Abstract [en]: Indigeneity serves and served again and again for ‘othering’ others, to turn people into the ‘exotic’ others and thereby devalue them. This is the core of racism against indigenous that is far too often overlooked. Such racism shows itself behind very different developments and discourses, and not only in the historical handling of indigeneity, for example in connection with the Spanish subjugation of parts of the Americas and the encomineda system, but also today. This includes language politics as well as the paternalistic appropriation of indigenous concepts. But only if racism against indigenous is identified and made problematic it can be overcome, and a massive obstacle to civil society cooperation, especially global civil society cooperation, can be removed.
Keywords: Racism towards Indigenous peoples, Encomienda, Colonialism, Latin America
Abstract [es]: La indigeneidad sirve y ha servido una y otra vez para ‘othering’ los demás, para convertir a las personas en los otros “exóticos”, y, por tanto, devaluarlos. Este es el núcleo del racismo contra indígenas que con demasiada frecuencia se pasa por alto. Tal racismo se muestra detrás de desarrollos y discursos muy diferentes, y no solo en el manejo histórico de la indigeneidad, por ejemplo en conexión de la subyugación española de partes de las Américas y el sistema de encomienda, sino también hoy. Esto incluye tanto políticas del lenguaje como la apropiación paternalista de conceptos indígenas. Pero solo si se identifica y problematiza el racismo contra indígenas, se puede superarlo, y solo así se puede eliminar un obstáculo masivo para la cooperación de la sociedad civil, especialmente la cooperación de la sociedad civil global.
Palabras claves: Racismo hacia los pueblos indígenas, encomienda, colonialismo, América Latina
Abstract [de]: Indigenität dient(e) immer wieder als eine Bewegung des „Othering“ dazu, Menschen zum „exotischen“ Anderen zu machen und damit abzuwerten. Dieser Kern des Rassismus gegen Indigene wird viel zu oft übersehen. Ein solcher Rassismus gegenüber Indigenen zeigt sich hinter ganz unterschiedlichen Entwicklungen und Diskursen, und zwar nicht nur im historischen Umgang mit Indigenität, etwa im Zusammenhang mit der spanischen Unterwerfung von Teilen der Amerikas und dem Encomienda-System, sondern auch heute. Dazu gehört die Sprachpolitik ebenso wie die paternalistische Aneignung indigener Konzepte. Aber nur wenn der Rassismus gegenüber Indigenen identifiziert und problematisiert wird, kann er überwunden und ein massives Hindernis für die (globale) zivilgesellschaftliche Kooperation beseitigt werden.
Schlagwörter: Rassismus gegenüber Indigenen, Encomienda-System, Kolonialismus, Lateinamerika
November 2020
Rassismus gegenüber Indigenen
Eine Herausforderung zivilgesellschaftlicher Kooperation
- Rassismus gegenüber Indigenen als theoretisches Konzept
- Historische Herleitung – die negierten ‚Anderen‘ der ‚Neuen Welt‘
- Rechtfertigungslogik des ‚Encomienda-System‘: ‚Christianisierung‘
- Wissenschaftliche Rechtfertigung und Ablehnung von Rassismus gegenüber Indigenen
- Rassistische Kategorisierungen im kolonialen Spanisch-Amerika
- Andauernde Exotisierung und Othering von Indigenen
- Fortführung von white supremacy im Post- und Neo-Kolonialismus
- Theoretisch-historische Einbettungen als Hintergrundfolie und Weg der Überwindung von Rassismus gegenüber Indigenen
Rassismus gegenüber Indigenen als theoretisches Konzept
Hier soll es um die Herleitung von Rassismus gegenüber Indigenen als theoretischem Konzept gehen, nicht nur zu Erklärung zivilgesellschaftlicher Herausforderungen in vielen Gebieten der Amerikas, mit einem Fokus auf jene mit spanischer Kolonialgeschichte. Vielmehr soll dies als Ausgangspunkt gewählt werden, um die Reichweite des Erklärungspotentials von Rassismus gegenüber Indigenen als theoretischer Konzeption auszuloten.
Was aber nun meint Rassismus gegenüber Indigenen? Grundlegend soll zunächst Rassismus hier verstanden werden als Konstruktion einer white supremacy, also als weiße ‚Vorherrschaft‘ gegenüber vor allem BIPoC – also Black, Indigenous und People of Color. Dabei jedoch liegt der Betrachtungsfokus zumeist auf ersterer und letzterer Konzeptualisierung: Rassismus gegenüber ‚Black‘ und ‚People of Color‘. Damit gilt es hier gewissermaßen eine Lücke zu schließen und Rassismus gegenüber Indigenen als eine Ausprägung des Rassismus als solchen in den Blick zu nehmen.
Historische Herleitung – die negierten ‚Anderen‘ der ‚Neuen Welt‘
Dafür bietet sich eine historische Herleitung an, wie es zu einem solchen Modell weißer Überlegenheit gegenüber Indigenen kam. Und so dieser seine vollumfängliche Ausgestaltung auch erst ab dem beginnenden Kolonialismus ab dem 15. Jahrhundert erfuhr, und sich dann zunächst auf als ‚Indigene‘ konzeptualisierte Menschen der Amerikas bezog, sind die Wurzeln dieses älter. Beispielhaft dafür stehen griechische und römische Besiedlungen außerhalb des eigenen Kerngebiets und eine rassistische Kategorisierung der dortigen ‚nicht-griechisch‘ oder ‚nicht-römisch‘ bewerteten Bevölkerungen. (vgl. exemplarisch Herodot 1956) Auf lokale Strukturen wurde dabei mit einer Mischung aus exotisierender Faszination und abwertendem Othering geschaut. Wie bei viele Rassismen ist somit mit Bezug auf Rassismus gegenüber Indigenen von einer antiken Verwurzelung auszugehen. Diese wurde nicht stringent weiter verfolgt, sondern vor neuen Gegebenheiten neu geformt. So erfuhren beispielsweise Klimatheorien eine geringere Bedeutung im Rahmen von Sammelidentifizierungen, die es ermöglichten, alle ‚entdeckten‘ Menschen in gemeinsame Kategorien zu setzen, unter Missachtung aller Unterschiede. Dafür stehen Begrifflichkeiten wie ‚Wilde‘, ‚Einheimische‘ oder auch ‚Indianer*innen‘ oder ‚Indi@s‘. Diese alle als Indigene zusammenzudenken ist dabei eher als widerständiger Akt zu denken, nicht als unreflektierte Übernahme fremder Label.
Eine Zäsur spielten in diesem Kontext sicherlich die Fahrten von Christoph Kolumbus, der die von ihm als ‚neu entdeckt‘ gedachten Gebiete – inklusive der dort lebenden Menschen – nicht nur als ‚neu‘, sondern auch als ‚selbstverständliches Eigentum‘ der spanischen Krone dachte. Im Sinne der juristischen Berufung auf ein ‚Finderecht‘, nochmals gesichert durch päpstliche Bullen, bedeutete die kolumbische ‚Entdeckung‘ zugleich einen Eigentumsanspruch. Um dies auch im eigenen Narrativ zu verankern, wurden die Gebiete eben ‚entdeckt‘ und als ‚Neue Welt‘ gedacht. Dafür mussten diese Gebiete konzeptionell ‚leer‘ gedacht und gemacht werden – alles Existente und Vorgefundene musste aktiv negiert werden. Konkret hieß dies, bestehende Sozialstrukturen zu ignorieren oder eben als ‚überkommen‘, also Proto-Struktur zu denken. Analog galt dies auch für Religionen, Kulturen und für Sprachen. Die dortigen Menschen waren demnach nicht nicht-da, sondern sie wurden schlicht nicht als (vollwertige) Menschen gedacht – ein ‚Klassiker‘ des Rassismus. Zugleich erlaubte dies auch wieder, alles Vorgefundene zu zerstörten – was es nicht gab konnte ja nicht zerstört werden – und schließlich die Zerstörung alternativ als Beleg dafür zu nehmen, dass nie etwas da war, oder jenes, was vorgefunden wurde, ‚minderwertig‘ gegenüber ‚Europa‘ sei. Ex-post stand so fest: Im sinne ‚europäischer-Zivilisiertheit‘ waren die unterdrückten und eroberten Gebiete (und deren zugehörige Menschen) eine ‚Neue Welt‘, die es zu zivilisieren galt. (vgl. u.a. Venzke 1991)
Rechtfertigungslogik des ‚Encomienda-System‘: ‚Christianisierung‘
Teil dieses Vorgehens war die Etablierung eines Zwangssystems gegenüber Indigenen, eines Systems, diese in Zwangsarbeit zu zwingen, zu de facto Versklavten zu machen. Schon Kolumbus erlegte Indigenen Zwangsabgaben auf und somit de facto Arbeitsverpflichtungen. Dahinter stand die zwanghafte Idee unermesslicher Reichtümer in indigenen Händen, die diese nicht ‚wertschätzen‘ könnten. Und wer den Auflagen nicht Folgeleisten konnte, wurde drakonisch bestraft. Entlang dieses Modells baute das spanische Kolonialreich in den Amerikas das so genannte ‚Encomienda-System‘: ‚Verdienten‘ Soldaten*, den so benannten ‚Eroberern*‘ (‚Conquistadores‘), wurden große Landgüter (teilweise vergleichbar mit heutigen mittelgroßen europäischen Staaten) von der Krone treuhänderisch übergeben – und zwar mitsamt der im Gebiet befindlichen Bevölkerung – also den Indigenen. Diese wurden häufig ihrer Länder beraubt, vertrieben oder zu (minimal bezahlter) Zwangsarbeit verpflichtet. In dieser Konstruktion blieb die spanische Krone ‚Lehnsherrin*‘ der dortigen indigenen Bevölkerung, ‚verwaltet‘ vom ‚Encomendero*‘. (vgl. u.a. Neumann 1990 & Yeager 1995)
Dieses System hatte dabei einen vorgegebenen Rahmen und zugleich divergierende Praxen. So gab es nach und nach Regelungen zur Vergütung der zwangsverpflichteten Indigenen, zu deren Behandlung. Die Praxis unterschied sich davon jedoch oftmals massiv. Argumentatorische Grundlage des Systems war dabei der ‚göttliche Auftrag‘ zur Mission. Eine so konstruiert ‚höhere‘ Verpflichtung zur Verbreitung des christlichen Glaubens unter den ‚heidnisch‘ gezeichneten Indigenen – völlig unabhängig von der empirischen Realität – rechtfertigte spanische Eigentumsansprüche genauso wie das dortige Vorgehen. Gleiches gilt für das System der Encomienda, denn der ‚Encomendero*‘ hatte eine zentrale ‚Aufgabe‘: Er musste die ‚Mission‘ – und damit ‚Zivilisierung‘ ermöglichen. Dafür durfte er Zwangsarbeit auferlegen, und auch Strafen verhängen, wenn sich der ‚Mission‘ entgegengestellt wurde.Indigene seien ‚dem Christentum‘ zu unterwerfen. Und wenn sie sich dem widersetzten (und auch nur, wenn ihnen dies unterstellt werden konnte), durfte Gewalt angewendet werden. Dabei reichte es schon, dass die als fundamental gewertete weiße-christliche Überlegenheit hinterfragt wurde. Anders formuliert meinte dies, dass Missbrauch im Namen weißer Überlegenheit akzeptiert werden musste und jeglicher Widerstand automatisch als Rechtfertigungsgrundlage für Gewalt, Unterdrückung und bestialische Morde herhalten musste. Die zugehörige Gewalt hatte dabei zum Teil genozidale Züge, in nicht wenigen Gebieten starb ein Großteil der lokalen Bevölkerung sowohl durch direkte Gewalteinwirkung wie auch indirekte Gewalteinwirkung beispielsweise durch das Einschleppen von Krankheiten. Auch so konnte die konstruierte ‚Leere‘ der ‚Neuen Welt‘ post-faktisch geschaffen werden. (vgl. u.a. Neumann 1990 & Venzke 1991)
Dahinter stand ein christlicher Überlegenheitsmythos, der zunächst den Rassismus gegenüber Indigenen begründete. Und hier zeigten sich deutliche Parallelen zum System der Versklavung von Schwarzen im Rahmen der Maafa, nicht nur im Umgang mit den Versklavten Schwarzen oder de facto Versklavten Indigenen, sondern auch der Christianisierung. Denn auch wenn die Christianisierung erklärtes Ziel und Rechtfertigung des Handelns in den Amerikas war, und auch Versklavte christianisiert wurden, bedeutete eine Taufe keineswegs, die Unterlegenheitskonstruktion aufzugeben. Denn entlang der Othering-Konstruktion als zugleich exotisch wie abzuwerten galt für Schwarze wie Indigene konstant, dass selbst die Übernahme von Attributen der white supremacy sie eben nicht weiß – als machtvolle Kategorie des Rassismus, nicht als ‚Hautfarbe‘ oder ähnliche Konzeptualisierung – machen konnte, sondern sie stets aufs Neue, konstruiert ‚für immer‘ im Unterlegenheitsmodus des ‚Kindlichen‘ bewahrt wurden. (vgl. u.a. Ofuatey-Alazard 2019)
Wissenschaftliche Rechtfertigung und Ablehnung von Rassismus gegenüber Indigenen
Dieser Rassismus in seiner Praxisumsetzung blieb allerdings nicht unwidersprochen – sowohl lokal wie im kolonialen Zentrum. So debattierte etwa der so genannte ‚Disput von Valladolid‘ ‚wissenschaftlich‘, ob die Gewalt legitim und ob Indigene der Amerikas ‚Menschen‘ seien. Letzteres wurde partiell bejaht und auch die päpstliche Bulle von 1537 sprach Indigenen zu, ‚beseelt‘ und daher ‚vernunftbegabt‘ zu sein – und zwar in dezidierter Absetzung zu Schwarzen, die deswegen auch ‚offiziell‘ versklavt werden durften. Im Rahmen dieses Disputs sollte offiziell ‚geklärt‘ werden, wie der spanische Umgang mit Indigenen in den Amerikas auszusehen habe, wie das Encomienda-System zu bewerten sei, auch entlang der päpstlichen Entscheidung Indigene als nicht-versklavbar einzuordnen, aber auch, wie die bereits in Kraft befindlichen Leyes Nuevas einzuordnen seien. Diese waren 1543 verkündet worden und erklärten unter anderem die Freiheit von Indigenen und die Verpflichtung, Zwangsarbeit zu bezahlen. In der Praxis entfalteten diese Gesetze jedoch nur äußerst begrenzte Wirkung, wie auch im Kontext des Disputs deutlich wurde, der sieben Jahre später stattfand, als die ersten ‚neuen Gesetze‘ bereits wieder außer Kraft gesetzt worden waren. Beim Disput gab es schließlich klare Frontverläufe: Juan Ginés de Sepúlveda gehörte zu jenen, die das Encomienda-System als de facto Versklavung rechtfertigten. Analog zur Naturrechtslehre von Aristotles konstruierte er Indigene als ‚natürliche Sklav*innen‘, die sich ‚Verbrechen gegen die Natur‘ haben zuschulden kommen lassen (hier wurde auf den Kannibalismusmythos rekurriert), die nur durch ‚Läuterung‘ und ‚Missionierung‘ (will sagen mit Gewalt und Unterdrückung) beantwortet werden könnten. Dem gegenüber standen vor allem Bartolomé de Las Casas und die Schule von Salamanca, die eine Anwendung der Konstruktionen ‚Barbar*innen‘ oder ‚natürliche Sklav*innen‘ auf Indigene eindeutig ablehnten. Zu beachten ist, dass dies keine Absage an Rassismus als weiße Vorherrschaft war, und auch keine proto-abolitionistische Position[1], sondern im Gegenteil die Versklavung von Schwarzen nie zur Debatte stand, auf keiner Seite der Pole des Disputs. Diese als ‚natürlich‘ zu normalisieren bedeutete gleichzeitig, sie als Kontrastfolie eines Rassismus gegenüber Indigenen in seiner äußersten Ausprägung setzen zu können. So wurde das Encomienda-System als ‚schlimmer‘ als eine Versklavung konstruiert: Die Indigenen hätten nicht einmal einen „ökonomischen Wert“, ihr Tod käme noch ‚billiger‘ als bei erworbenen Schwarzen. Doch anstatt Versklavung als solche zu negieren wurde hingegen nur eine Ausprägung dieser angeprangert (vgl. u.a. Meissner, Mücke & Weber 2008 & Minahane 2014)
Gemeinhin wird als Ausgang des Disputs von einem ‚Patt‘ geschrieben – beide Seiten reklamierten einen Sieg für sich, also die ‚Wahrheit‘ wiedergegeben zu haben, und doch war es eher so, dass beide Punkte gesetzt hatten und sich an dieser diffusen ‚Mitte‘ orientiert wurde. Konkret meinte dies, dass Indigene, wie päpstlich vorgegeben, keine Versklavte sein durften, aber auch nicht als vollwertige Menschen gewertet wurden. Und auch wenn die äußersten Ausprägungen der Encomienda in Gesetzen untersagt wurden, wirkte diese in der Praxis oftmals noch viele Jahre fort. Vor allem aber hatte sich ein Rassismus gegenüber Indigenen etabliert, der nun begann, seine Wirkungsmacht immer weiter auszubauen und seine Grundlagen weiter zu manifestieren und zugleich in den Amerikas, und bald auch darüber hinaus, zu verwurzeln. Dazu gehörte die Etablierung eines Gesellschaftssystems, vor allem in den Amerikas, beispielsweise aber auch aus Spanien heraus und darauf zurückwirkend, welches machtstrukturell wie juristisch rassistisch konstruierte ‚Verschiedenheit‘ machtvoll ausgestaltete. Aufgebaut werden konnte dabei auf die spanische Konzeption davon, was später ‚Rassenreinheit‘ heißen sollte, und dabei als ‚Blutreinheit‘ gesetzt wurde: limpieza de sangre, wie sie erstmal 1449 in Toledo vor allem gegen jüdische Menschen formuliert wurde. Von der konzeptuellen Idee her geht es bei der limpieza de sangre um geografisch, aber auch ‚rassisch‘ kodierte Herkunft, die ‚kulturell‘ verortet wurde. Diese wiederum wurde äußerlich phänotypisch kategorisiert – als sei eine solche ‚Herkunft‘ ins Gesicht geschrieben –, maßgeblich gebunden an Konstrukte von ‚Hautfarbe‘. Auch um eine solche Fremdkategorisierung lenken zu können, etablierte sich die Möglichkeit durch den Nachweis einer ‚Blutsreinheit‘, im Sinne einer ‚Ahn*innenreihe‘, der Fremdzuordnung zu entkommen. Gerade in den Amerikas konnten diese in späteren Phasen aber auch erkauft werden, was rassistische und klassistische Paradigmen deutlich vermengte. (vgl. u.a. Rinke 2008)
Rassistische Kategorisierungen im kolonialen Spanisch-Amerika
Egal, wie es gewendet wurde, eine rein weiße Ahn*innengalerie von in Spanien geborenen weißen Menschen garantierte in weiten Teilen der Amerikas einen Platz auf dem ‚Olymp‘. Darunter aber zeigte sich ein rassistisches Teile-und-Herrsche-Paradigma in voller Funktionsfähigkeit und mit einer von fließenden Grenzen geprägten Unklarheit. Unterhalb der in Spanien geborenen Weißen standen dabei zunächst Kreol*innen: in den kolonialen Gebieten geborene Nachfahr*innen von ‚Spanier*innen‘. Die Grenzen dabei waren durchaus auch Aushandlungsprozessen ausgesetzt. Danach folgten Indigene, solange sie ‚reinen Blutes‘ waren, also so klassifizierte ‚Indi@s‘. Dem untergeordnet wurden, in der Logik der ‚Höherwertigkeit reinen Blutes‘, Menschen, die nicht klar einer dieser drei ‚reinen‘ Erblinien zugeordnet werden konnten. Eingeteilt wurden diese dabei in 16 castas, wobei weißeElternteile innerhalb dieser eine höhere Position zur Folge hatten, gerade in konstruierter ‚männlicher* Linie‘. Diese castas definierten dabei sowohl Rechte und Privilegien wie Verpflichtungen. Ein ‚spanischer‘ Vater* brachte eine hohe casta mit sich, wobei eine ‚reine‘ Indigene Mutter* höher bewertet wurde als eine ‚mestizische‘. Ganz unten, und doch noch über ‚reinblütigen‘ Schwarzen, standen dabei Kinder von ‚Mulatten-Müttern*‘, als von Frauen* mit ‚spanischen‘ und Schwarzen Eltern, gerade wenn die Väter* ebenfalls als teilweise Schwarze eingruppiert wurden, sei es als ‚Coyote‘ (eine Line von Indigenen und Schwarzen Eltern) oder gar als ‚Coyote-Mestizo‘. Aber auch Kinder von ‚Mestizo‘-Müttern* wurde in die niedersten castas eingruppiert, wenn es entsprechende Väter* mit sehr ‚Schwarzer‘ Linie gab. Im kolonialen Spanisch-Amerika hatten diese Kategorisierungen Rechtscharakter. Diesen haben sie lange schon nicht mehr, aber eine entsprechende ‚Feingliederung‘ der Gesellschaft verwurzelte tief Rassismus gegenüber Indigenen und Rassismus gegenüber Schwarzen sowie einen Colorismus in vielen Gesellschaften der Amerikas, was sich heute in nach wie vor aufzeigbaren Tendenzen spiegelt, nach möglichst weißer Zuordnung zu streben. (vgl. u.a. Hunter 2007; Katzew 2004 & Wade 1997)
Andauernde Exotisierung und Othering von Indigenen
Unterfüttert wurde dies vom Doppelspiel des Rassismus gegenüber Indigenen der Exotifizierung von Indigenen und deren gleichzeitiger Abwertung, die beide das grundlegende Othering des Rassismus gegenüber Indigenen ausmachen. Am anschaulichsten zeigt sich dies in der europäischen Konstruktion des*der ‚Edlen Wilden‘, der*die in einem ‚Naturzustand‘ lebe, oder zumindest einem Zustand, der diesen deutlich näher sei als ein Leben im ‚bürgerlichen Europa‘. Exemplarisch zeigt sich eine solche Konzeptualisierung bei Rousseau. Dabei bleibt dieser ‚Naturzustand‘ ein idealisiertes Konstrukt, das es nach Rousseau historisch so nie gab. Zwar sei es reich an Möglichkeiten, die der ‚Vernunft‘ verbaut blieben, und gerade deswegen aber auch inkompatibel mit ‚Zivilisation‘. Der*die ‚Edle Wilde‘ nahe des ‚Naturzustandes‘ käme demnach dem Ideal möglichst geringer Ungleichheit näher als ‚Europäer*innen‘ – denn nach Rousseau und anderen Philosoph*innen und andere Wissenschaftler*innen würde Ungleichheit erst durch ‚Entwicklung‘ und ‚Fortschritt‘ wirkmächtig etabliert. Doch dies ändert in solchen Konstruktionen am Ende nichts an der ‚Minderwertigkeit‘ der ‚Wilden‘. Sie sind ‚exotisch‘ – und damit zu begaffen – aber eben doch ‚weniger entwickelt‘ als ‚Europäer*innen‘. Und, so Rousseau, wie ein ‚Kind‘ nicht über alte Menschen herrschen könne, könnten dies eben auch Indigene nicht über ‚Europäer*innen‘. Das grundlegende Othering des Rassismus gegenüber Indigenen lebte also auch in der Konstruktion der*des ‚Edlen Wilden‘ weiter – ganz zu schweigen von anderen verbundenen Konstruktionen von ‚Einheimischen‘ etwa als ‚Indianer*innen‘ die von fanatischen ‚Häuptlingen‘ geführt würden und anderen Bildern mehr. (vgl. Ellingson 2001 & Rousseau 1984).
Fortführung von white supremacy im Post- und Neo-Kolonialismus
Und solche Bilder, die stets zugleich Rassismus gegenüber Indigenen begründeten wie ausmachten, wirkten aus ‚Europa‘ heraus und auch in sich entwickelnde Gesellschaften der Amerikas hinein. Durch die Setzung einer ‚Norm‘ und eines ‚Ideals‘ – beides in direkter Anbindung an weiße Vorherrschaft – wurde Rassismus gegenüber Indigenen zu einem Grundpfeiler viel zu vieler sich entwickelnder Gesellschaften und Staaten der Amerikas, und lebte dieser auch nach dem formalen Ende des Kolonialismus weiter. Gestützt auf die ‚westliche Moderne‘, die stets das ‚Primitive‘ als Kontrastfolie sucht, und diese viel zu oft in Indigenen findet, wirkte Rassismus gegenüber Indigenen in neuen Kategorien und neuen Verkleidungen, und doch genauso wirkungsmächtig fort. Beispielhaft kann dies an Gesellschaften gezeigt werden, die eine starke weiße Einwanderungsgeschichte aufweisen, und entsprechende Rassismen zu Grundkonstanten werden ließen. Chile und Argentinien verorteten sich beispielsweise beide entlang Weißsein und der Negation von Indigenität in ihrer historischen Entwicklung in der ersten Postkolonialen Phase. Selbst in Chile, wo das Narrativ niemals von Spanien unterworfener Indigenität eine Grundsäule der Eigenkonstruktion bildete, war das Selbstverständnis weiß. Und in Argentinien steht dafür unter anderem die Conquista del Desierto, der Vernichtungsfeldzug gegen Indigene, der als historische Rückkoppelung wieder das Bild indigenen Landes als ‚leeren Landes‘ lieferte. (vgl. u.a. Hunter 2007) Und auch heute ist dieses Narrativ nachwievor stark, unter anderem wenn sich gegen die Kollektivbezeichnung ‚Latin@‘ in den USA für de facto alle Menschen südlich der US-Grenze gewehrt wird. Diese durchaus rassistische Kollektivbezeichnung inkludiert dabei im Rahmen des Rassismus als Weiße Mächtige, wie jene sich so gebenden in Chile oder Argentinien. Auch wenn manche so auch rassistisch diskriminierte Weiße den Weg folgen in der rassistischen Kollektivsetzung ein Empowerment zu erfahren – als ‚Latinx‘ – gibt es auch eine Abwehr gegen den Einbezug in ‚Latinx‘ und/oder ‚Latin@‘. Denn durch ihre Inklusion wird ihr Weißsein fragmentiert, das doch erst ihre regionale Vorherrschaft absichert. Dahinter steckt durchaus auch weiterhin wirkmächtiger und Herrschaftsstrukturen legitimierender Rassismus gegen Indigene, der durch die eigene rassistische Diskriminierung als ‚Latin@‘ nicht gefährdet werden soll. Hier leben Konstruktionen entlang der castaswieder auf. (vgl. u.a. Benavides 2020)
Wie schwierig es ist, diesen Strukturen und Logiken zu entkommen, zeigt sich, wenn strategische Gegenmaßnahmen betrachtet werden, die versuchten nach der Unabhängigkeit rassistische Diskriminierungen und Grenzziehungen zu überkommen. In Mexiko beispielsweise sollten alle Staatsbürger*innen über die Sprachpolitiken der Hispanisierung ‚geeint‘ werden – was sich insbesondere im Bildungsbereich tiefgreifend auswirkte und letztlich eine Fortsetzung kolonialer Praxen darstellt, indigene Sprachen zu unterdrücken (und vermittels der ‚überlegen‘ gesetzten Sprache Indigene zu ‚entwickeln‘ und zu ‚integrieren‘). Diese dominante Sprachpolitik fand in Mexiko mit der Verfassungsreform von 2002 zwar offiziell ein Ende. Mehr als 60 indigene Sprachen wurden als ‚Teil Mexikos‘ und schützenswert deklariert. Jedoch hatte dies keine weitreichenden strukturellen Konsequenzen in dem Sinne, dass weiterhin eine ‚Norm‘ gesetzt wird, die eben gerade nicht indigen ist. (vgl. u.a. Coulmas 1990) Hier soll es nun nicht darum gehen, zu bewerten, ob dies nicht vielleicht doch ‚besser‘ sei als das lange Fortleben von white supremacybeispielsweise in Chile oder Argentinien, das Dargestellte soll vielmehr zeigen, wie tiefverwurzelt Rassismus gegenüber Indigenen ist, wie stabil dessen Wurzeln sind, selbst wenn einzelne Zweige oder gar der Stamm entfernt werden. Auch im ‚mestizischen Mexiko‘, welches sich konstruiert deutlich abwendete von Unterscheidungen entlang der limpieza de sangre, bleiben entsprechende Unterschiede wirkmächtig und werden Indigene nachwievor in unterschiedlichen Zuordnungen exotifiziert und zugleich abgewertet. Daran ändern auch Bemühungen nur bedingt etwas, gerade das ‚Mestizische‘ als Eigenes und Einendes in den Fokus zu rücken. Exemplarisch dafür steht das Feiern des ‚Columbus Day‘ als ‚Día de la raza‘ (Tag der ‚Rasse‘ im Sinne des Beginns der ‚Mischung‘ von konstruierten ‚Europäer*innen‘ und ‚Indigenen‘) in vielen Ländern der Amerikas – doch auch dem steht als ‚anderes‘ sowohl Weißsein als auch Indigenität gegenüber.
Dies zeigt sich im Jahr 2020 nochmals in aller Deutlichkeit. Die SARS-CoV-2-Pandemie verschärft Ungleichheit und Unterschiede und legt sich so wie ein Brennglas auf bestehende Muster sozialer Ungleichheit. Dabei gab und gibt es in vielen Ländern der Region massive Maßnahmen, die bis zu monatelangen Ausgangsbeschränkungen reichten. Dennoch aber gab es in vielen Staaten der Amerikas über die ersten drei Viertel des Jahres 2020 sehr hohe Ansteckungsraten, und dies gerade unter jenen, die unterschiedliche Formen intersektioneller Diskriminierung erfahren, unter Armen, Indigenen, Schwarzen oder anderen so konstruierten ‚Minderheiten‘ – bei massiver Überschneidung der Kategorien und Zurodnungen. Dabei spielt eine zentrale Rolle, dass unter anderem Indigene stark von informeller Beschäftigung abhängig sind. Viele können nicht von zu Hause arbeiten, sind auf den täglichen und zugleich stets unsicheren Verdienst angewiesen, haben vielfach keinen oder einen schlechteren Zugang zu Gesundheitsversorgung. Dies führt zu überproportionalen Todesraten unter Indigenen und anderen rassistisch Diskriminierten. Keineswegs darf daraus geschlossen werden, dass weiteste Teile der Amerikas von der Pandemie deshalb besonders betroffen sind, weil sich dort Rassismus gegenüber Indigenen zeigt, dies würde globale Ungleichheiten und kapitalistische Abhängigkeitsstrukturen übergehen. Doch zeigen sich innergesellschaftliche Ungleichheiten auch dadurch begründet respektive erlaubt Rassismus gegenüber Indigenen als Betrachtungsfolie Hintergründe von realer Ungleichheit, die in dieser Pandemie tödlich sein kann, in ihrem historischen Werden zu erfassen. (vgl. u.a. Reperger 2020)
Theoretisch-historische Einbettungen als Hintergrundfolie und Weg der Überwindung von Rassismus gegenüber Indigenen
Entsprechende Listen der fortdauernden Wirkungsweise von Rassismus gegenüber Indigenen ließen sich fortführen: Das Zusammenbrechen von Widerstandsbewegungen nach ersten Erfolgen des Widerstandes steht dafür, regionale Dispute in vielen dieser Länder, die Herausforderungen de jure Minderheitenrechte auch de facto wirksam werden zu lassen, aber auch Exotifizierungen in Werbung oder Narrativen, die Indigene eher zu Schauobjekten machen, als als vollwertige Menschen einzuordnen. Nicht alle Herausforderungen von Teilen der Amerikas lassen sich mit Rassismus gegenüber Indigenen als gewordenem Teil des white supremacy-Rassismus erklären, und sollten auch auf keinen Fall so ‚wegerklärt‘ werden. Dennoch bietet dieses Konstrukt in Anerkennung dessen fortdauernder Wirkungsmacht eine hilfreiche Lupe, Mikro-, Meso- wie Makrokonflikte (mit) zu erklären und besser zu verstehen, Gruppendynamiken vor einem neuen Hintergrund nachzuvollziehen, als auch andauernde Herausforderungen für zivilgesellschaftliche Prozesse in den Amerikas und weit darüber hinaus besser analytisch zu erfassen. Erst dies anerkennt die tatsächliche andauernde Wirkungsmacht des Rassismus gegenüber Indigenen. Und dies meint eben nicht die bloße Zuordnung als ‚anders‘, sondern eine entsprechende machtvolle Ausdeutungen im Sinne von ‚über‘ oder ‚besser‘, die gemeinsames Handeln unterminieren. Erst mit solchen Hintergründen und einem entsprechenden kritischen Verständnis wird es möglich, diesen weiterhin Wurzeln schlagenden Rassismus gegenüber Indigenen – wie alle weiteren Rassismen – zu überkommen und auch globale zivilgesellschaftliche Prozesse davon zu befreien.
LITERATUR (Auswahl)
Benavides, Lucía. „Why Labveling Antonio Banderas A ‚Person Of Color‘ Triggers Such A Backlash.” In: NPR, 09.20.2020. URL: www.npr.org/2020/02/09/803809670/why-labeling-antonio-banderas-a-person-of-color-triggers-such-a-backlash (letzte Überprüfung: 22.10.2020).
Coulmas, Florian (Hrsg.). Linguistic Minorities and Literacy: Language Policy Issues in Developing Countries. Berlin: Mouton Publishers, 1990.
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Reperger, Simone. „Lieber Corona als Hungertod.“ In: FES Referat Lateinamerika und Karibik, 27.07.2020. URL: www.fes.de/referat-lateinamerika-und-karibik/artikelseite-lateinamerika-und-karibik/lieber-corona-als-hungertod(letzte Überprüfung: 22.10.2020).
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[1] Las Casas war keineswegs ein Abolitionist* bevor es die entsprechende Bewegung gab, also Proto-Abolitionist*. Versklavung wollte er keineswegs abschaffen. Er argumentierte hier nur für eine Unterscheidung entlang Indigener und Schwarzer.
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