Ulrich Hemel zum Buch von Klaus Leisinger (2020): Integrität im geschäftlichen Handeln. Basel: Friedrich Reinhardt.


Gutes Handeln und gute Geschäfte

Leisinger, Klaus (2020): Integrität im geschäftlichen Handeln. Basel [u.a.]: Friedrich Reinhardt, 432 Seiten.

Handeln

Klaus Leisinger hat sich in der wirtschaftsethischen Szene nicht zuletzt durch sein Engagement für den Global Compact, für die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und als Vorsitzender der Stiftung Globale Werte Allianz einen Namen gemacht. Nun legt er eine Art Summe seines Denkens und seiner Erfahrung vor, deren Zielrichtung der Titel seines Buches klar und deutlich bezeichnet: Integrität im geschäftlichen Handeln.

Wohltuend an seinem Werk ist die Verständlichkeit der Sprache und die ausbalancierte Mischung aus pragmatischen Einstellungen ohne Verzicht auf ethische Prinzipien. Seine Ethik ist personenzentriert, klammert aber die übergeordneten Ebenen der „Steuerungsethik“ (S. 197) und der Rahmenbedingungen nicht aus. Denn wenn es dort Defizite gibt (S. 312), werden alle Bemühungen um gute Lösungen erschwert.

Der Autor unterscheidet verschiedene Ebenen der Abwägung. Dabei geht er auf die Rolle des Einzelnen, die des Unternehmens und die Aufgabe des Staates ein. Sinnvoll ist hier besonders die Differenzierung der Muss-, Soll- und Kann-Ebene des Handelns, weil dann eine ethische Ausrichtung wirtschaftlichen Handelns nicht als prinzipielle Überforderung zu begreifen ist, sondern als reale und pragmatische Möglichkeit, in einem realistischen Rahmen mit dem eigenen Handeln ethisch zu wirken.

Klaus Leisinger bezieht sich immer wieder auf humanistische Leitprinzipien. Sein Ansatz ist daher bewusst normativ, zugleich aber weit entfernt von religiösen, weltanschaulichen oder ideologischen Einengungen. 

Dabei kommen ihm die Themenwelten Erich Fromms (S. 294), aber auch der Weltethos-Idee (S. 304), schließlich auch die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, zu Hilfe. Sein Ziel ist ein Abbau der Kluft zwischen ethisch anspruchsvollem Handeln und der Welt der praktisch gelebten und erlebten Wirtschaft. Dabei scheut er nicht die Mühe, ausführlich und verständlich auf die grundlegenden Ethiksysteme Kants, des Utilitarismus sowie der Tugend- und Verantwortungsethik einzugehen (S.68-163). 

Großen Raum widmet der Autor dem Umgang mit der Engagement-Landschaft aus der Zivilgesellschaft, gerade weil hier unterschiedliche Sichtweisen und daraus abgeleitete Forderungen an Unternehmen auf eine Realität prallen, die grundsätzlich einer anderen Logik folgt. Klaus Leisinger strebt dabei nach einem „Idealismus ohne Illusionen und Realismus ohne Resignation“ (S. 364). 

Bei seiner Diskussion von Stakeholder-Beziehungen (S. 248-287) nennt er ganz überwiegend Akteure aus dem NGO-Umfeld. Dabei spiegelt sich seine praktische Berufserfahrung aus vielen Jahren. Im Grunde reicht der Stakeholder-Begriff aber weiter. Er umfasst alle Beteiligten, auch die Mitarbeitenden, die Lieferanten und die Aktionäre oder Gesellschafter. An seinem häufig zitierten Beispiel des VW-Konzerns und dessen problematischem Umgang mit dem Dieselskandal (der dort „Dieselthematik“ genannt wird), zeigt sich jedenfalls, wie wesentlich Gesellschafterstrukturen auch auf das Handeln von Unternehmen zurückwirken. Denn ohne die Familien Piech und Porsche hätte sich die Dynamik der Ereignisse in jenem Konzern anders entwickelt.

Bei einigen neueren Entwicklungen wäre eine ausführlichere Darstellung möglich, vielleicht auch sinnvoll gewesen. So können Unternehmen heute selbst als Akteure der Zivilgesellschaft begriffen werden. Das setzt aber eine Fortentwicklung des Konzepts der Zivilgesellschaft voraus. Werden Unternehmen von Haus aus als Akteure der Zivilgesellschaft verstanden, haben sie auch originär Verantwortung. Dann relativieren sich Fragen rund um „Corporate Social Responsibility“ (CSR), weil eine solche Verantwortung nicht Aufgabe einer einzelnen Abteilung wird, sondern dem gesamten Unternehmen auf allen Ebenen aufgegeben ist.

Spannend wären auch weiterführende Bemerkungen zu neueren Entwicklungen rund um das Weltethos-Projekt gewesen. Denn die von Klaus Leisinger angeführte ethische Musikalität ist das eine. Sie bezieht sich auf die Wahrnehmung ethischer Implikationen im Geschäftsleben. Wer über das Wahrnehmen hinaus auch Handlungsfähigkeit anstrebt, wird noch stärker in die Richtung einer eigenen ethischen Sprach-, Reflexions- und Handlungsfähigkeit gehen (U. Hemel, Hrsg., Weltethos für das 21. Jahrhundert, Freiburg/Br. 2019). Der von Hans Küng gegebene Impuls hat sich praktisch-ethisch mannigfaltig weiterentwickelt, auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen.

Neue Herausforderungen, gerade auch unternehmensethischer Art, ergeben sich außerdem aus der gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie rasant fortschreitenden digitalen Transformation. Zur Integrität im geschäftlichen Handeln wird zukünftig auch eine Form digitaler Verantwortung gehören, die sich erst Schritt für Schritt abzeichnet.

Nun darf man von einem einzelnen Werk auch nicht die Lösung aller Weltprobleme erwarten. Klaus Leisinger gebührt das Verdienst, mit dem Werk „Integrität im geschäftlichen Handeln“ eine allgemein zugängliche, umfassende und pragmatische, sowohl für das praktische Alltagsleben im Management wie für Seminare an Universitäten geeignete Einführung in Fragen des Umgangs mit Werten vorgelegt zu haben.  Dass sein Argumentationsgang sowohl die nötigen akademischen Quellen wie auch die Prägung durch seine eigenen praktischen Erfahrungen spiegelt, macht das Buch noch wertvoller!


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Posted by Ulrich Hemel