Abstract [en]: Our world is not in good condition! Despite a good portion of hope and against the background of groundbreaking technologies, looking to the future and is associated with pressing doubts and a variety of uncertainties. In the struggle for a livable common future, we are running out of time. We must act! Governments are urged to use smart regulations and incentives to correct catastrophic trends and “repair” our world. Sustainability and mindfulness should be an immanent part of political and social action! The state must not stand idly by when injustice happens in the world, also in an economic context. It must intervene in a creative way. We have a lot of catching up to do, but there are also silver linings! One of these silver linings on the road to principled, shared cooperation is the Supply Chain Act (in German: Lieferkettengesetz). A draft bill is available and adoption is planned before the end of this legislative period. The initiative associated with the Act aims to impose so-called “due diligence obligations” or environmental and human rights standards on companies along the supply chain of products and services around the globe with a sense of responsibility. Reason enough to analyze, criticize, value and, of course, think ahead.

This article has set itself the goal of elaborating the new quality of this Act. In the analysis, risks and weaknesses are considered as well as potentials of a new way of thinking, which can be identified in the Act. The discussion is based on the legal requirements placed on companies as well as the resulting consequences of the implementation of the Act for management. The article is completed by an outlined historical and sociological view of current developments. Existing narratives are critically interrogated. Associated with this are suggestions for a reassessment of attitudes in the context of economic practice. Likewise, our perception of motives for need satisfaction in capitalist interactions is critiqued. Finally, an outlook and prognosis are given with regard to the Acts’s chances of success and social acceptance. The article is intended as an encouragement to those responsible to invest an adequate degree of diligence and flexibility in the implementation of the Act.

Abstract [de]: Unsere Welt ist in keinem guten Zustand! Der Blick in die Zukunft ist bei aller Hoffnung und vor dem Hintergrund bahnbrechender Technologien, mit drängenden Zweifeln und vielfältigen Unsicherheiten verbunden. Im Kampf um eine lebenswerte gemeinsame Zukunft läuft uns die Zeit davon. Wir müssen handeln! Regierungen sind eindringlich aufgefordert, mit intelligenten Regulierungen und Anreizen, katastrophale Entwicklungen zu korrigieren und unsere Welt „zu reparieren“. Nachhaltigkeit und Achtsamkeit sollten immanenter Bestandteil von politischem und gesellschaftlichem Handeln sein! Der Staat darf nicht tatenlos zusehen, wenn Unrecht in der Welt auch im wirtschaftlichen Kontext geschieht. Er muss gestalterisch eingreifen. Wir haben immensen Nachholbedarf, aber es gibt auch Lichtblicke! Einer dieser Lichtblicke auf dem Weg zu einem nach Prinzipien gestalteten, gemeinsamen Miteinander ist das Lieferkettengesetz. Ein Referentenentwurf liegt vor und die Verabschiedung ist noch in dieser Legislaturperiode geplant. Die mit dem Gesetz verbundene Initiative verfolgt das Ziel, Unternehmen sogenannte „Sorgfaltspflichten“ bzw. Umwelt- und Menschenrechtstandards entlang der Lieferkette von Produkten und Services rund um den Erdball mit verantwortungsvollem Augenmaß aufzuerlegen. Grund genug zu analysieren, zu kritisieren, zu wertschätzen und natürlich auch weiter zu denken.

Dieser Beitrag hat sich zum Ziel gesetzt, die neue Qualität dieses Gesetzes herauszuarbeiten. Bei der Analyse werden Risiken und Schwächen ebenso betrachtet wie Potenziale eines neuen Denkens, welches im Gesetz auszumachen ist. Grundlage der Auseinandersetzung sind die gestellten Anforderungen an Unternehmen in rechtlicher Hinsicht ebenso, wie die daraus resultierenden Konsequenzen der Implementierung des Gesetzes für das Management. Komplettiert wird der Beitrag durch eine skizzierte historische und soziologische Sicht auf die gegenwärtigen Entwicklungen. Bestehende Narrative werden kritisch hinterfragt. Damit verbunden sind Anregungen zu einer Neubewertung von Einstellungen im Rahmen der wirtschaftlichen Praxis. Ebenso wird unsere Wahrnehmung von Motiven zur Bedürfnisbefriedigung in kapitalistischen Interaktionen kritisch hinterfragt. Schließlich werden ein Ausblick und eine Prognose im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Gesetzes und die gesellschaftliche Akzeptanz gegeben. Der Beitrag versteht sich als Ermutigung für die Verantwortlichen in die Umsetzung des Gesetzes, Sorgfalt und Flexibilität in ausreichendem Maße zu investieren.


Juni 2021

Richtungswechsel oder Feigenblatt?

Analyse des Lieferkettengesetzes 

Die Koalition liefert

Nach langwierigen Verhandlungen hat die Bundesregierung am 3. März 2021 das Lieferkettengesetz[1] auf den Weg gebracht. Am 1. Januar 2023 soll es in Kraft treten. Der neue Gesetzentwurf ist bereits in weiten Teilen sehr ausführlich und gliedert spezifische Pflichten für Unternehmen detailliert auf. Rechtlich bedeutet der Entwurf für Unternehmen vor allem Anpassungs- und Aktualisierungsbedarf in den Bereichen Compliance und nachhaltige Vertragsgestaltung, insbesondere im Rahmen der Beschaffung. Mit diesem Gesetzentwurf ist die Bundesregierung einer selbstauferlegten Verpflichtung des Koalitionsvertrages nachgekommen. Im Wortlaut hieß es zu Beginn der Legislaturperiode:

„Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“

Aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018[2]

Das Lieferkettengesetzes [Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz)], wie es sperrig im Wortlaut heißt, soll zunächst in zwei Stufen wirksam werden. Ab dem 1. Januar 2023 ist für deutsche Unternehmen mit mindestens 3000 Arbeitnehmern die Inkraftsetzung geplant. Ab dem 1. Januar 2024 soll sich die Wirksamkeit für Unternehmen mit mindestens 1000 Arbeitnehmern anschließen. Der Gesetzentwurf vom 3. März 2021 kann im Gesetzgebungsverfahren selbstverständlich noch verändert werden. Hoffen wir, dass die derzeitigen Regelungen nicht weiter verwässert werden. Die Verabschiedung des Gesetzes ist bis Ende dieser Legislaturperiode (September 2021) avisiert.

Was müssen die Unternehmen beachten? Welche Verpflichtungen werden Unternehmen auferlegt? Zu diesen Fragen will der Beitrag einen Überblick geben. Darüber hinaus wird eine Einordnung aus gesellschaftspolitischer und historischer Perspektive skizziert sowie eine Einschätzung der Erfolgsaussichten vorgenommen. Eingangs lässt sich festhalten, dass Unternehmen mit den oben genannten Größenordnungen folgenden wesentlichen Verpflichtungen nachkommen müssen:

  • Risikomanagement einführen
  • Grundsatzerklärung erstellen bzw. überarbeiten
  • Präventiv- und Abhilfemaßnahmen treffen
  • Einmal jährlich berichten

Die Lieferkette wird im Sinne des Gesetzes auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens bezogen. Nach diesem Verständnis werden alle Schritte im In- und Ausland erfasst, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen des jeweiligen Unternehmens erforderlich sind. Der Prozess startet mit der Gewinnung der Rohstoffe und erstreckt sich bis zur Lieferung an den Endkunden. (Lieferkettengesetz; S.7)

Über Jahre hinweg traf dieses Gesetz auf eine breite, teils kontroverse Diskussion der politischen Akteure, der Wirtschaftsforschung, zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Verbände unterschiedlichster Couleur. Ein bekanntes Argument aus der Wirtschaft war und ist: Wie sollen Unternehmen dazu in der Lage sein, Probleme zu lösen, welche Staaten und Regierungen nicht in den Griff bekommen? Gleich zu Eingang des Gesetzestextes wird von den Verfassern auf diese verbreitete Kritik eingegangen und folgender Handlungsrahmen skizziert:

„Macht der innerstaatliche Kontext es unmöglich, dieser Verantwortung [zum direkten Einfluss auf die Gewährung der Menschenrechte; Anmerkung Autor] uneingeschränkt nachzukommen, ist von Unternehmen zu erwarten, dass sie die Grundsätze der international anerkannten Menschenrechte achten, soweit es in Anbetracht der Umstände möglich ist.“

(Lieferkettengesetz; S. 1)

Der Gesetzgeber erwartet also von den Unternehmen, das zu tun, was möglich ist. Dieser Intention wird sicherlich in der Praxis nicht ganz leicht zu folgen sein. In jedem Fall wird mit der Erweiterung des „Beobachtungsraumes“ für die einzelnen Akteure mehr Verantwortung zur Reflexion von menschenrechtlichen und ökologischen Missständen in die Hände der Unternehmen gelegt. Das Gesetz stellt aus Sicht des Autors einen Paradigmenwechsel dar. Vormals ging es bei der Beurteilung von Standortentscheidungen in der Wirtschaft vorrangig um die Betrachtung von Risiken im Lichte des eigenen unternehmerischen Handelns und der Abwägung der Erfolgsaussichten für den Eintritt in neue Märkte und letztlich um Profitaussichten. Von nun an sollen die Verhältnisse im Hinblick auf die Stakeholder in einem anderen Land, einer anderen Region intensiver in den Blick genommen werden. Die Perspektive wird also erweitert und das hoffentlich zum Wohle der Menschen vor Ort.

Grundlagen des Referentenentwurfs

Für alle, die mit juristischen Rahmenbedingungen nicht so eingehend Vertrauten, sei kurz verdeutlicht, worauf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für dieses Gesetz beruht. Die juristische Einbettung ist nicht ganz trivial. Für die zukünftige weitere Ausgestaltung von multinationalen rechtlichen Rahmensetzungen ist es jedoch wesentlich, Wirkungsmechanismen und Grundlagen zu beleuchten.

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 (Bürgerliches Recht) und 11 (Recht der Wirtschaft) des Grundgesetzes (GG). Das Sorgfaltspflichtengesetz soll zukünftig das wirtschaftliche Handeln in Deutschland ansässiger Unternehmen mit beeinflussen, indem ihnen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegt werden, welche innerhalb ihrer Lieferketten zu beachten sind. Die Regulierung unternehmerischer Sorgfaltspflichten in den Lieferketten ist dem Recht der Wirtschaft zuzuordnen. Eine bundesgesetzliche Regelung zur Einführung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette ist für die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich (Artikel 72 Absatz 2 GG). Hinsichtlich der Ordnungswidrigkeitentatbestände ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 GG (Strafrecht). (Lieferkettengesetz, S. 25) Weiterhin setzte die Bundesregierung, um ihrer Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte gerecht zu werden, die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 (Nationaler Aktionsplan, kurz NAP) in Deutschland um. 

Auf Ebene der internationalen Vereinbarungen ist die wesentliche Grundlage für dieses Gesetz die Auffassung und Auslegung der Menschenrechte. Die Definition der Menschenrechte wird wiederum aus international anerkannten Abkommen wie aus den ILO-Kernarbeitsnormen (umfasst vier Grundprinzipien: Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Beseitigung der Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit, Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf) abgeleitet. Kurze Einordnung: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wurde 1919 gegründet und ist seit 1946 die erste Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Das Lieferkettengesetz definiert als menschenrechtliche Risiken vor allem Kinder- und Zwangsarbeit sowie Sklaverei, Missachtung von Arbeitsschutzpflichten und der Koalitionsfreiheit, Ungleichheit und Vorenthalten eines angemessenen Lohns, bestimmte menschenrechtsrelevante Umweltverschmutzungen sowie Landentzug, Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.

Die Bundesregierung hat sich in dieser Legislatur entschieden, nicht bis zu einer übergreifenden europäischen Regelung zu warten, sondern „vorauseilend“ ein nationales Gesetz auf den Weg zu bringen. Über das bereits Erwähnte hinaus orientiert sich der vorliegende Referentenentwurf an weiteren internationalen Vorgaben, wie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für multinationale Unternehmen. Mit der Verankerung auf internationalen Vereinbarungen werden Standards gesetzt. Die geplante EU-Gesetzgebung kann so unterstützt und maßgeblich mitgestaltet werden. Außerdem fordert Deutschland die überprüfbare Verankerung von Menschenrechts- und Umweltstandards in Handelsabkommen der EU. Dazu zählt, die Dursetzung von Sanktionen, wenn Nachhaltigkeitsanforderungen in den Handelsabkommen missachtet werden. 

Soweit zur rechtlichen Einordnung und den Grundlagen des Gesetzesentwurfs. Wenden wir uns nun kurz einigen gesellschaftspolitischen Aspekten zu, bevor wir tiefer auf die Anforderungen an die Unternehmen eingehen.

Eine Gesellschaft im Wandel

Gesellschaftlich ist es mittlerweile opportun, Fragen nach den Folgen wirtschaftlichen Handelns und dem Streben westlicher Bevölkerungen nach unbegrenztem Konsum zum sogenannten besten Preis-/Leistungsverhältnis, kritisch zu hinterfragen. Es etablierte sich, besonders in dem letzten Jahrzehnt, ein globales Bewusstsein für die Folgen eines ungebremsten und ungezügelten Kapitalismus. Diesem Trend, einer Mischung aus Beruhigung für das Gewissen und dem wirklichen Erkennen der Notwendigkeit, die Interessen von Stakeholdern weltweit zu berücksichtigen, müssen die Unternehmen in gewisser Weise folgen. Mittlerweile ist den Unternehmen sehr genau bewusst, dass es gravierende wirtschaftliche Folgen haben kann, wenn man als rücksichtloser Umweltsünder von einer globalen Öffentlichkeit wahrgenommen wird (Hinweis auf das Shell-Urteil von dieser Woche noch geben). Unternehmen starten vielfältigste Aktivitäten, um nicht in gar zu dunklem Licht von Habgier und rücksichtslosem Profitstreben zu stehen. Die Gefahr öffentlich plötzlich am Pranger zu stehen und boykottiert zu werden, ist in einer dynamisch in quasi Echtzeit agierenden Öffentlichkeit so manchem Unternehmen schon schmerzlich deutlich geworden. Die öffentliche Kritik kann in unserer digitalen Welt eine immense Dynamik entwickeln und auch brutale Züge annehmen. Die Macht der Verbraucher hat mittlerweile das Potenzial zu massiven Umsatzeinbußen zu führen und eine Firma in den Ruin zu treiben. Die Unternehmen sind also gut beraten, achtsam zu sein.

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass viele Unternehmen selbst nach einem verbindlichen Rechtsrahmen für unternehmerische Sorgfaltspflichten verlangen. Die globalen Entwicklungen im Rahmen der Gewährleistungen von Menschenrechten und ökologischen Mindeststandards sind international sehr unterschiedlich ausgeprägt. Einige Länder, beispielsweise Großbritannien, Frankreich und die Niederlande haben bereits einen, dem Lieferkettegesetz vergleichbaren Rahmen. Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 hat die Bundesregierung die Initiative von EU-Justizkommissar Didier Reynders für eine verbindliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf EU-Ebene und eine EU-Regulierung für entwaldungsfreie Lieferketten unterstützt. So wird auch in den Stellungnahmen der Verbände nach der Vorlage des deutschen Referentenentwurfs der Wunsch und die Notwendigkeit nach EU-weiten Regelungen mit dem Ziel der Schaffung von Rechtsklarheit, Rechtssicherheit, Transparenz und Wettbewerbsgleichheit für alle Unternehmen geäußert. Ziel ist es, für die Unternehmen mehr Sicherheit zu schaffen und zugleich aktiv zu helfen, Missstände und Ungerechtigkeiten vor Ort zu beseitigen.

Es lässt sich nicht leugnen, dass Wohlstand und Wachstum einerseits, materielles Elend verbunden mit einseitiger Ressourcenausbeutung anderseits, aktiv mit den richtigen Strategien in eine Balance gebracht werden müssen. Die langfristige Strategie muss sich an den Prinzipien von Gerechtigkeit, Ausgleich und Nachhaltigkeit orientieren. Zu diesem Schluss ist die westliche Gesellschaft in der Breite der öffentlichen Wahrnehmung bereits gelangt. Soweit so gut! Was folgt jedoch daraus? Bevor man an die Umsetzung von Konzepten gehen kann, müssen die sozialen, menschenrechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge vor Ort erkannt und Missstände benannt werden. Für dieses Erkennen werden neben Kompetenzen auch ein andauernder Wille gebraucht. Die Bereitschaft und die Fähigkeit, wirklich hinzusehen, wenn Menschenrechtsverletzungen in wirtschaftlichen Prozessen erfolgen, muss gefördert und belohnt werden. Die Unternehmen verfügen mit ihren langjährig erworbenen Kompetenzen gegenüber dem Staat über einen großen Vorteil. Unternehmen kennen die Märkte und die spezifischen staatlichen Situationen besser als manches deutsche Ministerium es einzuschätzen vermag. Dieses Wissen sollte und muss sich eine moderne, aufgeklärte Gesellschaft für gute Zwecke zu Nutze machen. Das vorliegende Gesetz bereitet einen Weg, dass eigentlich naheliegende, die Nutzung der unternehmerischen Verantwortung für gute globale Zwecke in die Pflicht zu nehmen. Es stellt mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis dar, sondern repräsentiert eine deutliche Bereitschaft unserer Gesellschaft, Dinge im globalen Kontext zu verändern.

Ungleichheit, Umweltzerstörung, Klimawandel, Hunger und Flüchtlingskatastrophen, um nur einige für die Menschheit existenzielle Herausforderungen herauszugreifen, können durch Fairness, Gleichberechtigung und nachhaltiges, gemeinsames Wirtschaften begrenzt und zum Besseren hin verändert werden. Bei einigen Themen, wie z. B. der CO2-Belastung verbunden mit den spezifischen Folgen für den Klimawandel, reicht es nicht mehr aus, nur den zukünftigen Ausstoß zu begrenzen. Die produzierte Unmenge erfordert es, der Atmosphäre CO2 wieder zu entziehen und zu speichern. Dafür bedarf es neuer Technologien und eines vollkommen anderen wirtschaftlichen Denkens und Handelns. Das gegenwärtige Wirtschaften muss nicht nur das Ziel der Befriedigung von einseitigen Konsumbedürfnissen verfolgen. Die andere Seite der Medaille muss mit betrachtet werden. Damit der eine Teil der Menschheit etwas hat, darf dem anderen Teil nicht etwas Unwiederbringliches (z. B. der Regenwald, Rohstoffe, Land etc.) weggenommen werden. Die Schaffung von Möglichkeiten zu einem selbstbestimmten Leben sowie die Wiederherstellung oder Bewahrung einer intakten Natur müssen zu gleichrangigen Zielen für ein faires Wirtschaften gemacht werden. An diesen Maßstäben muss sich eine am Wohl der Menschen orientierte globale Wirtschaft messen lassen. Auch in diesem Licht ist der Referentenentwurf zu sehen.

In diesem Kontext wird Fairer Handel als Grundprinzip einer neuen WTO eingefordert. Die Welthandelsorganisation (WTO) muss zu einer „Fairhandelsorganisation“ weiterentwickelt werden. Bereits das Gründungsdokument – der Vertrag von Marrakesch – betont das Ziel nachhaltiger Entwicklung und den Schutz und die Erhaltung der Umwelt. Dieser Dreiklang fehlt jedoch im Welthandel bis heute. Selbst wenn Unternehmen die Umwelt zerstören oder ausbeuterische Kinderarbeit Teil der Produktion ist, werden sie handelsrechtlich behandelt wie jene, die alle Öko- und Sozialstandards einhalten. Diese Tatsache kann nicht hingenommen werden. Ungleichbehandlung von Unternehmen, Einzelpersonen und Staaten im globalen Wirtschaftsleben muss reduziert werden und schließlich nicht mehr möglich sein. Einerseits halten sich Unternehmen an vorgegebene oder selbst definierte Standards, andererseits verstoßen Unternehmen gegen Menschenrechts- und Umweltstandards. Mit diesen Verstößen verbunden ist möglicherweise die Steigerung des Profits (siehe VW-Dieselskandal) bzw. ungerechtfertigte Verbesserung der Wettbewerbsposition.

Staaten und die Öffentlichkeit müssen aktiver gegenüber Verstößen von Menschenrechts- und ökologischen Standards auftreten. Es muss intensiver hingeschaut, aufgedeckt und schließlich rechtlich verfolgt werden. Verstöße müssen sanktioniert und dürfen im Interesse der Schicksale anderer Menschen nicht hingenommen werden. Wer beispielsweise gegen internationale Standards, wie die ILO-Kernarbeitsnormen, das Pariser Klimaschutzabkommen oder aber die Konvention zum Schutz der Biodiversität verstößt, muss seinen Anspruch auf Gleichbehandlung verlieren. Die Nichtbeachtung internationaler Standards sollte zu Nachteilen der identifizierten Unternehmen im EU-Binnenmarkt führen. Die Absicht, in dieser Frage gesetzlich aktiv zu werden, sind von Seiten der EU vorhanden. So wird auch die Bundesrepublik Deutschland ihr Angebot auf Unterstützung bei der Einhaltung entsprechender Standards in Entwicklungs- und Schwellenländern weiter erhöhen. Was es besonders in der nächsten Legislaturperiode, sehr wahrscheinlich mit geänderten politischen Konstellationen, zu beobachten gilt. Wenden wir uns nach der Situationsbeschreibung, der Skizzierung der Herausforderungen sowie der rechtlichen nationalen als auch internationalen Einordung, wieder dem konkreten Gesetzesentwurf zu. Im Folgenden wollen wir die Anforderungen an die Unternehmen detailliert untersuchen.

Wer ist betroffen?

Wie eingangs erwähnt, soll das Gesetz in zwei Stufen ab 01.01.2023 zunächst für Unternehmen mit in der Regel mindestens 3000 Arbeitnehmern, die ihre Hauptverwaltung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben, nach der vorliegenden Gesetzesvorlage gelten. Daran wird ab dem 01.01.2024 der Geltungsbereich auf Unternehmen mit in der Regel mindestens 1000 Arbeitnehmern, die ihre Hauptverwaltung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben, erweitert. Unternehmen müssen beachten, dass konzernangehörige Gesellschaften bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl der Konzernmutter mitzuberücksichtigen sind. Leiharbeitnehmer werden bei der Berechnung nur berücksichtigt, wenn die Einsatzdauer 6 Monate übersteigt.

Der Gesetzgeber will mögliche Schlupflöcher von vornherein schließen. Es besteht die Möglichkeit, dass Unternehmen mittelbar betroffen sein können. Diese Regelung soll praktiziert werden, da die unmittelbar betroffenen Unternehmen verpflichtet sind, die Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette bestmöglich durchzusetzen. Die hierfür notwendigen Maßnahmen können, etwa durch den Einsatz eines Code of Conduct, direkten Einfluss auf die Zulieferer haben. Zudem werden die unmittelbar betroffenen Unternehmen oft auf die aktive Unterstützung der Zulieferer angewiesen sein und sich diese Unterstützung auch vertraglich zusichern lassen, z. B. in Form von Informationspflichten im Rahmen der Risikoanalyse.

Was fordert das Gesetz? 

Betroffene Unternehmen haben sich angemessen zu bemühen, dass es im eigenen Geschäftsbereich und in der Lieferkette zu keinen Verletzungen von Menschenrechten kommt. Der Gesetzentwurf stellt ausdrücklich klar, dass eine bloße Bemühenspflicht begründet wird und keine Erfolgspflicht oder Garantiehaftung

Die praktische Umsetzung des juristischen Terminus Bemühenspflicht könnte natürlich eine gewisse Grauzone in der Praxis nach sich ziehen. Der Beweis, dass ein Unternehmen sich redlich bemüht hat oder die Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen einfach zu lasch gehandhabt wurden, ist zukünftig mit Sicherheit nicht ganz einfach zu erbringen. Diese Tatsache, kann die eigentlich richtige Intention und den guten Kern der Absichten, in der Praxis zu einer Unmenge an Auslegungsfragen und daraus resultierendem gerichtlichem Klärungsbedarf führen (siehe z. B. das Mietendeckelgesetz, Infektionsschutzgesetz etc.). Gut gedacht heißt noch lange nicht gut gemacht! Bei der Auslegung und Deutung dieser zentralen Begrifflichkeiten sollte vor dem Inkrafttreten des Gesetzes deutlich nachgeschärft werden. Es muss das Ziel sein, die Steuerungskompetenz im Hinblick auf die gemeinsamen Ziele zu erhöhen. Unsicherheit kann zu einer negativen öffentlichen Wahrnehmung führen. Die verheerende Folge kann fehlende Akzeptanz der Bürger und damit die politische Nichtdurchsetzbarkeit von derartigen zukünftigen Gesetzesinitiativen sein. 

Der Gesetzgeber erfasst jede Tätigkeit zur Erstellung und Verwertung von Produkten und Dienstleistungen, egal ob an einem inländischen oder ausländischen Standort. In diesem Sinne umfasst die Lieferkette neben dem eigenen Geschäftsbereich in erster Linie unmittelbare Zulieferer. Das Unternehmen hat aber auch bei mittelbaren Zulieferern unverzüglich eine Risikoanalyse und Präventiv- und Abhilfemaßnahmen durchzuführen, wenn es zu einer sogenannten substantiierten Kenntnis von möglichen menschenrechtlichen Verletzungen oder Verstößen gegen umweltbezogene Pflichten gelangt ist. Auch in diesem Fall ist der Gesetzgeber bemüht, mögliche Umgehungen zu verhindern. Sollte der Versuch unternommen werden, die Sorgfaltsanforderungen durch Zwischenschaltung eines mittelbaren Zulieferers zu umgehen, so werden mittelbare Zulieferer als unmittelbare Zulieferer mit dazugezählt. Unternehmen, besonders die Verantwortungsträger in der Beschaffungsfunktion müssen sich bewusst sein, dass durch den juristischen Terminus „Substantiierte Kenntnis“ die Sorgfaltspflichten stark ausgedehnt werden können. Für die externen Kontrollinstanzen wird es schwierig werden, in einer dynamischen Wirtschaftswelt mit nicht vorhersehbaren Ereignissen (siehe nur die Blockierung des Suez Kanals im April 2021 oder die Engpässe in der Chipindustrie bedingt durch die Pandemie) zeitnah korrekt zu reagieren. Ebenso muss in einer globalen Wirtschaft z. B. schnell auf Naturkatastrophen, welche zu Lieferengpässen führen können, mit den erforderlichen Veränderungen in der Lieferkette reagiert werden. Notwendige Agilität und Flexibilität dürften die Bürokratie bei der Herstellung von Rechtskonformität vor neue Herausforderungen stellen. Die angesprochene Bürokratie ist nicht nur beim Staat und auf europäischer Ebene ein Problem, sondern auch bei den Unternehmen selbst. 

Was hat ein Unternehmen zu tun?

Der Gesetzgeber erwartet von den Unternehmen, dass diese mit Angemessenheit reagieren. Was ist darunter zu verstehen? Was ein Unternehmen zu tun hat, ist abhängig von Art und Umfang der Geschäftstätigkeit, weiterhin von dem Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher eines Gesetzesverstoßes.  Darüber hinaus ist die zu erwartenden Schwere der Verletzung zu berücksichtigen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die zu Möglichkeit der Umkehrbarkeit der eingetretenen Verletzung, sowie die Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts und abschließend die Art des Verursachungsbeitrags. 

Bei der Unmenge an Vertragspartnern, die moderne Unternehmen haben (allein auf einer Lieferantenplattform wie der von SAP-Ariba sind ca. 1,5 Mio Lieferanten gelistet, mit welchen ein Unternehmen in Beziehung treten kann) wird es nicht ganz einfach sein, diese durchaus komplexen Anforderungen angemessen zu steuern, um möglichen Gesetzesverstößen entgegen zu wirken. Ein adäquates Mittel, diesen komplexen Herausforderungen zu begegnen, ist die Integration der neuen Anforderungen in ein bestehendes, um die neuen Anforderungen des Gesetzes zu erweiterndes, Risikomanagement. Ein wesentliches Arbeitspaket eines professionellen Risikomanagements ist die detaillierte und spezifische Risikoanalyse.

Ein Risikomanagement ist im globalen Wirtschaftsleben ein fester Bestandteil der Managementinstrumente bei der Lieferantenauswahl und -beurteilung. Für die fundierte Entscheidung eines spezifischen Produktionsstandortes spielen die zu beachtenden Risikoaspekte ebenso eine gravierende Rolle. Neu ist, dass Unternehmen gesetzlich vorgeschrieben wird, zu ermitteln, ob ein Risiko von Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Lieferkette besteht. Um diese Vorgabe zu erfüllen, werden Unternehmen aufgefordert, feste Strukturen und Prozesse zur Gewährleistung der gesetzlichen Vorgaben einzureichen. Mit Hilfe eines „Roundtable Lieferkettengesetz“ sollen z. B. Verantwortlichkeiten und Prozesse festgelegt werden. Natürlich müssen alle durchgeführten Maßnahmen dokumentiert und regelmäßig nachverfolgt werden. In diesem Zusammenhang sollte sich jedes Unternehmen Klarheit darüber verschaffen, auf welchem Reifegrad und Niveau, sich das dazugehörige unternehmensinterne Compliance-Management-System befindet. 

Das neue Gesetz gibt den Unternehmen auch die Möglichkeit, die eigene CSR- /Nachhaltigkeitsstrategie, so es denn eine etablierte Strategie gibt, in die Implementierung zu integrieren bzw. diese weiterzuentwickeln (Anknüpfungspunkt z.B. ISO 26000). Zukünftig sind Kosten und Aufwendungen in die Geschäftsplanung zu integrieren. Die Geschäftsleitung muss über die notwendigen Investitionen und wiederkehrenden Kosten entsprechend ins Bild gesetzt werden. Als Orientierung kann eine Studie der EU-Kommission herangezogen werden. Diese schätzt ein, dass zusätzlichen Kosten von 0,005 % des Umsatzes für die Überwachung der gesamten Lieferkette zu erwarten sind. 

Konkret empfiehlt der Entwurf weiterhin die Einrichtung eines Menschenrechtsbeauftragten. Die benannte Person soll direkt an die Geschäftsleitung berichten und mit allen, für die Verfolgung der Lieferkette aus der Perspektive der Menschenrechte, notwendigen Akteuren in Verbindung stehen. Grundsätzlich gilt, dass sich die Geschäftsleitung mindestens einmal jährlich und anlassbezogen über den Status Bericht erstatten lassen muss.

Mindestens einmal jährlich und anlassbezogen müssen ebenso die Risiken detailliert betrachtet werden. Dabei muss ermittelt werden, ob ein Risiko besteht, welches die eigenen geschäftlichen Handlungen oder die geschäftlichen Handlungen von unmittelbaren (bei Hinweisen auch mittelbaren) Zulieferern im Rahmen der Menschenrechte verletzt. Eine Risikoanalyse ist „anlassbezogen“, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage in der Lieferkette rechnen muss. Dies kann der Fall sein, bei der Einführung neuer Produkte, Projekte oder eines neuen Geschäftsfeldes. Konkret muss eine Bestandsaufnahme aller Geschäftstätigkeiten und Geschäftsbeziehungen des jeweiligen Unternehmens vorgenommen werden. Es muss die Beantwortung der Frage im Vordergrund stehen, wo direkt Menschenrechte betroffen sein könnten. Hervorzuheben ist, dass es dabei in der Tat um die Risiken für potenziell Betroffene geht und nicht um Risiken des jeweiligen Unternehmens selbst. Das Unternehmen ist aufgefordert, sich die notwendigen Informationen selbst zu beschaffen und auf entsprechende Quellen zurückzugreifen. So kann z. B. das „Infoportal Menschenrechtliche Sorgfalt“ des deutschen UN Global Compact oder CSR Risk Checks online zur Informationsbeschaffung dienen. 

Unternehmen müssen, basierend auf der Risikoanalyse, entsprechende Präventions- und Abhilfemaßnahmen treffen bzw. überprüfen. Betroffen ist beispielsweise die Lieferantenauswahl und Lieferantenkontrolle, die Schaffung von Verhaltenskodizes, die Durchführung von Schulungen und auch die nachhaltige Vertragsgestaltung. All diese Anforderungen sind nach Auffassung des Autors nicht neu.  Es sind Aufgaben auf Unternehmensführungsebene, welche im Rahmen der Regeln der Corporate Governance zur guten Unternehmensführung zu befolgen sind. Adäquate Maßnahmen zur Gewährleistung der Pflichten, Vorgaben und Normen müssen im Unternehmen in Form von Strukturen, Prozessen sowie Verantwortlichkeiten implementiert werden. Wie so oft wird es auch in diesem Fall eine Frage sein, wieviel der Einzelne in der Befehlskette sehen kann und so manches Mal wahrscheinlich auch „darf“. Für den Arbeitnehmer, der ohnehin oftmals in entscheidenden betrieblichen Funktionen, wie der Beschaffung, mit seinem eigenen Gewissen ringen muss, wird es dadurch nicht einfacher. Es kommt also ganz entscheidend auf zwei Aspekte an: die Firmen- und die Führungskultur!

Entscheidend ist, dass die Unternehmen mit einem strukturierten und kontinuierlichen Vorgehen einen Managementprozess etablieren, der die Einhaltung des Gesetzes gewährleistet. Dazu gehört die Einbindung der relevanten Stakeholder entlang der Lieferkette, die Beachtung des Beschwerdemanagements sowie eine Kategorisierung der Risiken z. B. auf Ebene der Produkte, der Länder, der Regionen etc. Eine spezifische Klassifizierung der Risiken verschafft den Verantwortlichen eine weitere Übersicht und Steuerungsmöglichkeit. Mögliche Kriterien können z. B. die Angemessenheitskriterien, die Art und der Umfang der Geschäftstätigkeit in Bezug auf das jeweilige Risiko, das Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher, die zu erwartenden Schwere der Verletzung, die Umkehrbarkeit der Verletzung, die Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts, die Art des Verursachungsbeitrags sein. Auf dieser Grundlage kann eine Rangfolge der Aktivitäten und Handlungen abgeleitet werden, um Aufwand und Nutzen im Hinblick auf die einzuhaltenden gesetzlichen Vorgaben zu rechtfertigen. 

Der Gesetzentwurf fordert weiterhin, dass Unternehmen bei einem festgestellten Risiko unverzüglich angemessene Präventivmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich zu initiieren haben. Die Unternehmen werden dazu aufgefordert, auf Basis der Grundsatzerklärung Verhaltenskodizes für das eigene Unternehmen zu erstellen und diesen kontinuierlich weiterzuentwickeln bzw.  zu aktualisieren. 

Wer bislang Nachhaltigkeitsziele noch nicht in die Beschaffungspraktik integriert hat, sollte dieses im Zuge der Implementierung des Gesetzes schleunigst nachholen (Anhaltspunkte, wie ein nachhaltiger Einkauf aussehen kann, liefert die ISO 20400 „Sustainable Procurement“). Die Beschaffung hat eine entscheidende Rolle bei der Vermeidung und Minimierung menschenrechtlicher Risiken. Der Gesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung ganz konkrete Vertragsgestaltungelemente an, die einen maßgeblichen Einfluss auf das Menschenrechtsrisiko haben. Bei der Ausgestaltung der Lieferverträge sollte ein besonderes Augenmerk auf z.B. Einkaufspreise, Lieferzeiten, Kostenvorgaben, Zeitdruck im Kontext der Einhaltung der Menschenrechte gelegt werden. Es muss also bei Vertragsschlüssen in risikobehafteten Bereichen darauf geachtet werden, dass die Gesamtgestaltung des Vertrages das Risiko für Menschenrechtsverletzungen nicht erhöht. Neben den im Entwurf genannten maßgeblichen Vertragselementen ist an weitere, wie bspw. Zahlungsziele (nicht zu lang), zu denken. Daneben bietet es sich an, dem Zulieferer Anreize, wie Bonus-Regelungen oder eine Ausweitung der Geschäftsbeziehung/Vertragsverlängerungsoption bei Erreichung gewisser Nachhaltigkeitsziele anzubieten oder die Beteiligung an Nachhaltigkeitsinvestitionen. All die genannten Eckpunkte sind eigentlich Standardthemen der Beschaffung und der damit in Verbindung stehenden Supply Chain, sprich der Lieferkette. Die Gesetzesinitiative wird hoffentlich eine höhere Wachsamkeit und Sensibilität zur stringenten Durchsetzung dieser Anforderungen in den Unternehmen zur Folge haben.

Die Gewährleistung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben wird nicht ohne grundlegende Strukturen, Prozesse und die dazugehörige Governance erfolgreich sein. Die einzelnen Prozessschritte der Supply Chain z. B. in Verbindung mit den Beschaffungsrichtlinien können dabei als grundlegende Orientierung dienen. Die Prozesse, nicht zu klein und nicht zu groß zu gliedern, ist eine Fähigkeit, über welche vor allem Experten in den Unternehmen in ausreichendem Maße verfügen. Mit dem richtigen Augenmaß für die angemessene Prozessdefinition können die identifizierten Risiken zum richtigen Zeitpunkt einer kontinuierlichen Kontrolle unterzogen werden. Selbstverständlich ist es notwendig, die Mitarbeiter zu schulen und die Kompetenzen im eigenen Unternehmen weiter zu entwickeln. Alle Aspekte, die in der operativen Arbeit in Zusammenhang mit möglichen oder bestehenden Menschenrechtsverletzungen auftauchen können, müssen präzise und eingehend beleuchtet werden. Mit diesen Schulungen muss gewährleistet werden, dass die Mitarbeiter ausreichend Sicherheit im Umgang mit den relevanten Themen erhalten. Die Aufgabenstellungen zur Einhaltung des Gesetzes müssen die unbedingte Aufmerksamkeit der obersten Unternehmensführung erfahren. Keinesfalls dürfen sie als Randthema in der Flut von Informationen untergehen. 

Um die Ressourcen sinnvoll einzusetzen, sind Überprüfungen immer mit dem richtigen Augenmaß durchzuführen. Zur Erreichung dieses Ziels muss die jeweilige Eintrittswahrscheinlichkeit des spezifischen Risikos ermittelt werden. Die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen sollte anhand von konkreten Zielen überprüfbar sein. Es ist also ratsam, ein Ziel- und Kennzahlensystem auf Grundlage der Prozesse festzulegen und dieses entsprechend zu reporten. Der Gesetzentwurf fordert weiterhin, dass Unternehmen bei einem festgestellten Risiko unverzüglich angemessene Präventivmaßnahmen gegenüber einem Zulieferer zu verankern haben. Verantwortliche sollten also besonderes Augenmerk auf die Reaktionszeiten legen!

Auf welche bewährten Practices können die Unternehmen darüber hinaus aufbauen? Der Schlüssel für eine effiziente und den vereinbarten Erwartungen bzgl. Menschenrechten orientierter Umsetzung der Gesetzesanforderungen liegt in der sorgfältige Lieferantenauswahl und Lieferantenbewertung. In jedem Unternehmen sind dazu bewährte Vorgehensweisen etabliert. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen sollte der Lieferant verpflichtet werden, den vereinbarten Lieferantenkodex ebenso unter seinen Lieferanten einzuhalten und sich dazu vertraglich zu verpflichten. Ähnlich wie eine Risikobeurteilung in der Versicherungswirtschaft auf dem Weg zu einem Vertrag für den Kunden (dem sogenannten Underwriting) können die zu beurteilenden Fragestellungen in die Vertragsverhandlungen oder im Vorfeld in die Ausschreibungsverfahren (Proposel) integriert werden. Eine spezifische Erstellung eines Risikoprofils ist damit möglich. Die proaktive Steuerung des Risikos durch die Verantwortlichen im Unternehmen kann mit dieser Vorgehensweise auf einer strukturierten Basis vorgenommen werden.

In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass bislang „Weitergabeklauseln“[3] nach deutschem AGB-Recht kritisch gesehen wurden. Der Grund für diese kritische Beurteilung lag in der Auffassung, dass die Dispositionsfreiheit des Lieferanten einschränkten werden könne. Vor diesem Hintergrund wurden in der Vergangenheit „Bemühensklauseln“ als zulässig angesehen. Durch das Lieferkettengesetz ändern sich diese Auslegungen. Es ist mit einem erhöhten Bearbeitungsbedarf von entsprechenden Vorschriften in Supplier Code of Conducts zu rechnen.

Das Lieferanten-Monitoring muss mit regelmäßigen Audits bei Lieferanten durchgeführt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass eine präzise Festlegung erfolgt, welche Arten von Überprüfungen stattfinden sollen (Selbstauskunft, Eigenauditierung, Fremdauditierung, Auditierung mit Zertifizierung). Im Vorfeld der Überprüfung muss ein Fragenkatalog erarbeitet werden, der beinhaltet, in welchem Zeitraum die Kontrollen stattfinden sollen, wie der Prozess unternehmensintern überprüft und revisionssicher ausgestaltet werden soll. 

Der Gesetzentwurf fordert weiterhin, dass Unternehmen unverzüglich Abhilfemaßnahmen zu treffen haben, um unmittelbar bevorstehende oder eingetretene Verletzungen der Gesetzesanforderungen zu verhindern, zu beenden oder zu minimieren. Im eigenen Geschäftsbereich müssen Abhilfemaßnahme getroffen werden, die zur Beendigung der Verletzung führen. Bei (drohenden) Verletzungen im Geschäftsbereich des unmittelbaren (bei Hinweisen auch mittelbaren) Zulieferers, muss das jeweilige Unternehmen –, sollte es nicht selbst dazu in der Lage sein, die Verletzung zu beenden, unverzüglich zusammen mit dem Zulieferer einen Korrekturmaßnahme-(Zeit)Plan entwickeln und diesen umsetzen. Der zu entwickelnde Maßnahmenplan muss verbindliche Eskalationsstufen enthalten. Die notwendigen Maßnahmen können bis zur zeitweisen Unterbrechung der Lieferantenbeziehungen führen. Im Rahmen der Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen stellt das geforderte Ausmaß von Reaktion der verantwortlichen Unternehmen eine Neuerung dar.

Eine weitere Besonderheit ist die Ausprägung des Beschwerdeverfahrens. Das Beschwerdeverfahren muss zukünftig über den unmittelbaren Zulieferer hinaus für die genannten Personen innerhalb der gesamten Lieferkette zugänglich sein. Folgende Anforderungen der Beschwerdemechanismus sind zu erfüllen: Die Verfahrensweise muss schriftlich festgelegt werden, insbesondere: Wer sind die Zielgruppen? Was passiert bei einem Hinweis? Welche Verfahrensschritte folgen? Wie ist der Zeitablauf?

Es muss gewährleistet werden, dass Nutzer des Beschwerdeverfahrens keine Nachteile durch Inanspruchnahme zu befürchten haben! Vertraulichkeit und Datenschutz sind zu gewährleisten! Die von dem Unternehmen mit der Durchführung des Verfahrens betrauten Personen müssen Gewähr für unparteiisches Handeln bieten. Unternehmen müssen darüber hinaus einen ungehinderten Zugang zum Beschwerdeverfahren gewährleisten. Bei der Zugänglichmachung ist ein Zusammenspiel verschiedener Beschwerdewege (je nach Zielgruppe) zu empfehlen. Zu denken ist z. B. an die Einrichtung von Hotlines/E-Mailadressen/Webseiten, Beschwerdeformulare, Aufdrucke auf Produkten, (interne/externe) Kontaktpersonen. Dort, wo Risiken erkannt wurden, muss von Seiten der Verantwortlichen besondere Achtsamkeit daraufgelegt werden, dass Zugangsbarrieren des Beschwerdeverfahrens (bspw. Sprache, Furcht vor Konsequenzen) so gering wie möglich sind.

Der beschriebene Beschwerdemechanismus verfolgt das Ziel, eine erhöhte Aufmerksamkeit und einen konkreten Prozess im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen zu schaffen. Der Beschwerdemechanismus muss schriftlich festgelegt, die Implementierung nachverfolgt und der Beschwerdemechanismus veröffentlicht werden. Potenzielle Betroffene und Personen, die Kenntnis von möglichen Verletzungen haben, müssen dazu in die Lage versetzt werden, auf das System zuzugreifen und Hinweise einzureichen. Verbunden mit diesem zu etablierenden Beschwerdeverfahren sind entsprechende Dokumentations- und Berichtspflichten. Die Erfüllung der menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten ist zu dokumentieren. Hierüber ist zudem jährlich ein Bericht zu erstellen und zu veröffentlichen. Dieser Bericht ist bei der zuständigen Behörde einzureichen (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle).

Die Anforderungen werden mit Sicherheit zu einem höheren Personal- und Kostenaufwand bei den Unternehmen führen. Diese Tatsache ist unbenommen. Umso wichtiger ist natürlich, dass das Gesetz den Test in der Praxis besteht und schlussendlich seinen Zweck erfüllt.

Um die Gesetzeskonformität und die Compliance nachzuweisen, werden im Gesetzentwurf detaillierte Dokumentations- und Berichtspflichten gefordert. So muss das Unternehmen die Erfüllung der Sorgfaltspflichten fortlaufend dokumentieren und einmal im Jahr darüber berichten. Die Frist für die Aufbewahrung der Dokumentation beträgt mindestens 7 Jahre. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist, dass die Unternehmen den Bericht auf Ihrer Webseite kostenfrei der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen müssen. Der öffentliche Zugriff muss für 7 Jahre gewährleistet werden.

Darüber hinaus sind die Unternehmen aufgefordert, eine sog. Grundsatzerklärung zu ihrer spezifischen Menschenrechtsstrategie zu verabschieden. Diese Grundsatzerklärung hat das Verfahren zur Einhaltung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, die konkreten Risiken und die menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens an seine Beschäftigten und Zulieferer zu enthalten.  Schließen wir mit diesen Kernanforderungen den Blick auf die die wesentlichen Inhalte des Gesetzes ab. 

Betroffene Unternehmen sollten proaktiv starten

Zusammenfassend ist den Unternehmen zu empfehlen, die Governance- und Compliance-Richtlinien anzupassen und regelmäßig zu aktualisieren. Wie weiter oben bereits erwähnt, müssen menschenrechtliche und umweltbezogene Themen in bisherige Prozesse mit Fokus Geschäftspartnerprüfung ergänzt bzw. integriert werden. Die geforderte Entwicklung bzw.  Aktualisierung der Grundsatzerklärung, der darauf aufbauenden Verhaltenskodex für Lieferanten, erstellen sich nicht im Schnelldurchlauf. In einem iterativen Verfahren sollte ein gewisser Teil der Stakeholder am Entwicklungsprozess mit beteiligt werden. Die erstellten Dokumente müssen regelmäßig aktualisiert und auf ihre Praxistauglichkeit hin geprüft werden. Es ist ratsam, einen spezifischen Qualitätsmanagement-Prozess zu integrieren. Ein verantwortlicher und in Compliance-Dingen erfahrener Mitarbeiter sollte diese Rolle ausfüllen.

Im Vergleich zum Whistleblowing-System (siehe Whistleblowing-RL/Hinweisgeberschutz)[4] existieren Unterschiede, welche den Verantwortlichen bewusst sein sollten. Das Beschwerdeverfahren nach dem Lieferkettengesetz ist insoweit weitreichender, da es auch für Personen außerhalb des eigenen Unternehmens zugänglich sein muss. Infolgedessen wird der Kommunikations- und Steuerungsaufwand erhöht. Das Whistleblowing-System nach dem Hinweisgeberschutzgesetz ist im inhaltlichen Anwendungsbereich weiter gefasst (Meldungen müssen ebenso bei Verstößen gegen das Unionsrecht erfolgen). Das Hinweisgeberschutzgesetz trifft noch konkretere Vorgaben dazu, wie das Hinweisgebersystem auszugestalten ist. Es ist sinnvoll, Maßnahmen, die nach beiden Gesetzen notwendig werden, miteinander zu verbinden. Die bestehenden technischen Lösungen sollten auf eine mögliche Erweiterbarkeit hin geprüft werden. Ist eine Verknüpfung nicht in jedem Falle möglich, so müssen sich Unternehmen nach geeigneten technischen Lösungen umsehen, die eine durchgehende Prozess- und Informationsnachverfolgung gewährleisten. 

Kritische Anmerkungen im Gesetzgebungsverfahren

Nach Vorlage des Referentenentwurfs konnten Verbände und Organisationen unterschiedlicher Interessengruppen und Industrie- und Dienstleistungszweige die Möglichkeit nutzen, ihre Einschätzungen abzugeben sowie Verbesserungs- und Änderungsvorschläge einzubringen[5]. Wie man sich vorstellen kann, war die Spannbreite der Stellungnahmen von ziemlich kritischen Tönen bis zu einem positiven Echo mit wohlwollenden Erweiterungen bekanntermaßen weit. Die subjektiven Interessen der Akteure können natürlich nicht verborgen bleiben. Der kleinste gemeinsame Nenner ist noch, dass es ja grundsätzlich richtig ist, gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Bei der Frage, wie man das tun soll, liegen die Interessengruppen in der Vorstellungswelt weit auseinander.

So meinte der BDI, dass das Fehlen „so vieler essenzieller Punkte im Referentenentwurf enttäuschend“[6] sei. Es werde kaum berücksichtigt, dass bereits auf existierende Prozesse, Verfahren und Brancheninitiativen zurückgegriffen werden könne. Weiterhin wird kritisiert, dass eine sogenannte „Sunset-Klausel“ zur Anwendung einer möglichen europäischen Regelung bei gleichzeitigem Wegfall der nationalen Regelung fehle. Die Übergangsfrist sei vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es bis zum geplanten Inkrafttreten am 1. Januar 2023 nicht einmal mehr zwei Jahre sind, aus Sicht des BDI viel zu kurz bemessen. Gemeinhin ist von dieser Seite zu vernehmen, dass die Wirtschaft in der Vergangenheit bereits so viel Gutes getan habe. Von diesem Gesetz könne man berechtigterweise gar so enttäuscht sein. Viele der Wirtschaftslobbyisten vertreten die Position, dass die Selbstverpflichtungen der deutschen Wirtschaft hinreichend seien. Darüber hinaus bedürfe es keines regulativen Rahmens.

Mit dieser Einstellung werden sich jedoch, ähnlich wie bei den notwendigen Veränderungen in puncto Klimakatastrophe, die Dinge nicht zum Besseren wenden. Die Argumentation von vielen Teilen der Wirtschaft ist all zu bekannt. Die Bundesregierung solle nach Maßnahmen jenseits eines Sorgfaltspflichtengesetzes Ausschau halten. Gern wird auf Allgemeinplätze abgehoben. So betont die BDI-Stellungnahme, dass die Fokussierung auf das unternehmerische Lieferkettenmanagement zu kurz greife. Nach Ansicht des BDI brauche es das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und weiteren Akteuren der Zivilgesellschaft, sowohl in Deutschland als auch vor Ort, um kooperative Lösungen zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten zu finden. Nun macht der Staat einmal etwas, setzt einen Rahmen, geht über bloße Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden hinaus, so ist es auch wieder nicht recht. Mit seiner Auffassung ist der BDI jedoch nicht allein.

So merkte weiterhin der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie (textil+mode)[7] in seiner Stellungnahme an, dass „die Einführung eines rein nationalen Lieferkettengesetzes“ der falsche Weg sei, „um eine echte und spürbare Verbesserung der Menschenrechtslage in den internationalen Lieferketten zu erreichen“. Der Verband sieht eine Belastung von deutschen Unternehmen als ein Hauptproblem und behauptet, dass gerade diejenigen Betriebe belastet werden, die für hohe Umwelt- und Sozialstandards stehen. Viele Unternehmen würden sich bereits intensiv freiwillig engagieren und damit zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation der Menschen in den Produktionsländern beitragen. In Anbetracht der pandemiebedingten Wirtschaftslage komme das Gesetz aus Sicht des Verbandes zur Unzeit. Auf welchen Fakten diese Behauptungen resultieren, erschließt sich aus dem Papier ebenso wenig, wie die Korrelation zur Pandemie. Das Gesetz solle ja schließlich erst im Jahr 2023 für einen Teil der Unternehmen, wie oben erwähnt, in Kraft treten. Außerdem ist die Frage nach der „richtigen Zeit“ immer eine salomonische, die niemand mit Bestimmtheit beantworten kann. 

Ein wirklich kritikwürdiger Punkt ist, dass eine Vielzahl der zur Stellungnahme aufgeforderten Verbände und Institutionen das terminliche Vorgehen kritisieren. So soll das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 01.03.2021 den innerhalb der Bundesregierung noch in Abstimmung befindlichen Entwurf des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (SorgfPflG-E) vorgelegt und am selbigen Tag um eine Stellungnahme der Verbände und Organisationen bis 19.00 Uhr gebeten haben. Sollte es in der Tat so gewesen sein, so ist dieser Umstand völlig unverständlich und lässt kein Vertrauen in das Verfahren aufkommen. In diesem Punkt sollte der Gesetzgeber mehr Energie in vertrauensbildende Maßnahmen investieren. Ein Punkt im Nachgang wäre es z. B. klarzustellen, warum diese kurze Frist nötig war und den weiteren Prozess der Bearbeitung der kritischen Anmerkungen aufzuzeigen. Nun jedoch weiter zu den Inhalten und den daraus resultierenden Auswirkungen für die Unternehmen.

Die Bitkom[8] ist überzeugt, dass eine Umsetzung von Sorgfaltspflichten durch digitale Werkzeuge erleichtert oder sogar erst ermöglicht werden kann. Die Bundesregierung und die zuständige Behörde sollten daher den Unternehmen über die in § 21 vorgesehenen branchenübergreifenden Handreichungen insbesondere Möglichkeiten zum Einsatz digitaler Technologien aufzeigen, um den neuen gesetzlichen Sorgfaltspflichten effizient nachkommen zu können. Sowohl bei der Erarbeitung der branchenübergreifenden als auch bei den geplanten branchenspezifischen Handreichungen sollten die Betroffenen beteiligt werden. Dies ermögliche, „bereits bestehende Standards und Initiativen zu berücksichtigen und branchenweit akzeptierte Eckpunkte zu vereinbaren, mit denen eine breite Implementierung mit dem Ziel des geringstmöglichen Aufwands für die Unternehmen erreicht werden könne.“ In diesem Falle ist der Staat gefordert nachzuweisen, dass er beim Aufbau von digitaler Kompetenz lernfähig ist. 

Transparency International Deutschland e.V.[9] hebt hervor, dass der Entwurf nachgebessert werden müsse. „Vor allem erfülle er im Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung die Mindestanforderungen nicht.” Es wird kritisiert, dass im vorliegenden Entwurf nur ungenügend auf die Verhinderung von Korruption durch geeignete Antikorruptionsmaßnahmen hingewirkt werde. Transparency Deutschland betont weiterhin, dass „Menschenrechts-, Umwelt- und Korruptionsrisiken“ in ein Gesetz auf nationaler und auf EU-Ebene eingeschlossen werden müssten (ebenda). Es wird im Statement darauf verweisen, dass „Korruption und Bestechung allzu häufig in engem Zusammenhang mit Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen“, stehen würden. Die Korruption wird als ein „Querschnittsthema“ angesehen, welches in einem Lieferkettengesetz fest verankert werden müsse. Als Basis wird neben den Initiativen der Bundesregierung und auf europäischer Ebene auf den Berliner CSR-Konsens zur Unternehmensverantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten von 2018 verwiesen. Transparency International Deutschland e.V. tritt für eine Erweiterung des zu verpflichtenden Unternehmenskreises ein. Weiterhin wird die Forderung erhoben, dass die „im Entwurf vorgesehene Einschränkung auf Unternehmen ab 3000 Mitarbeiter*innen in Deutschland ab dem Januar 2023; für Unternehmen ab 1000 Mitarbeiter*innen ab Januar 2024“, nicht den Endpunkt des Anwendungsbereiches darstellen sollte, sondern dass eine Erweiterung auch auf kleinere Unternehmen perspektivisch realisiert werden sollte. In diesem Zusammenhang wird der tragfähige Begriff sogenannter Prozessstandards, die in unterschiedlichen Sektoren anzuwenden sind, eingebracht. Ergänzend sei vom Autor hinzugefügt: Bestünden diese Prozessstandards in einem Kontroll- und Steuerungsmechanismus sowohl prozessual, als auch technisch, so würde der Aufwand von vornherein reduziert. Die abzufragenden und zu interpretierenden Fakten werden in einem Regelbetrieb standardisiert erhoben. So würde jeder Lieferant im Rahmen des Lieferantenmanagements wissen, was von ihm erwartet wird. Es würde Klarheit darüber bestehen, welcher Vergehen zu einem Entzug des Auftrages führen würden. 

Der Erklärung des ZVEI[10] ist ebenso überwiegend Ablehnung gegenüber dem Gesetz zu entnehmen. So wird ausgeführt: „Der Schutz der Menschenrechte kann nur durch gemeinsames Handeln von Staat, Gesellschaft und Unternehmen erreicht werden. Hierzu bedarf es klarer internationaler, mindestens aber europäischer Vorgaben und die Unterstützungsleistung an die Unternehmen in Form einer “Human-Rights-Negativ-List”, die alle europäischen Unternehmen in bereits bestehende, gesetzlich verpflichtende Sanktionsüberwachungs-Tools integrieren können.“

Konstruktive Vorschläge und kritische Anmerkungen werden hingegen vom TÜV[11] eingebracht: Es wird hervorgehoben, dass die Berichtspflichten und die Unterstützung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Unternehmen (laut § 10 SorgfPflG-E) nicht nur die Verpflichtung beinhalten sollten, einen Bericht zu veröffentlichen, in dem sie ihre Strategie, Maßnahmen und Umsetzungsmechanismen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht offen, nachvollziehbar und transparent darlegen. Aus Sicht des TÜV sollte eine Verifizierung der Berichte nicht nur mit Hilfe von „Datenströmen” betrachten werden, sondern auch physische Prüfungen (vor Ort) einschließen. Unabhängige Prüforganisationen könnten das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle aufgrund ihrer internationalen Präsenz und Infrastruktur bei der Prüfung der Berichte entscheidend unterstützen – insbesondere durch vor-Ort-Kontrollen. Dieses Vorgehen würde staatsentlastend wirken und behördliche Ressourcen sparen. Sieht der TÜV vielleicht Auftragspotenzial?

In der gemeinsamen Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und des Kommissariats der deutschen Bischöfe[12] wird Grundsätzliches ins Bewusstsein gehoben. In der Stellungnahme wird klargestellt, dass „die Einhaltung von Sorgfaltspflichten entlang der internationalen Lieferketten grundsätzlich allen Unternehmen obliegt“. Nach Auffassung der Kirchen solle eine Unterscheidung nach Größe des Unternehmens „nicht bereits im Geltungsbereich des Gesetzes vorgesehen werden, sondern erst bei der Ausgestaltung der Umsetzung der Sorgfaltspflichten und bei den Regelungen zur Haftung Berücksichtigung finden“. Weiterhin wird herausgehoben: „Auch die Einschränkung des Geltungsbereichs auf Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben, sehen die Kirchen kritisch.“ Vorschriften zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in der globalen Wertschöpfungs- und Lieferkette sollten für alle Unternehmen verbindlich sein, die eine Niederlassung im Inland haben oder/und ihre Geschäfte im Inland tätigen. Die hierfür erforderlichen unionsrechtlichen Voraussetzungen sind schnellstmöglich zu schaffen. Die Vertreter der Kirchen heben hervor, dass die der Risikobeschreibung zugrundeliegenden Verbote der Gesetzesbegründung „dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen sowie der Gewährleistung einer für sie ausreichenden Nahrung, Wasser- und Sanitärversorgung“, dienen. Es wird jedoch kritisch hervorgehoben, dass „die vorgeschlagene Formulierung [nicht] die Komplexität biosystemarer Zusammenhänge hinreichend in den Blick nehme“. Der Schutz der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden sollte daher insbesondere um den Schutz des – mindestens regional zu bestimmenden – Ökosystems (insbesondere mit Blick auf die Biodiversität) erweitert werden. Auch sollte darüber nachgedacht werden, den Schutz des Klimas (bzw. die Einhaltung von Klimaschutzstandards) einzubeziehen. Aus Sicht der Kirchen führen Veränderungen an diesen Schutzgütern ebenso dazu, dass Menschen gesundheitlich geschädigt werden können und ihre Versorgung mit Nahrung, Wasser und Sanitäranlagen gefährdet werden kann. Darüber hinaus sind die Schutzgüter Luft, Wasser, Boden, Ökosystem und Klima als natürliche Lebensgrundlagen per se zu schützen. Diese seien nicht nur in einem direkten Zusammenhang mit dem Erhalt und der Produktion von Nahrung und einer diesbezüglich „erheblichen“ Beeinträchtigung zu betrachten und in Folge dessen schutzbedürftig. Diese Einschränkungen des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen auf bestimmte Funktionen sollten gestrichen werden. Die Kopplung der Zwangsräumung und des Entzugs von Land, Wäldern und Gewässern an die „Widerrechtlichkeit“ werfe zumindest die Frage auf, ob diese sich allein nach den in dem betreffenden Land geltenden Vorschriften richten oder hier ein objektivierender Maßstab (bspw. in Anlehnung an den völkerrechtlichen Enteignungsbegriff) anzulegen sei. In jedem Fall gelte auch bei dieser Regelung, dass das Verbot der Zwangsräumung und des Entzugs von Land, Wäldern und Gewässern als Anknüpfungspunkt eines menschenrechtlichen Risikos nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass „deren Nutzung die Lebensgrundlage einer Person sichert“. Die Eigentumsrechte der von solchen Maßnahmen betroffenen Menschen gehen aus Sicht der Kirchen potenziell sehr viel weiter, so dass ihre drohende Verletzung ebenfalls als menschenrechtliches Risiko qualifiziert werden sollte. Das gilt vor allem auch für Menschen, die indigenen Völkern zugehörig sind. Die Aufnahme von Verstößen gegen die in dieser Vorschrift genannten Abkommen – das Übereinkommen von Minamata über Quecksilber und das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe – begrüßen die Kirchen. Jedoch fehlt aus ihrer Sicht die Einbeziehung weiterer umweltvölkerrechtlicher Abkommen, die als Bezugspunkt für Verbote oder Gebote in Frage kommen könnten. Genannt wird etwa das Pariser Abkommen und die von den Staaten hierzu eingereichten NDCs, die Biodiversitätskonvention mit den Aichi-Zielen oder das Nagoya-Protokoll. Auch drohende Verstöße gegen die in diesen Abkommen enthaltenen Ver- oder Gebote könnten als Verstöße gegen umweltbezogene Pflichten in das SorgfaltspflichtenG-E aufgenommen werden.

Die beiden Kirchen begrüßen, dass mit § 11 SorgfaltspflichtG-E das Institut der besonderen Prozessstandschaft eingeführt wird, mit dem die gerichtliche Geltendmachung der Rechte Betroffener gestärkt werde. Problematisch erscheine jedoch die in § 11 Abs. 2 SorgfaltspflichtG-E vorgenommene Beschränkung auf solche inländischen Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen, die „eine auf Dauer angelegte eigene Präsenz“ unterhalten. Gerade soweit jedoch die Menschenrechtslage in bestimmten Ländern zivilgesellschaftliches Handeln einschränkt bzw. eine Präsenz unmöglich mache, wären die in Abs.1 genannten Akteure von der Prozessstandschaft ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund bitten die Kirchen zu überlegen, ob eine Anpassung des Gesetzestextes, der diesem Umstand des „shrinking space“ Rechnung trägt, möglich ist. Die beiden Kirchen geben zu bedenken, dass sowohl in finanzieller als auch in personeller Hinsicht ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen, damit das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die durch das SorgfaltspflichtG-E neu hinzukommenden Aufgaben erfüllen kann. Mittelfristig sollte darauf hingewirkt werden, dass eine spezialisierte Einheit eingerichtet wird. Soweit bespielhaft der Blick auf einige kritische und über den eigentlichen Entwurf des Gesetzes hinausgehende Anmerkungen, die auch aus Sicht des Autors besondere Beachtung finden sollten.

Fazit und Ausblick

Lassen sie uns den Blick abschließend etwas erweitern. Kann die Zielstellung des Gesetzes, die internationale Menschenrechtslage durch eine verantwortungsvolle Gestaltung der Lieferketten in Deutschland ansässiger Unternehmen zu verbessern, erreicht werden? 

Vergegenwärtigen wir uns, dass die Marktwirtschaft gut funktionierte, wenn sie sich an den Bedürfnissen der Menschen (siehe New Deal in den USA, Soziale Marktwirtschaft in Deutschland) orientierte. Ebenso richtig ist, dass nicht jedes materielle Bedürfnis des Menschen, auf die gleiche Art und Weise gerechtfertigt ist. Die Marktlogik funktioniert jedoch von Seiten des Endverbrauchers. Was er will, was er begehrt oder „was man ihn begehren lässt“, ist im Sinne des Kapitalismus auch richtig. Die Bedürfnisbefriedigung als unumstößlicher Antrieb für die Kräfte des Kapitalismus steht im vermeintlichen Vordergrund. Die Prämissen müssen sich zukünftig jedoch ändern. In einem neuen Zeitalter, nennen wir es das „ökologische Zeitalter“, ist die Frage entscheidend, unter welchen spezifischen Umständen sich die Bedürfnisse der Menschen ändern und welchen Einfluss diese Änderungen auf das Wirtschaften haben. Werden Menschen an andere denken, wenn sie selbst keine gesunde Luft zum Atmen mehr haben, wenn sie sehen, wie die Vegetation abstirbt und wenn sie selbst erleben müssen, dass ihr Leben keine menschenwürdige Perspektive bietet? Wo liegen erschließbare Motive, um die Marktwirtschaft für die Ziele der Verbesserung von Menschenrechten und Umweltschutz mit Entschlossenheit eintreten zu lassen? Wie können wir mit einer Motivations-änderung, globale Missstände zum Guten hin ändern? 

Um die genannten Fragen zu beantworten, muss die Bedürfniskette anders priorisiert werden. Die sogenannte End-to-end-Beziehung (ein Begriff aus dem Service Management) muss intensiver betrachtet werden. Bereits Emile Durkheim erkannte, dass die einseitige Sicht der Ökonomen auf die rein ökonomischen Aspekte, Defizite der Betrachtung der Motive, der grundlegenden Interessen von Menschen nach sich zieht. Begründungen für wirtschaftliches Handeln müssen im sozialen Bereich und in den sozialen Interaktionen gesucht werden. Ein rein ökonomisches Denken ist dafür nicht ausreichend. So führt Durkheim aus: 

„Man sieht also, inwieweit uns die Arbeitsteilung in einem anderen Licht erscheint als den Ökonomen. Für sie besteht sie wesentlich in einer Steigerung der Produktivität. Für uns ist diese größere Produktivität nur eine notwendige Folge, eine Fernwirkung des Phänomens. Wenn wir uns spezialisieren, dann nicht, um mehr zu produzieren, sondern unter den neue Existenzbedingungen leben zu können, die uns entgegentreten.“[13]

In diesem Sinne ist die Marktwirtschaft ein Mittel zum Zweck und nicht der Zweck selbst. Die Wirtschaft ist ein Diener einer globalen Gesellschaft. Das grundlegende Bedürfnis nach einem akzeptablen, menschengerechten Leben in Gesundheit, Frieden und körperlicher Unversehrtheit ist die zentrale Basis für ein erfülltes und gelingendes Leben. Um den Marx-Gedanken zu bemühen, müssten in diesem Kontext die Dinge vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die Suche und das Bestreben des Menschen nach einem Leben in akzeptablen materiellen und geistigen Verhältnissen, treibt die Arbeitsteilung, das Streben nach Innovation, nach neuen Technologien zur Lösung von Problemen voran. Im Produktionszeitalter wurde diese Tatsache vom Streben nach Profit und Kapitalakkumulation überlagert. In Zukunft heißt es umdenken und die berechtigten Interessen von Menschen um den Globus in das eigene Denken und Fühlen direkt einfließen lassen. Ansonsten droht die Gefahr, dass der Raubbau an den Ressourcen zur weiteren Unbewohnbarkeit ganzer Teile unseres Planeten und in der Konsequenz zur Verelendung von Regionen führen wird. Als Folge dieser Entwicklungen wird der Druck zur Migration und Völkerwanderung mit entsprechenden sozialen Zerwürfnissen in den angesteuerten Ländern erhöht. Eine ganze Kette von katastrophalen Szenarien steht also mit einem permanenten Nichthandeln und Unterlassen in Verbindung. Einige von diesen schmerzlichen und schwer steuerbaren Konsequenzen haben wir in den zurückliegenden drei Jahrzehnten bereits zu spüren bekommen. Es gibt also in der Tat keine Alternative zu gesetzlichen Regelungen, um in diese fatale Entwicklung einzugreifen. Nur ein gezügelter, ein den Menschen dienender Kapitalismus kann eine akzeptable Wirtschaftsordnung sein. Wie eingangs erläutert, ist die Politik einen Schritt vorangegangen, da die Bemühungen der Wirtschaft in Form einer Selbstverpflichtung als nicht ausreichend erachtet wurden. 

Wie kann dem Gesetz zum Erfolg verholfen werden? Der Vorwurf an die Politik, Deutschlands Unternehmen und Verbraucher könnten Schaden nehmen, da die Wettbewerbsfähigkeit leiden würde, muss belegbar entkräftet werden. In einer möglichen Pilotphase sollte die Belastung für die Unternehmen in puncto Ressourcen und Kostenintensität, sowie den Grad der Zielerreichung des Gesetzes gemessen werden. Nach in Kraft treten des Gesetzes müssten die politischen und wirtschaftlich Verantwortlichen sowie Vertreter auf der Seite der Betroffenen sich einzelne Fälle herausgreifen und unternehmerische Aspekte (Zusatzkosten, Ressourcenbindung, Bürokratieaufbau, Zeitverluste) dem Nutzen durch spezifische Formen der Interaktionen (Abmahnungen, Pönalen, Einbeziehung von behördlichen Instanzen und technischen oder gewerblichen Aufsichtsämtern (so in den jeweiligen Ländern vorhanden) gegenüberstellen.

Veränderungen bedingen Lernprozesse. Wer sich von diesem Gesetz etwas verspricht, sollte dies bedenken. Um einen Lernprozess erfolgreich zu gestalten, müssen abstrakte Vorstellungen vom Ziel greifbar präzisiert und in gewisser Weise sinnlich erfahrbar werden. Die Kritik der Unternehmen ist vor diesem Hintergrund ernst zu nehmen. Die Unternehmen dürfen sich mit der Umsetzung des Gesetzes nicht allein gelassen fühlen. Mit Blick auf den Wirecard-Skandal sollte sich der Staat mit dem notwendigen qualifizierten Ressourcenaufbau beim Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (als Kontrollinstanz) beschäftigen. Das Vertrauen in den Staat und seine Kompetenzen, die Dinge wirklich mit den richtigen und adäquaten Ressourcen anzupacken, muss wiedererlangt werden. In vielen Bereichen schwindet die Zuversicht in die Handlungsstärke des Staates. Anderseits müssen Menschen eine Zukunft wollen, in welcher wir global mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Das Bestreben zu einem ökologischen, sozial gerechten und nachhaltigen Wirtschaften muss als lohnend und sinnvoll für den überwiegenden Teil der Bevölkerung angesehen werden.  Viele Menschen haben Vertrauen in die liberalen, westlichen Demokratien und erwarten zurecht, die Umsetzung von gemeinschaftlichen Werten und die Vorbildwirkung für die Welt. Die Einhaltung von Gesetzen muss mit bestem Wissen und Gewissen gewährleistet werden. Für die Erreichung dieses Ziels müssen moderne technische Mittel ebenso zur Verfügung stehen wie integres, qualifiziertes Personal. Unprofessionelles Gesetzesmanagement könnte genauso verheerende Folgen haben, wie eine laxe Umsetzung. So verweist auch die Bitkom in ihrer Stellungnahme abschließend darauf hin, dass der Staat mit den betroffenen Unternehmen zusammenarbeiten, die digitalen Hilfsmittel konzipieren und die Implementierung in Kooperation erfolgen müsse.

Positiv ist weiterhin die Aussicht auf eine europäische Regelung in absehbarer Zeit. Das vorliegende deutsche Sorgfaltspflichtengesetz soll an die europäische Regelung angepasst werden. Die Pflicht zur Aufmerksamkeit und zur Achtsamkeit, als eine obligatorische, gesetzliche Aufgabe, wird zukünftig umfassender und nachdrücklicher in die Hände der Unternehmensführung gelegt. Die Aufgabe an die Unternehmer, Vorstände und auch Lobby-Verbände ist, sich intensiver als früher der Frage zuzuwenden: Was können wir tun, dass sich die Dinge für Mensch und Umwelt in der Lieferkette verbessern? Kommen wir allem nach, was in unserer Macht stehen könnte oder sind wir abgestumpft gegenüber dem Leid von anderen Menschen? 

Es sollte uns gut zu Gesicht stehen, sensibel und mit realistischem Sachverstand, mit gesunder Skepsis auf das gängige Wirtschaftsmodell zu schauen. Eine zentrale Frage aus Sicht der westlichen Gesellschaften ist, ob die Früchte des gemeinsamen Wirtschaftens gerecht verteilt werden? Das vorliegende Gesetz könnte ein praktischer und konkreter Anstoß sein, über das eigene Handeln und Wirtschaften kritischer nachzudenken. Der Gesetzgeber gibt sich mit diesem „weichen“ Gesetz auf ein Neuland. Jeder der verantwortlich denkt oder Verantwortung trägt, ist gut beraten, sich damit auseinanderzusetzen. Es sollte jeden bewegen, wo und unter welchen Umständen unsere Produkte/Dienstleistungen hergestellt werden. Ökologische, menschenrechtliche Verstöße dürfen uns nicht kalt lassen. Es ist ein weiter Weg bis wir in einer globalen Welt nach den ressourcenschädigenden Exzessen des Industriezeitalters lernen, für den Anderen zu denken, sein Leben zu respektieren und in bestem Sinne achtsam zu sein. Wir sollten anderseits stolz sein, dass zumindest ein globales Bewusstsein dafür aufzukeimen scheint. Menschen denken mehr und mehr darüber nach, was an Vielfalt und Schönheit bereits verloren gegangen ist. Der Preis für alles Einseitige ist sehr hoch. Auch deshalb ist es wichtig, auf die gesamte Kette von Wertschöpfung zu schauen und dies zur Pflicht werden zu lassen. Wir sind jetzt in der Tat auf dem Weg in ein neues Zeitalter. Wie immer die Zeit nach einer rücksichtslosen Industrialisierung und Urbanisierung aussehen wird, diese Zeit wird anders sein. Um es mit einem Brecht Gedanken zu sagen:

„Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns

Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.“[14]


[1] https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/lieferkettengesetz; Abruf am 19.04.2021; 11:30 Uhr.

[2] Sorgfaltspflichtengesetz; Abruf auf der Seite des Ministeriums für Arbeit und Soziales Referentenentwurf vom 28.02.2021; Abruf am 21.04.2021.

https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/gesetz-unternehmerische-sorgfaltspflichten-lieferketten.html;jsessionid=410C955D8FAFEBA6CBBFF7C11D81E2E9.delivery2-replication

[3] Leitfaden zum Gesetzentwurf des Lieferkettengesetzes; Taylor Wessing 2021.

[4] Leitfaden zum Gesetzentwurf des Lieferkettengesetzes; Taylor Wessing 2021.

[5] Sorgfaltspflichtengesetz; Abruf auf der Seite des Ministeriums für Arbeit und Soziales Referentenentwurf vom 28.02.2021; Abruf am 21.04.2021.

https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/gesetz-unternehmerische-sorgfaltspflichten-lieferketten.html;jsessionid=410C955D8FAFEBA6CBBFF7C11D81E2E9.delivery2-replication

[6] Stellungnahme; Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Referentenentwurf Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (Fassung vom 28.02.2021, 15:50); Berlin 01. März 2021.

[7] Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie (textil+mode); „Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“; Berlin, 1. März 2021.

[8] Bitkom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien e.V.; Kurzstellungnahme; Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz) 01. März 2021.

[9] Transparency International Deutschland e.V.; Stellungnahme zum Referentenentwurf zum Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten; 01. März 2021.

[10] ZVEI International Trade & Future Markets; Stellungnahme Entwurf für ein „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ Auf Basis der Version des BMAS vom 28.02.2021; Berlin 01. März 2021.

[11] Stellungnahme TÜV-Verband – Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen   Sorgfaltspflichten in Lieferketten; Berlin 01. März 2021.

[12] Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – zum Referentenentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten; Berlin 01. März 2021.

[13] Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus (Deutsch) Gebundene Ausgabe – 4. Oktober 2018; Campus Verlag; Frankfurt/New York; S. 51.

[14] Bertolt Brecht Quelle: Wahrnehmung, (1949) Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe”. Band 15 Gedichte 5; 1993. S. 205.


Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten des Instituts für Sozialstrategie ist auch in Auszügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet.

Publikationen des IfS unterliegen einem Begutachtungsverfahren durch Fachkolleginnen- und kollegen und durch die Institutsleitung. Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorinnen und Autoren wieder.

Posted by Oliver Bülchmann