Transsexuelle und Intersexuelle im Kampf um Wahrnehmung
Abstract [de]: Am Donnerstag, den 03. April fanden sich in diversen Zeitungen Berichte über „Norrie“ einen 52-Jahre alten Menschen, der am Mittwoch dem 02. April von einem australischen Gericht das Recht zugesprochen bekam, als Geschlecht offiziell „unbestimmt“ angeben zu dürfen. Auch wenn der Fall ein sehr spezieller ist, eine weiter zurückliegende Geschlechtsumwandlung von „Mann“ zu „Frau“ vorliegt und spät die Entscheidung getroffen wurde, doch nicht in bipolare Geschlechterrollen zu passen, so weißt er doch auf einige Tendenzen bezüglich Geschlechter-Konzepten in einigen Ländern hin.
April 2014
Transsexuelle und Intersexuelle im Kampf um Wahrnehmung
Am Donnerstag den 03. April fanden sich in diversen Zeitungen Berichte über „Norrie“ einen 52-Jahre alten Menschen, der am Mittwoch dem 02. April von einem australischen Gericht das Recht zugesprochen bekam, als Geschlecht offiziell „unbestimmt“ angeben zu dürfen. Auch wenn der Fall ein sehr spezieller ist, eine weiter zurückliegende Geschlechtsumwandlung von „Mann“ zu „Frau“ vorliegt und spät die Entscheidung getroffen wurde, doch nicht in bipolare Geschlechterrollen zu passen, so weißt er doch auf einige Tendenzen bezüglich Geschlechter-Konzepten in einigen Ländern hin.
Lange wurden geschlechtsspezifische Rechte als Frauenrechte verhandelt, dann zunehmend auch als Rechte von Homosexuellen. Der Bereich der Transsexualität und Intersexualität dagegen war in breiterer Öffentlichkeit ein kaum diskutierter. Stets waren dabei zivilgesellschaftliche Bewegungen zentral zum kämpfen und einstehen für und der Verwirklichung von Rechten, die selbst bei Frauenrechten gerne als „Minderheitenrechte“ gefasst wurden. Staaten und Institutionen reagierten durch Aktivitäten zivilgesellschaftliche Forderungen, nicht als Avantgarde. Dies führte zuletzt zunehmend in gerne als „westlich“ gefassten Ländern zu mehr Rechten von Homosexuellen, aber auch einer größeren Wahrnehmung von Diskriminationen weltweit. Das derzeit Plakate von Amnesty International in Städten Deutschlands darauf hinweisen, was für Folgen ein Kuss unter Männern in anderen Ländern haben kann, zeigt deutlich, wie sich die Meinung zu diesem Thema auch in Deutschland gewandelt hat. Ein Bereich ist dabei jedoch immer noch ein schwieriger – der Abschied von geschlechtlicher Bipolarität. Ob Homosexualität oder auch Bisexualität, alles ist mit dem Bild von „Männern“ und „Frauen“ fassbar.
Eine zunehmend auch bewusst gemachte Herausforderung ist die schlichte Unmöglichkeit alle Menschen unter diese beiden Kategorien zu subsumieren. Einige verweigern sich einer klaren Zuordnung, andere sind (auch) medizinisch-physiologisch nicht klar zuordbar. Letztere Fälle wurden lange, so sie bei der Geburt deutlich wurden, medizinisch durch eine operative Zuordnung „behandelt“. Seit kurzem ist es auch in Deutschland möglich, dies zu umgehen und eine klare Zuordnung nicht vorzunehmen. Das Geburtsregister kennt nun eine weitere Kategorie – „andere“. Dies ist juristisch zu begrüßen und wurde auch vom deutschen Ethikrat empfohlen, ist jedoch in gesellschaftlichen Diskursen weiterhin schwierig. Die Beziehungen intersexueller Menschen zu fassen, ist in allgemeinen Begriffen schwer möglich – ist ein intersexueller Mensch, der vorher aber als Mädchen / Frau lebte und mit einer sich als Frau verstehenden Person eine Beziehung hat lesbisch, bisexuell, gar nichts oder vieles auf einmal? Die Loslösung von Geschlechtskategorien, gerade in ihrer Selbstwahl und -zuordnung, von sexuellen Praktiken ist in weiten gesellschaftlichen Teilen weder üblich, noch umgehend verständlich, anders als beispielsweise Homosexualität.
Zentral ist auch deshalb der Versuch Öffentlichkeit herzustellen, aber auch, sich erst untereinander zu vernetzen. Umso geringer der Zugang zu entsprechenden Themen und Herausforderungen ist, desto schwieriger kann es sein, eigene Wege in der eigenen Geschlechtsdefinition zu gehen. Gerade wenn öffentliches Auftreten durchaus als riskant verbucht und angesehen wird. Eine gewisse und gerichtete Aufmerksamkeit auf die Thematik selbst können durchaus auch populäre Fernsehformate lenken, die aber leicht zum Überzeichnen, Generalisieren und Popularisieren neigen. Digitale Vernetzung scheint da ein weit besser funktionierender Weg zu sein, gerade außerhalb großer urbaner Konglomerate oder Ländern mit zunehmender oder mindestens tendenzieller Offenheit. Dabei spielen einerseits Symbole, herausstechende Personen aber auch der reine informelle Austausch eine große Rolle. Neben dem Heraustreten an eine breitere Öffentlichkeit, ist das Verbinden als Minderheit, das globale Zusammenfinden und Wiedererkennen von zentraler Bedeutung.
Einerseits können so andere Eindrücke gewonnen werden, kulturelle Prägungen, die „dritte Geschlechter“ kennen, aber auch historische Umstände bewusst werden, die diese nicht negierten, bevor Operationen alles angleichen, normalisieren und „erleichtern“ sollten. Andererseits können so aber auch best-practice-Beispiele bewusst werden, Wege für Rechte zu kämpfen, zur eigenen Identität zu stehen oder sich mit anderen zu vernetzen. Die Globalität zivilgesellschaftlicher Vernetzung in ihrem zunehmenden Grade führt zwar durchaus auch zu deren Zersplitterung. Gerade dies ist jedoch der Raum, den Minderheiten nutzen können und zunehmend auch nutzen, um sich und ihren Ansprüchen, Notwendigkeiten und Situationen Gehör zu verschaffen und sich selbst zu vernetzen. Vernetzung schafft Schutz durch (Teil)öffentlichkeit(en), kann versuchen globale Reaktionen hervorzurufen, wie über Amnesty International-Plakate in Deutschland, aber auch erst die Normalität der Nicht-Konformität aufzeigen und bewusst machen.
Gerade letzteres ist von großer Bedeutung, um die Bandbreite an Möglichkeiten eine_r_m jeden bewusst zu machen. So kann über das rein medizinische herausgegangen werden, dass immer auch Grenzen der Inklusion umfassen wird, hin zu einer Öffnung zu Selbstverortungen. Ein Weg, wie der in Artikeln über Norrie beschriebene, kann so zumindest ein möglicher Weg werden, von einem „klaren“ bipolaren Pol zum anderen um dann die Mitte zu wählen, ohne sie zu benennen. Gerade diese Unbenennbarkeit ist dabei wohl die große Herausforderung. Dass aus LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual & Trans) immer mehr ein Komplex weiterer Buchstaben und Sternchen wurde, es letztlich weder ausreicht ein I für Intersexuelle, oder aber ein weiteres T und Q für Transgender und Queer anzuhängen, wird immer bewusster, erhöht aber auch die Hürde, entsprechende Konzepte flächendeckend zu verbreiten. Jedes neue Bild, jeder breite Vermittlungsversuch, der zeigt, dass „klare Kategorien“ stets ein Schein sind, immer schwimmen, hilft ein Bewusstsein zu verbreiten, dass Kategorisierungsversuche einengen und freie Entfaltung oft unmöglich machen. Wie weit verbreitet ein solches Phänomen ist, kann quasi „interne“ Kommunikation und Vernetzung aufzeigen. Dass dies auch zu Anerkennungen, Akzeptanz und Rechten führt, da hilf die Kommunikation von Fällen, die Vernetzung mit breiteren Kreisen, so globalen zivilgesellschaftlichen Akteur_innen für Menschenrechte. Dass damit am Ende Konzepte wie Heterosexualität und „Frau“ und „Mann“ immer weniger zu den alleinig oder mindestens zentral prägenden werden, vielmehr die Menge an Konzepten und die Variabilität zunehmen, ist deutlich, wann und wie dies wo vollzogen wird weniger. Eine entsprechende Vernetzung und breitere Bewusstwerdung erlauben zunehmend sich selbst dynamischer und veränderbarer zu fassen, breite Akzeptanz ist der Weg, der diesem folgt. Bei beidem hilft zentral eine globale zivilgesellschaftliche Vernetzung, von Minderheiten, und dieser mit anderen. Zugleich ist deutlich festzuhalten, dass ein Abschied von einer bipolaren Geschlechterordnung der notwendige Weg ist, Minderheitenrechte gerade bezüglich der Findung, Festigung und Akzeptanz von „Identitäten“ durchzusetzen sind, insbesondere auch für kleinere Gruppen.
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