Abstract [en]:

In this short essay, I ask if the technical possibilities of surveillance inherent in most digital communication question the direction of control the public sphere exercises. Specifically, I argue that the current state of digital transparency endangers the capacity of the public to control its representatives. Based on this finding, I discuss if a technology such as block chain can help create ‘transparency security’ in the sense that the public is protected from surveillance. This protection appears to me as a prerequisite for fully exploiting the emancipative potential of digital forms of communication.

Abstract [de]:

In diesem kurzen Beitrag vertrete ich die These, dass die zweiseitige Lesbarkeit jeder digitalen Kommunikation die bisherige Kontrollrichtung von Öffentlichkeit, nämlich die Kontrolle der öffentlichen Gewalt durch die zum Publikum versammelten Privatleute, in Frage stellt. Darauf aufbauend diskutiere ich, ob und, wenn ja, wie eine Technologie wie die Blockchain dabei helfen kann, Transparenzsicherheit in dem Sinne zu schaffen, dass das Publikum vor Nachforschungen der öffentlichen und privaten Gewalten geschützt wird. Dieser Schutz erscheint mir als eine Voraussetzung, um das emanzipative Potential digitaler Kommunikationsformen vollständig auszuschöpfen.


März 2020

Transparenzsicherheit und die Kontrollrichtung digitaler Öffentlichkeit

Der theoretische Rahmen – zur Notwendigkeit von Privatheit für das ‚Politische‘

Das liberale Verständnis von Privatheit ist bekanntlich hochgradig problematisch und die Studentenbewegung 1968ff. behauptete nicht ohne Grund, dass das ‚Private politisch‘ („the personal is political“) sei. Die Apodiktik der Forderung nach Öffentlichkeit impliziert jedoch das Fehlen eines Kriteriums, welche Formen der Privatheit dennoch legitim sein können. Dies war kein Problem, solange die Forderung nach der Öffentlichkeit des Privaten zwecks Behebung krasser gesellschaftlicher Missstände, etwa der Illegalität von Homosexualität, erhoben wurde. Im Verlauf der Zeit und mit jedem errungenen Recht wurde der Verzicht auf Kriterien, welche Art von privaten Beziehungen politisch seien und welche Form eines Rechts auf Privatheit, d.h. auf Geheimnisse, vielleicht doch emanzipativ wirken könne, problematischer.

Digitale Transparenz und die Kontrollrichtung von Öffentlichkeit

Das Fehlen eines Kriteriums, welche Geheimnisse legitim sein können, wurde jedenfalls dann zu einem Problem, als die ‚1968‘ und oder ‚im Valley‘ sozialisierte Generation ihre Utopien, beginnend in den 1990er Jahren, zunehmend zur Grundlage digitaler Geschäftsmodelle machte. Diese ‚Privatisierung‘ der Utopie nämlich führt zu einer Spaltung privater ‚Transparenz‘. Das Privat-Emotionale wird zunehmend durchsichtig, das Privat-Ökonomische jedoch zunehmend opak. Oder anders: Unter den Bedingungen digitaler Kommunikation bei gleichzeitiger Aufhebung der Grenze zwischen dem Privaten und Politischen führt der normative Ausschluss des Geheimnisses aus der Sphäre demokratischer Politik zu einer Monopolisierung des Rechts auf Geheimnisse in der ökonomischen Sphäre. Politisch problematisch an dieser digitalen Dichotomie des Rechts auf Geheimnisse ist, dass sich hier eine Umkehrung der Kontrollrichtung von Öffentlichkeit abzeichnet. Im Grundriss bürgerlicher Öffentlichkeit dient das Recht auf Privatsphäre einer Richtung der Kontrolle vom Privaten ins Politische. In dem Augenblick aber, in dem Akteure der wirtschaftlichen und/oder öffentlichen Gewalt mehr über das nun nicht mehr vom Geheimnis der Privatsphäre geschützte Publikum wissen als umgekehrt, werden eine Kontrolle und Manipulation der öffentlichen Meinung möglich. Diese politische Dimension von doch eigentlich privatwirtschaftlich gesammelten Informationen über ‚das Publikum‘ ergibt sich dann schlicht aus der Tatsache, dass man Informationen, liegen sie einmal vor, kaufen und verkaufen kann. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang ist die Rolle von SCL/Cambridge Analytica im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016. Auf der Grundlage von von Facebook erworbenen Daten konnte Cambridge Analytica der Trump-Kampagne ein detailliertes Persönlichkeitsprofil von WählerInnen zur Verfügung stellen und Annahmen darüber treffen, wie bedroht sich jemand etwa durch Einwanderung fühlt oder ob eine potentielle WählerIn zu Verschwörungstheorien neigt. Und obwohl diese Art der Wahlkampfführung auf den ersten Blick nur wie eine andere Art der Wahlwerbung aussehen mag, ist „micro targeting“ ein Beispiel dafür, wie die Umkehr der Kontrollrichtung von Öffentlichkeit die Grundlagen deliberativer Demokratie untergräbt. Zeichneten sich die Slogans und Forderungen politischer Parteien zu Wahlzeiten bereits bis dato zumeist durch einen entschiedenen Zug in die Beliebigkeit aus, die es allen recht machen sollte, so waren sie dennoch zu einem Mindestmaß an Konsistenz dahingehend verpflichtet, dass man, solange man zu einem Publikum sprach, schlecht sowohl eine Forderung als auch ihr Gegenteil behaupten konnte. Verteilt man sein politisches ‚Programm‘ jedoch auf 10.000 verschiedene Werbeclips und sendet diese dann mittels „micro targeting“ an gänzlich voneinander isolierte Filterblasen, so ergibt sich der Traum eines jeden Hochstaplers, nämlich die Möglichkeit, immer genau das zu sagen oder zu fordern, was das Gegenüber gerade hören möchte. Systematisch lässt sich festhalten, dass in dem Augenblick, in dem Akteure der öffentlichen Gewalt – oder ihre Berater – mehr über das nun nicht mehr vom Geheimnis der Privatsphäre geschützte Publikum wissen als umgekehrt, die Kontrollfunktion von Öffentlichkeit aufgehoben ist. 

Transparenzsicherheit und die Nutzbarmachung des demokratietheoretischen Potentials der Digitalisierung

Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich die Wünschbarkeit einer Barrikade, einer Firewall gegenüber – im Kern gegenaufklärerischen – Versuchen, die Kontrollrichtung von Öffentlichkeit umzukehren. Ich denke, dass an dieser Stelle die Blockchain oder eine ähnliche Technologie eine konstruktive Rolle spielen kann. 

Eine Blockchain stellt eine neuartige Technologie dar, die ein verteiltes, dezentralisiertes System nutzt, um ein unveränderliches Netzwerk aus privaten Personen zu schaffen (Peer-to-Peer-Network). Das Peer-to-Peer-Netzwerk gleicht hierbei einem Validierungsmechanismus und soll die Integrität der in der Blockchain gespeicherten Daten schützen. Das System ist also fälschungssicher, wahrt aber gleichzeitig die Anonymität der NutzerInnen. Im Gegensatz zu traditionellen Formen digitaler Kommunikation bietet die Blockchain somit den Vorzug, Anonymität und Identität gleichzeitig zu schützen. Hiermit ist gemeint, dass die Datenpakete selber ihre Identität bzw. ihre Zugangsberechtigung ausweisen, ohne Rückschlüsse auf den Absender der Information zuzulassen. Zumindest ist dies mein Verständnis der Blockchain und skizziert (selbst wenn die aktuelle Technik noch teils anders funktionieren sollte), wie eine Technik gestaltet sein könnte, welche die Option bietet, das Publikum digital zu versammeln und ihm sein Recht auf eine transparente Kontrolle der öffentlichen Gewalt auf dem heutigen Stand der Technik zu ermöglichen. Hier, in dieser ‚Transparenzsicherheit‘, d.h. einer anonymen, aber validierten Form digitaler Kommunikation, scheint mir ein Schlüssel zu einer vollen Nutzbarmachung der emanzipativen Potentiale der Digitalisierung bei gleichzeitiger Eindämmung der Gefahr einer Umkehrung der Kontrollrichtung von Öffentlichkeit zu liegen. 


Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten des Instituts für Sozialstrategie ist auch in Auszügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet.

Publikationen des IfS unterliegen einem Begutachtungsverfahren durch Fachkolleginnen- und kollegen und durch die Institutsleitung. Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorinnen und Autoren wieder.

Posted by Andreas Mix

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert