Abstract [de]: Die praktischen Aspekte rund um die Definition von Anforderungen und die Festlegung von Messkonventionen rücken gelegentlich die grundsätzliche Frage nach dem Sinn und Zweck eines Ökocontrollings in den Hintergrund. Ohne die Abklärung grundsätzlicher strategischer Fragen wird dieses jedoch sinn- und wirkungslos. Ideal ist die Kombination einer Nachhaltigkeitsstrategie und einer werteorientierten Unternehmensführung mit nachvollziehbaren Zielen und Aufgaben des praktischen Ökocontrollings.


Juni 2011

Ökocontrolling auf dem Hintergrund einer werteorientierten Unternehmenssteuerung

1. Ökocontrolling im Kontext zeitgenössischer Herausforderungen

Nachhaltigkeit spielt in der Unternehmensführung eine immer wichtigere Rolle. Der Begriff der Nachhaltigkeit, ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammend und dort beispielsweise im Kloster Mauersmünster im Elsass schon 1144 erwähnt (vgl. Günther, 2009), wurde in der Wirkungsgeschichte der sogenannten Brundtland UN-Kommission 1987 und deren Votum für eine „nachhaltige Entwicklung“ flächendeckend verallgemeinert und erlebte mit der UN-Weltkonferenz für „Umwelt und Entwicklung“ 1992 in Rio de Janeiro einen so überragenden Erfolg, dass die semantische Karriere des Begriffs der Nachhaltigkeit fast zwangsläufig zu einer gewissen Vagheit und Inhaltsleere führen musste. Nachhaltig wird heute daher im Wirtschaftsleben häufig als Synonym für „langfristig“ statt „kurzfristig“, „strategisch“ statt „operativ oder taktisch“ und „ökologisch sinnvoll“ statt „ökologisch blind“ verwendet.

Spricht man heute von „nachhaltiger Unternehmensführung“, dann geraten darüber hinaus Aspekte der finanziellen und sozialen Nachhaltigkeit in den Blick, nicht zuletzt bezogen auf die Fragen der Nachfolge- und Kompetenzplanung in einem Betrieb.

Gleichzeitig zogen die zahlreichen Umwelt-, Wirtschafts- und Finanzskandale der letzten Jahre, angefangen vom Korruptionsskandal bei Siemens und nicht aufgehört beim „Ponzi-Scheme“ von Madoff, ein gesellschaftliches Bewusstsein nach sich, das vom Mythos der Selbststeuerung der Märkte Abschied nahm. Gefordert und teilweise umgesetzt wurden nicht nur eine strengere Regulierung und verbesserte Corporate Governance (vgl .Pfitzer/Oser, 2008), sondern auch eine verstärkte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Rolle von Unternehmen. Hier ging es sowohl um „Corporate Social Responsibility“ oder – besser – Corporate Citizenship (vgl. Habisch/Schmidpeter/Neureiter, 2008) als auch um das Anliegen einer werteorientierten Unternehmensführung (vgl. Hemel, 2007b).

Unternehmenssteuerung und Controlling geraten hier schnell an Grenzen. Die Erhebung von Messgrößen, Kosten, Indikatoren und Stromgrößen ist ja ihrerseits mit Aufwand verbunden. Sie erfordert methodologische Konventionen, über die zu diskutieren wäre. Doch selbst wenn eine Fülle von Informationen erhoben würde, so garantiert dies noch keinen segensreichen Effekt für die Unternehmenssteuerung. Andererseits weiß jeder Controller: ohne Unterstützung für die Unternehmenssteuerung verkommt Controlling zur leeren Routine.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich ein detaillierteres Nachdenken über die ethischen und die strategischen Hintergrunde nachhaltiger, werteorientierter Unternehmensführung und deren Auswirkungen auf ein „Ökocontrolling“ im Rahmen der alltäglichen Unternehmenssteuerung.

Ich gehe dabei in folgenden Schritten vor:

  • Herausforderungen rund um den Begriff des Ökocontrollings
  • Ökocontrolling und die Zivilgesellschaft
  • Ökocontrolling als Bestandteil der Unternehmensstrategie
  • Unternehmenssteuerung im Kontext des Ökocontrollings
  • Werteorientierte Unternehmenssteuerung als Königsweg der Nachhaltigkeit

Gerade der Atomunfall in Japan im März 2011 hat die Grundmotivation einer ökologisch nachhaltigen Unternehmensführung wieder in den Blick gebracht, an die es zu erinnern gilt: Die Sorge um eine hochriskante Verschlechterung unserer Lebensverhältnisse durch die Lebens- und Produktionsweise technisch fortgeschrittener Gesellschaften, so wie sie im Club of Rome (Meadows et al., 1972) schon vor 40 Jahren beschrieben wurde. Ökocontrolling ist damit immer auch Teil des Risikomanagements von Unternehmen und Gesellschaften im 21.Jahrhundert- selbst wenn es nur um die scheinbar einfache Aufgabe der Vermeidung von Großrisiken und Umweltkatastrophen geht.

2. Herausforderungen rund um den Begriff des Ökocontrollings: Datenerhebung, Reichweite der Datenerfassung und Datenverwendung

Betrachtet man das Thema Ökocontrolling nicht nur betriebs-, sondern auch volkswirtschaftlich, so ist zunächst der Gedanke einer Fehlallokation von Kosten anzusprechen. Wenn die Umweltfolgen einer bestimmten Technologie, also beispielsweise der Atomkraft, der Steinkohleerzeugung oder der Herstellung bestimmter chemischer Substanzen sich in bewertbaren externen Kosten niederschlagen, und wenn diese Kosten nicht verursachungsgerecht zugeordnet werden, dann entstehen ökologische und soziale Ungleichgewichte, die politische und gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen.

Das Eigeninteresse von Unternehmen am grundlegenden Verständnis der Folgen ihres betrieblichen Handelns könnte, so gesehen, schon ausreichend dazu motivieren, ein Ökocontrolling einzurichten.

Während sich der Ausstoß an stofflichen Ressourcen wie z.B. die Belastung von Luft, Wasser und Boden als direkte Folge betrieblichen Handelns im Fall der Energieerzeugung, der chemischen Industrie oder der Gewinnung von Rohstoffen noch relativ direkt (wenn auch nicht immer leicht) erfassen lässt, ist dies in anderen Wirtschaftsbereichen nicht der Fall. 

Neben dem Problem der Erfassung gibt es jedoch auch ein Problem mit der Reichweite und mit der Verwendung von Ökodaten.

Selbst wenn es leicht wäre, die direkten stofflichen Ströme eines Unternehmens zu messen, dann bedeutet dies noch lange nicht, dass die Frage der Reichweite des Ökocontrollings hinreichend geklärt wäre. Hierzu ist nämlich ein sehr tiefes Verständnis der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich, wie es nur in Ansatzpunkten vorliegt. Ein Beispiel für Folgekonzepte, die sich aus der Analyse von Reichweiten ökologischen Handelns ergeben, ist das Konzept des „Wasserrucksacks“ (Virtual Water) oder des „CO²-Fußabdrucks“ (Carbon Foot Print) (vgl. Günther, 2008, 295-301). Wir lernen dann beispielsweise, dass ein Kilo Rindfleisch deutlich mehr Wasserverbrauch zur Folge hat als ein Kilo Hühnerfleisch.

Aber was folgt daraus? Ist die ökologische Transparenz ein Selbstzweck oder ein Handlungsimpuls? Unternehmen haben schließlich praktische Zielsetzungen, so dass nicht die Erhebung, sondern die Verwendung von Daten aus dem Ökocontrolling über den Erfolg einer entsprechenden Initiative entscheidet. Und spätestens hier wird es schwierig. 

Zum einen stehen wir – erneut – vor dem Problem der verursachungsgerechten Zurechnung. An welcher Stelle endet die Verantwortung des Unternehmens? Wie tief kann, soll und darf sie die Lieferkette beeinflussen? Welches Durchsetzungspotenzial steht ihr dazu zur Verfügung?

Ein Beispiel hierfür bietet das Möbelunternehmen IKEA, das sehr stark auf Umweltgesichtspunkte in der eigenen Lieferkette achtet und ein sehr umfangreiches Qualitätssicherungs- und Qualifizierungshandbuch ausgearbeitet hat. So werden formaldehydhaltige Möbelteile (wie z.B. bestimmte Dekorpapierprodukte) kritisch betrachtet, und es wird bei Holzprodukten wie z.B. Furnierkantenbändern auf die Zertifizierung mit dem FSC-Label geachtet. Die Beeinflussung der Lieferkette korreliert hier mit der schlichten Marktmacht des Unternehmens. 

Ein anderes Beispiel stellt die Einführung des Bioethanol-Benzins E10 im I. Quartal 2011 in Deutschland dar. Aus Umweltgesichtspunkten heraus geplant, stieß diese aufgrund mangelnder Kommunikation mit dem Endverbraucher auf Widerstand. Dabei geriet auch die Ambivalenz der Maßnahme in den Blick. Unter dem Motto „Tank oder Teller“ wurde argumentiert, dass die Verwendung von Nahrungsmitteln für eine Ethanol-Beimischung letztlich die Lebensmittelpreise verteuert und das Nahrungsproblem der Menschheit verschlimmert. Auch hier gilt zwar das Prinzip der Differenzierung, denn es ist ein großer Unterschied, ob Weizen aus Bodenbestlagen oder Futtermais aus Sekundärlagen verwendet wird. Nur: Wie viel Aufwand zur Recherche einwandfreier Lösungen kann sich ein Unternehmen leisten? Ökocontrolling kann nicht auf die Forderung herauslaufen, dass Unternehmen sich ein Fachwissen wie Umweltforschungsinstitute aneignen!

Schließlich bleibt eine weitere Hürde des Ökocontrollings zu beachten. Der Sinn von Controllingdaten ist deren intelligente Verwendung. Dies setzt entsprechend geschulte Führungskräfte voraus. Deren vorhersehbarer Kommentar lautet allerdings: „Was sollen wir jetzt eigentlich noch alles machen?“ Anders formuliert: Erst wenn der Sinn des steuernden Umgangs mit Daten aus dem Ökocontrolling einsichtig wird, kann eine Verbindung zwischen Ökocontrolling und der allgemeinen Unternehmenssteuerung erzielt und aufrecht erhalten werden!

3. Ökocontrolling und die Zivilgesellschaft

Die immer stärker an Umweltfragen interessierte Zivilgesellschaft leistet einem umfassenden Ökocontrolling Schützenhilfe. Es lohnt sich daher, auf den Zusammenhang zwischen Unternehmen, Zivilgesellschaft und der Unternehmensfunktion Controlling einzugehen.

Betrachtet man Unternehmensfunktionen wie Produktion, Vertrieb, Personalwesen, Finanzen isoliert, könnte man sich auf den Standpunkt stellen, Ökocontrolling sei grundsätzlich überflüssig, weil für alle wesentlichen Funktionen die Wahrheit des Marktes durch einen definierten Preis ausgedrückt sei, der eben auch ökologische Aspekte enthalten müsse.

Wahr ist jedenfalls, dass Unternehmen über Jahrhunderte ohne Ökocontrolling funktioniert haben und dass ihre Interaktion mit der physischen Umwelt unter dem Maßstab heutiger Nachhaltigkeitsgedanken, gelinde gesagt, von einer sehr großen Bandbreite geprägt war.

Richtig ist aber auch, dass Unternehmen bis heute ohne Ökocontrolling auskommen können. Sie können die Entscheidung treffen, sich an die geltenden Gesetze zu halten und Umweltgesichtspunkte im Rahmen der gegebenen Legalitätsgrenzen zu beachten, aber nicht darüber hinaus.

Auf einem Arbeitsmarkt wie in Deutschland würde eine solche, bewusst gepflegte Position bereits heute mit Nachteilen beim Gewinnen junger, engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen. Selbst ein ausschließlich ökonomisches Nutzenkalkül legt es für Unternehmen in Deutschland daher nahe, in ökologischen Fragen über das durch Gesetze vorgegebene Mindestmaß an ökologischem Interesse hinauszugehen. Dazu tragen auch Überlegungen wie die Compliance mit internationalen Umweltnormen und die Verminderung der Abhängigkeit von nicht-regenerativen Ressourcen eine Rolle.

Interessant an dieser Beobachtung ist u.a. die Schnittstelle zwischen Unternehmen und der sie umgebenden Zivilgesellschaft. Dabei betrachte ich – gemeinsam mit dem von mir gegründeten Institut für Sozialstrategie in Berlin (www.institut-fuer-sozialstrategie.org) – Unternehmen grundsätzlich als Akteure ihrer lokalen sowie der globalen Zivilgesellschaft. Der Begriff der Zivilgesellschaft wird dabei definiert als die Summe aller gesellschaftlichen Strömungen und Institutionen, die nicht den Charakter staatlichen Handelns aufweisen und die nicht krimineller Natur sind (vgl. Walzer, 1995)

Zivilgesellschaften haben ihre eigenen Interessen, wie die friedliche Revolution in Ägypten im Februar 2011, aber auch die Protestbewegung rund um Stuttgart 21 zeigen. Sie sind eher als Schwarm denn als Netzwerk organisiert (vgl. Hemel, 2005). Auf der Ebene von Individuen manifestieren sich zivilgesellschaftliche Ideen durch verinnerlichte Werte, Einstellungen und Haltungen, die diese nicht einfach als „privat“ betrachten, sondern die sie in ihre unterschiedlichen Lebenskontexte, d.h. beispielsweise auch die Unternehmen, hineintragen.

Zivilgesellschaftliche Entwicklungen finden früher oder später ihren Weg in die Politik, in die Gesetzgebung und in das Verhalten von Institutionen, ob es sich dabei um Fragen nach der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen, um sexuelle Orientierungen oder eben um Umweltfragen handelt.

Zwischen Unternehmen und Zivilgesellschaft herrschen, so gesehen, semi-osmotische Verhältnisse. Wenn eine ganze Gesellschaft sich Fragen einer nachhaltigen Wirtschaftsweise stellt, müssen und werden Unternehmen schon deshalb reagieren, weil in ihnen Menschen tätig sind, die ihre persönlichen Interessen, Einstellungen und Haltungen nicht mehr an der Pforte des Betriebs abgeben mögen. Die Einrichtung eines Ökocontrollings ist, so gesehen, eine sinnvolle Antwort auf gesellschaftliche Bedürfnisse. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass sich damit unternehmerische Vorteile erschließen.

4. Ökocontrolling als Bestandteil der Unternehmensstrategie

Damit Ökocontrolling im Unternehmen sinnvoll wird, müssen mindestens zwei Fragen beantwortet werden:

  • Welche grundsätzliche Einstellung zu Umweltfragen prägt das Unternehmen?
  • Welchen Stellenwert hat das Ökocontrolling folglich in der Unternehmensstrategie?

Die Passung zwischen dem Aufwand und dem Nutzen von Initiativen zum Ökocontrolling ist schon deshalb erforderlich, weil sich ein Missverhältnis zwischen beiden Größen sofort negativ auswirkt: Entweder als „Verschwendung“ oder als „fehlende Navigation“. Vor der Lösung aller methodischen Fragen zur Messung und Erhebung relevanter Umweltdaten ist daher die entscheidende Gretchenfrage zu stellen: Liebes Unternehmen, wie hältst Du es mit der Umwelt?

Was einfach klingt, ist eine der schwierigsten Herausforderungen bei der Einrichtung eines zielführenden Ökocontrollings. Betrachten wir einmal drei verschiedene, aber in etwa gleich große Unternehmen der gleichen Branche. Unternehmen A fährt die Politik „Wir halten uns an die Gesetze, das reicht völlig aus“. Unternehmen B entscheidet: „Umweltfragen werden immer wichtiger; wir müssen da auch etwas tun, auch jenseits der gesetzlichen Verpflichtungen“. Unternehmen C wiederum verfolgt die Strategie „Wir sind Vorreiter und Avantgarde in Umweltfragen“.

Es ist völlig logisch, dass das Ökocontrolling sich in allen drei Unternehmen voneinander unterscheiden muss. Die Mittelausstattung im Controlling, das Interesse des Managements an Ergebnissen des Ökocontrollings, aber auch dessen Fortentwicklung werden sich höchst unterschiedlich ausgestalten.

Im Unternehmen A gibt es vermutlich kein eigenes Ökocontrolling, sondern die gesetzlich nötigen Daten werden vom allgemeinen Controlling mit erledigt. Neue Herausforderungen ergeben sich immer dann, wenn neue Gesetze erlassen werden: Das Controlling ist reaktiv; der Wert des Ökocontrollings für die Unternehmensstrategie gering. Wenn in Unternehmen A ein engagierter Abteilungsleiter auf eigene Initiative hin ein Ökocontrolling einführt, kann es leicht passieren, dass ihm die Unternehmensleitung „Verschwendung“ vorwirft: Denn die Zahlen und Daten werden angesichts der eingeschränkt ökologischen Unternehmensstrategie keinen Steuerungswert besitzen! Ob ein ökologisch engagierter Abteilungsleiter lange beim Unternehmen A bleibt, steht auf einem anderen Blatt.

Unternehmen B wiederum ist punktuell aktiv. Die Aussage „wir müssen da auch etwas tun“ spricht für einen marketingtechnischen Öko-Aktivismus, der nicht eng mit der Unternehmensstrategie verzahnt ist. Da im Zug eines steigenden Umweltinteresses der Bedarf an „Greenwashing-Aktionen“ hoch ist, steht für Unternehmen B zu erwarten, dass das Interesse der Geschäftsführung an Themen des Ökocontrollings sofort erlahmt, wenn die geplante, punktuelle Aktion erfolgreich abgeschlossen wird. 

Marketingorientierte Ökostrategien sind jedoch nicht grundsätzlich negativ zu bewerten, zumal Kommunikation mit Kunden und anderen Stakeholdern zu den Kernaufgaben jedes Unternehmens gehört (vgl. Meffert/Kirchgeorg, 1998). Ob beispielsweise die Werbeaktion eines Bierherstellers, der mit der Aussage warb, dass mit jedem Kasten Bier ein Quadratmeter Regenwald gekauft wird, in eine solche Richtung geht, ist von außen schwer zu beurteilen. Glaubwürdigkeit gewinnen Unternehmen heute jedenfalls weniger mit punktuellen Aktionen als mit einer systematischen und dann auch gut kommunizierten Vorgehensweise.

Unternehmen C zeigt die höchste Wahrscheinlichkeit für ein eigenständiges Ökocontrolling. Wer Umweltfragen zum Teil der eigenen Strategie macht, wird ihm auch Aufmerksamkeit widmen. Ob das Ökocontrolling von Unternehmen C aussagekräftig und mit der Unternehmensstrategie nachvollziehbar verzahnt ist, ist deswegen noch lange nicht sicher. Und selbst wenn dies der Fall wäre, kann nicht garantiert werden, dass der Nutzen des Ökocontrollings über Informationsbeschaffung hinaus geht. Die Zuschreibung von „Wichtigkeit“ gewährleistet ja nicht unbedingt, dass eine klare Zielbestimmung für das Ökocontrolling vorliegt!

Trotz eines ausgebauten Ökocontrollings kann es also passieren, dass die Unternehmensleitung über fehlende Navigation in Nachhaltigkeitsfragen klagt. Denn gerade die Aufmerksamkeit für ein Ökocontrolling erhöht auch die Ansprüche der Abnehmer. Ändern die sich schneller als eine vernünftige Controllingorganisation leisten kann, kommt es auch hier zu Friktionen in der praktischen Unternehmensführung!

Im realen Leben sind die Verhältnisse noch komplizierter als hier dargestellt. Was passiert beispielsweise, wenn ein ökologisch hoch motivierter neuer Firmenchef in ein Unternehmen vom Typ A kommt? Oder wenn durch den Weggang eines exzellenten Controllers und Schwierigkeiten der Stellenbesetzung das Ökocontrolling von Unternehmen C einen „Fadenriss“ erleidet? 

All diese Fallkonstellationen sagen noch nichts darüber aus, welche Ökostrategie für ein Unternehmen richtig ist. Nicht jedes Unternehmen kann und muss Avantgarde sein. Und nicht jeder strategischen Absichtserklärung folgen konkrete Taten. 

Dennoch gehört es aus ethischen Gründen zur Glaubwürdigkeit eines Unternehmens, für sich selbst zu bestimmen, welchen Stellenwert Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen in der eigenen Unternehmensstrategie haben sollen (Porter, 1999; Radermacher, 2002; Opaschowski, 2008).

5. Unternehmenssteuerung im Kontext des Ökocontrollings

Betrachtet man Nachhaltigkeit als einen integrativen Ansatz der Unternehmensführung, ergeben sich andere Bilder. Der Begriff der Nachhaltigkeit wird dann zu einer zentralen Perspektive der Unternehmensstrategie. Er geht über die Muss-Ebene der Compliance deutlich hinaus und strebt nach einer Leuchtturmfunktion in der eigenen Branche. Der Gedanke der Nachhaltigkeit geht dann über im engeren Sinn ökologische Fragestellungen hinaus. Er strahlt auf das gesellschaftliche Leben aus, weil es um die Wiedergewinnung des gesellschaftlichen Konsenses in dem Sinn geht, dass Unternehmen nicht länger als notwendiges Übel, sondern als integraler Bestandteil der Zivilgesellschaft angesehen werden.

Innerhalb des Unternehmens geht es dann u.a. um finanzielle Nachhaltigkeit. Damit sind Entscheidungen zur Liquiditätsplanung, zum Investitionsverhalten, zur Risikopolitik, aber auch zur Gewinnverwendung gemeint. Wenn hier das Oberziel das nachhaltige Leben und Überleben des Unternehmens vor Augen steht, geraten Zusammenhänge über mehrere Generationen ins Bewusstsein, wie sie vor allem für Familiengesellschaften und für mittelständische Unternehmen von Belang sind. Unternehmenssteuerung unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit bezieht dann auch eine langfristige Planung des Personalportfolios in strategische Überlegungen ein, bis hin zur Kompetenz- und Nachfolgeplanung in Vorstand und Aufsichtsrat.

Richten wir den Blick auf das Ökocontrolling im engeren Sinn, dann ist zunächst einmal seine Funktion zu bestimmen. Controlling dient schließlich nicht nur der Informationsbeschaffung, sondern auch der Unternehmenssteuerung. Das bedeutet, dass die Führungsgremien eines Unternehmens dazu aufgerufen sind, miteinander darüber nachzudenken, welchen Nutzen sie eigentlich aus Daten des Ökocontrollings ziehen wollen. Geht es um Compliance, also weiterhin um ein Risikofrüherkennungssystem? Oder führt die Entwicklung des Ökocontrollings zu weiteren Meilensteinen der Unternehmensentwicklung, etwa weil sich ökologische Achtsamkeit auf die Ökonomie der Leistungserstellung positiv auswirkt?

Solche Fragen lassen sich beispielsweise an die verschiedenen Umweltbilanzen von Unternehmen stellen. Ob es dann um Ansätze eines bewussten Ökomarketings, um die energetische Optimierung von stofflichen Input- und Outputgrößen, um Anreizsysteme zur verbrauchsoptimierten Fahrzeugauswahl, um den Einsatz von Papier und Wasser oder schlichtweg um den Vergleich mit anderen Unternehmen durch Ökobenchmarking geht, das hängt von den Zielen des Unternehmens und den Zielen seines Ökocontrollings ab. 

Die Mindestanforderung an Ökocontrolling besteht in der Vernetzung mit der Unternehmensstrategie sowie in der Formulierung und dem Monitoring von ökologisch inspirierten und auf Messgrößen herunter gebrochenen Jahreszielen.

6. Werteorientierte Unternehmenssteuerung als Königsweg der Nachhaltigkeit

Entscheidend ist letztlich die Integration von Controlling und Nachhaltigkeitsfragen in die Gesamtstrategie eines Unternehmens. Hier schließt sich dann auch der Kreis zu Fragen von Compliance, Governance und guter Unternehmensführung.

Ähnlich wie im Fall der Nachhaltigkeit kamen ethische Fragen anfänglich als appellative Zusatzforderung auf Unternehmen zu (vgl. Hemel, 2007b, Hemel, 2007a, Knoepffler, 2009). Gefordert wurde sozusagen die Sahne auf dem Kuchenstück des unternehmerischen Alltags. Mit diesem Bild einher geht die eingängige Überlegung, dass in schweren Zeiten eben auf die Sahne verzichtet werden müsse.

Das hier gezeichnete Bild spiegelt die Realität einer abgekapselten wirtschaftlichen Sphäre, die mit der gesellschaftlichen Realität wenig zu tun hat und die eigenen Gesetzen folgt. Je stärker wirtschaftliche Kräfte dieses Bild kultivierten, umso stärker wurde der zivilgesellschaftliche Generalverdacht gegen Profitgier, Korruption und Machtbesessenheit wirtschaftlicher Akteure.

Demgegenüber ist eine werteorientierte Unternehmenssteuerung aufgerufen, auf andere Bilder zurückzugreifen. Wenn schon Kuchen, so müsste es heißen, dann bitte in der Art und Weise, dass die Sahne schon Teil der Rezeptmischung wäre.

Besser als das Bild vom zu verteilenden Kuchen eignet sich aber der Gedanke des zu pflegenden Gartens für eine Beschreibung neuzeitlicher, auch ökologisch orientierter Unternehmen. Ein gut gepflegter Garten wirft bessere Früchte ab und kommt gut über den Winter – aber die Gestalt des Gartens hängt von der Qualität der Hege und Pflege ab.

Kehren wir von den Bildern zurück zur unternehmerischen Praxis. Dabei gilt es zunächst einmal, aufmerksam dafür zu werden, dass kein Unternehmen dieser Welt ohne spezifische Werte auskommt, ob die nun in einer Wertecharta niedergelegt sind oder nicht. Soziale Interaktionen folgen auch in Unternehmen den etablierten Spielregeln der Werte, die in einem Unternehmen Beachtung finden. 

Die Gesamtheit dieser Werte lässt sich mit dem Begriff der spezifischen Wertelandschaft eines Unternehmens bezeichnen. Was außerhalb des Wertekorridors eines Unternehmens liegt, gilt dort nicht als „normal“. Ob es sich um das Störgefühl bei Bankangestellten mit Shorts und Piercings oder Fischhändlern mit Krawatte und Einstecktuch auf dem Markt handelt, ist zunächst einmal irrelevant.

Die in einem Unternehmen geltenden Werte zu entdecken, ist eine empirische Aufgabe. Der „Geist“ eines Unternehmens teilt sich interessanterweise jedem Kunden, jedem Lieferanten und jedem Mitarbeitenden durch eine Fülle von Mikroerlebnissen mit – vom Umgangsstil angefangen und bei der Fachkompetenz nicht aufgehört.

Werte und Wertelandschaften sind aber nicht nur vorgegebene, empirische Größen. Werte bezeichnen letztlich Vorfahrtsregeln für das Handeln. Und der strategische, funktionale Wert von Werten nimmt deren innerem Gehalt nichts weg, im Gegenteil: Werte (und dies gilt selbst für Spitzenwerte wie Wahrheitsliebe, Freundschaft etc.) sind, je nach Situation, mehr oder weniger „wertvoll“.

Es ist Aufgabe der Unternehmensführung, diejenigen Werte zu identifizieren, die auf die Strategie eines Unternehmens einzahlen und die in der Zukunft noch wichtiger sind als heute. Dabei kann man vom Bild einer „Wertepyramide“ sprechen. Hier werden Basiswerte vorausgesetzt, einige hervorgehobene Werte stärker beachtet, wenige Spitzenwerte aber ganz besonders fokussiert.

Die Fokussierung auf wenige Spitzenwerte muss Teil der Unternehmensstrategie sein, wenn der Dreiklang aus Corporate Governance, Compliance und Corporate Social Responsibility stimmig werden soll. Und es gibt gute Argumente dafür, dass die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Top-Werte eines Unternehmens eine sinnvolle Unternehmensstrategie darstellt, gerade auch im Blick auf dessen Chancen- und Risikomanagement. Wenn Unternehmen dies erkennen, wird werteorientierte Unternehmensführung auch durch die Integration eines stimmigenÖkocontrollingkonzepts zum Königsweg der Nachhaltigkeit.

Die Folgen für ein zukunftsweisendes Ökocontrolling liegen auf der Hand: Es wird zum Bestandteil der Steuerungsphilosophie eines Unternehmens, so dass seine wesentlichen Parameter und Funktionen strategisch beleuchtet und operativ umgesetzt werden können. Dies aber als Maßanzug, nicht als Konfektionsware über alle Unternehmenstypen und -größen hinweg!

LITERATURHINWEISE

Günther, E., Ökologieorientiertes Management, Stuttgart 2008.

Habisch, A./Schmidpeter, R./Neureiter, M. (Hrsg.), Handbuch Corporate Citizenship. Corporate Social Responsibility für Manager, Berlin 2008.

Hemel, U., Spuren der Zukunft – Netzwerke und Schwärme, in: Stahl, H./von den Eichen, F. (Hrsg.), Vernetzte Unternehmen, Berlin 2005, S. 395-409.

Hemel, U., Ethikcontrolling – Wertschöpfung durch Wertesteuerung, in: Horváth, P. (Hrsg.), Erfolgstreiber für das Controlling, Stuttgart 2007, S. 53-62 (2007a).

Hemel, U., Wert und Werte, Ethik für Manager, Ein Leitfaden für die Praxis, 2.Auflage, München 2007 (2007b).

Knoepffler, N., Angewandte Ethik, Köln 2009.

Meadows, D.L./Meadows, D.H./Zahn, E., Die Grenzen des Wachstums, Reinbek 1972.

Meffert H./Kirchgeorg, M., Marktorientieres Umweltmanagement, Stuttgart 1998.

Opaschowski, H., Deutschland 2030, Gütersloh 2008.

Pfitzer, O./Oser, P. (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Codex, Stuttgart 2003.

Porter, M.E., Wettbewerbsstrategie, Frankfurt/M. 1999.

Radermacher, F.J., Balance oder Zerstörung, Ökosoziale Marktwirtschaft als Schlüssel zu einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung, Wien 2002.

Walzer, M. (Hrsg.), Toward a global civil society, Providence/Oxford 1995.


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Posted by Ulrich Hemel

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