Rezension zu: Toni Andreß, Das post-kapitalistische Manifest, Wie wir unsere Wirtschafts- und Umweltkrisen lösen können, München: Oekom 2022

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ulrich Hemel, Director, Global Ethic Institute

Der Autor, Toni Andreß, geboren 1981, ist Wirtschaftsjurist mit zusätzlichen Kenntnissen aus der Gebäude- und Energietechnik. Er hat sich eine Mammutaufgabe vorgenommen, nämlich einen Lösungsvorschlag zu den aktuellen Wirtschafts- und Umweltkrisen.

Das stößt in unserer hochspezialisierten Zeit zunächst einmal auf Skepsis, weil grundsätzlich ja eine eher skeptische Haltung zu großen Entwürfen vorherrscht. Wir brauchen aber grundsätzliche Konzeptionen, weil wir uns sonst im Irrgarten der immer kleinteiligeren Spezialisierung verlieren.

Insofern verdient der Angang erst einmal hohe Anerkennung. Das Buch teilt sich in vier große Kapitel auf: Kapital, Umwelt, Arbeit, Markt. Solche Einteilungen lassen sich natürlich auch anders gestalten, aber der Aufbau der großen Kapitel ist einheitlich und stringent durchgeführt: Probleme, Lösungsansätze, Handlungsempfehlungen, Auswirkungen.

Grundsätzlich vertritt der Autor eine Art von ökoliberaler Haltung, bei der sich die inhaltliche Auseinandersetzung im Einzelnen durchaus lohnt. Schon der Titel „Das post-kapitalistische Manifest“ ist ja eine Einladung zur Kontroverse. Denn es zielt auf ein Framing, das unterstellt, das wir nun im Kapitalismus leben, zukünftig aber besser in einer post-kapitalistischen Gesellschaft. Zumindest für Deutschland, aber auch für die Sozialstaatsländer in Skandinavien, sehe ich eher ein Framing im Sinn eines Interessenausgleichs, wie er von der Sozialen Marktwirtschaft geprägt wurde, als einen reinen Marktkapitalismus. Und was eine post-kapitalistische Gesellschaft sein soll, wird bei der Lektüre mir jedenfalls nicht wirklich klar. Abgesehen davon gilt ja, dass bestimmte, sehr große Investitionen, nicht ohne erheblichen Kapitaleinsatz realisiert werden können. Käme hier die gesamte Finanzierung vom Staat, dann kämen wir in die Richtung eines staatskapitalistischen Gesellschaftsentwurfs, der politisch doch sehr anfällig wirkt. Ob der Titel mit dem Begriff des „post-kapitalistischen Manifests“ tatsächlich mehr als eine Sehnsucht zur Überwindung aktueller Missstände ausdrückt, sei dahingestellt. Dem Idealbild einer „sozialökologischen Marktwirtschaft“ hingegen (S.9) können sich viele Menschen vorbehaltlos anschließen.

Die einzelnen Kapitel sind hervorragend recherchiert. Im Kapitel „Kapital“ wird auf die generelle Verschuldungsproblematik von Staaten hingewiesen, natürlich auch auf die eklatante Vermögensungleichheit, bei der weltweit 1% der Bevölkerung über fast 50% des gesamten Vermögens verfügt. Die Lösungsansätze sind naturgemäß umstrittener. Der Autor ist Anhänger der Freiwirtschaftslehre und des Grundeinkommens. Dann ist folgende Aussage durchaus sympathisch, aber letztlich nicht tragfähig (Seite 46): „Die Logik, dass ein Kreditnehmer umso mehr zahlen muss, je ärmer er ist bzw. je geringer seine Bonität ist, ist absurd. Dieses grundlegende Prinzip des Kapitalismus ist nicht nur unmoralisch, sondern ist auch für eine optimale Geldversorgung von Staaten, Unternehmern und Verbrauchern kontraproduktiv.“

Von dieser Logik abgekoppelt funktioniert beispielsweise das Mikrofinanz-System. Auch beim Impact Investing und bestimmten ESG-Anlagen etwa im Bereich Bildung sind Erfahrungen bei der Entkopplung von Bonität und Kreditvergabe vorhanden. Als allgemeines Prinzip entspricht eine solche Herangehensweise, die Risiken weitgehend unabhängig von der Bonität des Kreditnehmers betrachtet, leider nicht tauglich, weil in einer Welt beschränkter finanzieller Ressourcen die „Reihenfolge“ der Kreditvergabe entweder zum Lotteriespiel wird oder aber der „Reihenfolge“ der verfügbaren Bonität folgt. Denn ein Ausfallrisiko von Null gibt es im Grunde nicht. Folglich müssen Risikokosten von irgendjemand bezahlt werden.

Einen besonderen Stellenwert im Buch hat das Kapitel über Umwelt. Hier findet der Leser oder die Leserin reichhaltige Fakten über Treibhausgase, Chlor und Brom, Stickstoff und Phosphat, Pestizide, Staub und Ruß, Ozon, Kunststoffe, Radionuklide und Antibiotika. Auch die Überfischung und Entwaldung wird kenntnisreich behandelt. Der Lösungsansatz beim FCKW-Verbot und beim CO²-Preis ist nicht neu, aber kenntnisreich dargestellt. Hervorzuheben ist die berechtigte Forderung nach einer Weltumweltbehörde (S.156) auf UN-Ebene.

Andererseits sind manche Zahlen schon wieder veraltet, so etwa zu den Emissionspreisen (S.148). Manchmal fehlen Belege, etwa wenn behauptet wird, CCS sei „wohl gefährlich“, ohne genauere Begründung (S.157). Dennoch ist gerade die Sammlung ermutigender Initiativen und Technologien, die nicht immer allgemein bekannt sind, durchaus ermutigend.

Beim Kapitel Arbeit ist hervorzuheben, dass der Autor die Problematik der Sklaverei nicht ausklammert. Er bringt hier zahlreiche Beispiele von Agrarsklaven bis zu Kindersoldaten, von Formen der in Sklaverei ausartenden Prostitution bis zu Minenarbeitern. Weltweit betrifft Sklaverei je nach Schätzung 25-50 Millionen Menschen.

Bei der Behandlung des Themas der Armut wird zu Recht zwischen absoluter und relativer Armut unterschieden. Als Patentrezept zur Lösung werden gute Erfahrungen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zitiert. Das Thema ist allerdings facettenreich und vielfältig. Ein Beispiel: Es ließe sich diskutieren, ob alle Menschen dieses Grundeinkommen erhalten sollten oder besonders jene, die beispielsweise eine Starthilfe für die eigene Bildungsbiographie brauchen. Dies wäre, ganz unabhängig von Hilfen für wirklich in Not geratene Menschen, auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
Das Kapitel über den „Markt“ behandelt Subventionen, Einfuhrkontingente, Schutzzölle, Einwanderungsbeschränken und Schattenfinanzplätze als Krisenphänomene. Ein sehr weitgehender Freihandel, eine sehr weitgehende Migrationsfreiheit weltweit und eine sehr weitgehende Abschaffung von Zöllen sind hier Ausdruck einer wünschenswerten Sozialutopie. Vorrang verdient aber die Beseitigung eklatanter Missstände wie dem Fehlen einer weltweiten Mindestbesteuerung sowie der nicht gestoppten Blüte von Schattenfinanzplätzen. Denn gerade die Korruption, zu messen am weltweiten Corruption Perception Index, ist eine der größten Gefahren für friedliches Zusammenleben und gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung.

Das Buch von Toni Andreß ist eine Einladung zum Dialog. In vielen Punkten ist die Argumentation schlüssig. Da in unseren nationalen und internationalen Gremien sehr handfeste Interessen eine große Rolle spielen, ist einer der Gründe für fehlende Umsetzung und massive Widerstände gegenüber Maßnahmen, die einen sehr weitgehenden Konsens finden und verdienen. Ich wünsche dem Buch viele Leserinnen und Leser, aber auch viele Folgediskussionen. Denn was im Einzelnen wirklich im Interesse der Menschheit liegt, das beurteilen wir Menschen hoch unterschiedlich und mit unterschiedlichen Graden der Fehleranfälligkeit. Es bleibt daher nur das geduldige Ringen um den besten Weg, mit allerlei Rückschlägen, aber eben auch mit ermutigenden Zeichen der Hoffnung.

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