Abstract [de]: Auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in Deutschland einiges getan hat, sind die Möglichkeit neue Ideen zu denken noch lange nicht ausgeschöpft. Wenn von einer Work-Life-Balance und von einem Arbeitssinn die Rede ist und diese nicht nur theoretisch debattiert werden sollen, müssen neue Modelle etabliert werden. 

Die folgende Publikation, die den Vortrag VDMA in Bayern am 7.7.2015 von Prof. Hemel zum Thema „Ethische Fragen der Arbeit“ ergänzen soll, beschäftigt sich mit der Frage, ob es nicht rational wäre sich in einer Überflussgesellschaft an Stelle von zusätzlichen Konsumgütern das Gut der „Zeit“ zu kaufen, welche Rahmenbedingungen zu schaffen sind und wie alle beteiligten Akteure davon profitieren könnten.


März 2016

Warum es sinnvoll ist Zeit zu „kaufen“ und welche Rahmenbedingungen zu schaffen sind

Ergänzung zu dem Vortrag VDMA in Bayern am 7.7.2015 zum Thema „Ethische Fragen der Arbeit“ von Prof. Ulrich Hemel

Natürlich sind der Begriff „Arbeit“ und das dadurch entstehende Dilemma in der Sichtweise der vollbrachten Arbeit und die Forderungen über Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und Arbeitsstellenwert des Einzelnen nicht nur kulturell gesellschaftlich, sondern auch historisch stark geprägt und somit ergaben sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte unterschiedlichste Blickwinkel in den Bereichen der Philosophie, Soziologie und Theologie. 

Solch grundlegenden Forderungen, wie einen gesetzlichen Urlaubsanspruch, eine Tarifautonomie der Tarifpartner oder einen gesetzlichen Kündigungsschutz der Arbeitnehmer, wie es in der Zeit der Industrialisierung in Europa im 19. und 20. Jahrhundert der Fall war, können größtenteils als abgehakt – aber nicht als selbstverständlich – betrachtet werden. 

Das bedeutet, dass bei einer Debatte über den Stellenwert der Arbeit im 21. Jahrhundert neue Ideen gedacht werden müssen und diese auf die bereits bestehenden Bedingungen aufgebaut werden müssen. Denn ein Stillstand in den Forderungen bedeutet immer einen Rückstand im Fortschritt – auch in Bezug auf heutige Arbeitsbedingungen. 

Daher kann ein Istzustand nicht als gegeben und als unantastbar angesehen werden.

Wenn Prof. Ulrich Hemel in seiner Publikation „Ethische Fragen der Arbeit“ davon spricht, dass bei der Betrachtung über den Sinn des Lebens die Arbeit zum Religionsersatz wird, dann zeigt sich dies m. E. gerade bei den Personen, die mit Eintritt der Rente oder der Pension sich nun überlegen müssen, wie sie nun die gewonnene und erarbeiteteZeit verbringen werden. 

Falls man vergessen hat außerhalb der Arbeit noch andere (Freizeit-)Aktivitäten wahrzunehmen, dann ist die Gefahr groß sich in der Rentenzeit eingestehen zu müssen falsch in Bezug auf die Arbeit gelebt zu haben. Reicht es nun mit circa 65 Jahren ausgewählte Philosophievorlesungen zu besuchen um sich zu überlegen, wie man besser das Leben und die Erwerbstätigkeit verbringen hätte können?

Warum gewinnen und erarbeiten wir die (Lebens-)Zeit nicht in der Berufsstätigkeit und sorgen vor?

Wenn wir über Thematiken wie die „Work-Life-Balance“ nachdenken, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu fragen, für was oder für wen wir arbeiten. Der historische Stellenwert der Arbeit hat daher eine hohe Aussagekraft, weil er die Verschiebung der Arbeitswahrnehmung gut beschreibt. In der Ur-und Frühgeschichte wurde die Arbeitskraft dafür verwendet, sich mit Nahrungsmittel zu sättigen und gegebenfalls den rudimentärsten Handel zu betreiben. Die Arbeitskraft wurde (unter der Prämisse die Arbeitsleistung wurde reflektiert) als banal betrachtet und als Mittel der Befriedigung von grundlegendsten Grundbedürfnissen verstanden. 

Im Verlauf der Zeit nahm und gegenwertig nimmt in unserer Gesellschaft immer häufiger der Erwerb von Konsum- und Luxusgüter den Stellenwert der Grundbedürfnisse ein. 

Daher stelle ich die Frage, warum in einer Gesellschaft, in der für einen Großteil der Bevölkerung Konsum- und Luxusgüter im Übermaß vorhanden sind und diese sich nur in ihrer qualitativen, quantitativen und wahrgenommenen Ausprägung unterscheiden, sich nicht öfters Das Gut „Zeit“ gekauft wird? bzw. warum hierfür zu wenige Rahmenbedingungen etabliert sind und werden? 

Würde man in einer Gesellschaft, in der vieles im Überfluss vorhanden ist nicht rational handeln, wenn man sich statt Güter (Lebens)Zeit kauft?

Die einfachste Art um nach meiner These rational zu handeln und sich statt Güter „Zeit“ zu kaufen, wäre eine Tätigkeit in einem Teilzeitmodell. Der Arbeitnehmer verzichtet auf einen Teil seines Einkommens, welche er bei einer Vollzeitstelle erhalten hätte und erhält im Gegenzug (Frei-)Zeit.

Eine weitere einfache durchzuführende Möglichkeit „Zeit“ zu erwerben, würde darin bestehen, die feststehende zu vollbringende Arbeitsleistung auf einem geringeren Zeitumfang zu leisten. Ich denke hier an Möglichkeiten der Zielvereinbarungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer erarbeitet sich durch eine schnellere und produktivere Arbeit (Frei-) Zeit. Diese Möglichkeit der „Zeitbeschaffung“ würde sich in allen direkt messbaren Bereichen des Unternehmens (z.B Vertrieb) durchsetzen lassen.

Betrachtet man weiter die Fragestellung, so ist zu klären, wie (1) ein „Zeiterwerbsmodell“  aussehen könnte und was dieses für (2) den Arbeitnehmer und (3) den Arbeitgeber bedeuten könnte. 

  • Ein mögliches Modell könnte wie folgt beschrieben werden: Der Arbeitnehmer hat durch bereitgestellte Rahmenbedingungen seitens des Arbeitgebers die Möglichkeit auf einen Teil seines monatlichen Gehalts, auf einen Teil seines Urlaubsanspruch (Falls ein Teil über den gesetzlichen Rahmen gewährt wird), auf die Ausbezahlung von Überstunden und Sonderzahlungen zu verzichten. Dem Arbeitnehmer werden die kumulierten monetären Werte gutgeschrieben und er kann diese anschließend in Freizeitgewährung erhalten. 

Verzichtet zum Beispiel ein Arbeitnehmer auf 80 % seines Gehalts, so hat er die Möglichkeit durch die 20% Prozent gutgeschriebene Arbeitsleistung nach einer bestimmten Zeit und ohne Gehaltsausfall für mehrere Monate zu pausieren. Auch der vorzeitige „Kauf“ des Renteneintritts wäre vorstellbar.

  • Gerade Thematiken wie die Vorbeugung von psychischen und physischen Erkrankungen durch ein hohes Arbeitspensum oder etwaige private Bedürfnisse wie etwa eine längere (Welt-)Reise wären als die klaren Vorteile für den Arbeitnehmer zu betrachten. Oftmals reicht es bereits aus eine die Optionen zu haben, um Zufriedenheit in der Arbeitsstelle zu erlangen. (Ich könnte, wenn ich wollte). Der Arbeitnehmer müsste zudem durch die weitere Bezahlung des Gehalts während der Erwerbspause auf Sicherheitsbedürfnisse nicht verzichten. 
  • Auch für den Arbeitgeber wäre solch ein beschriebenes Modell in Bezug auf die Arbeitsausfälle durch psychische und physische Erkrankungen vorteilhaft. Die Entsprechenden Fehltage könnten m. E. durch Ruhephasen und zufriedenere und vor allem durch motivierte Mitarbeiter minimiert werden. Auch in Hinsicht auf den bestehendem Fachkräftemangel in bestimmten Wirtschaftssektoren, die Maßnahmen wie einem innerbetrieblichen Gesundheitsmanagement und flexiblere 

Arbeitszeiten notwendig machen, könnten diese Modelle zur Anwerbung von qualifizierten Personal eingesetzt werden. Gerade für Arbeitnehmer, bei denen das erworbene Gehalt subjektiv lediglich als Hygienefaktor (Modell nach Herzberg) wahrgenommen wird, würden m. E. derartige Angebote als Entscheidungsträger für das Unternehmen mit Sicherheit dienlich sein. 

Natürlich sind bereits vereinzelt ähnliche Modelle vorhanden. Das beschriebene Modell bereitet weniger rein ökonomische Herausforderungen, vielmehr bedarf es m. E. einen sehr hohen Planungsaufwand durch die Unternehmen (Wie setze ich die Mitarbeiterkapazitäten adäquat ein? Wer übernimmt die Vertretung? etc.). 

Da derartige Modelle aber immer noch die Ausnahme bilden, besteht meine Überlegung darin, dass zu einem vermehrt solche beschriebenen Arbeitsmodelle am Arbeitsmarkt eingeführt werden müssen und diese vor allem durch Planungssouveränität seitens der Arbeitgeber jedem Arbeitnehmer zugänglich gemacht werden müssen. 

Zum anderen muss jeder Arbeitnehmer, bei dem ein bereits derartig beschriebenes Modell existiert, priorisieren ob er sich nicht mehr „Zeit“ statt Konsumgüter kaufen möchte und sich demnach damit mehr Lebenszeit und Lebensqualität kauft. 

Dies führt mich zu folgenden vier abschließenden Thesen:

  1. Die Frage nach dem Sinn und dem Stellenwert der vollbrachten Arbeit ist abhängig von der historischen Entwicklung und der individuellen Wahrnehmung jedes Einzelnen in der Gesellschaft.
  2. In einer Überflussgesellschaft wäre es, bei vorhandenen Modellen, rational sich (Lebens-)Zeit zu kaufen.
  3. Derartige Modelle bieten für den Arbeitnehmer und für den Arbeitgeber im gleichen Maß Vorteile. Sie benötigen aber ein hohes Maß an Planungsstärke durch die Unternehmen. 
  4. Falls der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, sich „Zeit“ zu kaufen, so wird er nach seinen eigenen Präferenzen priorisieren müssen.

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Posted by Nicolas Schmidschneider

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