Abstract [en]: Even before Covid the economy has been unstable. The virus only sparked a crisis that would have arrived anyway. This is because it has been long since machines took over the material work and since computers/AI took over the structured knowledge-based work such as robotic controls, data analysis or driving cars. That which stays and grows is the work on the human being and the work with knowledge – between humans. A productive handling of knowledge depends on social behaviours, mental health and culture.

Keywords: Kondratieff, future of work, productivity in handling knowledge, digitalization

Abstract [de]: Schon vor Corona war die Wirtschaft instabil. Der Virus löst nur eine Krise aus, die sowieso gekommen wäre. Denn längst haben Maschinen die materielle Arbeit übernommen und Computer/KI die strukturierte Wissensarbeit wie Robotersteuerung, Datenanalyse oder Autofahren. Was bleibt und wächst, ist die Arbeit am Menschen und mit Wissen – zwischen Menschen. Produktiver Umgang mit Wissen hängt ab von Sozialverhalten, seelischer Gesundheit und Kultur.

Schlagwörter: Kondratieff, Zukunft der Arbeit, Produktivität im Umgang mit Wissen, Digitalisierung.


März 2021

Warum es nach der Corona-Krise um den Menschen hinter der Technik geht

Wahrscheinlich wird in den Geschichtsbüchern einmal stehen, Corona habe eine Weltwirtschaftskrise verursacht. Dabei war die Lage schon vorher instabil, mit sinkender Produktion, mit schon lange andauernden Nullzinsen, dadurch überhitzten Vermögenspreisen von Aktien und Immobilien sowie einem hohen Verschuldungsgrad. Der Virus ist nur Auslöser für einen starken Konjunkturabschwung, den wir sowieso gespürt hätten, weil ein jahrzehntelanger Boom zu Ende gegangen ist: Die technischen Prozesse sind weitestgehend durchrationalisiert, während die zunehmenden Arbeitsabläufe zwischen Menschen nicht ausreichend produktiv sind. 

Nach 200 Jahren Industriegeschichte bestimmen immer weniger die materiellen Faktoren den Wohlstand, sondern immaterielle Fähigkeiten: das richtige Wissen finden und anwenden, verstehen was der andere meint, mit Emotionen umgehen, Motivationen klären, Machtkämpfe im Betrieb und mit Projektpartnern transparent machen und konstruktiv angehen. Die Krise wird dafür sorgen, dass wir weniger in der Technik den Fortschritt suchen, sondern in den Menschen hinter der Technik: Ihrer Gesundheit, ihrer Bildung, vor allem aber in ihrer Kompetenz, sich produktiv auseinanderzusetzen und zusammenzuwirken. 

Solche Umbrüche sind ganz normal: Es gibt Zeiten, da wächst die Wirtschaft bei hohen Zinsen stark, weil uns eine neue Basisinnovation wie Dampfmaschine, Eisenbahn oder elektrischer Strom massiv produktiver macht. Sie spart zu ihrer Zeit Ressourcen ein, die wir für anderes verwenden können – so funktioniert Wirtschaftswachstum (also nicht über mehr Geld). Wenn die grundlegende Erfindung aber weitgehend durchinvestiert ist, dann werden kaum noch zusätzliche Produktivitätsreserven freigesetzt. Die Preise für die eigenen Güter am Markt werden immer leicht unterboten und fallen, die Kosten aber zunächst nicht und dann mit Verzögerung. Wenn kaum noch Gewinn übrig bleibt und es nichts mehr gibt, wofür es sich lohnt, zu investieren, dann benötigen Unternehmen kein zusätzliches Geld mehr. Deswegen sinken die Zinsen gegen Null, das freie Geld geht in Vermögensgegenstände wie Aktien und Immobilien, deren Wert stark steigt. Bis im realen Leben zu spüren ist, dass das technische System stagniert. Worauf die Preise rutschen, und es kommt zu einem großen Börsencrash. Gold dümpelt im langen Aufschwung vor sich hin oder verliert an Wert, wenn das Geld der Investoren in einer wachsenden Realwirtschaft besser aufgehoben ist; Gold gewinnt, wenn die Zinsen bei null sind und die Aussichten unsicher.

Auch bei uns hatte der Computer seit den 1980er Jahren Zeit und Ressourcen eingespart. Wer seine Schreibmaschine 1990 in den Keller räumte und einen 2/86er Computer kaufte, der erlebte einen gigantischen Produktivitätssprung. Wessen Computer heute 100mal schneller wird, dessen Arbeit ist annähernd um null Prozent besser geworden, weil Produktivität in stark wachsendem Maße von unscharfen Wissensvorgängen abhängt, bei der keine Technik helfen kann. Reden die Teammitglieder miteinander, oder behält der Spezialist sein Herrschaftswissen für sich? Daher kommt die Instabilität, dass die Wirtschaft auch schon vor Corona nicht vom Fleck kam, obwohl wir so stark in Digitalisierung investierten – weil eben die Menschen hinter der Technik mit ihrem Verhalten im Durchschnitt nicht produktiver wurden. Nicht die EZB ist also „schuld“ an den Nullzinsen, die ja rund um den Globus real gleich sind, sondern das zu Ende gegangene Produktivitätswachstum. Hätten die Zentralbanken nicht die Geldschleusen geöffnet, wir lebten längst in einer Krise, die diesen Namen auch verdient, mit Deflation und einer rasant weggebrochenen Nachfrage. Das viele zusätzliche Geld schlägt sich nicht in einer Inflation nieder, lediglich die Geldumlaufgeschwindigkeit sinkt – das vorhandene Geld wird in einem Zeitraum eben nicht mehr dreimal, sondern nur noch zweimal umgeschlagen.

Der Blick in die Geschichte zeigt, was in der Gesellschaft passiert, wenn ein langer Strukturzyklus rund um eine Basisinnovation zu Ende geht und die Wirtschaft mangels Gewinnmarge in einen jahrelangen Abschwung gerät, wie es der Ökonom Nikolai Kondratieff in den 1920er Jahren beschrieb: Handelskriege, Rechtspopulismus, Suche nach Sündenböcken und nach einem neuen Wirtschaftssystem, Arbeitslosigkeit – das alles sind nur Symptome der Stagnation, nicht deren Ursache. Als die Eisenbahnen zwischen den damaligen Gewerbezentren gebaut waren, gab es nichts mehr zu investieren, die Zinsen sanken gegen Null; Ökonomen diskutierten, ob Geld zum freien Gut werden könnte; aus dem wirtschaftsliberalen Reichskanzler Bismarck wurde der „Eiserne Kanzler“, der im Inneren „Reichsfeinde“ wie Sozialisten und Katholiken verfolgte, Juden wurden auf offener Straße angegriffen – weil sie an der Wirtschaftskrise „schuld“ seien. Anfang der 1920er Jahre waren alle Fabriken elektrifiziert, Ende der 20er je nach Region 80 bis 90 Prozent aller Haushalte an das elektrische Netz angeschlossen, ab 1927 gingen die Zinsen in den Sinkflug und das freie Geld an die Börse, die 1929 zusammenbrach und drei Jahre lang bis auf zehn Prozent des höchsten Wertes vorher sank; die Handelsgrenzen wurden geschlossen, überall stiegen autoritäre bis faschistische Regime auf.

Die Konjunkturhilfen der Bundesregierung sind zielgenau und helfen über einen Schock von ein paar Monaten hinweg, aber nicht, wenn es um einen jahrelangen Strukturwandel hin zu höherer immaterieller Produktivität geht. Geld ist hier nur ein Spiegel der realen Vorgänge, aber es löst das Problem nicht: Nach Kondratieff kann eine tiefe Krise überwunden werden, wenn der relativ knappste Produktionsfaktor stark produktiver gemacht werden kann. Als Unternehmer nicht mehr hinterherkamen, Bergwerke zu entwässern, baten sie James Watt, ihnen eine Dampfmaschine zu entwickeln. Als Transport der Flaschenhals war, musste die Eisenbahn gebaut werden.

Nun warten wieder alle auf eine neue Technik, weil es das ist, was sie kennen: Technik A durch Technik B ersetzen, und weitermachen wie bisher. Das funktioniert aber nun nicht mehr, da der größte Teil der Arbeit immaterielle Gedankenarbeit ist: Planen, organisieren; verstehen, was der andere meint; Probleme lösen, als erster vor einer Aufgabe stehen und etwas Neues entwickeln. Hier ist der knappste Produktionsfaktor entstanden: Uns behindern Grabenkämpfe, eine schlechte Streitkultur, destruktives Verhalten. Erst wenn es uns gelingt, besser mit Wissen zwischen Menschen umzugehen, werden wir ausreichend produktiv sein, um aus der Krise zu kommen.

Und deren Potential ist gewaltig: Die langen Jahre der Nullzinsen haben den Konsum vergrößert, der Markt für langlebige Konsumgüter wie Autos und Küchen konnte mit billigen Krediten beschleunigt erschlossen werden, was nun abbremst. Schlecht wirtschaftende Unternehmen werden nicht mehr am Leben erhalten. Das Ausland kämpft selber mit dem weggefallenden Einkommen der unteren Schichten und kauft weniger deutsche Produkte, der deutsche Export kann die Wirtschaft nicht retten wie früher. Investitionen sind in einer schrumpfenden Wirtschaft weniger nötig. Das alles macht mehr Menschen arbeitslos, so wie in jedem bisherigem Kondratieffabschwung. Wie schnell es dann wieder aufwärts geht, hängt davon ab, wie gut wir den Teil der Arbeit, der immateriell zwischen Menschen stattfindet, besser hinbekommen. Das ist keine Einzelleistung, sondern etwas Systemisches: Drei Mittelmäßige, die gut zusammenarbeiten, sind bedeutend produktiver, als der Super-Crack, bei dem es aber nicht gelingt, die Ergebnisse der Arbeitsteilung zusammenzuführen. Bildung, Gesundheit, Sozialverhalten rücken in das Zentrum der wirtschaftlichen Auseinandersetzung. Wenn sich dann der Staub der Veränderung gelegt haben wird, wird die Welt besser sein.


Erik Händeler (*1969, verheiratet, drei Kinder) arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist, Buchautor und Zukunftsforscher am Schnittpunkt von Religion und Wirtschaft. Er ist Spezialist für die Kondratiefftheorie der langen Strukturzyklen: Damit bietet er einen anderen Blick auf Wirtschaft abseits des Geldes, denn reale Einflüsse wie Sozialverhalten und psycho-soziale Gesundheit bestimmen den Wohlstand. Nach einem Tageszeitungsvolontariat und Tätigkeit als Stadtredakteur in Ingolstadt studierte er in München Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik. Er ist in kirchlichen Gremien und Verbänden engagiert. 

2010 zeichnete ihn die russische Akademie der Wissenschaften mit der Bronze-Medaille für wirtschaftswissenschaftliches Arbeiten aus. Bücher: “Die Geschichte der Zukunft – Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen” in 11. Auflage 2018, “Kondratieffs Gedankenwelt” in 7. Auflage, „Himmel 4.0“ in 2. Auflage, sowie das Hörbuch “Der Wohlstand kommt in langen Wellen”. Demnächst erscheint sein neues „Geschichtsbuch für Optimisten – Warum das Meiste früher schlechter war und in Zukunft besser sein wird“.

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Posted by Erik Händeler