Abstract [en]:

Based on different institutional formats for international youth exchanges, this contribution develops the idea of a “European Youth Foundation” to bundle and promote different civil society initiatives in the field of youth exchange programs and youth participation. The argument aims that for an active and sustainable Europe there must be a youth who has acquired sufficient intercultural competences. Central socio-political challenges such as digitalization, environment/sustainability and the role of Europe in a globalized world can only be solved together as a European civil society. European integration also means the growing together of civil society, the foundations of which are laid in childhood and youth. International exchange programmes for young people form or strengthen civil society relations. These programes are more important in regions which, due to various socio-economic factors, have been unable to offer opportunities for exchange programmes in the past. 

Abstract [de]:

Ausgehend von verschiedenen institutionellen Formaten für internationale Jugendbegegnungen entwickelt dieser Beitrag die Idee eines „Europäischen Jugendwerks“ zur Bündelung und Förderung verschiedener zivilgesellschaftlicher Initiativen im Bereich Jugendbegegnungen und Jugendpartizipation. Das hier entwickelte Argument zielt auf die These ab, dass für ein aktives und zukunftsfähiges Europa eine Jugend vorhanden sein muss, die ausreichend genug interkulturelle Kompetenzen erworben haben sollte. Zentrale gesellschaftspolitische Herausforderungen wie Digitalisierung, Umwelt/Nachhaltigkeit und die Rolle Europas in einer globalisierten Welt können nur gemeinsam als europäische Zivilgesellschaft gelöst werden. Europäische Integration bedeutet auch ein zivilgesellschaftliches Zusammenwachsen, dessen Fundament bereits schon im Kindes- und Jugendalter gelegt wird. Internationale Austauschprogramme für junge Menschen bilden oder verstärken zivilgesellschaftliche Bindungen. Diese sind umso wichtiger in Regionen, die in der Vergangenheit aufgrund verschiedener sozioökonomischer Faktoren wenig Möglichkeiten für Austauschprogramme bieten konnten. 


Juni 2020

Eine europäische Zivilgesellschaft?

Das Europäische Jugendwerk (Teil 1)

Um es dem Leser vorwegzunehmen: Dieser kurze Essay wurde auf der Grundlage einiger persönlicher Beobachtungen, Eindrücke, Gespräche und Notizen verfasst. Der Verfasser hatte in verschiedenen Formaten und als Teilnehmer diverser Austauschprojekte, Seminare, Workshops und Vorträge sowie in seiner Funktion als Juniorbotschafter des Deutsch-Französischen Jugendwerkes (DFJW/OFAJ) verschiedene Erfahrungen im Bereich Jugendaustausche, Jugendpartizipation und politischer Bildung sammeln können. Dieser Erfahrungsschatz wurde zum Anlass genommen, einige Ideen zu skizzieren, um diese in geeigneten Formaten zu diskutieren, zu verfeinern oder weiterzuentwickeln. 

Oftmals konzentrieren sich zivilgesellschaftliche Kooperationen durch historisch-kulturelle Prozesse stärker in Richtung „Westen“ und weniger in Richtung „Ost“ und „Südost“. Hinsichtlich verschiedener Facetten internationaler Mobilität scheinen beispielsweise bei Schüleraustauschen, Freiwilligendiensten oder Auslandsaufenthalten an Hochschulen aufgrund verschiedener Ursachen andere Regionen eine höhere Attraktivität als die besagten Regionen in Ost- und Südosteuropa zu genießen. Dabei erscheint es nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, dem Umbruch des Jahres 1989 und verschiedenen friedlichen wie konflikthaften Transformationsprozessen in Ost- und Südosteuropa mehr als notwendig, die Aufmerksamkeit stärker in diese Regionen zu lenken.[1] Hier gilt es ein bessere interkulturelles Verständnis zu gewinnen. Dabei kann auch der Kontakt mit Kulturen in den Regionen Ostmittel-, Südost- und Osteuropa nicht nur das Bewusstsein und das Interesse für diese Region stärken, sondern auch die Grundlage für spätere berufliche Tätigkeiten sein. Nicht nur ist ein Defizit zwischen „West“ und „Ost“ in den zivilgesellschaftlichen Bindungen vorhanden, sondern nicht selten auch zwischen „Nord“ und „Süd“. Hier sind Netzwerke zwischen den Zivilgesellschaften der südeuropäischen bzw. der euromediterranen Staaten mit denen z.B. Nordeuropas oder Skandinaviens gemeint. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Kreis der EU-Mitgliedsstaaten deutlich erweitert, die Union ist politisch und ökonomisch gewachsen. Kennzeichen der europäischen Integration waren Erweiterungswellen sowie Vertiefungen in verschiedenen Politikbereichen.[2] Jedoch stellt sich abseits der stärkeren ökonomischen Verflechtung der Mitgliedsstaaten und der relativ hohen institutionellen Komplexität der EU-Organe die Frage ob der kulturelle Austausch mit- und untereinander nicht etwas vernachlässigt wurde. Inwiefern sind die Zivilgesellschaften der EU zwischen Nord und Süd sowie West und Ost zusammengewachsen? In welche Richtung verlief die zivilgesellschaftliche Union? In welchem Handlungsfeld können die Zivilgesellschaften Europas gestärkt werden? 

Schließlich muss richtigerweise der Einwand konstatiert werden, dass die EU-Förderprogramme Erasmus und Erasmus+ vorhanden sind. Das Erasmus Programm wurde ursprünglich gegründet, um die transnationale Mobilität zu Bildungszwecken zu erhöhen. Der Fokus lag hier vor allem noch auf die Förderung von Auslandsaufenthalten von StudentInnen an Hochschulen. Diese einseitige Förderung wurde in dem seit 2014 bestehendem Erasmus+ Programm durch die Bereiche zur Förderung von allgemeiner und beruflicher Bildung, Jugend und Sport umfassend erweitert.[3] Während die Strukturen im Hochschulbereich über Jahrzehnte aufgebaut wurden und längst schon fest etabliert sind, birgt eine umfassende Ausdehnung des Erasmus+ Programms auf deutlich mehr Tätigkeitsfelder das Risiko, die entscheidende Gruppe der Kinder, Schüler und Jugendlichen aus dem Blick zu verlieren. Hinzukommt auch die Tatsache, dass Strukturen im Bereich von Austauschprogrammen und transnationalen Begegnungen erst langsam institutionell verankert werden können. Hier hat es definitiv einen Vorteil, wenn auf bestehende institutionelle Strukturen zurückgegriffen werden kann, die ein professionelles Fachwissen und auch die pädagogischen Qualifikationen darüber verfügen, Austauschprojekte administrativ zu organisieren und praktisch durchzuführen. 

Mit Jugendpartizipation in Austauschen haben die Zivilgesellschaften Europas eine Chance zusammenwachsen. Transnationale Erfahrung von Mobilität kann bereits frühzeitig in diversen Austauschprogrammen erfolgen. Ein wichtiges Instrument sind Methoden des „interkulturellen Lernens“.[4] An dieser Stelle erscheint es sinnvoll europäische Werte sowie national spezifische Werte und Normen bereits im Kindes- und Jugendalter frühzeitig zu erlernen. Denn: Die thematisch vielfältig ausgerichteten Jugend- und Austauschbegegnungen üben eine Wirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung aus. Dies äußert sich in einer Steigerung des Selbstvertrauens, in einer Zunahme an Offenheit und Neugierde sowie in einer Verbesserung sozialer und sprachlicher Kompetenzen.[5] Der gegenseitige und grenzüberschreitende Austausch fördert nicht nur interkulturelle Kompetenzen junger Menschen, sondern stärkt insgesamt die zivilgesellschaftlichen Beziehungen in den Bereichen Kultur, Sport, Wirtschaft und Politik. Voraussetzung dafür ist eine europäische Institution, die personell, finanziell und durch die Bildung von Netzwerken eigene Angebote in der Jugendarbeit und der politischen Bildung ermöglicht und Fördermaßnahmen für Angebote von Partnerorganisationen bereitstellt. Die Zielgruppe sollte auf Kinder und Jugendliche verschiedener Altersgruppen liegen, die sich in Schulausbildung oder beruflicher Ausbildung befinden. Hier sollte eine Stärkung der Komponenten Schule, Freiwilligendienste und vor allem Berufsausbildung erfolgen. 

Durch institutionelle Verankerung eines Europäischen Jugendwerks erfolgt ein Bekenntnis für die europäische Jugend – und so eine Stärkung europäischer Werte und Vielfalt europäischer Kulturen und Identitäten. Wichtig ist es an dieser Stelle ein Signal zu setzen, dass Zivilgesellschaften in Europa kulturell weiter zusammenwachsen können und das gegenseitige interkulturelle Verständnis verbessert wird. Dieses Zusammenwachsen soll nicht allein auf Grenzregionen oder historisch-kulturell gewachsene Regionen beschränkt sein, sondern vor allem die Räume in einen zivilgesellschaftlichen Integrationsprozess inkludieren, die sozioökonomisch schwächer entwickelt sind oder als rurale Regionen zu bezeichnen sind. Die Signalwirkung ist aber umso entscheidender für diejenigen, die noch nicht oder nur kaum die Möglichkeit zu transnationaler Mobilität in Schule oder Berufsausbildung hatten. Hier müssen Strategien erarbeitet werden, wie weniger Privilegierte den Zugang zur gesellschaftlichen Ressource Mobilität und Auslandserfahrung erhalten können. Viele Organisationen und Kommunen gehen bereits den Weg der Austausche und pflegen partnerschaftliche Beziehungen ins EU-Ausland, aber es sind bei Weitem noch nicht genug. Abseits der privilegierteren EU-Staaten sowie bestimmter sozialer Schichten gibt es genügend junge Menschen, die aufgrund verschiedenster Barrieren kaum oder noch gar keine Möglichkeit zu transnationaler Mobilität haben. 

Politisch Verantwortliche der EU sowie einzelner Mitgliedsstaaten sollten Initiativen entwickeln, um die Weichen für die Gründung eines Europäischen Jugendwerks zu stellen. Schwerpunkt dieser Initiativen müsste die Analyse und Bearbeitung von finanziellen und organisatorischen Sachverhalten sein. Einige staatliche und nichtstaatliche Vorbilder der Initiative „Europäisches Jugendwerk“ sind beispielsweise das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW)[6], das Deutsch-Polnische Jugendwerk[7], das Regional Youth Cooperation Office (RYCO)[8] im Westbalkan, das Deutsch-Ungarische Jugendwerk[9], das Deutsch-Griechische Jugendwerk (DGJW)[10] sowie schließlich die European Youth Foundation (EYF)[11] des Europarates. All diese aufgezählten bilateralen Initiativen haben gemeinsam, die Beziehungen zwischen jungen Menschen zu fördern und gegenseitiges soziokulturelles Verständnis zu vertiefen. Der Vorschlag eines Europäischen Jugendwerks bedeutet keineswegs, dass bisherige bilaterale Kooperationen durch bereits bestehende Jugendwerke aufgegeben werden müssen oder exkludiert werden. Diesen Aspekt würden nämlich Kritiker anführen, da aus ihrer Sicht eine Vervielfachung von Strukturen, finanziell wie administrativ, vorläge. Ganz im Gegenteil, bereits bestehende Formate können und müssen weiterhin gefördert werden. Ohne die kann nämlich der Vorschlag „Europäisches Jugendwerk“ gar nicht umgesetzt werden, weil diese über administrative, personelle und politische Ressourcen sowie über vielfältige und langjährige Netzwerke mit zivilgesellschaftlichen Organisationen verfügen. Des Weiteren bestehen je nach bilateraler Zusammensetzung der Jugendwerke auch politisch-historische Spezifikationen und kulturelle Besonderheiten, die weiterhin jeweils nur in einem binationalen Kontext erfahrbar gemacht werden können.

Die Idee eines Europäischen Jugendwerks könnte demnach als „Dachorganisation“ verschiedener jugendwerksähnlicher Organisationen sowie als europäischer Sonderfond fungieren, der bisherige Strukturen im Bereich des internationalen Jugendaustauschs weiterentwickelt und zentral bündelt. An dieser Stelle muss noch angemerkt werden, dass finanzielle Fördermittel wenig nützen, wenn nicht zusätzlich auch qualifiziertes und erfahrenes Fachpersonal, wissenschaftlich fundierte Schulungs- und Fortbildungsangebote sowie administrative Sachkenntnis vorhanden sind. Es würde sich bei einem Europäischen Jugendwerk die Möglichkeit eröffnen, dass weitaus mehr Staaten (v.a. aus Süd- und Osteuropa) von internationalen Austauschprogrammen profitieren könnten. Ein kulturelles Zusammenwachsen verschiedener Zivilgesellschaften könnte so durch aktive Förderung der Jugendpartizipation ermöglicht werden. Zum anderen können bereits existente Jugendwerke in das Projekt eines Europäischen Jugendwerks miteinbezogen werden und in binationalen Mechanismen des Jugendaustauschs die europäische Komponente stärken und beispielsweise tri- oder multinationale Begegnungsformate etablieren. 


[1] Vetter, Reinhold (2019): Der Preis des Wandels. Geschichte des europäischen Ostens seit 1989. Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn. 

[2] Informationszentrum über europäische Institutionen (CIIE). Europe Direct Informationszentrum (2020), https://www.strasbourg-europe.eu/die-wichtigsten-etappen-des-aufbaus-der-europaeischen-union/

[3] Europäische Kommission, https://ec.europa.eu/programmes/erasmus-plus/about_de

[4] Deutsch Französisches Jugendwerk (2007): „Wir, die Anderen und die Anderen…“ – Interkulturelles Lernen und Multikulturalität. https://www.dfjw.org/media/nr-24-wir-die-anderen-und-die-anderen-interkulturelles-lernen-und-multikulturalitat.pdf

[5] Deutsch-Französisches Jugendwerk (2019): Richtlinien des Deutsch-Französischen Jugendwerks. https://www.dfjw.org/media/directives-richtlinien-2019.pdf

[6] Deutsch-Französisches Jugendwerk (2019), https://www.dfjw.org/media/dfjw-selbstdarstellung-1-seite-okt-2019.pdf

[7] Deutsch-Polnisches Jugendwerk, https://www.dpjw.org/

[8] Regional Youth Cooperation Office (2019), https://www.rycowb.org/?page_id=3462

[9] Deutsch-Ungarisches Jugendwerk, https://www.dujw.org/uberuns

[10] Deutsch-Griechisches Jugendwerk, https://agorayouth.com/dgjw/

[11] European Youth Foundation, https://www.coe.int/en/web/european-youth-foundation


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Posted by Simon Lenhart