Abstract [de]: Globale Zivilgesellschaft hat sicherlich heute ein weitaus größeres Ausmaß, eine weitreichendere Vernetzung angenommen als noch vor 30 oder 40 Jahren.


Mai 2014

Globale Zivilgesellschaft im transnationalen Wirken

Die Verbreitung von Familienidealen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Beispiel Mexikos

Globale Zivilgesellschaft hat sicherlich heute ein weitaus größeres Ausmaß, eine weitreichendere Vernetzung angenommen als noch vor 30 oder 40 Jahren. Doch nicht nur am Beispiel globaler Bewegungen wie der von Eugeniker_innen lässt sich zeigen, dass ihr Wirken auch schon früher weit reichte und großen Einfluss entfalten konnte. An Hand der Untersuchung nicht-staatlichen Einflusses auf die Entwicklung mexikanischer bevölkerungspolitischer Maßnahmen und verbreiteter Familienideale lässt sich beispielsweise zeigen, dass stets auch eine vermittelnde Ebene zentral war. Dies untersuchte ich in meiner Dissertation für die Jahre 1968 bis 1985.

Auch wenn das Thema nicht Globale Zivilgesellschaft war, sondern nicht-staatliche Akteur_innen, so sind diese doch, als organisierte, wie in NGOs, aber auch als Individuen zentrale Pfeiler einer Globalen Zivilgesellschaft. Als entscheidend zeigte sich jedoch, dass diese Akteur_innen transnational und in Kaskaden agierten, verdeckt und strategisch-langfristig. Bisher gilt das Bild, Bevölkerungspolitik sei ureigene staatliche Politik, nicht nur in Mexiko. Doch dieses Bild ist den Untersuchungen folgend keineswegs mehr haltbar.

Dieses Bild ist bei der Betrachtung von Maßnahmen, Einflüssen und Aktivitäten jedoch stets als Hintergrund im Kopf zu behalten. Jeglicher nicht-staatlicher Einflussversuch versprach nur Erfolg, wenn er dieses Bild nicht radikal und offen anging. Vielmehr galt es auf multiplen Wegen und möglichst verdeckt und dezentral zu agieren. Dezentralität, die auch vernetzte globale Gruppen immer wieder auszeichnet, wurde quasi zum Wettbewerbsvorteil. Wenn Gebiete bedient und zu beeinflussen gesucht wurden, die staatlich nicht oder kaum erreicht wurden, wenn Gelder über Subakteur_innen flossen und einiges mehr, dann war die Gefahr, Einfluss zu verlieren, zu öffentlich oder zu offensichtlich zu agieren deutlich geringer. Ein weiteres Phänomen lässt sich ebenfalls analog fassen: Globale Akteur_innen oder nicht-mexikanisch gebundene suchten stets eine mexikanische Anbindung, mexikanische Ansprechpartner_innen. Vernetzung bringt den klaren Vorteil, nicht als (nur) von außen wirkend gesehen zu werden. Dies schließt, und schloss in Mexiko in diesen Jahren jedoch nicht aus, als fremdländische_r Akteur_in gesehen zu werden. Dies musste notwendig verhindert werden.

Dabei zeigte sich ein weiteres kennzeichnendes Element entsprechender Aktivitäten. Globale Konzepte boten Halt, einen Anfangspunkt und globale Anbindung. Doch eine lokale Implementierung konnte so erschwert sein, wie von „Familienplanung“ als Ideal in Mexiko. Dementsprechend galt es solche Konzepte sowohl anders zu kommunizieren, als ureigen mexikanisch, als auch nie direkt über transnationale oder gar globale Akteur_innen zu verbreiten. Die „Mexikanisierung“ von Konzepten ermöglichte erst die Kommunikation dieser, verringerte Widerstände, insbesondere größerer Gruppen. Zugleich war eine solche „Mexikanisierung“ quasi ein Angebot an die Regierungen entsprechende Konzepte dann umzusetzen, als mexikanische und besonders für Mexiko geeignete Konzepte. 

Dies verlangte letztlich sowohl eine Koordination, als auch eine Lenkung und Begrenzung der Akteur_innen. Hier ist die wohl klarste Trennung der untersuchten nicht-staatlichen Akteur_innen von Globaler Zivilgesellschaft vorzunehmen. Diese Akteur_innen sind klar Teil einer Globalen Zivilgesellschaft. Doch sie sind auch klar weniger, begrenzter, geschlossener, ausgesuchter. So wie einzelne Minderheitengruppen versuchen nur die Unterstützung bestimmter Gruppen und Stimmen zu generieren. Um keine Vereinnahmung zu erfahren, galt es für die damaligen Akteur_innen, nur die Teile stark und einflussreich werden zu lassen, die gemäß Perzeption Erfolg bei der Verbreitung von Praxen und Politiken haben könnten. Dies führte einerseits dazu, dass zu verschiedenen Zeiten verschiedene Akteur_innen Einfluss entfalteten. Im Rahmen einer offiziell noch pronatalistischen staatlichen Politik galt es Argumente für einen als notwendig kommunizierten Politikwandel zu liefern, aber auch über Studien und Kleinerprobungen den Willen der Bevölkerung zu verhüten aufzuzeigen. Nach dem Politikwandel, der in Mexiko in den Jahren 1972 bis 1974 stattfand, galt es eher die Umsetzung der Maßnahmen zu beeinflussen, Einfluss auf die Schwerpunktsetzung der Politik zu nehmen, letztlich also dafür zu sorgen, dass die Verringerung der Geburtenrate zentrales, wenn auch zunächst nicht kommuniziertes Ziel wurde. Akteur_innen, die gegen Verhütung eintraten oder für sehr radikale Maßnahmen hatten dabei kaum Einfluss. Auch aus Mangel globaler Einbindung und Unterstützung, aber auch wegen geringer zivilgesellschaftlicher Verankerung in Mexiko, konnten solche Akteur_innen keine Einflussgrößen werden.

Ein letzter Aspekt, der diesbezüglich herauszuheben ist, und Parallelen zu heutigen Phänomenen aufzeigt, ist die Bedeutung von Organisation, Verbindung und Versammlung. Ohne die Möglichkeit täglichen Austausches oder virtueller Räume spielten Konferenzen als zentrale Orte des Austausches, aber auch der Wirkungsentfaltung nach außen unter anderem über Presseberichterstattung, eine zentrale Rolle. Gerade in wichtigen Momenten großer Veränderungen war aber auch die organisatorische Verbindung von nicht-staatlichen Einzelakteur_innen zentral. So schlossen sich die wichtigsten kollektiven Akteur_innen in Mexiko zur Zeit der Wende zusammen, um als Erfahrungs- und Expertenorganisation bei der Politikgestaltung unentbehrlich zu werden, ohne die „Staatlichkeit“ der neuen Politik in Frage zu stellen. Aber auch auf globaler und transnationaler Ebene war das organisierte Verbinden von größter Bedeutung, um Expertise Einfluss zu bescheren oder auch Gelder besser zu erhalten und koordiniert zu lenken. Klar zeigte sich dabei das Wechselspiel der Ebenen, die globale und transnationale Wirkung auf nationale und regionale Akteur_innen, aber auch dieser auf und über transnationale, internationale und supranationale Ebenen. 

Die von mir im Rahmen meiner Dissertation untersuchte nicht-staatliche Beeinflussung fertilitätsbeeinflussender Maßnahmen in Mexiko zeigt deutlich, wie unzutreffend das Bild einer „staatlichen Politik“ ist. Schon die Finanzierung über Projekte oder zentrale Sachspenden, so Bildungsmaterialien, stellt dies in Frage, mehr noch die klare nicht-staatliche Inhaltsbeeinflussung so der offizielle Rahmen staatlicher Politikgetragenheit erhalten blieb. Daraus lässt sich und soll durchaus ein Auftrag für die Gegenwart abgeleitet werden. Staatliche Politiken und ihre Kommunikation sind selten tatsächlich (rein) „staatlich“ noch national, zivilgesellschaftliche Strukturen, oft einer Globalen Zivilgesellschaft, sind als vor allem auch inhaltlich prägend zu erwarten, herauszustellen und zu beachten. Diese sind ein zentraler Einflussrahmen und dies durchaus eine mögliche Motivation zivilgesellschaftlichen Engagements. Zentral zeigt sich die Notwendigkeit Zivilgesellschaft(en) auf multiplen Ebenen zu untersuchen. Eine strickte Trennung „nationaler“ Zivilgesellschaften oder einer konstruierten Zivilgesellschaft ist auch angesichts der Forschungsergebnisse zu Mexiko nicht mehr haltbar. Vielmehr geht es darum, intermediäre Ebenen und Vermittlungsverhältnisse in ihrer Dynamik einzufangen, transnationale Vermittlungen als konstituierend für diverse Erscheinungen von Zivilgesellschaft(en) zunehmend zum Untersuchungsgenstand werden zu lassen. 


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Posted by Mario Faust-Scalisi

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