Abstract [en]: Who is part of civil society?


In conversation with Vera Hofmann we portray the association WerteAkademie Gut Gödelitz as an actor of global civil society. The conversation focuses on the association’s founding history, its aims, work and challenges for the future.

Abstract [de]: Wer gehört eigentlich zur Zivilgesellschaft?

In dem Gespräch mit Vera Hofmann von der WerteAkademie Gut Gödelitz wird dieser Verein als ein Akteur der Globalen Zivilgesellschaft porträtiert. Neben der Gründungsgeschichte stehen ebenfalls die Ziele und Arbeit des Vereins sowie zukünftige Herausforderungen im Fokus.


Februar 2021

Die WerteAkademie – ein Akteur der Globalen Zivilgesellschaft

Ein Porträt

Die folgende Vorstellung der WerteAkademie basiert auf einem virtuellen Treffen von Vera Hofmann (WerteAkademie) und Anne Häseker (IfS) am 02. April 2020. Im Zentrum stand der erzählerische Austausch über den friedensfördernden und -erhaltenden Verein, der damit im Verständnis des IfS ein Akteur der Globalen Zivilgesellschaft darstellt.

Die Schwerpunkte des Gesprächs lagen dabei

  1. auf der Gründungsgeschichte
  2. den Vereinszielen und -arbeit
  3. zukünftigen Herausforderungen.

Zur Gründungsgeschichte

Die erste einordnende Erzählung von Vera Hofmann skizziert die Anbindung der WerteAkademie an das ost-west-forum Gut Gödelitz e.V. und die dortigen regelmäßig stattfindenden Biografiegespräche. Auf diese stellt die WerteAkademie eine ‚junge Antwort‘ dar und ist damit als Tochter-Verein zu verstehen.

Ausgangspunkt beider Vereinsgründungen ist die (Familien-)Geschichte des Gründers Axel Schmidt-Gödelitz, der mit seiner Mutter und drei Geschwistern vom Familiengut vor den Russen nach Westdeutschland floh. Vera Hofmann erzählt, dass es nach der Wende die Möglichkeit gab, Güter wieder zurückzukaufen – was auch die Familie Gödelitz anstrebte. Nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung um das Grundstück gelangte das Gut Gödelitz zumindest im größten Teil wieder in den Besitz der Familie.

Zur Nutzung des Gutes als Ort des friedensfördernden Austausches kam es folglich aufgrund der historisch-persönlichen Erfahrung der Vertreibung während des Krieges und der Anerkennung, dass die Familie vor dem Krieg weit mehr besaß als die umgebende Bevölkerung. Axel Schmidt-Gödelitz sah sich aufgrund der eigenen Familiengeschichte und mit dem erneut erworbenen Gut in der Lage, dem Aufruf von Wolfgang Thierse: Wir müssen flächendeckend in Deutschland den Dialog zwischen Ost- und West(deutschland) fördern, ansonsten gibt es keine Wiedervereinigung“ zu folgen und so einen sinnvollen Beitrag zu leisten. So entstand das ost-west-forum Gut Gödelitz e.V. und die damit verbundenen Biografiegespräche.

Dies sind Beweggründe, das zurück in Familienbesitz gelangte Gut Gödelitz für den Austausch zwischen Ost und West zu nutzen. Maßgeblich zur Vereinigung wird dabei der Dialog gesehen: Zusammenwachsen. Weiterdenken. sind die Leitlinien des Forums und Grundgedanke der Biografiegespräche.

An diesen nehmen maximal zwölf Personen teil – z.B. sechs Frauen und sechs Männer – aus möglichst verschiedenen Generationen. Zudem finden auf dem Gut Gödelitz öffentliche Veranstaltungen statt, an denen bis zu 100 Personen teilnehmen. Hier geht es um die Herantragung und Diskussion gesellschaftspolitischer Themen an und mit einem breiten Publikum.

Mit der Erfahrung, dass beide Angebote zunehmend eine spezifische, alternde Alterskohorte ansprachen, wurde die WerteAkademie gegründet. Dieser Verein dient eben nicht nur der Aufarbeitung der individuellen (biographischen) Vergangenheit, sondern sollte etwas für die Zukunft schaffen, indem explizit junge Menschen am Gut Gödelitz beteiligt sind. Diese Beteiligung findet dann in der Möglichkeit statt, dass jungen Menschen die Möglichkeit zum Austausch und Diskussion gegeben wird. Zentrale und leitende Fragen, mit denen sich die WerteAkademie beschäftigt, sind z.B.:

  • Was passiert gesellschaftlich?
  • Was sagt das Grundgesetz eigentlich über unser Zusammenleben und welche Ideale werden hier aufgestellt?
  • Was beobachten wir in der Gesellschaft, was diesem nicht entspricht?
  • Was können wir tun, um diese Ideale (wieder-)herzustellen?

Den Grundgedanken des Vereins mit dem Motto Nicht nur merken, sondern auch machen führt Vera Hofmann dementsprechend folgendermaßen aus:

„Der Grundgedanke ist, dass das Gut Gödelitz als physischer Ort und die WerteAkademie als gedanklicher Ort, ein Refugium ist, um sich weiterzubilden, um mit Leuten, die zu dem Netzwerk von Axel und unseren Netzwerken sind, von ExpertInnen zu hören, die z. B. als RichterInnen oder im Bundesnachrichtendienst tätig waren, also verschiedene Leute, die beeindruckende Lebensläufe und/oder einflussreiche Positionen in ihrem Leben bekleidet haben, mal aus dem Nähkästschen plaudern, z. B. darüber, kann man in Kriegsfragen Recht sprechen – dafür sind die Wochenenden da. Das ist alles »merken«.

»Machen« sieht wie folgt aus: Es gibt verschiedene Arbeitsgruppen. Ich war z. B. in der ‚Identitätsgruppe‘ aktiv. Da haben wir eine interne Umfrage gemacht zu den Werten, die intern eigentlich wichtig sind, und sie geclustert. […] Auf deren Basis sollen z. B. politische Positionen nach außen getragen werden oder verschiedene Projekte angestoßen werden. Ein Beispiel ist das „europäische Pflichtjahr“, um davon wegzukommen, dass nur Privilegierte nach ihrem Abitur ein Auslandsjahr machen – ähnlich dem verpflichtenden Wehrdienst/Zivildienst, ein verpflichtendes halbes oder ganzes Jahr im europäischen Ausland zu verbringen nach dem Schulabschluss.“

Damit sind wir mitten beim zweiten Punkt:

Vereinsziele und -arbeit

Die hier angesprochenen Ergebnisse der Werte-Umfrage – d.h. den Werten, zu der alle Mitglieder der WerteAkademie stehen – sind mit Hierarchisierung folgende:

  • Verantwortungsbewusstsein
  • Ethisches Handeln
  • Mitmenschlichkeit
  • Idealismus
  • Wahrheitssuche
  • Freie Entfaltung
  • Ökologie

Dieses Ergebnis ist eben auch eines der Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und steht damit für ein zentrales Ziel der WerteAkademie: Die Verständigung und Entscheidungsfindung über etwas gemeinsam Geteiltes, trotz „unterschiedlichen Wahrheiten, Hintergründen und Idealen“.

Eingebunden in die Vorstellung, dass es eine die Werte-»Elite« – d.h. die Mitglieder und Netzwerke der WerteAkademie – braucht, um diese für wichtig befundene Werte weiterzutragen bzw. aufrechtzuerhalten und auch darüber hinaus zu verbreiten, deutet sich ein konservativer Einschlag an, den Vera Hofmann in die Herausforderung des Generationenwechsels einbettet. Gerade wenn es um die Sichtbarmachung derjenigen Werte geht, die vertreten werden, gibt es unterschiedliche Wege. Dabei wird aber „»konservativ«, im besten Sinne des Wortes »Werte zu konservieren« verstanden“.

Die Betonung der Prozesshaftigkeit dieser Verständigungen über geteilte Werte innerhalb des Vereins führt zu seinem Kernanliegen, den Vera Hofmann wie folgt ausführt:

„Der Grundgedanke ist, die Gesellschaft friedensfähig und friedlich zu erhalten. Und das ist an ongoing journey. Und das erreicht man teilweise schon über die Seminare. Für mich sind diese Folgetreffen das wichtigste, was die WerteAkademie anbietet. Denn sie bieten eine Möglichkeit, den eigenen Blickwinkel zu weiten – nicht nur, darüber mit Familie und FreundInnen zu sprechen, obwohl die ja auch häufig ähnliche Perspektiven vertreten. Und durch Axels Arbeit bei der FES kommen schon überwiegend SPD-nahe oder vielleicht noch Grünen-nahe Menschen. Aber auch Menschen, die anderen Parteien nahestehen, kommen manchmal zu den Veranstaltungen. Und wer hinkommt, ist tatsächlich auch daran interessiert, mal etwas anderes zu erfahren, als das was ich tagtäglich lese oder worüber ich mich mit meinen FreundInnen und Familie unterhalte. Durch diese Veranstaltungen leistet der Verein schon den Beitrag, die Gesellschaft friedlich und friedensfähig zu erhalten. Natürlich könnte man noch mehr machen und darauf arbeiten wir mitunter auch hin, wenn auch langsam. Gleichzeitig kann dieser Verein vielleicht auch nicht viel mehr schaffen, da ja auch alle ihre Familien, ihre Jobs und so weiter haben.“

Das Ziel der Friedensfähigkeit und -erhaltung geht folglich von der individuellen Bereitschaft der Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven aus. Als Basis dieser Auseinandersetzung dient das Grundgesetz. Als Teil eines ‚Grundkurses‘ beschäftigen sich die (neuen) Mitglieder der WerteAkademie mit dessen Geschichte und um die Diskussion dessen Inhalte – insbesondere in Bezug auf aktuell beobachtbare Phänomene oder Ereignisse. Damit ist ein weiteres Ziel des Vereins angedeutet: Die Vernetzung und der aufrechtzuerhaltende Austausch der derzeit 75 Mitglieder untereinander. Daher können Personen aus zwei Gründen nicht (weiterer) Teil der WerteAkdemie sein: „1) Ich lehne die Demokratie und das Grundgesetz ab – das passt wirklich nicht so gut! – und 2) Ich bin seit mehr als zwei Jahren ohne triftigen Grund zu keinem einzigen Folgetreffen gekommen.“

Diese Folgetreffen sind für Vera Hofmann zentraler Bestandteil der Vereinsarbeit: Diese können als Angebote eines ‚Weiterbildungsinstituts‘ interpretiert und „konsumiert“ werden, stellen aber auch die Möglichkeit der aktiven Vereinsmitgestaltung dar und „ein Spielfeld, um sich weiter auszutoben“. So lebt der Verein wie häufig von den aktiven Mitgliedern, die nicht nur an den setzungsgemäßen Versammlungen, sondern auch an den Folge- und Jahrestreffen teilnehmen. Neben organisatorischen, durchaus langwierigen Beschluss-fassenden Versammlungen – da es eben „keinen Chef gibt, der/die bezahlt wird“, sondern auf demokratischer Konsensfindung beruht – kommt es somit in einem kleinen aktiven Team mit wenig bürokratischer Rückbindung zu schnellen Entscheidungen und neuen Zusammenarbeiten: „Es findet also auch viel in einem freundschaftlich-kollegialen Austausch statt, wo wir gucken, passt das mit der Satzung/mit dem Grundgedanken des Vereins zusammen, dann gibt es eine Rückkopplung mit dem Vorstand, und wenn die ja sagen, dann machen wir’s einfach!“

Für den anhaltenden, dezentralen Austausch als wichtiges Vereinsziel wird noch „die Idee von »Quartalsgesprächen«“ genannt. Da die aktiven Mitglieder mittlerweile deutschlandweit und auch in europäischen Städten leben, geht es um ein Treffen alle drei Monate, „um sich über Gott und die Welt auszutauschen und einfach miteinander zu diskutieren. Das funktioniert in manchen Städten besser als in anderen und vielleicht auch nicht jedes Quartal…“. Dies skizziert die immer wieder neu gestellte Frage der Vereinsarbeit und auch Aktivierung von bereits bestehenden Mitgliedern.

Dabei ist die reine Mitgliederanzahl nach Vera Hofmann kein entscheidendes Kriterium: Im Vordergrund der WerteAkademie steht, dass das Angebot und die Verbundenheit zwischen unseren verschiedenen Mitgliedern noch sichergestellt werden kann. Wenn am Ende niemand mehr niemanden kennt und dann eine kleine »Elite« das Sagen hat – inwiefern wäre das dann noch mit der WerteAkademie kohärent?“

Zukünftige Herausforderungen

Eine wesentliche Herausforderung für die WerteAkademie besteht in dem sich andeutenden Generationenwechsel. Wie mit der Gründungsgeschichte deutlich wird, ist Axel Schmidt-Gödelitz und die Familie auf dem Gut wesentliche Schnittstelle für und zwischen den Vereinen und ihr ‚Ankerpunkt‘.

Da das Gut als Vereinssitz und Veranstaltungsort „mitten in der Pampa liegt“ stellen sich sowohl für das ost-west-forum wie auch die WerteAkademie die Fragen: „Wer hält das dann am Laufen? Wer will schon aufs Land ziehen und die Veranstaltungen weiter moderieren?“

Neben diesen organisatorischen und vereins(ver)bindenden personellen Fragen geht es auch um inhaltliche Ausrichtungen, wie sich z.B. an der Selbstbezeichnung der ‚Werte-Elite‘ zeigt. Diese Begrifflichkeit, erzählt Vera Hofmann 

„ist sehr umstritten, auch innerhalb des Vereins. Die Befürworter sagen: Diejenigen, die sich damit befassen und einen Teil ihrer Zeit und ihrer Lebensenergie darauf verwenden, sich damit Gedanken zu machen und dann ggf. auch als Führungskräfte in ihren Tätigkeiten umzusetzen, sagen, das hat schon etwas mit »Elite« zu tun. Und gleichzeitig ist das ein massiv negativ besetzter Begriff, der nicht immer zu Friedensfähigkeit führt, was ja eigentlich auch ein Grundprinzip der WerteAkademie ist. Vielleicht wird er irgendwann einmal gestrichen, aber im Moment steht er da noch!“

Auch auf die – in Rückbezug auf die identifizierten, mit universellem Anspruch konnotierten Werte und der Idee eines europäischen Jahrs für alle – formulierte Frage, inwiefern trotz der Hinweise auf anhaltende Diskussionen für die WerteAkademie bereits ein ‚richtiger Weg‘ zum Frieden und zur Friedensfähigkeit feststeht betont Vera Hofmann, dass man sich mit der Festlegung und Konzentration auf bestimmte Werte „angreifbar mach[t]“. Dennoch 

„ist dieser Wertekatalog ein Standpunkt, auf den sich der Verein beziehen kann. Die einzelnen Mitglieder teilen die Werte sicher in unterschiedlichem Masse, aber keineR lehnt sie vollständig ab. Ich würde zum einen nicht unterschreiben, dass unsere Definitionen der Weisheit letzter Schluss sind. Aber zum anderen: Wenn du nicht sagst, wofür du stehst, können Menschen nicht entscheiden, wie sie selbst dazu stehen, ob sie mitmachen wollen. Aber klar, sobald du dich auf etwas festlegst, läuft es Gefahr, starr zu werden. Und dann kann es auch schnell etwas naseweis/paternalistisch klingen. Ich kann nur für mich selbst sprechen: Ich glaube nicht, dass ich die Weisheit mit Löffeln gefressen habe. Ich habe Wahrheiten, die für mich gelten, von denen ich aber weiß, dass sie nicht zwangsläufig für andere gelten müssen. Und ich weiß, dass andere ihre Wahrheiten haben, die wiederum nicht zwangsläufig für mich gelten müssen. Und dann müssen wir nach gemeinsamen Wahrheiten suchen!


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Posted by Vera Hofmann & Anne Häseker