Abstract [en]: Digital Transformation is rapidly gaining speed, also due to the Covid-19 pandemia. Changes in the field of labor, different from early fears, will not lead to the disappearance of work but to a change, partly in a rapid pace. This means that professional qualification on the job will be more and more a key to success both for individuals and companies. Generally speaking, processes of steering and control but above all communication will play an increasing role. Partly, however, we do not have a clear picture on who is responsible if we talk about the output or “decisions” of AI based programs. As a consequence, the current discussion about digital fairness and inclusive participation, generally about “inclusion” and “exclusion” will have a crucial role.

Abstract [de]: Die digitale Transformation nimmt mit der Corona-Krise Fahrt auf und verändert das Arbeitsleben. Entgegen früheren Befürchtungen ist nicht damit zu rechnen, dass den Menschen dabei die Arbeit ausgeht. Sie wird sich aber ändern, teilweise in großer Geschwindigkeit. Daher ist die berufliche Bildung ein Schlüssel für den Erfolg der Zukunft bei Individuen und in Firmen. – Generell werden Prozesse der Steuerung und Kommunikationsprozesse eine noch wichtigere Rolle als bisher spielen. Dabei ist teilweise noch ungeklärt, wer Verantwortung für den Output von Programmen übernimmt, die auf Künstlicher Intelligenz basieren. Umso wichtiger ist die bereits entstehende Diskussion über digitale Fairness und Teilhabe, digitale Inklusion und Exklusion.


Juni 2020

Die Zukunft der Arbeit, digitale Transformation und Werteorientierung

Erscheint in Network. Internationaler Wirtschaftssenat e.V. – Magazin

Die digitale Transformation verändert den gesellschaftlichen Alltag fundamental. Sie schafft und sie kostet Arbeitsplätze, sie verändert den Alltag und sie verändert das Berufsleben. Die Corona-Pandemie hat den digitalen Wandel noch beschleunigt: Home-Office ist zur neuen Normalität geworden, Video-Konferenzen bestimmen den Alltag vieler Berufstätiger. Die Corona-Krise beschleunigt also die laufende digitale Entwicklung.

Die gute Nachricht zuerst: Die Welt der Arbeit verändert sich, aber die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Wer hätte vor 20 Jahren gewusst, womit ein Online Marketing Manager, ein Data Scientist, ein Social Media Manager oder ein User Experience Designer seinen beruflichen Tag verbringt? Es sind also neue Berufsbilder entstanden, dafür fallen alte Berufsbilder weg. Unter dem Strich hat bislang jede große technische Innovationswelle ausreichend neue Arbeit geschaffen, um Verluste zu kompensieren. Studien wie die von Frey und Osborne, die vom Rationalisierungspotenzial der digitalen Transformation sprechen, sind insofern nicht falsch, aber sie berücksichtigen eben nur eine Seite der Gleichung.

Sinken wird jedoch die Nachfrage nach angelernten und ungelernten Arbeitskräften. Wir werden also gesellschaftlich, politisch und betrieblich noch mehr Wert auf Bildung für alle legen müssen. Dazu gehört auch die innerbetriebliche Fortbildung, die für gute Unternehmen zur neuen Normalität werden wird. Speziell die Bereiche „Regeln, Steuern und Organisieren“ werden an Bedeutung zunehmen. Denn Rechner liefern Daten. Wir diese auszuwerten sind, muss der Mensch vorgeben. Dazu wiederum ist eine kluge Urteilskraft erforderlich, die digitale Ökosysteme nur dann entwickeln, wenn sie entsprechend programmiert werden.

Schon heute erleben wir tagtäglich eine enge Kooperation zwischen Menschen und Maschinen. Noch vor einigen Jahren fand ich bei guter Ortskenntnis Abkürzungen und Wege, die mein Navigationssystem unter Berücksichtigung der Uhrzeit bei stauanfälligen Strecken nicht kannte. Heute sind die Systeme so gut, dass das System nicht mehr zu schlagen ist. Ich folge also dem Entscheidungsvorschlag der Maschine. Nur würde mir diese recht einfache Maschine auch einen Streckenvorschlag unterbreiten, wenn ich mich betrunken ans Steuer setzen würde. Hier ist also dauerhaft die eigene, menschliche Einsicht nach vernünftigen „Handlungsgrenzen“ gefragt.

Mensch-Maschine-Interaktion: wer entscheidet, wer bestimmt? Ethics by Design

Die nächste Stufe der digitalen Revolution wird das Ausmaß der Mensch-Maschine-Interaktion noch verstärken. Virtual Reality Brillen helfen im Produktionsprozess. Programme für Predictive Maintenance erkennen den Verschleißgrad von Ersatzteilen und geben uns selbständig Rückmeldung, so dass Stillstandzeiten vermieden werden können. Das Internet der Dinge führt zu einem Datenaustausch, der bislang getrennte Systeme zusammenführen kann. Kollaboratives Arbeiten bedeutet auch, dass bestimmte, eher gefährliche Aktivitäten auf Roboter verlagert werden können, so etwa bei einem Tankreinigungs-Roboter, der durch sein Design anders als Menschen bestimmte Gase und Dünste besser ertragen kann.

Aber auch kollaboratives Arbeiten zwischen Menschen und digitalen Systemen in der Welt der „Industrie 4.0“ erfordert eine vorherige Programmierung. Hier entsteht dann das Problem der diskriminierungsfreien Auslegung. Wenn jemand eine Gesichtserkennungssoftware programmiert und seine „Trainingsdaten“ nur vor einer Hamburger Diskothek sammelt, der sollte sich nicht wundern, dass die Altersgruppe der 50-70-jährigen zu wenig Beachtung findet. 

Das „Hineinprogrammieren“ diskriminierungsfreier Software und die kluge Berücksichtigung ethischer Fragen schon bei der Planung eines Produkts ist unter dem Stichwort „Ethics by Design“ bekannt geworden. Ein berühmtes Beispiel ist das selbstfahrende Auto: Wie soll es programmiert werden, wenn ein Unfall unausweichlich ist und die Entscheidung ansteht, eine gesunde 40-jährige Managerin oder zwei ältere Herren über 80 zu verletzen, womöglich mit Todesfolgen?

Als Europäerinnen und Europäer wehren wir uns gegen eine Verzweckung von Menschen und fordern generell, „ein Menschenleben ist ein Menschenleben“, ohne Bevorzugung oder Benachteiligung junger oder alter, reicher oder armer, gesunder oder kranker Personen. Eine stärker utilitaristische Ethik kann hier zu anderen Schlüssen kommen. Schon die Frage, welche ethische Richtung zum Gegenstand der Programmierung werden soll, ist nicht einfach.

Noch schwieriger wird es bei den „unsichtbaren Entscheidungen“. Schließlich erkennen wir nicht immer, wo und wann wir Vorurteile in uns tragen. Das gilt auch für Programmierer und Programmiererinnen. Wie im alltäglichen Leben, können wir unmöglich die Vielfalt der auftretenden Situationen vorherbestimmen. Aber wo sollen wir anfangen, wo sollen wir aufhören? Wie viel an „situativem Kontext“ muss in einem guten Programm berücksichtigt werden?

Die Frage nach der Verantwortung in der digitalen Welt

Dass vor Gericht manchmal Fehlurteile gesprochen werden, dass Menschen manchmal die Geduld verlieren, das wissen wir. Es ist Teil der Realität, und wir versuchen, mit ihr fertig zu werden so gut es geht. Wird eine Grenze überschritten, etwa im Fall von Korruption oder eklatanter Pflichtverletzung, gibt es Sanktionen, von der Abmahnung am Arbeitsplatz bis zum Bußgeld oder zum Strafverfahren.

Was aber passiert, wenn eine Kreditentscheidung vom Computerprogramm negativ bewertet wird, wir aber gar keinen Einblick mehr haben, welche Kriterien auf welche Art und Weise gewichtet wurden? Wen ziehen wir zur Verantwortung, wenn ein System versagt: Den Programmierer, sein Unternehmen, den Anwender oder dessen Auftraggeber?  Führt die digitale Arbeitswelt also zur Verantwortungsdiffusion?

Teilweise können wir solche Beobachtungen schon heute anstellen. Wir sind als einzelne immer wieder ohnmächtig vor Entscheidungen, die wir scheinbar weder beeinflussen noch abändern können. Die Frage nach digitalen Menschenrechten und nach Rechten in der digitalen Arbeitswelt ist noch lange nicht zufriedenstellend beantwortet. 

Dies gilt erst recht, weil niemand alle Feinheiten der digitalen Arbeitswelt beherrschen kann. Gerade für Führungskräfte beschleunigt die digitale Arbeitswelt einen Rollenwandel. In früheren Zeiten wurde gelegentlich der besten Fachexperte zur Führungskraft gemacht. Man nannte das nach einem britischen Autor das „Peter-Prinzip“: Jeder wird so lange befördert, bis er die Stufe seiner Inkompetenz erreicht.

Nun stehen wir in der digitalen Arbeitswelt vor dem Dilemma, dass wir grundsätzlich nur in einigen wenigen digitalen Feldern eine hohe Expertise erreichen können. In den meisten Bereichen müssen wir uns mit Halbwissen und weniger begnügen. Wir müssen aber trotzdem Entscheidungen treffen. Wie soll das gehen?

Verantwortung in der digitalen Welt erfordert den Umgang mit verschiedenen Stufen der eigenen Inkompetenz. Wir müssen lernen, kompetent mit unseren eigenen Wissensgrenzen umzugehen. Das ist kein Plädoyer für geistige Trägheit, sondern Einsicht in die neuen Arbeitsbedingungen der digitalen Welt. Aufgrund der Komplexität und Geschwindigkeit digitaler Datenverarbeitung ist es uns als Menschen physisch und psychisch, kognitiv und emotional nicht mehr möglich, jedes Detail zu überblicken. Im Gegenteil: Würden wir Zeit investieren, um relativ nebensächliche Details zu durchdringen, würde diese Zeit uns bei anderen Führungs- und Steuerungsaufgaben fehlen.

Die digitale Arbeitswelt erfordert, so gesehen, ein erhöhtes Maß an Kommunikation, aber auch an der Fähigkeit zum Aufbau und zum Erhalten von Vertrauen in Arbeitsbeziehungen. Digitale Ignoranzkompetenz bedeutet dann die Fähigkeit, bewusst auszuwählen, wo die Anforderungen der Aufgabe eine Vertiefung im Detail gerade nicht erfordern, wo aber tatsächlich schon. Anders gesagt: Digitale Zeiten in der Arbeitswelt erfordern mehr, nicht weniger Kommunikation, mehr, nicht weniger Selbststeuerung.

Digitale Fairness

Die schiere Menge an erzeugten Daten macht uns Transparenz zunächst einmal schwer. Dazu kommt, dass es dem Eigeninteresse von Firmen zu dienen scheint, möglichst viele Daten zu sammeln und zu eigenen Zwecken zu verwenden. Der immens hohe Börsenwert von Tesla im Vergleich mit Volkswagen hängt eben nicht an der Menge der verkauften Fahrzeuge, sondern am verfügbaren Datenvolumen, das mit den entsprechenden Fahrzeugen bereits gesammelt wurde.

Nun hat sich in unseren modernen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten ein gewisser Wertewandel vollzogen, der „Transparenz“ und „Fairness“ einen immer höheren Stellenwert einräumt. Wer heute als junger Mensch Arbeit sucht, schaut nicht nur auf das angebotene Gehalt, sondern will auch einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Wertschöpfung und Sinnschöpfung gehen Hand in Hand.

Wenn das so ist, sollte sich eine unternehmerische Werteorientierung auch in der digitalen Arbeitswelt ausdrücken können. Hier kann der Begriff der „digitalen Fairness“ helfen, wenn er sich auf Auskunfts-, Zugangs- und Teilhaberechte bezieht. Über die europäische Datenschutzgrundverordnung haben Bürgerinnen und Bürger das Recht auf Einsicht in die über sie und von ihnen gespeicherten Daten. Darüber hinaus lohnt sich die Frage, welche Rechte wir dann haben, wenn die von uns generierten Daten als „Rohstoff“ für eine komplexe Weiterverarbeitung genutzt werden. Steht demjenigen, der die Rohdaten erzeugt, ein Anteil am Erlös aus dem digitalen Endprodukt zu? Etwa wenn ein Automobilkonzern meine Bewegungsdaten verarbeitet und für die Optimierung seiner eigenen Programme nutzt, ohne dass ich als einzelner davon weiß oder davon profitieren könnte.

Firmen tun gut daran, sich auf solche Fragen einzustellen und sich, etwa im Rahmen einer eigenen digitalen Ethik-Kommission, darauf hin zu prüfen, wie „fair“ sie auf ihre Stakeholder wirken, von Mitarbeitenden bis zu Kundinnen und Kunden. Schließlich ist die Verarbeitung von Daten immer auch Ausdruck von Kontrolle, so dass wir mit jedem technischen Fortschritt auch neu nach der Balance aus Transparenz und Kontrolle zu fragen haben.

Globalisierung und Regionalisierung, Mindestlohn und Grundeinkommen

Gerade die digitale Transformation hat ganz entscheidend zur globalisierten Welt, wie wir sie heute kennen, beigetragen. Neben der Globalisierung von Gütern und Dienstleistungen war es die digitale Globalisierung von Information und Kommunikation, die in den letzten Jahren eine beherrschende Rolle im Leben unserer Betriebe und unserer Gesellschaften gespielt hat.

Nach naiven Hoffnungen im „Arabischen Frühling“ 2011 haben sich vor allem autoritär regierte Staaten die Souveränität über ihre Territorien zurückerobert. Am deutlichsten ausgeprägt ist dies in China mit einer verbreiteten Internetzensur sowie mit eigenen sozialen Diensten, Plattformen und Unternehmen wie WeChat, Alibaba oder Huawei.

Angesichts erheblicher Spannungen zwischen den auf ihre Autonomie bedachten Regierungen der USA und Chinas lässt sich die Frage stellen, ob die Globalisierung in ihrer bisherigen Form ans Ende gekommen ist. Blickt man hingegen auf die sich abzeichnende Klimakrise und die immer unwirksame internationale Handelskooperation, wird jedoch eine übergeordnete Instanz multilateraler Kooperation immer dringender gewünscht.

Nun ist es nicht eine einzelne technische Entwicklung wie die Digitalisierung, die von Haus aus politische Prozesse antreibt. Die Veränderung der Lebensverhältnisse durch die digitale Transformation kann aber gar nicht unterschätzt werden. Rasanter Fortschritt kann dann durchaus mit politischer Repression verbunden werden. Es hängt ja davon ab, wer welches Instrument kontrolliert. Globalisierung und Regionalisierung, etwa durch die Zurückholung von Wertschöpfungsketten im medizintechnischen und pharmazeutischen Bereich nach Europa, können dann sogar Hand in Hand gehen.

Dabei stellt sich aber auch die Frage nach globalen Mindeststandards. In Deutschland gibt es beispielsweise eine lebendige Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen. Gerade die Sorge vor Arbeitsplatzverlusten in Folge der digitalen Transformation bewegt hier eine ganze Reihe von Fürsprechern. Weil Menschen ihre eigenen Schlüsse ziehen, wirkt ein relativ hohes Grundeinkommen aber automatisch als Migrationsanreiz und kann im Einzelfall auch zum Gefühl der Exklusion führen, wenn wir uns nicht gebraucht fühlen.  Wer das in einer solchen Form nicht will, der wird sich im ersten Schritt für globale Mindeststandards in Arbeitsschutz und Zugang zu Wasser, Gesundheitsfürsorge und Bildung einsetzen, so wie sie ansatzweise in den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN artikuliert sind (17 SDG).

In der Arbeitswelt beziehen sich Mindeststandards nicht zuletzt auf Ausbildung, auf Arbeitsschutz und auf faire Arbeitsbedingungen. Gerade weil die digitale Transformation so viel mehr an Bildung und Qualifizierung von Fach- und Führungskräften erfordert, dürfen wir erwarten, dass diejenigen Unternehmer sich besser als andere entwickeln werden, die eine ethischen Ausrichtung im Sinn eines gesellschaftlichen Wertbeitrags („Purpose“) mit der praktischen und gelebten Umsetzung von Werten kombinieren. Denn sie sind attraktiv für diejenigen Talente, die eine gute Leistung mit nachvollziehbarem Sinn verbinden möchten.

Literaturhinweis: Ulrich Hemel, Kritik der digitalen Vernunft, Freiburg/Br. 2020 (im Druck)


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Posted by Ulrich Hemel