzer ist das Verständnis dieser gegenseitigen Einflussnahme und Abhängigkeit fundamental, um das Konzept der Zivilgesellschaft verstehen zu können, denn der Staat „gibt der Zivilgesellschaft einen Rahmen und beansprucht zugleich Raum innerhalb dieses Rahmens“.[18]

Dennoch stehen Staat und Zivilgesellschaft auch immer in einem Spannungsverhältnis. Schließlich bildet sich zivilgesellschaftliches Engagement vor allem dort aus, wo staatliches Engagement zu kurz greift. Aufgrund dessen „gehen mit dem Begriff der Zivilgesellschaft in vielen Fällen emanzipatorische, staatsskeptische und basisdemokratische Ansprüche einher“.[19]

Klein hingegen geht sogar so weit, als dass er die Globalisierung von Zivilgesellschaft als gänzlich unabhängig von den einzelnen Nationalstaaten betrachtet. Er plädiert für eine Analyse und Entwicklung neuer Konzepte wie eines Weltsystems, Weltrechtes, Weltgesellschaft und Weltöffentlichkeit. Bereits existente Konzepte wie zum Beispiel die Kantische Idee einer Weltrepublik seien hier nicht ausreichend, da die Betonung auf Pluralität und Dynamik einer Zivilgesellschaft liegen müsse.[20]

Eines dieser Konzepte ist das einer Global Governance: die Steuerung und Bewältigung von Vorgängen und Problemen, die sich zumeist im Zuge der Globalisierung aufgetan haben und durch nationalstaatliche Institutionen nicht mehr bewältigt werden können, solle nun durch internationale Akteure übernommen werden. Allen voran fallen hier die UNO und andere politische, multinationale Organisationen wie die WTO in den Blick. Jedoch vertritt die Global Governance Forschung „nicht die Idee einer neuen Weltregierung auf globaler Ebene, sondern die einer Steuerungspolitik durch ein Konzert unterschiedlicher Akteure“[21], staatlicher wie nicht-staatlicher. Aus der Zusammensetzung unterschiedlicher Akteure mit unterschiedlichsten Interessen und Schwerpunkten soll ein dynamisches Ganzes erwachsen, welches den neuen, globalen Herausforderungen angemessen entgegentreten kann. Als Vertreter der Zivilgesellschaft treten in diesem Zusammenhang NGOs und –je nach Definition von Zivilgesellschaft- auch transnationale Unternehmen (TNCs) auf. Sie sollen dort agieren, wo staatliche Institutionen Handlungslücken aufweisen: in sozialen, umweltpolitischen und (sozio-)ökonomischen Feldern. NGOs wie auch TNCs sind zumeist stark auf internationaler Ebene vernetzt und können eine größere Expertise in ihren spezifischen Tätigkeitsbereichen aufbauen. Weiterhin gelten sie als direkte Vertreter bestimmter Interessen der nicht organisierten Bevölkerung. Deswegen wird in sie „als Bindeglied zwischen den Interessen der Bevölkerung und den zwischenstaatlichen Organisationen [große Hoffnung gesetzt,] […] neben dem Steuerungsdefizit auch das Legitimationsdefizit internationaler Politik“[22] auszugleichen.

Auffällig ist auch, dass immer wieder der Zusammenhang zwischen einer funktionierenden Zivilgesellschaft und ihrem demokratischen Umfeld bzw. ihre förderliche Wirkung auf Demokratisierungsprozesse und umgekehrt betont wird: So spiele ein demokratisches Umfeld eine wesentliche Rolle für die Ausbildung einer freiheitlichen Zivilgesellschaft. Der bereits erwähnte gegenseitige Einfluss sei umso förderlicher und effektiver, je liberaler und demokratischer das staatliche Umfeld gestaltet sei. Auch für den Verlauf von Demokratisierungsprozessen, die Herausbildung einer globalen Ordnung sowie für die Förderung von sozialer Solidarität und Integration sei eine emanzipierte, globale Zivilgesellschaft unerlässlich.[23]

Gerade wegen dieser Relevanz sind die Probleme und Gefahren, mit der sich die globale Zivilgesellschaft konfrontiert sieht, nicht aus dem Auge zu verlieren. Was hier besonders ins Auge fällt, ist die pluralistische, komplexe bis hin zur widersprüchlichen Zusammensetzung zivilgesellschaftlicher Akteure auf globaler Ebene. Einerseits ist diese Diversität das konstitutive Element der globalen Zivilgesellschaft, schließlich zeichnet sie sich dadurch aus, die verschiedensten gesellschaftlichen Belange zu integrieren und eben keine thematischen oder kulturellen Ausgrenzungen vorzunehmen. Auf der anderen Seite ist dies jedoch auch Ursache vieler Probleme, sei es in der kollektiven Konsensfindung oder für die Analysierenden bei der Datenerhebung. 

Weiterhin zeigen sich gerade in westlichen Ländern Tendenzen der zunehmenden Individualisierung, was sich kontraproduktiv auf zivilgesellschaftliche Kooperationen auswirkt. Was bei dem Auseinanderfall der Familien beginnt, nimmt seinen Lauf in einer abnehmenden ideellen Verbundenheit, sodass es immer schwieriger wird, gemeinsame Meinungen und Ziele zu formulieren, geschweige denn, sich für sie einzusetzen. Dem entgegen wirken allerdings die guten infrastrukturellen Bedingungen im Westen, die sich förderlich auf Institutionalisierungsprozesse ausbilden, was die hohe Aktivität von NGOs in Industrienationen erklären würde.

Ein weiteres Problem auf theoretischer Ebene ist die Legitimationsfrage: Zivilgesellschaftliche Institutionen gewinnen zunehmend an Bedeutung und Macht, gehen jedoch nicht aus demokratischen Wahlen hervor. Sie vertreten zwar, wie bereits erwähnt, die Interessen der nicht organisierten Bevölkerung, jedoch sind zivilgesellschaftliche Akteure, NGOs im Besonderen, thematisch grundsätzlich eng begrenzt und ihr Einfluss ist auch häufig von den ihnen zu Verfügung stehenden finanziellen Mittel abhängig. Wie also können sie Anspruch erheben, immer größer werdende Bevölkerungsgruppen und deren Gesamtheit von Interessen zu vertreten?

Relevanz und Probleme zeigen auf, dass es noch viel Bedarf bei der Gestaltung einer funktionierenden Zivilgesellschaft gibt. Walzer sieht den Weg dahin in einer Dezentralisierung staatlicher Kompetenzen und einer Sozialisierung der Wirtschaft, um so mehr Möglichkeiten für emanzipierte und aufgeklärte Bürger und Bürgerinnen zu schaffen, Verantwortung für das Geschehen in ihrer Umgebung zu übernehmen.[24] Für Nida-Rümelin hingegen ist die Ausbildung einer gemeinsamen Aktionsbasis aus Regeln und Normen essentiell:

„Eine je intern strukturierte, auf hinreichend gerechten Institutionen beruhende zivilgesellschaftliche Ordnung kann das Gesamt des globalen Kooperationsgefüges nur tragen, wenn zwischen diesen zivilgesellschaftlichen Parzellen eine übergreifende Struktur moralischer und institutioneller Regeln etabliert ist, die einem nationenübergreifenden Gerechtigkeitssinn entsprechen“.[25] 

Das Institut für Sozialstrategie hingegen geht die Frage nach der Gestaltung der globalen Zivilgesellschaft praktischer an, indem gezielt einzelne zivilgesellschaftliche Aktionsebenen definiert werden, um die Thematik interdisziplinär und gezielt behandeln zu können. 

Zusammenfassend lässt sich hier festhalten, dass für die politologische Perspektive im Besonderen der Aufbau der globalen Zivilgesellschaft (Pluralität vs. Gemeinsame Referenzpunkte), ihr Verhältnis zum Staat (Globale Zivilgesellschaft im Verhältnis zu Nationalstaat und Demokratie, Global Governance) sowie strategische Fragen der Gestaltung von Bedeutung sind.

Moralphilosophische Perspektive

Auch in der Philosophie ist die Diskussion um die globale Zivilgesellschaft ein relevantes Thema. So fragt die politische Philosophie nach ihrem Potential als Gegengewicht zur Politik und was sie in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen leisten kann. Eine große Herausforderung stellt auch die Frage nach moralischer Konsensfindung dar in einem so pluralistischen Gefüge, wie die globalisierte Zivilgesellschaft eines ist.

Keane betrachtet die Zivilgesellschaft in ihrer Idealform als politisches Richtmaß, womit sie quasi selbst zur Norm wird: 

Die globale Zivilgesellschaft ist “ein dynamisches, nicht-staatliches System vernetzter, sozio-ökonomischer Institutionen, welche die ganze Welt umspannen und komplexe Effekte haben, die allerorts zu spüren sind. Die globale Zivilgesellschaft ist weder statisches Objekt noch vollendete Tatsache. Es ist ein unbeendetes Projekt, das aus größeren wie kleineren Netzwerken, Hierarchien und Wissensspeichern sozio-ökonomischer Institutionen und Akteuren besteht, die sich selbst organisieren über Grenzen hinweg mit dem vorsätzlichen Ziel, die Welt über neue Wege zu vereinen. Diese nicht-staatlichen Institutionen und Akteure tendieren zu dezentralisierten Machtgefügen wie auch der Problematisierung von Gewalt; folglich sind ihre friedlichen, ‚zivilen‘ Effekte überall zu spüren, hier wie dort, weit wie nah, in und aus lokalen Gegenden, durch weite Regionen bis hin zur globalen Ebene.“[26]   

Walzer sieht in der moralischen Dimension das vereinende Moment der Zivilgesellschaft, unabhängig von der Politik. Trotz aller Verschiedenheit engagieren sich die Menschen aufgrund eines „Sinnes für gemeinsame Verantwortung gegenüber ihrem Schicksal und Gemeinwohl“.[27] Politischen Ideologien ermangele es diesbezüglich an Verständnis für die Diversität der Zivilgesellschaft, weshalb hier keine befriedigenden Lösungen angeboten werden könnten, um einen Weg zwischen individueller Freiheit und kollektiver Solidarität zu finden. 

Nida-Rümelin unternimmt eine umfassende Betrachtung der globalen Zivilgesellschaft in Bezug auf politische Debatten wie auf die Frage nach einer gemeinsamen Moralfindung.[28] Für ihn steht die Zivilgesellschaft als „von einem normativen Konsensus getragenes Kooperationsgefüge“[29] in engem Zusammenhang mit Demokratisierung und Demokratieverständnis, denn schließlich müsse es gemeinsam akzeptierte Regeln und Kooperationsformen mit der politischen Dimension geben. Voraussetzung dafür sei ein normativer Minimalkonsens, welcher nicht zwingend eine Universalisierung aller Werte verlange. Denn eine solche Universalisierung birgt auch immer die Gefahr eines Werteimperialismus, also der Aufoktroyierung eines bestimmten kulturellen Wertekontextes auf die gesamte globale Gemeinschaft. Um zu einem solchen Konsens zu gelangen, müsse das Konzept der Zivilgesellschaft ethisch reflektiert und fundiert sein. Bedingung ist die Beibehaltung des Wertepluralismus und des daraus resultierenden gewollten, aber geregelten Konflikts. Ein Werteuniversalismus könne somit nicht angestrebt werden, schließlich gingen damit individuelle Standpunkte verloren. 

Nida-Rümelin befürwortet eine kontraktualistische Rahmenordnung zur Regelung von Konflikten, somit würden Differenzen nicht beseitigt, Einigungen jedoch vereinfacht. Deswegen – und hier begibt er sich wieder zurück auf die politische Ebene – reichen nationalstaatliche Rahmenbedingungen nicht aus. Die Idee einer globalen Zivilgesellschaft sei gescheitert, wenn sich ein solches gemeinsames Gerechtigkeitsverständnis und eine dementsprechende Konfliktlösungsstrategie nicht finden lasse. Nida-Rümelin beruft sich diesbezüglich auf die Menschenrechte, welche er als vereinbar mit allen Weltkulturen betrachtet.

Das Institut für Sozialstrategie

Wie diese (sicherlich sehr oberflächliche) Übersicht über die bisherige Forschung im Bereich globale Zivilgesellschaft gezeigt hat, gibt es bereits umfassende und divergierende Herangehensweisen und Auffassungen darüber, was eine Zivilgesellschaft ist und was sie auf globaler Ebene leisten kann.

Das IfS setzt hier strategisch an mit der Leitfrage „Wie können wir die globale Zivilgesellschaft gestalten?“. Es wurde im Februar 2009 in Laichingen und Jena durch Prof. Dr. Ulrich Hemel gegründet. Er ist ausgebildeter Theologe, langjähriger Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover und hat über viele Jahre in Unternehmen der Privatwirtschaft gearbeitet, u.a. The Boston Consulting Group, Paul Hartmann AG (zuletzt als Vorstandsvorsitzender), Süddekor GmbH und Rogg Verbandstoffe GmbH&Co.KG.

Zusätzlich zur theoretischen Analyse kommt also die praktische Dimension der konkreten Gestaltung einer globalen Zivilgesellschaft durch eine Sozialstrategie hinzu. Dies erfolgt zunächst durch eine Definition von Bereichen, in denen zivilgesellschaftliche Akteure lokal als auch global aktiv sind bzw. die für sie von besonderer Relevanz sind: Bildung, Gesundheit, Religion, Minderheiten, Wirtschaft und Umwelt. Somit geht die Arbeit des IfS über die wissenschaftliche Forschung, wie sie oben dargestellt wurde, hinaus, denn es befasst sich nicht nur theoretisch mit den Aufgaben und Möglichkeiten einer globalen Zivilgesellschaft, sondern will aktiv dazu beitragen, die heute bestehende Zivilgesellschaft anzunähern an ihr Ideal, wie es zum Beispiel Walzer formuliert hat (S. 10 f.). Zu diesem Zwecke greift es bestehende Konzepte einer globalen Zivilgesellschaft auf. Im Besonderen sind die hier breite Definition zu nennen, die Berücksichtigung lokaler und wirtschaftlicher Akteure wie auch ihr Potential in Bezug auf politische Prozesse und die Beförderung des Gemeinwohls. 

Das Institut betrachtet zivilgesellschaftliche Fragen bewusst auch auf lokaler Ebene, denn diese bildet das notwendige Fundament für eine globale Gestaltung. Die praktische Ausrichtung zeigt sich in der Entwicklung eigener Konzepte aber auch in der Unterstützung bestehender Initiativen. Als Beispiele wären hier die ‚World Minimum Allowance‘ (WMA) oder der ‚Bildungsfonds Laichinger Alb‘ zu nennen: Bei der WMA handelt es sich um ein jüngst von Ulrich Hemel entwickeltes Konzept, wonach jedem Bürger auf dieser Erde eine Grundversorgung von zwei Dollar pro Tag zugestanden werden soll. Der Bildungsfonds hingegen ist eine Kooperation mit Kommunen, Schulen und Privatakteuren der Laichinger Region mit dem Ziel, finanzielle Mittel zur Unterstützung der Bildung benachteiligter Kinder und Jugendlicher zu beschaffen. 

Wirtschaftliche Akteure werden gewollt als zivilgesellschaftliche Akteure begriffen, denn auch sie tragen gestalterische Verantwortung, weshalb die Wirtschafts- und Unternehmensethik einen wichtigen Teil der Arbeit des Instituts umfasst. Weiterhin wird die Zivilgesellschaft nicht als Gegner, sondern als Partner der Politik verstanden, das IfS will hier als Brücke dienen. Die Arbeit erfolgt interdisziplinär, Experten unterschiedlichster Fachbereiche, Sozialwissenschaftler, Philosophen, Theologen, Nachhaltigkeitsforscher internationaler Herkunft sind eingeladen, auf der Plattform des Instituts mitzuwirken. Dabei soll jedoch nicht die optimale Universalstrategie entwickelt werden: das IfS ist sich der Pluralität der globalen Zivilgesellschaft bewusst und will dementsprechend divergente Strategien entwickeln und anbieten.

Zusammenfassend betrachtet ist das IfS also eine Plattform, die die theoretische Forschung verschiedenster Disziplinen aufgreift und darauf aufbauend konkrete Strategien zur praktische Gestaltung der globalen Zivilgesellschaft im weitesten Sinne auf unterschiedlichen Aktionsebenen entwickelt.

LITERATUR

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[1] U. Hemel (2009a), S. 2.

[2] Kocka (2000), S.21.

[3] Vgl. Kocka (2000), S. 18 ff..

[4] Vgl. Krebs et. Al. (2009), S. 1 ff.

[5] Vgl. ebd., S. 2.

[6] Vgl. u.a. Hildermeyer et.al. (2000), Gosewinkel et.al. (2004), Klein (2001), Walzer (1998).

[7] vgl. Gosewinkel et al. (2004), S. 11.

[8] Vgl. u.a. Keane (2003), S. 8.

[9] Vgl. u.a. Gosewinkel et al. (2004), S. 12; Hildermeyer et al. (2004), S. 22. 

[10] vgl. Jehle (2004).    

[11] Hemel (2009a), S. 2.

[12] Nida-Rümelin (1998).

[13] Keane (2003), S. 3 ff..

[14] Walzer (1998, Übersetzung S.K.), S. 1.

[15] vgl. Hemel (2009a).

[16] Krebs (2009).

[17] Klein (2001), S. 214.

[18] Walzer (1998, Übersetzung S.K.), S. 23.

[19] Hemel (2009a), S. 2.

[20] Klein (2001), S. 207 ff..

[21] Curbach (2003), S. 18.

[22] Ebd., S. 20.

[23] Vgl. u.a. Hildermeier et al. (2000), S. 23 f..

[24] Walzer (1998), S. 25 f..

[25] Nida-Rümelin (1998), S. 19.

[26] Keane (2003, Übersetzung S.K.), S. 8.

[27]Walzer (1998), S. 8.

[28] Nida-Rümelin (1998).

[29] Ebd., S. 8.


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Posted by Sonja Knobbe

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