Abstract [de]: Dass der Homo oeconomicus, der wirtschaftende Mensch als streng zweckrationaler Eigennutzmaximierer, kein adäquates Menschenbild darstellt, ist erstens keine Neuigkeit und wurde zweitens auch nie behauptet. Dennoch ist es in der neoklassischen Ökonomik die einzige Vorstellung vom Menschen überhaupt, wenn auch nur in Modellform. Diese alleinige Anwendung der sogenannten Rational Choice Theory bringt insofern Probleme mit sich, als dass es sich bei der Wirtschaftswissenschaft um eine Sozialwissenschaft handelt, die als solche den Menschen zum zentralen Untersuchungsgegenstand hat.


September 2013

Adam Smith contra Homo Oeconomicus

Dass der Homo oeconomicus, der wirtschaftende Mensch als streng zweckrationaler Eigennutzmaximierer, kein adäquates Menschenbild darstellt, ist erstens keine Neuigkeit und wurde zweitens auch nie behauptet. Dennoch ist es in der klassischen Ökonomik die einzige Vorstellung vom Menschen überhaupt, wenn auch nur in Modellform. Diese alleinige Anwendung der sogenannten Rational Choice Theory bringt insofern Probleme mit sich, als dass es sich bei der Wirtschaftswissenschaft um eine Sozialwissenschaft handelt, die als solche den Menschen zum zentralen Untersuchungsgegenstand hat. Und das theoretische Rahmenwerk hat immer auch normativen Einfluss auf den Gegenstand der Betrachtung. Die Ausbreitung des egoistischen, nutzenorientierten ökonomischen Denkmusters ist bereits mehrfach nachgewiesen worden – und das nicht nur im rein wirtschaftlichen Kontext. Darüber hinaus bringt der Homo oeconomicus auch rein methodische Unzulänglichkeiten mit sich. Es bleibt fraglich, wie sich individueller Nutzen quantifizieren lassen soll und auch nicht rein egoistische Präferenzen, die jeder Mensch ohne Zweifel hat, können mit Hilfe dieses Handlungsmodells nicht ohne weiteres abgebildet werden.

Warum kommt dem Homo oeconomicus in der klassischen Wirtschaftstheorie dann immer noch eine derartige Bedeutung zu? Immerhin kommt nicht einmal das einfachste Modell von Angebot und Nachfrage ohne ihn aus. Dies zeigt auch schon, wo das größte Problem liegt: Ändert man das zugrunde liegende Handlungsmodell, müsste so ziemlich die ganze Wirtschafswissenschaft umgeschrieben werden. Außerdem bringt der Homo oeconomicus durchaus seine Vorteile mit sich: Das Modell ist auf das Wesentliche reduziert, einfach und quantifizierbar. Den Menschen mit all seine Verhaltensdimensionen in eine Wissenschaft zu integrieren, dies würde einen immensen Zuwachs an Komplexität mit sich bringen. 

Aber was spräche zum Beispiel gegen eine Ergänzung oder Alternativen? In der politikwissenschaftlichen Disziplin der Internationalen Beziehungen stehen beispielsweise auch mehrere alternative Theorien zur Verfügung, die man dann – reflektiert und begründet – auf den jeweiligen Sachverhalt anwenden kann. Keine dieser Theorien, sei es Realismus, Institutionalismus oder Liberalismus, beansprucht vollständiges Erklärungsvermögen. Mit ihrer Hilfe lassen sich einzelne Sachverhalte jedoch wesentlich einfacher nachvollziehen und auch bis zu einem gewissen Grad vorhersagen. Natürlich spielen Zahlen und monetäre Größen in der Ökonomik eine größere Rolle als in der politischen Sphäre, weshalb man nicht völlig auf der interpretativen Ebene inhaltlich orientierter Theorien verbleiben kann. Aber ließe sich denn kein Kompromiss finden?

Man könnte sich zum Beispiel wieder enger an den immer noch viel gepriesenen Urvater der Ökonomik halten: Adam Smith. Dieser hat qua seiner Profession als Moralphilosoph seiner nationalökonomischen Theorie (vgl. Wohlstand der Nationen) ein facettenreiches Bild des wirtschaftlichen Menschen (vgl. Theorie der moralischen Gefühle) unterlegt. Entsprechend dem heutigen Stand der Forschung bauen die beiden Hauptwerke Smiths aufeinander auf und stehen sich nicht kontradiktorisch gegenüber, auch wenn dies auf den ersten Blick so erscheinen mag. Smith vertrat jedoch die grundlegende Einsicht, dass der wirtschaftende Mensch nur bedingt getrennt vom handelnden Menschen an sich betrachtet werden kann.

Hier darf jedoch nicht vergessen werden, dass es immer schwierig ist, heuristische, subjektive und interpretative Elemente mit der naturwissenschaftlich orientierten, quantifizierbaren, objektiv-prädiktiven Ebene überein zu bringen. So sind die ökonomischen Theorien Smiths erst im Nachhinein vereinfacht worden und ließen sich im Original wohl kaum auf mathematische Modelle reduzieren. Anlehnend an Smith hat Amartya Sen einen sinnvollen Ansatz zur methodisch strukturierten Integration heuristischer Aspekte mit seinem Capabilities Approach entwickelt. Er zeigt Methoden auf, wie interpretative und komplexe Elemente, wie zum Beispiel das Verhalten des wirtschaftenden Menschen, transparent und strukturiert in sozialwissenschaftliche Forschung eingehen kann. Dies geschieht über eine systematische Erfassung anhand vorgegebener Kriterien, um so eine bestmögliche Vergleichbarkeit und Objektivierung zu ermöglichen. Ähnlich geht Ulrich Hemel vor mit seiner Grundlegung einer Wirtschaftsanthropologie als Ergänzung zur Rational Choice Theory vor: Auch er setzt sich für eine mehrdimensionale und interdisziplinäre Verbindung empirischer und normativer Elemente des wirtschaftenden Menschen und deren systematische Erfassung ein. 

Ob einer dieser Ansätze der Komplexität eines umfassenden ökonomischen Menschenbildes derart entgegenwirken kann, als dass er sich als Ergänzung oder gar gleichwertige Alternative zur Rational Choice Theory durchsetzen könnte, bleibt fraglich und bedarf weiterer Untersuchung. Es zeigt sich aber, dass man dem wirtschaftenden Menschen in der Theorie auf unterschiedliche Weise begegnen kann und keineswegs auf die Rational Choice Theory als alleinstehende Möglichkeit angewiesen ist. Auch wenn eine empirisch-naturalistische Herangehensweise sicherlich sinnvoll ist aufgrund ihrer Objektivität, zeigen Sen und Hemel Wege auf, diese mit – in Bezug auf den Menschen unerlässlichen – normativen und interpretativen Elementen zu verbinden, um so die Lebenswirklichkeit des wirtschaftenden Menschen einzufangen.

Literatur

Ballestrem, Karl (2001): Adam Smith. Originalausg. München.

Haller, Christian (2012): Menschenbild und Wirtschaft. Eine philosophische Kritik und Erweiterung des Homo oeconomicus. Marburg.

Hemel, Ulrich (2013): Wirtschaftsanthropologie, Problem und Perspektiven – eine Grundlegung. Institut für Sozialstrategie, Berlin. Online verfügbar unter http://institut-fuer-sozialstrategie.de/dokumente/vortrag/wirtschaftsanthropologie-problem-und-perspektiven-%E2%80%93-eine-grundlegung, zuletzt geprüft am 12.06.2013.

Knobbe, Sonja (2013): Auf der Suche nach dem Faktor ‚Mensch‘ in der Wirtschaft. A. Sens Capability Approach aus wirtschaftsanthropologischer Perspektive. Institut für Sozialstrategie, Berlin. Online verfügbar unter http://institut-fuer-sozialstrategie.de/dokumente/ifs-analysen/auf-der-suche-nach-dem-faktor-%E2%80%9Amensch%E2%80%98-der-wirtschaft. Zuletzt geprüft am 12.06.2013.

Manstetten, Reiner (2004): Das Menschenbild der Ökonomie. Der homo oeconomicus und die Anthropologie von Adam Smith. Studienausg. Freiburg/München.

Rolle, Robert (2005): Homo oeconomicus. Wirtschaftsanthropologie in philosophischer Pers­pektive. Würzburg.

Rosenberg, Alexander (2012): Philosophy of Social Science. Boulder, CO.

Sen, Amartya (2007): Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft. München.

Smith, Adam (2009): Theorie der ethischen Gefühle. 1. Aufl. Hamburg.

Smith, Adam (2009): Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes. (der Wohlstand der Nationen). 1. Aufl. Frankfurt a.M.


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Posted by Sonja Knobbe

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