Antonio Gramsci: Gefängnishefte (Quaderni del carcere)
Abstract [de]: Antonio Gramsci ist einer der wesentlichen Theoretiker, wenn es um die Konzeptualisierung von Zivilgesellschaft geht. Volker Drell vom Forschungsinstitut für Philosophie in Hannover stellt sein Werk vor.
September 2011
Antonio Gramsci: Gefängnishefte (Quaderni del carcere)
Antonio Gramsci (1891-1937) war Journalist, Kulturkritiker, führender Politiker und Intellektueller. Früh schloss er sich der Sozialistischen Partei Italien (PSI) an und war Mitarbeiter, Redakteur und Gründer bei mehreren sozialistischen Zeitungen. Nach dem Ersten Weltkrieg und den „Roten Jahren“ (1919/1920) gehörte er zu den Gründern der Kommunistischen Partei Italiens (PCI). Er arbeitete für die Kommunistische Internationale und wurde 1924 Generalsekretär des PCI. Als amtierender Parlamentarier wurde er 1926 unter der faschistischen Regierung zu Gefängnishaft verurteilt, in der er bis kurz vor seinem Tod blieb.
Während seiner Haftzeit schrieb Gramsci unter schweren äußerlichen Bedingungen sein posthum veröffentlichtes theoretisches Hauptwerk, die Gefängnishefte. Sie sind durchgehend Fragment geblieben. Zu den meisten Themen finden sich betreffende Notizen über alle Hefte verstreut. Wie stark die Gefängnisaufsicht dabei Ausdruck und Inhalt seiner Studien beeinflusst hat, ist in der Forschung umstritten.
In seiner Auseinandersetzung mit den linken Revolutionären Europas untersucht er die Struktur der Herrschaftsverhältnisse. Vordergründig geht es dabei um die Frage der politischen Taktik von einem sozialistisch-kommunistischen Standpunkt aus: Sind gesellschaftliche Umwälzungen allein durch die Übernahme staatlicher Macht zu bewerkstelligen oder nicht?
Sein Konzept der „Zivilgesellschaft“ bietet eine Alternative zu den zeitgenössischen marxistischen Theorien an. „Zivilgesellschaft“ (società civile) umfasst darin der „gemeinhin ‚privat’ genannten Organisationen“ (Kirche, Parteien, Wissenschaft, Kulturbetrieb etc.). Der Zivilgesellschaft steht der Staat als „politische Gesellschaft“ gegenüber. Beide Begriffe bezeichnen unterschiedliche Ebenen der Macht in einer Gesellschaft. Übt der Staat seine Macht mittels Recht, Justiz und Exekutivorganen durch direkten Zwang aus, so besteht der kollektive Druck in der Zivilgesellschaft aus Moral, Gewohnheiten und Denkweisen. Die Zivilgesellschaft ist damit ein ständiger Kampfplatz rivalisierender Gruppen, die für sich jeweils die Hegemonie beanspruchen. Hegemonie wird nicht als Verdrängung und Unterdrückung der anderen, sondern als tatsächliche Zustimmung und Anerkennung der eigenen Position bestimmt. Für die politische Debatte um die Umwälzung der Gesellschaft zieht Gramsci daraus den Schluss, dass die politische Ordnung besonders in den Staaten gefestigt ist, die über eine ausgeprägte Zivilgesellschaft – und damit über eine starke Hegemonie der herrschenden Gruppe – verfügen. Eine Revolution kann hier nicht als schneller Staatsstreich, sondern in einem langen und aufreibenden „Stellungskrieg“ vollzogen werden.
Gramscis Konzept der Zivilgesellschaft dient in der Analyse der Herrschaftsverhältnisse als deskriptive Kategorie. Tief in der marxistischen Tradition verwurzelt, formuliert er als letztes politisches Ziel die Aufhebung der Trennung von politischer und ziviler Gesellschaft mit der die Gegensätze der Gesellschaft überwunden werden sollen.
Viele Theoretiker, insbesondere aus dem linken Lager, nehmen auf Gramsci Bezug oder haben an ihn angeknüpft. Explizit beziehen sich beispielsweise Ernesto Laclau und Chantal Mouffe auf ihn.
LITERATUR
Gramsci, Antonio: Gefängnishefte (Quaderni del carcere): deutsche Gesamtausgabe in zehn Bänden hrsg. von Klaus Blochmann und Wolfgang Fritz Haug, Berlin 1991-2002.