Abstract [de]:

  1. Achtung vor informationeller Selbstbestimmung
  2. Digitale Reziprozität
  3. Transparenz
  4. Rückverfolgbarkeit
  5. Geregeltes Verfallsdatum
  6. Geregelte Eskalation
  7. Digitale Glaubwürdigkeit

November 2016

Was heißt eigentlich digitale Fairness?

Sieben Thesen




1. Achtung vor informationeller Selbstbestimmung

Grundgedanke: Grundgedanke ist das Recht auf Eigentum an den eigenen Daten. Wer also Daten generiert, soll auch das Recht auf Einsicht und Verwendung dieser Daten haben.

Konfliktpotenzial: Strittig wird der Zugang zu weiter verarbeiteten Daten bleiben. Beispiel: Ich habe Anspruch auf mein eigenes Bewegungsprofil, nicht aber auf das Bewegungsprofil aller Personen aus meinem Wohnort, obwohl meine persönlichen Daten dort eingehen. 

Zu Konflikten kann auch die Weiterverarbeitung von Daten gehören. Wem gehören weiter verarbeitete Daten? Gibt es zumindest prioritäre Zugangsrechte für denjenigen, der die ursprünglichen Rohdaten generiert? Gibt es darüber hinaus sekundäre Zugangsrechte für die an der Weiterverarbeitung beteiligten Akteure, also z.B. Zulieferer oder Programmlieferanten? Schließlich lässt sich an Rechte für Eigentümer im Verhältnis zu Nutzern denken, etwa von Mietwagenverleihern im Verhältnis zu Mietwagennutzern. 

Da ein großer Kreis von Akteuren betroffen ist, zu dem letztlich auch Autoversicherer und sogar der Staat selbst gehören dürften, dürfte es problematisch werden, auf den Wettbewerb der besten Individuallösung zu setzen. Die Ausgestaltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung könnte zu einer Aufgabe staatlicher Gesetzgebung werden. Diese im Sinn digitaler Fairness vorzubereiten, kann aber einen Vorsprung verschaffen! 

Business Opportunity: Verarbeitete Daten können, müssen aber nicht firmenintern und geheim bleiben. Als Nutzer könnte ich bereit sein, für mein eigenes Bewegungsprofil „über die letzten vier Wochen“ (um ein Beispiel zu nennen) oder für das Cluster aller Personen aus meinem Wohnort zu zahlen. Die Zahlungsweise kann entweder über die Einwilligung zur Weiterverarbeitung eigener Daten laufen oder in klassischer Art und Weise über monetäre Regelungen in Geld.

2. Digitale Reziprozität

Grundgedanke: Die Wechselseitigkeit in der digitalen Welt beruht auf dem Grundprinzip des Gebens und Nehmens. Dabei geht es nicht um eine Eins-zu-Eins-Relation, sondern um einen Verhaltensmodus und eine Einstellung. Die Verbindung von Reziprozität mit Selbstbestimmung kann dann beispielsweise lauten: „Wenn der Nutzer dem Hersteller freiwilligen Zugang zu zusätzlichen Daten gibt, erhält er Zugang zu bestimmten aggregierten Auswertungen oder einen geldwerten Vorteil oder eine Vergünstigung beim Erwerb digitaler Mehrwertdienste.“

Konfliktpotenzial: Es ist naheliegend, dass der Umfang einer Gegenleistung unterschiedlich beurteilt wird. Entscheidend ist hier ein Abwägungsprozess, der sicherstellt, dass die Hersteller-Gegenleistung nicht unter eine Lächerlichkeits-Schwelle sinkt. Umgekehrt schafft die digitale Welt gute Möglichkeiten zum Screening von Zufriedenheitswerten im Verhältnis von „Leistung“ und „Gegenleistung“. Dazu gehören auch „Partizipations-Chancen“ etwa durch Zugang zu definierten Nutzergruppen im Umfeld der Produktentwicklung etc.

Diese Partizipationschancen auf Gegenseitigkeit sind vielfältig und umfassen Bewegungs-, Nutzungs- und Fahrzeugprofile. Über Bewegungsprofile müsste primär der Nutzer, sekundär der Eigentümer verfügen dürfen. Sie umfassen Orte, Strecken, Fahrdauer, Abfahrt- und Ankunftszeiten, Zwischenstopps, Beschleunigungs- und Geschwindigkeitsprofile. Auch Nutzungsprofile sind Sache des Nutzers. Hier geht es um verwendete Features und Funktionen, um die besuchten Points of Interest wie Tankstellen, Hotels, Restaurants, Museen, Sportstätten und so weiter. Konflikte können entstehen, wenn Eigentümer von Fahrzeugen (z.B. Mietwagenfirmen) oder Hersteller solche Nutzerdaten ebenfalls nutzen möchten. Gleiches gilt für Fahrzeugprofile wie Reichweite, Ölstand, gefahrene Strecke, bei E-Fahrzeugen Akkustand und dergleichen.

Business Opportunity: Art und Qualität digitaler Gegenleistungen schaffen zahlreiche Geschäftsmöglichkeiten. Schon heute gibt es darüber hinaus eine extrem reichhaltige Zubehörwelt. Gegenleistungen könnten also bestehen in „Punkten“ (die beim Zubehör-Kauf oder beim Kauf von Dienstleistungen angerechnet werden), in „Fairness-Diensten“ (also Zugang zu aggregierten Daten für geschlossene Nutzergruppen oder zu ermäßigen Preisen) oder im privilegierten Zugang zu „Partizipations-Diensten“. Dabei sind die „emotionalen“ Chancen solcher Business Opportunities nicht zu unterschätzen.

3. Transparenz

Grundgedanke: Hier könnte ein spezifisches Leistungsversprechen zu „digitaler Fairness“ angemessen sein, nämlich die Rechenschaft über erhobene Daten. Wenn ich als Nutzer die Chance habe, meine eigenen Daten zu kennen, stärkt dies die emotionale Verbindung („emotional bonding“) im Sinn eines nicht-materiellen Leistungsversprechens.

Konfliktpotenzial: Hier kann es Konflikte mit den Interessen öffentlicher Behörden geben. Solche Konflikte können aber ihrerseits offen gelegt werden (Beispiel: Apple). Konflikte sind auch möglich rund um den Preis des Zugangs, denn niemand ist verpflichtet, Aufwendungen zur Datenextraktion aufgrund von individuellen Transparenzwünschen komplett ohne monetäre Gegenleistung zu erbringen. Das aber könnte Widerstand wecken.

Business Opportunity: Der Aufwand für die Extraktion individueller Daten bietet Möglichkeiten für ein differenziertes Preis-System. Beispielsweise könnten Nutzer in A-, B-, und C-Nutzer eingeteilt werden, je nach Typologie (z.B. Händler oder Käufer) oder je nach digitalem Engagement (z.B. Herstellen des Zugangs zu zusätzlichen Daten). Die Preise für A-, B- und C-Nutzer können sich unterscheiden.

4. Rückverfolgbarkeit

Grundgedanke: Tracking und Tracing spiegeln die technische Möglichkeit und das Interesse an der Rückverfolgung spezieller Daten. Die Rückverfolgbarkeit muss aber im Zusammenhang mit dem Eigentum und den Zugriffsrechten an bestimmten Daten gesehen werden. Es muss also Spielregeln dafür geben, wer wie ein legitimes Interesse an der Rückverfolgung von Daten hat und wer es wie nachweist.

Konfliktpotenzial: Aufwand für und Zugang zu Daten aus einer Rückverfolgung können Konflikte schaffen. Wenn ich die Bewegungsprofile meines Nachbarn einsehen will, wird dies zur Grenzüberschreitung. Wenn der Arbeitgeber die privaten Fahrten eines Außendienstmitarbeiters einsehen will, kann dies ebenfalls Konflikte auslösen. Weiterhin kann es unterschiedliche Interessen bei der Bepreisung des Aufwands für eine Rückverfolgung geben. 

Business Opportunity: Der Aufwand für eine Datenrückverfolgung kann in ein Preissystem eingehen. Auch sind typisierte Dienstleistungen möglich, etwa wie folgt: „Durchschnittliche Fahrzeit von Hamburg nach München bei Abfahrt um 17.30h, auf der Basis der letzten 100 Nutzer“. In ähnlicher Weise kann die Rückverfolgbarkeit typisierte Erwartungen anbieten lassen, etwa: „Verschleißteile bei diesem Fahrzeugtyp und ähnlichem Bewegungsprofil über die letzten drei Jahre inklusive durchschnittlicher Kosten der Ersatzteile und der Reparatur“.

5. Geregeltes Verfallsdatum  

Grundgedanke: Digitale Fairness umfasst einen zeitlichen Aspekt, der sich auf ein geregeltes Verfallsdatum für die Nutzung von generierten Daten bezieht. Fairness kann bedeuten, dass ich als Nutzer entscheide, wie lange meine Daten gespeichert und verarbeitet werden dürfen. Beispiel: „Ich möchte, dass alle Daten älter als 12 Monate gelöscht werden“. Als Alternative zur Löschung bietet sich die Anonymisierung der Daten an. Zum Grundgedanken gehört dann die Einigung zwischen Nutzer und Hersteller oder Datenverarbeiter über den Zeitraum der Nutzung.

Konfliktpotenzial: Es ist nahe liegend, dass der Zeitraum der Verwendung von generierten Daten strittig werden kann. Ein weiterer Konflikt kann sich auf den Zugang zu bereits gelöschten Daten beziehen. Nutzer könnten also vergesslich sein und trotz Datenlöschung nachfragen, wie denn ihr eigenes Nutzungsprofil beim Vorgängerfahrzeug war. Für Fahrzeughersteller kann es hier von Vorteil sein, jeweils die Anonymisierung statt der Löschung der Daten anzubieten, weil dann zumindest anonymisierte und „typische“ Profile angeboten werden können.

Business Opportunity: Wenn die Chance zur Selbstbestimmung beim Zeitraum der Datennutzung festgelegt werden kann, könnte dies die Schwelle zur Einwilligung beim Nutzer senken. Außerdem ist eine Voreinstellung möglich, die aktiv verändert werden kann, was aber einen Zeitaufwand beim Nutzer bedeutet. Der Gedanke eines „digitalen Ablaufstempels“ oder eines „digitalen Verfallsdatums“ schafft aber Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Dies gilt erst recht dann, wenn Verfahren zur Überprüfung festgelegt werden.

Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall, etwa wenn ein Unternehmen anbietet, Daten länger als 12 Monate zu speichern, dafür aber möglicherweise einen Preis verlangt. Dies könnte beispielsweise bei Bankauszügen der Fall sein!

6. Geregelte Eskalation

Grundgedanke: Digitale Dienstleistungen haben einen Wert und einen Preis. In neu entstehenden Märkten („Blue Ocean“) sind Auseinandersetzungen um Wert und Preis einer Dienstleistung stärker ausgeprägt als in etablierten Märkten mit bereits gut funktionierendem Wettbewerb. Digitale Fairness umfasst hier den Gedanken einer nicht einseitigen Konfliktregelung durch ein „Preisdiktat“ des Anbieters oder Herstellers.

Konfliktpotenzial: Die Art und Weise der Konfliktregelung und der geregelten Eskalation ist ihrerseits konfliktträchtig. Gerade in der digitalen Welt können derartige Konflikte aber transparent gemacht und durch Formen der Schwarmintelligenz befruchtet werden. Vorstellbar sind beispielsweise Nutzerforen über „Preisgerechtigkeit“. Für einen Hersteller wiederum ist wichtig, dass derartige Kommunikationsprozesse in einem geregelten Verfahren aufgenommen, gespiegelt und glaubwürdig verarbeitet werden. Solche Glaubwürdigkeit ist ihrerseits Teil digitaler Fairness.

Business Opportunity: Spielregeln der Eskalation sind insofern relevant für das Geschäftsmodell eines Herstellers, als das Gefühl von Preis- und Leistungsgerechtigkeit Hinweise auf differenzierte Preis-Strategien ermöglicht. Das Testen und Verarbeiten von Zahlungsbereitschaften führt nicht direkt, sondern auf indirektem Wege zu Optimierungen der verschiedenen Geschäftsmodelle eines solchen Unternehmens. Dabei sind auch die aus dem Internet bekannten „Auktionslösungen“ vorstellbar, etwa um sich an die Zahlungsbereitschaft und Kooperationsbereitschaft von Kunden „heranzutasten“ und um „spielerische“ Elemente einzubeziehen. Dies wiederum wäre Teil der Beeinflussung des „emotionalen Ökosystems“ in der digitalen Welt.

7. Digitale Glaubwürdigkeit

Grundgedanke: Digitale Fairness zahlt letztlich auf die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens ein. Glaubwürdigkeit korreliert mit dem Vertrauen in eine Marke, letztlich mit der Kauf- und der Zahlungsbereitschaft. Die Förderung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit ist daher sowohl ein ethisches, ein kommunikatives und ein unmittelbar geschäftsrelevantes Ziel.

Konfliktpotenzial: Glaubwürdigkeit entsteht im Kopfe des Betrachters. Über entsprechende Foren lassen sich aber wesentliche Konfliktlinien relativ gut beurteilen. Zum Konflikt kommt es regelmäßig über Zeitpunkt, Umfang und Inhalt kritischer Informationen. Wurde rechtzeitig informiert? Wurde umfassend informiert? Wurden kritische Informationen zurückgehalten oder offen gelegt?  Anhand solcher Linien wird es immer wieder Abwägungsprozesse geben müssen, weil hierkonfliktträchtige Handlungen und Unterlassungen grundsätzlich nahe liegen.

Business Opportunity: Digitale Glaubwürdigkeit kann als entscheidender Faktor der digitalen Zukunftsfähigkeit eines Herstellers angesehen werden. Dazu gehört die Qualität der angebotenen Produktleistung ebenso wie die Pflege des emotionalen Ökosystems von Nutzern, Käufern und gesellschaftlich interessierten Stakeholdern. Der Primärnutzen der digitalen Glaubwürdigkeit zahlt also unmittelbar auf Umsatz und Ertrag ein.

Zu den geschäftlichen Nutzungsmöglichkeiten des Themas gehört das Monitoring digitaler Glaubwürdigkeit, beispielsweise über einen „Credibility Index“, der monatlich erhoben würde.  Auf der Basis entsprechend großer Datenmengen lässt sich ein solches Monitoring dann  vermutlich als digitale Dienstleistung für Dritte vermarkten, gerade weil Glaubwürdigkeit einen besonderen Wert durch den Vergleich mit Dritten gewinnt.


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Posted by Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel

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