Abstract [en]:

Freedom of speech is a necessary precondition for democratic public discourse. Meanwhile governments regularly present themselves in the frame of bilateral relations with another state entitiy as ardent supporters of this cardinal right. In order to present its core philosophy, the First Amentment which was attached to the U.S. Constitution in 1791 will be presented on the basis of the Supreme Court’s jurisdiction of the law of the land. „Limitations“ of the freedom of speech are put forward by the government, but looked into by U.S. courts.

It is no surprise that freedom of speech is challenged especially in periods of danger for the external safety of the country such as the First World War, inner strife as a result of the Vietnam war or extreme – not to say extremist – political (such as national socialist ideas) or racist doctrines (such as the Ku Klux Clan). Due to precedents as the dogmatic backbone of legal interpretation and concurring or dissenting opinions which are put forward, the principal position of the court can more easily be comprehended. And it becomes clear that a robust discussion on the marketplace of the ideas is seen as the sole means to foster the best result as a viewpoint of the majority.

Abstract [de]:

Die Freiheit der Meinungsäußerung ist notwendiger Bestandteil von demokratischen Diskursen. Regierungen treten mittlerweile sogar regelmäßig für dieses Grundrecht im Rahmen ihrer bilateralen Beziehungen mit einem anderen Staat ein. Um die hinter der Begrifflichkeit stehende Philosophie in Ansätzen darzustellen, wird das 1791 als First Amendment in die Verfassung der U.S.A. eingefügte Grundrecht anhand der U.S. Rechtsprechung vorgestellt. Denn „Grenzen“ der Meinungsäußerungsfreiheit werden durch „Regierungen“ gesetzt, aber durch Gerichte geprüft.

Es dürfte kaum überraschen, dass die Meinungsäußerungsfreiheit gerade in Zeiten äußerer Bedrohung wie dem Ersten Weltkrieg, innerer Zerrissenheit wie dem Vietnamkrieg oder auch extremer – um nicht zu sagen extremistischer – und kaum mehrheitsfähiger politischer (etwa nationalsozialistischen Gedankenguts) oder rassistischer Doktrinen (Ku Klux Klan) kritisch hinterfragt wird. Dank der „precedents“ als dem dogmatischen Rückgrat einer Auslegung und den „concurring or dissenting opinions“, welche in den Urteilsgründen der U.S. Rechtsprechung dargestellt werden, lässt sich die grundsätzliche Haltung der Gerichte erfassen. Und es wird deutlich, dass eine robuste Auseinandersetzung auf dem Marktplatz der Ideen als das alleinige Mittel gesehen wird, um der für das Gemeinwesen „besten“ Meinung zur Mehrheit zu verhelfen.

 

Oktober 2018

Das Konzept der Meinungsäußerungsfreiheit in der U.S. Verfassung. Dargestellt anhand von Urteilen der U.S. Gerichtsbarkeit zum First Amendment

 

get pdf: Das Konzept der Meinungsäußerung in der U.S. Verfassung

 

Einleitung

Eine goldene Statue des türkischen Staatspräsidenten Erdogan war in Wiesbaden im Rahmen des Kunstfestivals Biennale durch einen Künstler aufgestellt und nach kurzer Zeit von der Stadtverwaltung entfernt worden. Die Statue hatte den türkischen Staatspräsidenten in der Pose eines sozialistischen Staatenlenkers gezeigt, der mit einem Arm dem Volk die Richtung wies. Die Stadt begründete ihren Schritt mit Hinweisen auf möglicherweise gewaltsame Proteste. Der Schutz des aufgestellten Werkes wäre zu aufwendig gewesen. Der Wiesbadener Staatstheater-Intendant Laufenberg hatte die Installation noch als Ausdruck der freien Meinungsäußerung gewürdigt: Kunst sei dazu da, „zu zeigen wie es ist.“ In einer Demokratie müsse man alle Meinungen aushalten.

Der unvoreingenommene Betrachter wird sich gefragt haben, ob dies angesichts drohender Demonstrationen wegen einer vorgeblichen Herabwürdigung der Person des türkischen Präsidenten tatsächlich dem Konzept der Meinungsäußerungsfreiheit in Deutschland entspricht. Eine deutsche Ordnungsbehörde gehe doch lieber den Weg des geringsten Widerstandes und nehme die Tyrannei einer Minderheit hin, ohne das Recht der freien Meinungsäußerung durchzusetzen.

Unbestreitbar ist, dass Person und Politik des türkischen Staatspräsidenten Menschen, insbesondere solche mit einem türkischen oder kurdischen Migrationshintergrund positiv oder negativ emotionalisiert und Auseinandersetzungen in dieser Gruppe geradezu provoziert. Das mag durchaus zu erheblichen Spannungen führen und eine friedliche, ja harmlose nonverbale Meinungsäußerung zum Funken machen, der das Pulverfass erreicht.

Vor diesem Hintergrund soll das dem ersten Zusatzartikel zur U.S. Verfassung zugrundeliegende Konzept der Meinungsäußerungsfreiheit, der im Dezember 1791 verabschiedet worden war, in seiner späteren Auslegung durch die U.S. Rechtsprechung vorgestellt werden.

 

  1. Die Meinungsäußerungsfreiheit nach dem First Amendment der U.S. Verfassung

Im First Amendment heißt es: „Congress shall make no law <…> abridging the freedom of speech or of the press <…>.” John Stuart Mill führte über 60 Jahre später zur Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit aus: “If all mankind minus one were of one opinion, and only one person were of the contrary opinion, mankind would be no more justified in silencing that one person, than he, if he had the power, would be in silcencing mankind”[1]. Und U.S. Supreme Court Justice Cardozo formulierte im Jahr 1937: “Of that freedom <… freedom of thought and speech…> one may say that it is the matrix, the indispensable condition, of nearly every other form of freedom”[2]. Damit ist der Ausgangspunkt umschrieben, welchen die U.S. Gerichte in ihrer Interpretation des First Amendment im Grunde eingenommen haben und auch weiterhin einnehmen.

Die Meinungsäußerungsfreiheit ist in jeder Demokratie eine Größe, deren Grenzen in Einzelfällen immer wieder neu ausgelotet werden müssen. Die U.S.A. stellen sich gegenwärtig diese Frage im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den NFL Spieler Colin Kaepernick und dem Versuch von U.S. Behörden, potentielle Nike-Käufer zu einem Boykott gegenüber dem Schuhersteller zu verleiten. Die American Civil Liberties Union (UCLA) äußerte sich zum Fall Kaerpernick folgendermaßen:“Whatever you may think about Nike or Colin Kaepernick, political protests are a legitimate form of non-violent speech, and are protected by the First Amendment.”[3] Mark Zuckerberg beschrieb Facebooks Schwierigkeiten, technisch etwa gegen “hate speech“ vorzugehen, folgendermaßen: „ <…> it was proving ‚easier to build an I.A. system to detect a nipple than what is hate speech <…>“[4].

Freiheit der Rede betrifft nicht nur die verbale Äußerung, sondern kann auch die nonverbale, etwa die künstlerische Darstellung – wie etwa die Präsentation der Erdogan-Statue in Baden-Baden – umfassen. Eine Reihe von Feldern werden durch die Freiheit der Meinungsäußerung berührt: etwa Internet Speech[5], Employee Speech, Photographer’s Rights oder Artistic Expression.[6] Aber auch die Campaign Finance Reform unter dem Aspekt der Begrenzung einer Geldspende an eine politische Partei wirkt sich auf die Redefreiheit des potentiellen Spenders aus: Money is speech.

 

  1. Ausgewählte Gerichtsentscheidungen

Allein das höchste Gericht der U.S.A., der U.S. Supreme Court entschied in mehr als 95 Fällen über die richtige Auslegung des First Amendment.[7] In diesem Artikel wird – beginnend mit Abrams v. United States und endend mit Texas v. Johnson – auf eine Reihe wichtiger Urteile, die überwiegend vom U.S. Supreme Court gefällt wurden eingegangen, anhand derer das Konzept der Grenzziehung erläutert wird. Daneben steht die Legitimation der Meinungsäußerungsfreiheit im Mittelpunk, ein Konzept, das die U.S. Rechtsprechung wesentlich ausgestaltete.[8]

  • Schenck v. United States[9]

Charles Schenck, Generalsekretär der Sozialistischen Partei Amerikas hatte 15.000 Aufrufe, die sich gegen die Wehrpflicht aussprachen, 1917 drucken und versenden lassen und war hierfür nach dem Espionage Act verurteilt worden. Schenck rief daraufhin den U.S. Supreme Court mit der Begründung an, dass der Espionage Act nicht verfasssungsgemäß sei, weil er gegen das First Amendment verstoßen würde. Der U.S. Court entschied für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Die Frage sei gewesen, ob die im Aufruf gebrauchten Worte nach den Umständen “<…> of such a nature <were: der Autor> as to create a clear and present danger that they will bring about the substantive evils that Congress has a right to prevent <…>.”  Richter Holmes sah eine solche unmittelbare Beziehung zwischen dem Entstehen der gegenwärtigen Gefahr – nämlich, dass die Kriegsanstrengungen der U.S.A. unterlaufen würden – nach dem Handeln des Angeklagten als gegeben an.      

  • Abrams v. United States[10]

Jacob Abrams, ein russischer Immigrant, hatte sich zusammen mit anderen Autoren in zwei Schriften gegen das Eingreifen der U.S.A. in den Ersten Weltkrieg ausgesprochen. Alle Urheber wurden aufgrund des Espionage Act und des Sedition Act verurteilt.

Die Schriften hätten für die Kriegsanstrengungen der U.S.A. eine offensichtliche und gegenwärtige Gefahr dargestellt. Dieser Test verlange, dass dieser Erfolg der Handlung angestrebt und auch wahrscheinlich gewesen sein müsse. Die Richter Holmes und Brandeis führten in ihrer abweichenden Mindermeinung aus, dass die inkriminierten Textpassagen auch auf eine spezifische Handlung hätten zielen müssen: “<…> a deed is not done with intent to produce a consequence unless the consequence is the aim of the deed<…>.” Den Angeklagten hätte das gleiche Recht, ihre Schriften zu veröffentlichen, zugestanden wie der U.S. Regierung das Recht zum Druck der Verfassung der Vereinigten Staaten unbenommen sei. Ansonsten sei der dem First Amendment zugrundeliegende freie Marktplatz der Ideen als Konzept kaum zu halten.

  • United States v. O’Brien[11]

David O’Brian hatte seinen Ausweis zur Wehrpflichtregistrierung in einem Akt nonverbalen Protestes gegen den Vietnamkrieg verbrannt. Wegen der Zerstörung des Ausweises wurde O’Brian zu einer Haft- und Geldstrafe verurteilt. Hiergegen wandte er sich u. a. mit dem Argument, dass das fragliche Gesetz, auf dessen Grundlage er verurteilt worden sei, wegen der damit verbundenen Einschränkung seiner Meinungsäußerungsfreiheit gegen das First Amendment verstoßen würde.

Der U.S. Supreme Court führte aus, dass bei untrennbar miteinander verwobenen Verhaltensweisen wie der Zerstörung einer Registrierungskarte und des damit gleichzeitig stattfindenden – nonverbalen – Protestes gegen den Vietnamkrieg ein wichtiges staatliches Interesse an einer Regelung eine zufällige und nicht intendierte Beschränkung der nonverbalen Äußerungsfreiheit hinzunehmen sei. Der Supreme Court geht damit konkludent auf die symbolische Sprache ein, indem er sie als grundsätzlich in den Schutzbereich des First Amendment fallend klassifizierte.

  • Brandenburg v. Ohio[12]

Ein Ku Klux Klan Mitglied wurde nach dem Ohio Criminal Syndicalism Act wegen Propagierung von Gewalt und Sabotage, die dem Erreichen politischer Ziele dienen sollte, verurteilt. Er hatte bei einer Klankundgebung den U.S. Präsidenten, Kongress und Supreme Court beschuldigt, die weiße Rasse zu unterdrücken und hierfür Vergeltung angedroht. Auf der Klan Rally waren außer den – wenigen – Mitgliedern der Organisation nur Reporter anwesend.

Der U.S. Supreme Court hält fest, dass ein Gesetz, welches schon das bloße Eintreten für bestimmte Aktionen unter Strafe stellt, den Schutzbereich der Meinungsfreiheit berühre und deshalb zu verwerfen sei. Ein Gesetz müsse darauf abstellen, ob der Akteur eine unmittelbar bevorstehende gesetzlose Handlung anstoßen bzw. herbeiführen wolle oder aber über eine aus seiner moralischen Sicht letztlich notwendigen Aktion – lediglich – nachdenke. Richter Douglas erläuterte in seinem dem Urteil im Ergebnis, aber nicht in der Begründung zustimmenden Zusatz (Concurring Opionion), dass er hier keinen Platz für den “clear and present danger” Test sehen würde. Sprache sei häufig schon die eine Aktionsmethode und erschöpfe sich letztlich auch hierin, ohne dass weiteres folge. Die Rede des Klanmitglieds falle deshalb in den Schutzbereich des First Amendment.

  • Village of Skokie v. National Socialist Party of America[13]

Supreme Court of Illinois[14]

Der Nationalsozialistischen Partei Amerikas wurde von der Stadt Village of Skokie aufgegeben, bei der geplanten Demonstration in Skokie und mit Blick auf den dortigen jüdischen Bevölkerungsanteil auf das Zurschaustellen des Swastika-Symbols zu verzichten.

Der aufgrund einer städtischen Verordnung der Stadt erfolgten Verfügung lag die “fighting words” Doktrin zugrunde, wonach feindselige persönliche Kommunikation, die eine unmittelbare physische Auseinandersetzung erwarten ließe, untersagt werden könne. Sie falle nicht in den Schutzbereich des First Amendment. Das Swastika-Symbol stelle eine solche Botschaft dar.

Der Illinois Supreme Court führte zunächst, dass die Freiheit der Meinungsäußerung eine politisch befähigtere Bürgerschaft und damit ein vollkommeres Gemeinwesen heranbilden solle. Insbesondere habe der Staat kein Recht, den öffentlichen Diskurs sprachlich in solche Bahnen zu lenken, dass auch “the most squeamish among us” daran teilnehmen könnten. Die Begründung: “<…> one man’s vulgarity is another’s lyric <…>”. Die Swastika als symbolischer politischer Ausdruck falle nicht unter die Definition der “fighting words”. Bei einer friedlich angelegten Demonstration dürfe ein Zurschaustellen der Swastika nicht unterbunden werden, auch wenn dieses zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit Zuschauern führen könne. Die marschierenden Demonstranten hatten nämlich zugesichert, keine herabwürdigen Aussagen zu ethnischen Gruppen oder Religionen treffen zu wollen.

 Das Gericht entschied, dass die Präsentation der Swastika nicht auf Grundlage der “fighting words” Doktrin verboten werden könne. Das gelte auch für die Annahme, dass es möglicherweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit einer feindselig eingestellten Menge kommen könne.

S. Court of Appeals: Collin v. Smith (Village of Skokie)[15]

Der U.S. Court of Appeals hatte als Berufungsgericht über das Urteil des U.S. District Court zu entscheiden, ob und wenn ja welche drei die Zulassung einer solchen Demonstration regelnden Satzungen der Stadt Village of Skokie für ungültig zu erklären waren. Bemerkenswert sind die Ausführungen über Umfang und Grenzen des First Amendment schon in der Eingangssentenz: “<…> We would hopefully surprise no one by confessing personal views that National Socialist Party’s of America beliefs and goals are repugnant to the core values<…>” und tatsächlich allem widersprechen würden, was Zivilisation ausmacht. Auch wenn ein Demonstrationsmarsch weniger geschützt sei als eine verbale Äußerung, so müsse dennoch festgestellt werden, dass der angekündigte – friedfertige –  Marsch in Ausübung des Grundrechts in seinem ursprünglichen Sinne entspreche. Gehe man aber gesetzlich gegen den Inhalt einer vom First Amendment geschützten Aktivität vor, so begebe sich eine Regierung auf einen “<…> slippery and precarious path <…>”. Denn in ihrer Essenz stelle die durch das First Amendment untersagte Zensur eine Inhaltskontrolle dar. Die Debatte über öffentliche Angelegenheiten solle aber uneingeschränkt und robust verlaufen. Ausnahmen von dieser Regel würden Fallgestaltungen wie obszönes Verhalten, die Verbreitung von Kampfparolen und verleumderische Behauptungen betreffen. Eine öffentliche Intoleranz für eine weltanschauliche Einstellung allein könne keine Basis für eine Verkürzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit darstellen.

Eine Regierung könne nur dann gegen eine dermaßen provozierende Rede vorgehen, wenn der Adressat sich ihr nicht entziehen könne, etwa weil sie seine Privatsphäre verletze und er keine Möglichkeit des Rückzuges habe. Ein Grundrecht könne nur dann Bedeutung in einer Gesellschaft entfalten, wenn es für alle Ideen Geltung beanspruche und nicht nur für diejenigen, welche die Gesellschaft akzeptiere. Es dürfe gerade für die Ideen Geltung beanspruchen, welche die Gesellschaft zurückweise oder sogar verachte.

  • Texas v. Johnson[16]

Gregory Johnson verbrannte während einer Kundgebung eine U.S. Flagge, um gegen die Rüstungspolitik der Reagan Administration zu protestieren. Er wurde nach dem texanischen Strafgesetzbuch wegen Flaggenentweihung verurteilt. Der Court of Criminal Appeals hatte in der Berufungsverhandlung entschieden, dass das Verbrennen einer Nationalflagge Symbolsprache darstellen würde und deshalb durch das First Amendment geschützt sei. “The right to differ” könne eine Regierung – hier die texanische Bundesstaatsregierung – nicht beseitigen und ein Gefühl der Einheit in ihren Bürgern allein durch eine solche Verfügung einpflanzen.

Das Recht der freien Meinungsäußerung ende nicht beim gesprochenen oder geschriebenen Wort. Es komme vielmehr darauf an, ob in einer Handlung ein kommunikatives Element ausgemacht werden könne, der Betreffende dies seinen Mitbürgern vermitteln wolle und diese auch nur so verstehen könnten. Das treffe bei dem Verbrennen einer Flagge zu: “Symbolism is a primitve but effective way of communicating ideas.” Denn der Gebrauch eines “<…> emblem or a flag <…> is a short cut from mind to mind.” Die Freiheit der Meinungsäußerung ziele gerade auf den Disput. Und weiter: “It may indeed serve its high purpose when it induces a condition of unrest, creates dissatisfaction with conditions as they are <…>.” Eine Regierung dürfe nicht eine Idee unterdrücken, weil diese in der Gesellschaft Anstoß erregen könne. Eine Meinungsäußerung stoße nur dann an ihre Grenzen, wenn ihr Ziel sei “<…> to inciting or producing imminent lawless action and is likely to incite or produce such action <…>.” So stellten etwa “fighting words” dann eine Problemkategorie dar, wenn sie “<…> provoke the average person to retaliation, and thereby cause a breach of the peace <…>.” Der Kerngedanke der Freiheit der Meinungsäußerung ist, durch ein Mehr an öffentlichem Diskurs eine endgültige Meinungsbildung zu erleichtern.[17] Gegen Unwahrheiten und Trugschlüsse könne kaum ein verordnetes Schweigen empfohlen werden.

 

  1. Zusammenfassung
  • Grundzüge der Rechtsprechung zur Meinungsäußerungsfreiheit

Redefreiheit ist „the foundation of a vibrant democracy, and without it, other fundamental rights, like the right to vote, would wither away”[18]. Der Staat kann nach dem Verständnis der U.S. Rechtsprechung die Meinungsäußerungsfreiheit einschränken, wenn es etwa gilt, gegen die Verwendung von “fighting words” einzuschreiten. Diese müssen eine persönliche Färbung haben, wie sie sich insbesondere in der sog. “hate speech” zeigt. Darunter fällt auch nonverbale Kommunikation, wie sie sich hinter den Begriffen “intimidation” und “harassment” verbirgt. Solche Meinungskundgebungen sind geeignet, den Selbstwert eines Menschen herabzusetzen und die Wertschätzung zu mindern, die man ihm als Individuum oder der Gruppe, der er angehört, entgegen bringt.[19]

Der “Hate Crimes Sentencing Enhancement Act of 1992” unterstreicht, dass “hate speech” eine erhebliche Gefahr für das Zusammenleben der Menschen darstellt und am Anfang einer Ursachenkette steht, die in ein Verbrechen münden könnte. “Hate speech” lässt die Betroffenen verstummen und verhindert überdies, dass sie sich am öffentlichen Diskurs beteiligen.[20]

Nach Brandenburg v. Ohio fällt die verbale Meinungsäußerung nicht in den Schutzbereich des First Amendment, wenn die Äußerung darauf gerichtet ist, zu gesetzlosem Handeln anzustiften, dieser Erfolg eintreten kann und unmittelbar droht. Der “clear and present danger” Test gibt einen Prüfmaßstab an die Hand, der die Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit ermöglicht.[21]

Mit United States v. O’Brian wurde die nonverbale Äußerung einbezogen und auch hier unter bestimmten – weiter gezogenen – Voraussetzungen eine Einschränkung des First Amendment als zulässig angesehen. Symbolische Sprache fällt zwar in den Schutzbereich des First Amendment, erfährt jedoch nicht den gleichen Schutz wie “pure speech”.[22] Ein Tatbestandsmerkmal ist die Gefahr eines “breach of peace”, die in die Ermessensabwägung einer möglichen Begrenzung einfließt.[23] Zielt der Redner etwa darauf ab, Dritte zu einem Vorgehen gegen Personen oder Sachen zu motivieren, welches lediglich mit Unbequemlichkeiten und kleineren Beeinträchtigungen verbunden ist, so bleibt die Meinungsäußerung durch das First Amendment geschützt. Übertritt er diese Grenze, so kann ihm auferlegt werden, von seinem Recht zur Rede keinen Gebrauch mehr zu machen, indem er etwa den Ort verlässt.[24] Der Staat muss eine mögliche Gewaltbereitschaft der Zuhörer substantiell darlegen, ehe ein solches Verbot begründet ist.[25] Insbesondere muss die Gefahr bestehen, dass die Situation außer Kontrolle gerät und auch ein Einschreiten der Polizei nicht zu einer Beruhigung beiträgt.[26]

 

  1. “First Amendment” und die Symbolsprache der “Wiesbadener Erdogan-Statue”

Die Erdogan-Statue scheint nach dem sie abbildenden Foto zu urteilen den Standbildern von Saddam Hussein oder Kim Yong Il nachempfunden zu sein. Ein ausgestreckter Arm weist den Weg in die Zukunft, Nach der Farbe zu urteilen, welche für die Statue verwendet wurde, ist die Zukunft golden. Diese Symbolsprache rückt den türkischen Präsidenten allerdings in die Nähe von Diktatoren, welche eine Gefahr für ihre Gesellschaften wie ihre Nachbarn darstellen.

Zwar sollte zwar nach hiesiger Auffassung diese Form der Kritik kaum die politische Anhängerschaft Erdogans, die in der Gemeinde türkischer Migranten in Deutschland zu finden ist kaum zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern des türkischen Präsidenten provozieren. Bestand die Gefahr, so reflektierte dies in deutlicher Weise auf die Einordnung des Rechts der Meinungsäußerungsfreiheit. Auszuschließen ist nicht, dass eine Bedrohungslage gegeben war, doch hätte es einer klaren Substantiierung bedurft, ob die Balance sich wegen einer fehlenden Möglichkeit zur Kontrolle zu Ungunsten der Meinungsäußerungsfreiheit hätte verschieben können. Die städtische Ordnungsbehörde scheint jedenfalls sich einer im Raum stehenden Gewaltandrohung voreilig gebeugt zu haben. Der Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit, welche in der friedlichen, symbolischen Sprache des Aufstellens einer Statue ihren Ausdruck fand, dürfte in dem notwendigen Abwägungsprozess, der zur Entfernung führte, nicht ausreichend Rechnung getragen worden zu sein.

 

  1. Ausblick

Der U.S. Court of Appeals stellte in Herzeg v. Hustler Magazine INC. unter Bezugnahme auf den U.S. Supreme Court fest, dass “there is no such thing as a false idea. However, how pernicious an opinion may seem we depend for its correction not on the conscience of judges and juries, but on the competition of other ideas”[27].

Das First Amendment schützt nicht allerdings jede Meinungsäußerung. Sollte das Interesse des Staates an einer Regulierung der Meinungsäußerungsfreiheit überragend sein, so kann eine Beschränkung unter der Voraussetzung erfolgen, dass der Gesetzgeber diese eng begrenzt. Ein unklarer oder sonstwie unzulänglicher Maßstab engte den Schutzbereich des First Amendment unzulässigerweise ein. Die Kunst der Auslegung des First Amendment besteht in einer vertretbaren Grenzziehung zwischen dem legitimen Interesse der Gesellschaft, Grenzen zum Schutz eines überragenden Rechtsgutes zu setzen, und dem Gebot, die öffentliche Debatte zu fördern. Denn öffentliche Diskussion ist “<…> the life blood of government by the people <…>.”

In der Anhörung vor dem “Subcommittee on Crime and Criminal Justice”[28] formulierte einer der Gutachter, dass eine wirklich freie Gesellschaft in der Lage sein müsse, auch einen Weg zu wählen, welchen die gegenwärtige Regierung als politisch gefährlich einstufe. Denn Meinungsfreiheit dürfe nicht deshalb beschränkt werden, weil die Sorge bestehe, dass andere sich ebenfalls dieser Meinung anschließen könnten. John Stuart Mill nahm es als gegeben, dass man seine eigene Unfehlbarkeit konstatiere, wenn man eine Meinung unterdrücke. Wahrheit entstehe nur aus der Debatte, in der zwei oder mehr miteinander konkurrierende Auffassungen zur Diskussion gestellt werden. Mill trug darüber hinaus ein weiteres Argument vor, dessen Sinnhaftigkeit sich gerade in der politischen Gegenwart zu bestätigen scheint. Selbst bei einer unumstößlichen Wahrheit gehe der rationale Grund für das Erörterungsverbot verloren und transformiere die Ratio zu ihrem Nachteil in etwas, das dann als ein Vorurteil begriffen werde, welches man nur noch aus rein dogmatischen Gründen aufrecht erhalte. Ein solches Dogma verhindere, dass sich eine wirkliche Überzeugung bilde.[29]

Auch wenn das Grundrecht der Meinungs- bzw. Meinungsäußerungsfreiheit in allererster Linie sich an den Staat als den “natürlichen Feind”[30] der Freiheit richtet, so finden sich doch Beispiele im täglichen Leben, die es auch als Leitfaden einer öffentlichen Diskussion der Bürger erscheinen lässt. Der Präsident eines in der Bundesliga spielenden Fußballklubs soll Dauerkarteninhaber, die einer bestimmte politischen Partei zuneigten, mit dem Hinweis unter Druck setzen wollen, dass man nicht gleichzeitig den Verein und die XYZ Partei gut finden könne. Die Frankfurter Buchmesse hatte einen wegen seiner politischen Ausrichtung wenig gelittenen Aussteller an den äußeren Rand der Ausstellungshalle verbannt, um einer tätlichen Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten vorzubeugen. Letztlich – so der Leitkommentar – könne aber nur der eine solche Vorgehensweise begrüßen, der „sich seiner eigenen Liebe zur Meinungsfreiheit nicht ganz sicher sei“[31]. Man stelle sich vor, diese Beispiele würden im täglichen Leben Schule machen, etwa bei der Frage, ob man in diesem Geschäft des täglichen Bedarfs noch kaufen wolle oder dieser Kunde in dem Geschäft noch bedient werde. Dann würde die Gesellschaft sich auf einen sehr abschüssigen Weg begeben haben.

Das First Amendment der U.S. Verfassung will die öffentliche Diskussion erweitern, indem über die Meinungsäußerungsfreiheit sichergestellt wird, dass Bürger früh auf Themen aufmerksam werden und sich mit ihnen auseinandersetzen können.[32] Auch die öffentliche Diskussion in Deutschland darf darauf vertrauen, dass sich in der Diskussion eine bessere Lösung durchsetzt. Dazu muss aber auch die andere Meinung gehört werden können, was offensichtlich schwieriger als erwartet ist.

 

[1] John Stuart Mill, On Liberty, Of the Liberty of Thought and Discussion, Chapter 2, p. 18, Norton 1975.

[2] Palko v. State of Connecticut, Supreme Court of Errors of the State of Connecticut, Dec. 6, 1937, 302 U.S. 319 (327),  https://caselaw.findlaw.com/us-supreme-court/302/319.html.

[3] https://www.aclu.org/blog/free-speech/first-amendment-bars-officials-targeting-nike-because-they-dont-colin-kaepernick (Zugriff 24.09.2018).

[4] Evan Osnos, Ghost in the Machine – Can Mark Zuckerberg fix Facebook before it breaks democracy? The New Yorker, Sept. 18, 2018, p. 32-47 (46).

[5] Auch elektronische Medien können sich auf das First Amendment berufen, vgl. Olivia N. v. National Broadcasting CO., California Court of Appeal, 178 Cal.Rptr. 888, Dec. 7, 1981, https://www.leagle.com/decision/1981614126calapp3d4881582 (8.10.2018).   

[6] https://www.aclu.org/issues/free-speech (24.09.)

[7] https://www.bc.edu/bc_org/avp/cas/comm/free_speech/decisionsalpha.html (24.09.)

[8] Die Auswahl der Entscheidungen darf nicht als repräsentativ angesehen werden.

[9] U.S. Supreme Court, 249 U.S. 47, March 3, 1919, https://en.wikisource.org/wiki/Schenck_v._United_States/Opinion_of_the_Court (8.10.2018).

[10] U.S. Supreme Court, Nov. 10, 1919, 250 U.S. 616, https://www.law.cornell.edu/supremecourt/text/250/616 (8.10.2018).

[11] U.S. Supreme Court, May 24, 1968, 391 U.S. 367, https://supreme.justia.com/cases/federal/us/391/367/ (10.10.2018).

[12] U.S. Supreme Court, June 9, 1969, 395 U.S. 444, 89 S.Ct. 1827, 23 L.Ed.2d 430.

[13] Im Vordergrund stand die Frage der aufschiebenden Wirkung einer einstweiligen Verfügung, U.S. Supreme Court, NATIONAL SOCIALIST PARTY v. SKOKIE, June 14, 1977, https://caselaw.findlaw.com/us-supreme-court/432/43.html (5.10.2018).

[14] Supreme Court of Illinois, Jan. 27, 1978, 69 Ill. 2d 605 (1978) 373 N.E.2d 21, https://law.justia.com/cases/illinois/supreme-court/1978/49769-6.html (5.10.2018).

[15] U.S. Court of Appeals, 7th Circuit, May 22, 1978, http://law2.umkc.edu/faculty/projects/ftrials/conlaw/collinvsmith2.html (5.10.2018).

[16] U.S. Supreme Court, 109 S. Ct. 2533 (1989), http://www.cengage.com/resource_uploads/downloads/0534629911_26005.pdf (2.10.2018).

[17] „<…> If there be time to expose through discussion the falsehodd and fallacies, to avert the evil by the processes of education, the remedy to be applied is more speech, not enforced silcence.“

[18] https://www.aclu.org/issues/free-speech (24.09.2018).

[19] Owen M. Fiss, The Irony Of Free Speech, 1998, p. 11.

[20] Fiss, p. 16.

[21] Deborah Tully Eversole, A Voyage Through Murky Waters: Assessing Flag Misuse Prohibitions In The Wake Of Texas v. Johnson, 109 S. Ct. 2533 (1989), Florida State University Law Review Volume 17/Issue 4, p. 869-898 (875 f.), https://ir.law.fsu.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2377&context=lr (10.10.2018).

[22] Eversole, p. 881.

[23] Eversole, p. 879.

[24] Eversole, p. 879.

[25] Eversole, p. 880.

[26] Eversole, p. 881.

[27] April 20, 1987, 814 F.2d 1017 (5th Ctr. 1987), https://casetext.com/case/herceg-v-hustler-magazine-inc (8.10.2018).

[28] Hate Crimes Sentencing Enhancement Act of 1992, Hearing, July 29, 1992, Serial No. 64, P. 76, Statement Prof. Martin Redish, Northwestern University School of Law, https://www.congress.gov/bill/102nd-congress/senate-bill/2522 (10.10.2018).

[29] Mill, On Liberty, p. 51: „<…> but fourthly, the meaning of the doctrine will be in danger of being lost, or enfeebled <…> preventing the growth of any real and heartfelt conviction, from reason or personal experience“.

[30] Fiss, p. 2.

[31] Andreas Platthaus, Frankfurter Meinungsfreiheitsliebe, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.10.2018, S. 1 (Leitkommentar).

[32] Fiss, p. 2.

 

 

 

 

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Posted by Wolfgang Gerz

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