Abstract [en]: In early March, Covid-19 had a tight grip on us. The world was standing still. The stock markets plummeted. Once the state of shock and lockdown eased, topics soon encompassed more than the daily reports of the RKI. Bruno Heidlberger analysises and discusses the debate that followed and which focused on an evaluation of the protection measures put in place by the state. The complaint of the new right that the „morale of equality“ would endanger the survival of capitalism and with this that of humankind – humans had forgotten how to die – adds grist to the mill of those that make us believe that not every life matters, that the rule of law and the idea of democracy, the equality of all citizens, are up for discussion. Postmodern philosophers who trivialised the virus with their neoliberal cost-benefit-debate, and German intellectuals and politicians all joined in this complaint.

Bruno Heidlberger shows that these debates cast doubts over science and government decisions that are in accordance with the rule of law; and that they cast fundamental doubts over the politics of recent governments. According to Heidlberger, they had contributed to insecurities in parts of the population – which is the basis for the growth of fake news, agitation against science, and fuelling of fears.

Abstract [de]: Anfang März hatte Covid-19 uns fest in Griff. Die Welt stand still. Die Börsen rauschten in den Keller. Nach Auflösung der ersten Schockstarre ging es bald um mehr als um die täglichen Berichte des RKI. Bruno Heidlberger analysiert und diskutiert die sich daran anschließende Debatte, in der die Bewertung der staatlichen Schutzmaßnahmen im Mittelpunkt stehen. Die neurechte Klage, die „Gleichheitsmoral“ gefährde das Überleben des Kapitalismus und damit das der Menschheit – Menschen hätten das Sterben verlernt– ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die uns weismachen wollen, dass nicht jedes Leben zählt, weshalb man Rechtsstaatlichkeit und das Ideal der Demokratie, die Gleichheit aller Bürger*innen, zur Disposition stellen müsse. In diese Klage stimmten auch das Virus verharmlosende postmoderne Philosophen mit ihrer neoliberalen Kosten-Nutzen-Debatte, wie auch deutsche Intellektuelle und Politiker, ein.

Bruno Heidlberger zeigt, dass diese Debatten Zweifel in Wissenschaft und rechtsstaatliche Entscheidungen säten; auch grundsätzlich, in die Politik der Regierung der letzten Jahre. Diese hätten, so Heidlberger, zur Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung beigetragen – der Boden, auf dem Fake-News, Hetze gegen Wissenschaft und das Geschäft mit der Angst floriert.


Juli 2020

Fluchten ins Autoritäre im Lichte aktueller Entwicklungen

Teil 1

Erschienen in: Aufklärung und Kritik (4/2020)

Die Verletzlichkeiten der modernen hochtechnologischen Welt und ihre Mängel – Die Natur schlägt zurück

Die meisten von uns haben mit so etwas niemals gerechnet. Höchstens theoretisch auf Basis von Wahrscheinlichkeitsrechnung, obgleich es viele warnende Stimmen gab, wie die WHO, Bill Gates oder das Robert-Koch-Institut (RKI). Im Januar 2013 war der Bundestag über die ‚Risikoanalyse Bevölkerungsschutz – Pandemie durch Virus Modi-SARS‘ von Experten des RKI unterrichtet worden. Der Erreger könnte aus Südostasien stammen, wo er auf Märkten übertragen werden könnte. Ein Ereignis, das laut Wahrscheinlichkeitsrechnung einmal alle 100 bis 1000 Jahre eintrete. Es lag jenseits unserer Vorstellungskraft, wie etwa ein Kometeneinschlag oder der Ausbruch eines Krieges. Lange dachte man, Seuchen treffen nur die anderen, die Armen, nicht uns. Diese Grenzsituationen sind für uns Menschen unerträglich, wir lassen sie deshalb in restloser Klarheit fast nie in unserer lebendiges Erleben. Es beruhigt uns mehr Risiken und Lebensgefahr zu verdrängen als uns damit zu konfrontieren. Deshalb hört man nicht Wissenschaftlern zu, die vor Pandemien, dem Artensterben, dem Klimawandel oder der sozialen Spaltung der Gesellschaft warnen. Im Bundestag wurde nie über die Risikoanalyse des RKI gesprochen. Prävention und Politik scheinen sich nicht zu vertragen. Ende November 2019 traten in Wuhan die ersten Fälle einer unbekannten Lungenerkrankung auf.[1] Auf dem Boden des heutigen Wuhan begann 1911 mit dem republikanischen Aufstand gegen die kaiserliche Zentralregierung in Peking die Chinesische Revolution. Corona ist zwar keine politische, aber eine globale pandemische Revolution, die uns auffordert, unsere Lebensweise zu überdenken und zu korrigieren. Das Virus zeigte der modernen hochtechnologischen Welt innerhalb sehr kurzer Zeit ihre Verletzlichkeiten und ihre Mängel. „Corona ist auch eine Umweltkrise“, meint Petra Pinzler: „Weil die Menschen in die Zufluchtsorte wilder Tiere eindringen, wächst die Seuchengefahr. Wer künftige Epidemien verhindern will, muss den Artenschutz ernster nehmen. Eine kluge Gesundheitspolitik würde jetzt, die globale Biodiversität ins Zentrum der internationalen Aktivitäten stellen,“[2] schreibt sie.

Am 23. Februar 2020 werden aus Italien die ersten beiden Europäer gemeldet, die an Covid-19 verstarben. Italien wird zunehmend zum Zentrum der Pandemie. Am 11. März ruft die WHO eine Pandemie aus. Heinsberg markiert die Wende. Kanzlerin Angela Merkel warnt vor einer Überlastung des Gesundheitssystems. Während auf den griechischen Inseln Tränengas und Blendgranaten gegen Kinder eingesetzt und auf Menschen geschossen wird, beginnen die Deutschen die Supermärkte zu leeren und Vorräte anzulegen, obwohl der Einzelhandel immer wieder betonte, dass keine Engpässe drohen. In Deutschland sind knapp 120 Infektionsfälle bekannt. Die Unsicherheit spüren alle. Angst traumatisiert und kann auch zum Virus werden. Wer wegen Corona Lebensmittel und WC-Papier hamstert, will Kontrolle über eine Situation zurück, die ihn ängstigt. Findet der Kontrollverlust aber nicht dann erst statt, wenn wir zulassen, dass uns die egoistische irrationale Angst verroht? Die Angst, der eigenen Eingerichtetheit verlustig zu gehen, brachte Christian Lindner durch die Übernahme eines rechten Framings zum Ausdruck, als er von der Kanzlerin einforderte, einen „Kontrollverlust, wie er bei der Zuwanderung nach Deutschland 2015 stattgefunden haben soll, zu verhindern.“[3] In der Not zeigt sich bei Menschen das Beste, aber auch das Schlechteste. Anfang März machte Merkel unter dem Eindruck von Bergamo die Krise zur Chefsache und erläutert, was Regieren unter dem Virus bedeutet: „Die Maßstäbe für das Handeln an dem ausrichten, was die Wissenschaft sagt, auch wenn sich das Wissen und die Ratschläge ändern.“[4] Das Konzept: Die Kurve abflachen, damit das Gesundheitssystem nicht kollabiert. Man hoffte, dass Italien nicht zum Vorboten für Deutschland wird. Jetzt geht es überraschend schnell. Die Welt steht still. Die Börsen der Welt rauschen in den Keller, die ‚schwarze Null‘ wird Geschichte. Am 18. März spricht Merkel in einer Fernsehansprache von einer Herausforderung von „historischem Ausmaß“. Sie mahnt Solidarität und Disziplin im Kampf gegen das Covid-19 an. Sie will keine chinesischen Methoden, sie will, dass die Bürger freiwillig mitmachen. Wie 2015 macht die Kanzlerin den Menschen Mut.

„Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als IHRE Aufgabe begreifen. Und wir sind eine Gemeinschaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.“[5]

Damit formuliert Merkel Kants Imperativ, philosophische Grundlage von Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 GG. Noch hören die Ministerpräsidenten auf Merkel, Hygiene-Demonstrationen kamen später. Die Angst vor dem Killer-Virus war fast auf seinem Höhepunkt. Viele Regierungschefs der Welt legten der Gesellschaft Fesseln an. Schwache wurden geschützt, nicht stigmatisiert, nicht isoliert oder der Konjunktur geopfert – „eine nie dagewesene Demonstration der Mitmenschlichkeit“[6], formuliert begeistert Giovanni di Lorenzo von der Wochenzeitung Die Zeit. In Deutschland bedurfte es keines Zwangs. Merkel setzte auf die Vernunft, die Angst vor dem unbekannten Virus auf dem Höhepunkt der Krise tat das Übrige.

Für viele Menschen in Deutschland trat die Monstrosität der Gefährdung spätestens am 19. März mit den Bildern – zuerst auf Twitter, dann in der Tagesschau – vom nächtlichen Konvoi von Militärfahrzeugen, aufgereiht in einer Straße nahe des Friedhofs von Bergamo, schlagartig ins Bewusstsein. Erst ungläubig zögernd, dann als Schock. Angst bemächtigte sich unserer Körper, unser Lebensgefühl wurde erschüttert, die Orientierung im Raum wurde zum Problem. Der Mitmensch wurde zum potentiellen Feind. Der Tod schien hinter jeder Ecke zu lauern. Angst macht folgsam. Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung war froh, jetzt von Merkels Kabinett regiert zu werden und bereit, den vom Parlament beschlossenen Notstandsmaßnahmen ohne Murren zu folgen. Sogar die AfD trug das meiste mit, paradoxerweise aber nicht das für das Rettungspaket notwendige Aussetzen der Schuldenbremse.

Das Leben ist immer bewegt, in Gegensätze gespalten. Es ist mit seinem Gegensatz, dem Tod, unweigerlich verbunden.

„Wir können den Tod gleichzeitig im Allgemeinen wissen und doch ist er etwas in uns, das ihn instinktmäßig nicht für möglich und nicht für notwendig hält. Was uns psychologisch interessiert, das ist dies ganz persönliche Verhalten zum Tode, die individuell erlebte Reaktion auf die Situation der Grenze des Todes“[7],

bemerkt der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers in seinem Buch Psychologie der Weltanschauungen aus dem Jahre 1919. Der Tod stand vielen jählings vor Augen und rückte die eigene Sterblichkeit ins Bewusstsein. Jeder war schlagartig auf sich zurückgeworden. Die Situation erlebten viele als kulissenhaft, absurd, nicht real, als blitzartigen Erdrutsch; man wähnte sich wie auf einem Horrortrip. Der Tod als eine kollektive ‚Grenzsituation‘. Der Roman Die Pest von Albert Camus wurde neu entdeckt, vor allem in Italien und Frankreich. Auch Karl Jaspers beschreibt die existenziellen Situationen, in denen uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Das Leben mit seinen Zufällen und unausweichlichen Antinomien zeigt sich nackt. Jeder ist auf sich zurückgeworfen. Der Mensch ist allein. Alles erscheint kontingent. So charakterisiert die Philosophie des Existenzialismus die Grundsituation des Menschen. Es wird deutlich: Das Leben ist nie „als ruhendes abgeschlossenes Wesen da, sondern immer bewegt, in Gegensätze gespalten. Es ist mit seinem Gegensatz, dem Tod, unweigerlich verbunden“[8], notiert Jaspers.

Der Einfall eines solchen Virus kann sich wiederholen oder wie Camus zum Schluss seines Romans warnt, dass „vielleicht der Tag kommen wird, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten wecken und erneut aussenden wird […].“[9] „Die Charakteristik der Grenzsituationen zeigt uns die Lage des Menschen als eine antinomische.“[10] In einer solchen Krise geht uns der Halt verloren, unser ‚Gehäuse‘ von Sicherheiten und Gewohnheiten zerbricht. Auf nichts ist mehr Verlass. Das Auftauchen von Covid-19 ist zunächst eine Erfahrung des Scheiterns aller rationalen Strategien zur Bewältigung von Problemen. Alte Regeln gelten nicht mehr, eingeübte Verhaltensweisen müssen neu überdacht werden. Abstand halten und Händewaschen wird plötzlich überlebenswichtig. Im Angesicht des Todes ordnet sich die Rangfolge der Werte neu. Die Ökonomie verliert über Nacht ihren höchsten Rang.

Die Akzeptanz für harte Maßnahmen nahm nach vier Wochen langsam ab. Hielten am 20. März noch über 50 Prozent eine Ausgangssperre für richtig, lag der Wert fünf Wochen später bei 33 Prozent.[11] Als die Schockstarre und die Angst Ende März nachließ, meldeten sich bald die ersten Kritiker und Bagatellisier. Die Gefährlichkeit des Virus wurde geleugnet oder in Frage gestellt und die Schutzmaßnahmen als überzogene Eingriffe in die individuelle Freiheit kritisiert. Intellektuelle Diskurslinien traten jetzt, wie schon 2015, deutlicher hervor. Kant gegen Mill und Spencer.

Diktatur der Biopolitik oder Zivilisationsfortschritt?

Am 26.02. erklärte einer der prominentesten lebenden Philosophen Giorgio Agamben Covid-19 für eine „Erfindung“, dies in einer Zeit, in der die italienischen Zeitungen täglich seitenlange Todesanzeigen druckten. Die epidemisch einsamen Bürger flüchteten in die Arme des autoritären „monströsen Leviathan“ und opferten ihm ihre Freiheit.[12] Paolo Flores d’Arcais, Chefredakteur des politisch-philosophischen Magazin Micromega, einer der Chefdenker der italienischen Linken, reagierte nach Berichten des Tagesspiegels „wütend“: Er habe „genug vom Aberglauben von Gurus und Sektenführern, auch wenn sie als Philosophen oder Psychoanalytiker durchgehen wollten“. Während Agamben der Kirche vorhält, sie habe „sich zur Magd der Wissenschaft gemacht, der mittlerweile wahren Religion unserer Zeit“ gilt d’Acrais als Verteidiger eines an der Philosophie orientierten Wissenschaftsbegriffs. Inzwischen hat sich Agamben von seiner Behauptung stillschweigend verabschiedet. Was die autoritären Folgen betrifft, blieb er hart.[13][14]

Wo Agamben Diktatur und Barbarei sieht, entdecken andere in der Sorge um Alte und Kranke einen Zivilisationsfortschritt. Besonders empört hat die italienische ‚Biopolitik‘ den französischen Philosophen Alain Finkielkraut. Finkielkraut ist überzeugt, dass in den staatlichen Reaktionen auf die Pandemie zivilisatorische Standards auf dem Spiel stehen: „Das Leben eines Greises ist so viel wert wie jenes eines Menschen im Vollbesitz seiner Kräfte. Solange wir dieses Prinzip hochhalten, hat der zeitgenössische Nihilismus nicht endgültig triumphiert, und wir bleiben eine Zivilisation.“[15] Agamben verharmlose menschliches Leid und sei ebenso „unerträglich arrogant“ wie der Karlsruher postmoderne Philosoph Peter Sloterdijk. Dieser hatte in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Le Point am 18.03. das Virus zu einer stinknormalen Grippe verharmlost und den Teufel des drohenden Leviathans an die Wand gemalt.[16] Sloterdijk spricht gar von einer neuen Wissenschaft, die „Labyrinthologie“. Die Medizin macht er zum Komplizen einer totalitären Politik, die gerade den totalen modernen Sicherheitsstaat begründe – Sloterdijk: „Die Gespenster der wiedergefundenen Ordnung kehren zurück“ – das können im französischen Kontext nur Vichy und Pétains Faschismus sein, bemerkt der Schweizer Autor und Journalist Jürg Altwegg in der FAZ.[17] Zwei Wochen später lobt Sloterdijk die „grenzüberschreitenden Wissenschaftsgemeinschaften“ in einem Interview mit der Zeit und stellt selbstkritisch fest: „Zuerst dachte man, die Medien schreiben die Dinge hoch, […] aber nein, heute ist eine nüchterne Beschreibung […] schlimm genug […] tendenziell ist es sogar zu schlimm für realistische Berichte.“[18]

Für Agamben, der als Großtheoretiker gern in historisch langen Linien denkt, so die Philosophin Susanne Lettow, „folgt Politik seit der Antike einer biopolitischen Logik, in der insbesondere in der Gegenwart Demokratie und Diktatur ‘ununterscheidbar‘ würden.“ Agamben binde „seine Gegenwartsdiagnose jedoch in eine geschichtsphilosophische große Erzählung ein, die einen solchen Totalitätsanspruch erhebt, dass sich jede Analyse spezifischer Problematiken zu erledigen“ scheine. Mit anderen Worten: Agamben ist als Philosoph, der aufs Ganze geht, zu ungenau. „Die Faszination, die seine Texte vielerorts“ auslösten, resultiere „aus einem totalisierenden Erklärungsmuster, das reflexionsentlastend“[19] wirke, kritisiert die Philosophin.

Dan Patrick, ein Republikaner, war der erste, der öffentlich erklärte, dass sich die älteren Amerikaner für die Wirtschaft opfern sollten.[20] Der Brexit-Stratege Dominic Cummings, Boris Johnsons Chefberater, wird mit den Worten zitiert, Vorrang müsse „dem Schutz der Wirtschaft“ zukommen – es sei „halt Pech, wenn das bedeutet, dass ein paar Rentner dabei draufgehen“. Später dementierte er diese Sätze.[21]

Auch der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht hat sich vom „rechten Opfervirus anstecken lassen“, bemerkt Thomas Assheuer. „Seinen erwartbar nietzscheanischen Refrain“ kenne „man schon auswendig“: „Gumbrecht fürchtet, dass die Gleichheitsmoral – also die ethische Maxime, alle Menschen vor Covid-19 retten zu wollen – das Überleben des Kapitalismus, mehr noch: das Überleben der Menschheit gefährdet.“ Gumbrecht, der auch geschichtsphilosophisch vom Ganzen her denkt, wie Agamben, prognostiziert in der NZZ am 24.03.2020: „Jeder Tag des verordneten Stillstands mag also nicht nur ein Tag auf dem Weg zur Überwindung der Pandemie, sondern auch ein Tag auf dem Weg zum Ende der Menschheit sein.“[22]

Die philosophischen Biopolitikdebatten erreichten die Niederungen der politischen Praxis in der Zeit der ersten Lockerungsdiskussionen und der Verlängerung der bundesweiten Kontaktbeschränkungen bis zum 19. April. Die relative Harmonie von Bund und Ländern bekam die ersten Risse. Das RKI wurde als nicht unfehlbar beschimpft. Am 22. April warnte der Virologe Christian Drosten in seinem Podcast: „Wir sind dabei unseren Vorsprung zu verspielen.“[23] Das Helmholtz-Institut plädierte dafür, erst dann zu lockern, wenn die Reproduktionsziffer weit unter 1 gedrückt ist, während der Bonner Virologe Hendrik Streek mit einer Studie im Kreis Heinsberg Lockerungen begründen wollte. Anfang Juni bezweifelt er, dass der Lockdown im März überhaupt nötig war. Nach den ersten Einschränkungen wie den Absagen von Großveranstaltungen habe das Infektionsgeschehen bereits abgenommen, sagte Streek der Neuen Osnabrücker Zeitung.[24] Die Akzeptanz der Maßnahmen schwand mit der Angst. Das eigene Überleben und die eigen Eingerichtetheit wurde, wie bereits zuvor, erneut zum Maßstab des Handelns.

Freiheit oder Lebensschutz?

Unsere westliche Demokratie und unser Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft beruhen auf der gleichen Wertebasis wie sie durch Aufklärung und Französischer Revolution geprägt wurden. Die neurechte Klage, die „Gleichheitsmoral“ gefährde das Überleben des Kapitalismus und damit das der Menschheit – Menschen hätten das Sterben verlernt – ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die uns weismachen wollen, „ein langes Leben“ könne nicht per se ein Ziel“ sein, weshalb man die Idee der Demokratie, die Gleichheit aller Bürger, zur Disposition stellen müsse. In diese Klage stimmten bald auch deutsche Intellektuelle ein und öffneten damit Gegnern der offenen Gesellschaft eine Tür für ihre Hetze gegen die Wissenschaft und Demokratie.

Als einer der ersten Intellektuellen begann die Schriftstellerin und ehrenamtliche Richterin Juli Zeh am 5. April in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung[25] die Diskussion über Öffnungs-Alternativen. Zeh hielt – trotz der Bilder und Berichte aus Italien und Spanien – die Pandemie für gar nicht für so bedrohlich. Zeh plädiert für die Herdenimmunität, während man Risikogruppen gezielt schützen sollte. Politiker mit „wenig Rückgrat”, so Zeh, gestützt auf „eine eskalierende Medienberichterstattung” schürten Angst, um mithilfe einer „Bestrafungstaktik” Freiheitsbeschränkungen durchzudrücken. Auch hier zeige sich „eine Form von Politikversagen” und die Fortsetzung eines Trends der vergangenen Jahre, „ein apokalyptisches Szenario nach dem anderen auszurufen”, womit sie offenbar die Klimakrise meinte. Für Markus Decker, Korrespondent der Dumont-Hauptstadtredaktion, sind Zehs Äußerungen „sachlich falsch, moralisch fatal – und ja, in ihrer fehlenden Komplexität einer politischen Intellektuellen unwürdig.“ Eine „Analyse der Wirklichkeit“ habe „stets von eben dieser Wirklichkeit ausgehen. Daran fehle es „bei Zeh ganz und gar“. Ihre Analyse offenbare „weniger Intellektualität als ein stupendes Maß an Ideologie, die wie alle Ideologien an der Wirklichkeit“ zerbreche.[26]

Am 24.04. sprach sich Zeh in einem Debattenbeitrag von Alexander Kekulé, Julian Nida-Rümelin, Boris Palmer, Christoph M. Schmidt und Thomas Straubhaar für einen schnellen Ausstieg aus dem Lockdown aus. Covid-19 sei für die Bevölkerung nicht gefährlicher als die Grippe, sagen die sechs Gastautoren – wenn man Ältere und Risikogruppen besonders schütze. Was heißt „müssen besonders geschützt“ werden? Heißt das im Endeffekt, dass Ältere und Risikopersonen unter Quarantäne gestellt und quasi weggesperrt werden sollen? Schutz durch Kasernierung? Sollte jetzt die Minderheit die Mehrheit schützen? Den Vor- schlag Risikogruppen von Lockungen auszunehmen sieht der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier kritisch, er sieht auch die Freiheitsrechte bedroht.[27] Jede Einschränkung eines Grundrechts bedürfe einer Rechtfertigung und müsse den Bürgern genau erklärt werden, betont Papier. Die leicht nachvollziehbare staatliche Empfehlung an Risikogruppen sich zu schützen setzt hingegen auf Vernunft statt auf Zwang.

Wolfgang Schäuble beschleunigte die Diskussion um die Lockerung am 26. April in einer Phase der vorsichtigen Öffnung, in der Merkel Diskussionen um weitere Lockdown-Lockungen scharf kritisiert und die politische Einheitsfront bröckelte mit einem Satz gegenüber dem Tagesspiegel: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“ Dann fuhr er fort: „Meine Angst ist aber begrenzt. Wir sterben irgendwann alle. Und ich finde, Jüngere haben eigentlich ein viel größeres Risiko als ich. Mein natürliches Lebensende ist nämlich ein bisschen näher.“[28] Jetzt wog auch Schäuble Leben gegen Leben ab, das, was das Grundgesetz nicht erlaubt. Deshalb darf es auch keine sogenannte Triage geben.

Wie 2015, als Schäuble Merkels Kurs der Willkommenskultur widersprach, fragte er auch jetzt nach dem Maß an Menschlichkeit. Schon im November 2015 hatte er vor der „Gefahr einer Lawine“ gewarnt. Nicht gemeint haben will Schäuble, dass man verschiedene Leben gegeneinander aufrechnen wolle oder solle, auch nicht als „Seitenhieb auf die Kanzlerin, die gesagt hat, dieser (der Lebensschutz, d. Verf.) stehe im Zentrum ihrer Motive,“[29] – eine Abwägung, die das Grundgesetz – ganz im Sinne Immanuel Kants – nicht erlaubt, wie das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch (1975) und Luftsicherheitsgesetz (2007) formuliert. Noch am gleichen Tag warnten in der gleichen Zeitung Shimon Stein, Israels Botschafter in Deutschland (2001-2007) und Moshe Zimmermann, Professor emeritus an der Hebräischen Universität Jerusalem, vor schnellen Lockerungen und der politischen Ideologie dahinter: „Nach der Phase der Solidarität“ komme vielerorts der soziale Darwinismus in Fahrt, der Wunsch nach dem Prinzip des Überlebens des Stärkeren.“ Auch wenn Stein und Zimmermann Amerika, England, Israel im Auge haben, in denen „die nichtsoziale, neoliberale Marktwirtschaft“ herrscht, bleibt die berechtigte Warnung vor einem „darwinistischen Neo-Liberalismus“.[30]

Einige haben Schäubles Satz dann auch, wie Boris Palmer, als Relativierung von Leben verstanden und diesen weiter radikalisiert. Am 28.04.2020 sagte er in einem Interview im Sat.1 Frühstücksfernsehen: „Wir retten möglicherweise Menschen, die sowieso bald sterben.“[31] Palmer entschuldige sich zwar für diese Äußerung, korrigierte sich aber nicht. Forscher der Universität im schottischen Glasgow haben gemeinsam mit der Gesundheitsbehörde des Landes gezeigt, wie falsch diese Vermutung ist: Männer verlieren durchschnittlich 13 Jahre Lebenszeit, Frauen elf.[32]

Palmer folgte einer utilitaristischen Grundhaltung. Die BedenkZeiten-Redaktion des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen führt dazu aus: „Klar ist, dass Palmer mit seiner Gegenüberstellung der Alten und der arbeitenden Bevölkerung eine unterschiedliche Schutzwürdigkeit von Leben vertritt. Diese Argumentation findet sich derzeit auch in ultrarechten Kreisen, zum Beispiel in den USA wieder. […] (und) ist nicht mit Artikel 1 unseres Grundgesetzes ‚die Würde des Menschen ist unantastbar‘ vereinbar, denn der zweite Satz von Artikel 1 lautet ‚sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘. Dieses Recht darf kein gewählter Repräsentant unseres Staates je verkennen.“[33]

Ende April nahm der öffentliche Druck, die strengen Regeln zu lockern, auch durch wirtschaftliche Interessengruppen und durch die immer lauter werdenden „Hygiene-Demonstration“, weiter zu, obgleich sich erstmals die größten Forscherorganisationen einstimmig weiterhin für Einschränkungen aussprachen.

„Es sei möglich, die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von Wochen so weit zurückzudrängen, dass die umfangreichen Kontaktbeschränkungen durch eine Nachverfolgung einzelner Infizierter ersetzt werden könnten. Das sei ein ‘sinnvoller und effizienter Weg zurück zu einem weitgehend normalen Leben‘“.[34]

Dennoch sprachen sich Armin Laschet und Christian Lindner gegen eine „Verabsolutierung“ des „Lebensschutzes“ aus. Auch der Deutsche Ethikrat stellte überraschend fest: „Der gebotene Schutz menschlichen Lebens gilt nicht absolut“, ein „allgemeines Lebensrisiko“ sei von jedem zu akzeptieren.

An der öffentlichen Debatte beteiligten sich nun auch der Philosoph Jürgen Habermas und der Rechtstheoretiker Klaus Günther. Zu Beginn des Gesprächs äußert Habermas seine Beunruhigung darüber, dass nun auch „Juristen in den Chor derer einstimmen, die den im zweiten Satz des zweiten Artikels unseres Grundgesetztes gewährleisteten „Lebensschutzes“ gegenüber der in Artikel 1 genannten, gewissermaßen über allen Grundrechten thronenden „Menschenwürde“ relativieren und zur „Abwägung“ mit allen übrigen Freiheits- und Teilnahmerechten gewissermaßen freigeben.“ Das könne zu „Entgleisungen wie der des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer ermutigen.“

Günther bezieht sich in seinen Ausführungen auf das Urteil des BVerG aus dem Jahre 1975, „das in seiner Rechtsprechung dem Recht auf Leben einen hohen Rang“ beimesse. „Aus dem Grundrecht auf Leben“ leite es „für den Staat das Gebot ab, sich ‘schützend und fördernd‘ vor das Leben zu stellen“, und weise ihm ‘innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert‘ zu, „nicht zuletzt mit Bezug auf die deutsche Vergangenheit“. „Das Recht auf Leben“, so Günther, sei nach Auffassung des BVerG „die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“ – als auch des Rechts auf Freiheit.

Mit der Rede von „einem“ statt von „dem“ Höchstwert soll wohl, so Habermas, „angedeutet werden, dass – anders als Schäuble und der Ethikrat meinen – „Leben“ einen ähnlich hohen Stellenwert hat wie „Menschenwürde“. Für Habermas verkörpere sich „die Würde“ in „sterblichen Subjekten aus Fleisch und Blut“. „Die unbedingte Schutzverpflichtung des Staates“ beziehe sich „dann aus begrifflichen Gründen nicht nur auf die Würde der Rechtsperson, sondern ebenso auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie auf die Bewegungs- und Handlungsfreiheit dieser Person selbst.“ Klaus Günther hält dies für „eine präzise Rekonstruktion der Intuition des Bundesverfassungsgerichts.“ Abschließend kommt Habermas zu folgendem Urteil:

„Wenn aber demokratische Bürger nur den allgemeinen Gesetzen gehorchen, die sie sich selber, und zwar alle gemeinsam, gegeben haben, können sie auch keiner Politik zustimmen, die entgegen ihrer Gleichberechtigung das Leben einiger um der Interessen aller anderen willen aufs Spiel setzt.“[35]

Es gibt Menschen, die seit Anfang der Jahrtausendwende davor gewarnt haben, dass bald eine Pandemie ausbrechen würde. Sie arbeiteten im RKI, in Krankenhäusern und Universitäten. Man ahnte, wie die Öffentlichkeit reagieren würde. In der Risikoanalyse vom Januar 2013 heißt es: „Die Suche nach Schuldigen und die Frage, ob die Vorbereitungen auf das Ereignis ausreichend waren, dürfte noch während der ersten Infektionswelle aufkommen.“ Weiter heißt es: „Es ist von einer vielstimmigen Bewertung der Ereignisse auszugehen, die nicht widerspruchsfrei ist. Dementsprechend ist mit Verunsicherung der Bevölkerung zu rechnen.“[36] Zu dieser Verunsicherung der Bevölkerung trugen nicht allein postmoderne Philosophen und Intellektuelle mit ihrer neoliberalen Kosten-Nutzen-Debatte bei. Verunsicherung bereitete auch den Boden für Verschwörungsideologen, Fake-News, Hass und Hetze und gab Verschwörungsideologen, Esoterikern, Reichsbürgern, Rechts- wie Linksextremen die Möglichkeit im Namen des Grundgesetzes vor einer Corona-Diktatur zu waren. Die wachsende Ungeduld bei den Lockungen ist zwar verständlich. Gleichwohl war der Überbietungswettbewerb in Besserwisserei und das Schüren von Misstrauen in einer Situation, in der Politik und Wissenschaft vor zu schnellen Lockungen warnte, destabilisierend.

Anfang Mai gründete sich eine Initiative „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“, mit inzwischen 18000 Unterstützern. Zu ihren Gründungsmitgliedern zählen: Bhakdi S., Christidis A., Diemer A., Folkinger D., Hockertz S., Homburg S., Kuhbandner C., Müller W.,Reichl C., Reiss K., Sammer S., Schäufele M., Scherz-Willeitner G., Schiffmann B., Spitzenberger S., Walach H., Weikl R., Weng J,. Wodarg W. Die Initiative versuchte ein internationales Netzwerk des Protestes gegen die Corona-Maßnahmen zu knüpfen und u.a. mittels YouTube. Man rief dazu auf, sich „friedlich“ an Aktivitäten und Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zu beteiligen, damit sich die „Situation in unserem Lande zum Guten“ wende. „Jeder positive Gedanke, jede friedliche Aktion, jede Stimme“ zähle, heißt es auf ihrer Seite „Herzlich Willkommen“. Man redete seinen Unterstützern, wie wir es von der AfD kennen, ein, man stünde, wie damals in der DDR, an einem Wendepunkt, wenn es heißt: „Nehmen wir uns Mahatma Gandhi, Nelson Mandela, Martin Luther King ́s ‚I have a dream!‘ und auch die friedliche Revolution in der DDR, die letztlich zur ‚Wende‘ geführt hat, zum Vorbild!“[37] Für die Initiative scheint der langersehnte Umsturz kurz bevor gestanden zu haben. Sie versuchte nach eigenen Angaben, „für einen fünfstelligen Betrag eine Anzeige in der FAZ schalten“, was aber die FAZ ablehnte. Es ist nicht verwunderlich, dass Wolfgang Homburg auf der Twitter-Seite von Hans-Georg Maaßen, Mitglied der Werte-Union, diesen Aufruf veröffentlichte.[38] In diesem Aufruf heißt es:

„Aufforderung an die Bundesregierung und alle Landesregierungen. Sehr geehrte Damen und Herren, wir fordern Sie hiermit auf, Ihrer Verantwortung, Schaden von der Bevölkerung abzuhalten, nachzukommen und die gegenwärtigen verhängten Maßnahmen sofort und vollständig aufzuheben.“[39] 

Es wundert auch nicht, wenn Maaßen Corona mit Karina Reiss und Sucharit Bhakdi zum „Fehlalarm“[40] erklärt und sich mit Jan Fleischhauer über den „unfehlbare(n) Dr. Drosten“ lustig macht. Maaßen, der immer wieder vor der linken Gefahr warnt und noch Anfang Juni meinte, die CDU sei „ohne Kompass und inhaltlich ruiniert“, betrachtet sich als Warner und meint mehr als andere zu sehen, wenn er schreibt: „Ein schönes Zitat von Carl Burckhardt, an das ich mich heute erinnerte: „Es gehört zum Schwierigsten, was einem denkenden Menschen auferlegt werden kann, wissend unter Unwissenden den Ablauf eines historischen Prozesses miterleben zu müssen, …“[41] Und weiter: „ … dessen unausweichlichen Ausgang er längst mit Deutlichkeit kennt. Die Zeit des Irrtums der anderen, der falschen Hoffnungen, der blind begangenen Fehler wird dann sehr lang.“[42]

Gegner der Maßnahmen gegen Covid-19 erhielten, wie bereits 2015, sehr viel Aufmerksamkeit, obwohl diese bei einer Mehrheit der Bevölkerung weiter Zustimmung fanden. Das zeigt eine Umfrage, die von der Universität Freiburg vom 7. bis 17. Mai 2020 online im Rahmen des Politikpanel Deutschland durchgeführt wurde. „Für nicht geeignet hielten die Corona-Regeln demnach 22 Prozent der Befragten. 73,5 Prozent der AfD-Anhänger und 51,5 Prozent der FDP-Anhänger halten die Einschränkungen für übertrieben.“[43] Laut ZDF-Politbarometer finden 81 Prozent der Deutschen die Proteste „nicht gut“; nur 16 Prozent finden sie „gut“. Dabei haben sie den größten Rückhalt bei Anhängern der AfD. Hier finden 61 Prozent der Befragten die Proteste „gut“.[44] Das bedeutet, dass die Demonstranten, die gegen die Maßnahmen protestieren, nur für eine kleine Minderheit sprechen. Bloß kein zweites 2015! Die Politik wurde nervös. Die Stunde der Kritiker aller Schattierungen war gekommen. Am 3. Mai titelte BILD: „Tausende auf dem Cannstatter Wasen. Mega-Demo gegen Corona-Regeln. Kaum einer trug Mundschutz.“

Der digitale Autoritarismus, eine Schrumpfform wissenschaftlicher Bildung

Nicht erst seit Donald Trump ist das Problem: Weniger die Vernünftigen, sondern die lauten, die Hetzer und die radikal Rechten geben in den sozialen Medien den Ton an. Zu Beginn der Krise gab es einen enormen Boom diverser Verschwörungsideologien[45] rund um das Corona-Virus. Befeuert durch die Krise machte das Internet diese Menschen sichtbar. Ihr Einfluss wuchs.

„Ihre einfachen Erklärungen funktionieren darüber, einen Sündenbock zu benennen. Das ebnet den Weg in antisemitische und rassistische Weltbilder und führt zu konkreten Angriffen auf konkrete Gruppen: Jüdinnen und Juden, asiatisch gelesene Personen, Asylsuchende, Menschen mit Einwanderungsgeschichte, Wissenschaftler*innen sind betroffen,“

bemerkt die Amadeu-Antonio-Stiftung.[46]

„Die neue Asylflut im Schatten von Corona“ beschwor das neurechte Magazin Compact im April 2020.[47] Im Windschatten der Pandemie gehe es „den Eliten“ um einen „Bevölkerungsaustausch“. Anfang Juni tauchten neben der Berichterstattung großer US-TV-Sender rund um die „Black Lives Matter“-Bewegung und einer Debatte im US-Senat, die ein Anti-Lynching-Gesetz zum Thema hatte, auf YouTube Anzeigen des deutschen Kopp-Verlags für ein Buch über die rechtsextreme Erzählung des „Bevölkerungsaustausches“ auf. Neben rechtsextremen Verschwörungserzählungen vertreibt der Verlag Bücher über „Unbequeme Fakten & verschwiegene Hintergründe über Regierungsversagen, Staatskontrolle & Verschwörungstheorien“ im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Google, YouTube-Schwester und weltgrößtes digitales Werbenetzwerk, entfernte die Anzeigen, nachdem Netzpolitik.Org das Unternehmen darauf aufmerksam gemacht haben.[48]

Seit Covid-19 Deutschland erreichte, nahm auch der Rassismus gegen asiatisch aussehende Menschen zu. Minderheiten wurden gemoppt, beleidigt, bedroht und körperlich angegriffen und als potentielle Überträger des Virus identifiziert. In Indien machten Hindu-Nationalisten Muslime für das Virus verantwortlich, in Südchina galten Menschen afrikanischer Herkunft als Überträger der Krankheit und in den USA ging Trump härter gegen lateinamerikanische Migranten vor. Das mediale Framing zeigte Wirkung.[49] Dass Initiativen wie #Ich bin kein Virusüberhaupt erforderlich sind, ist eine Schande.

Staaten wie China und Russland verbreiten nach Angaben der deutschen Bundesregierung gezielt Falschinformationen zu Covid-19. Die EU-Kommission warnt Anfang Juni vor einer „Infodemie“ an viralen Falschinformationen in der Coronakrise. Sie wünscht sich neue Maßnahmen von Plattformen wie Google und Facebook, Verpflichtungen gibt es vorerst nicht.[50] Für die rechtsextreme Szene sowie für die Gegner der offenen Gesellschaft aller Schattierungen spielen heute Social Media eine überragende, wenn nicht die entscheidende Rolle. Bereits Anfang Februar sprach die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Zusammenhang der Corona-Krise von einer „massiven Infodemie“, einer unübersichtlichen Flut mit Informationen über das Corona-Virus.

„Der Kurznachrichtenportal Twitter hat nach eigenen Angaben mehr als 170 000 Konten entfernt, auf denen Positionen der chinesischen Führung mit Falschinformationen und Propaganda unterstützt worden sein sollen – unter anderem im Zusammenhang mit dem Coronavirus“,

berichtet Tagesschau.de.[51]

2015 – 2020 Gemeinsamkeiten und Unterschiede

In Zeit extremer Unsicherheit haben einfache Wahrheiten und klare Feindbilder eine entlastende Funktion. Sie schaffen eine gefühlte Übersichtlichkeit. Wer kein Vertrauen in die Wissenschaft, in die Qualitätsmedien und in die Politik der Regierung mehr hat, schenkt im Zweifelsfall den sogenannten „alternativen“ Medien mit ihren schillernden und Anti-Establishment Verschwörungsideologien seinen Glauben. Es macht einen Unterschied, ob ich die politischen Entscheidungen kritisiere oder ob ich behaupte, dahinter steckt ein systematischer Plan zur Knebelung der Bevölkerung oder gar zur Abschaffung der Demokratie. Nach Hessel, Luy und Chakkarath zeigt

„das Denken in Verschwörungen sich als kulturell flexibles Vehikel und (sozial-)psychologisch mobilisierbare Ressource zur Deutung und Aneignung von Realität […] und ist in seiner kompromisslosen Institutionalisierung des Misstrauens hoch kompatibel mit gesellschaftlich virulenten Ressentiments und inkompatibel mit einer auf Vertrauens- und Kompromisspotenzialen beruhenden demokratischen Öffentlichkeit.“[52]

Obgleich die Corona-Proteste in ihrer Zusammensetzung und in ihren Zielen unübersichtlich ist – dort waren auch grüne Globuli-Fans, alleinerziehende Mütter und Selbständige – vereint sie das Misstrauen gegen die Eliten. Dieses Narrativ verbindet die rechtsextreme Rechte mit den Corona-Rebellen und Teilen des bürgerlichen Protestes trotz ihrer ideologischen Gegensätze.

„In Pirna, Aue, Chemnitz und Cottbus waren es rechtsradikale Gruppen, die die Demos initiiert haben, aber auch in Westdeutschland sind sie überall präsent. Es gab frühzeitig einen Aufruf von Martin Sellner von der Identitären Bewegung, die Proteste zu vereinnahmen,“[53] 

erklärt der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent in einem Interview mit dem Spiegel. AfD-Mitglieder und Pegida-Demonstranten hätten sich in die Gruppen gemischt, ohne sich zu erkennen zu geben. Viele Demonstranten störte es offensichtlich wenig, dass auch Rechtsradikale, antisemitische Apokalyptiker und Verschwörungsideologen mit ihnen demonstrierten und sogar Reden hielten, wie Ken Jebsen in Stuttgart. Vielleicht wussten sie es auch gar nicht. Hinzu kommt, dass die Demonstrierenden sich und andere einem hohem Infektionsrisiko aussetzten. Ist es nur Zufall oder Gedankenlosigkeit, dass die neue Partei, des Mitorganisatoren der Proteste, Ralf Ludwig, „Widerstand“ heißen soll? Grundrechte sind keine Rechte von lauter Ichlingen. „Sie verpflichten über ihre Funktion als Abwehrrechte hinaus, eine Gemeinschaft als Ganze. Bereits die Zumutungen des Lockdowns erfolgten in ihrem Namen – und nicht erst die Proteste dagegen“,[54] bemerkt der rechtspolitische Korrespondent beim Tagesspiegel, Jost Müller-Neuhof. Gefahr droht ihnen von jenen, die diese für ihre politischen Absichten missbrauchen.

Auch wenn wir es mit zwei sehr unterschiedlichen Situationen zu tun haben, so lassen sich strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen 2015 und 2020 erkennen. Wie bei den Pegida-Protesten steht bei den jetzigen Protesten die Elitenkritik im Fokus. Dies macht sie für das rechtsextremistische Milieu anschlussfähig und gefährlich. Linke und rechte Extremisten hätten die Corona-Krise „dankend aufgenommen“, sagt Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamtes. Vor allem aus dem rechten Lager gebe es Versuche, bürgerliche Proteste zu kapern, so Münch.[55] Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärte der Wochenzeitung Die Zeit gegenüber: „Noch gebe es keine breite Unterwanderung der Demonstrationen durch Extremisten.“[56]

Anders als 2015 warnen heute aber alle Verantwortlichen in der Regierung, einschließlich Verfassungsschutz und CSU, vor den demokratiefeindlichen Tendenzen der „Hygiene-Demonstrationen.“ Anders als 2015 sprach die CSU nicht von „Rechtsbruch“ oder von der „Herrschaft des Unrechts“ oder klagte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die eigene Regierung; was der AfD 2015 erst die scheinbare Legitimität für ihren Protest und ihren Aufstieg verschaffte. Heute haben alle demokratischen Parteien die extreme Rechte weitgehend isoliert. Teile der FDP und Thüringens Landeschef Thomas Kemmerich, der sich unlängst von der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen und Höckes Handschlag nicht verweigerte, machten eine Ausnahme. So nahm Kemmerich an einer Corona-Demo, mit AfD-Beteiligung, teil – ohne Mundschutz und Abstand zu anderen, wie viele andere auf diesen Demonstrationen.

2015 verschaffte sich eine kleine laute Minderheit von Hetzern und Angstmachern bei den Ängstlichen bis in die Spitze der Regierung und einiger Medien Gehör und teilweise Kumpanei. Heute bleiben die Hetzer weitgehend isoliert. 2020 erklären und diskutieren Virologen, Epidemiologien, Sozialwissenschaftler, Philosophen, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker aller demokratischer Parteien, die Notwendigkeit der politischen Maßnahmen. 2015 waren Merkels Entscheidungen weniger transparent und wurden noch von Teilen der CDU/CSU, FDP und SPD und einiger Medien heftig kritisiert. Die deutsche Regierung hat sicher mehr richtig als falsch gemacht, das zeigen die Sterbefalldaten in anderen Ländern. Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.

Eine antiliberale Querfront von links bis rechts wirft ihr Netz aus

Wie 2015 gibt es auch 2020 ein schillerndes Spektrum der Kritik an den staatlichen Maßnahmen. Von Rüdiger Safranski, Peter Sloterdijk, über Botho Strauß, Reinhard Jirgl bis zu dem neurechten Frank Böckelmann. Safranski und Sloterdijk drückten ihre „linkskonservative Sorge“ gegen die „Flutung“ Deutschlands mit unkontrollierbaren Flüchtlingswellen aus und wünschten sich „starkwandige Grenzen“.[57] Im Dezember 2015 forderten Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht Kontingente für Flüchtlinge. Ein halbes Jahr später kritisierte sie die „Wir schaffen das“- Politik von Bundeskanzlerin.

2015 wurde von neurechten Kritikern behauptet, die Regierung plane insgeheim einen „großen Austausch“, heute heißt es: Covid-19 sei eine harmlose Grippe – ein Komplott. „Durch das Anheizen der Corona-Hysterie“ wollten „die Herrschenden Profite einfahren und die Bürger zur Obrigkeitshörigkeit erziehen“, notiert Nicolas Riedl, Mitglied der Rubikon Jugendredaktion.[58] Wer in Deutschland einen „Deep State“, eine verborgene Regierung, innerhalb der rechtmäßigen Regierung oder das internationale „Finanzkapital“, als heimlichen Strippenzieher sieht, spricht den gewählten Repräsentanten der parlamentarischen Demokratie ihre Legitimität ab. Nicht allein die reaktionäre Rechte, auch wer „sich für links oder weltoffen hält, kann demokratiefeindlichen und antisemitischen Positionen anhängen,“ notiert Antonie Rietzschel von der SZ. Bestätigt wird dies von der Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Schon 2015 hatte Alexander Gauland eine „urbane Elite“ als Feindbild ausgemacht. „Man könnte“, so Gauland, „auch von einer neuen Klasse sprechen.“ Zu ihr gehörten „Menschen aus der Wirtschaft, der Politik, dem Unterhaltungs- und Kulturbetrieb – und vor allem die neue Spezies der digitalen Informationsarbeiter.“[59] Der Affekt „gegen das Establishment“ wurde damals auch von der linken Plattform Aufstehen befeuert. Sie kritisiert, meint Der Zeit-Journalist Johannes Simon, unter Führung von Sahra Wagenknecht, Wolfgang Streeck und Bernd Stegemann eine angebliche »Hypermoral« der Mitte und der Eliten und kopierte rechtspopulistische Sprachmuster.[60] Vergleichbare Querfronten mit antisemitischen Zügen waren in England und Frankreich wahrzunehmen.

Auch heute eint die bunte „Bewegung eine diffuse Angst, der Hass auf eine angebliche korrupte Machtelite. Wer jetzt davon rede, man „müsse aufstehen gegen ein totalitäres System, gegen eine Diktatur“, dem gehe es „nicht um Demokratie, sondern um eine gefährliche Selbstermächtigung“.[61]

Politik mit der Angst und der Hetze gegen die Wissenschaft

Manche Medien, Politiker oder Prominente schüren Ressentiments und verbreiten Desinformation weiter, wie beispielweise Hand-Georg Maaßen, der diese als einflussreicher Multiplikator einem größeren Publikum auf Twitter zuträgt. Vielfach ist das Schüren von Angst, Wut, Hass und Mistrauen für manche schillernden Akteure der „Hygiene-Demonstrationen“, wie beispielsweise die „Initiative Querdenken 711“ von Michael Ballweg, dem Organisator der Demonstrationen auf dem Stuttgarter Wasen, Ralf Ludwig und Bodo Schiffmann, Mitbegründer von Widerstand 2020, Rubikon, Kla.tv, Geolitico, Wissensmanufaktur, Heiko Schrang, der mit seinem Video-Kanal auf YouTube Hunderttausende erreicht, Klagemauer.TV, Anti-Zensur-Koalition, bei der schon Holocaust-Leugner und der extrem rechte Publizist Jürgen Elsässer von Compact zu Wort kamen, oder Ken Jebsen (KenFM), dem ehemaligen rbb-Reporter, auch ein einträgliches Geschäftsmodell. Verharmlosungen der Coronakrise sind hier die gemeinsame Grundlage für wütende Kommentare gegen die etablierte Wissenschaft und das politische System. Viele Theorien, die jetzt zu Corona im Umlauf seien, folgten einem bekannten Muster: „Es gibt die bösen Verschwörer, die die Welt zerstören wollen in irgendeiner Art und Weise und es gibt die Guten, die die Wahrheit sehen, die wissen, wie es wirklich läuft“, sagt die Psychologin Pia Lamberty aus Mainz, die über Verschwörungstheorien forscht.[62]

Dr. Bodo Schiffmann betreibt im baden-württembergischen Sinsheim eine Schwindelambulanz und stellte sich den Verschwörungsplattformen KenFM und Rubikon als Interviewpartner zur Verfügung. Er veröffentlicht Videos mit seiner Sicht auf die Coronakrise auf YouTube mit bis zu 300 000 Aufrufen. Schiffmann stehe, nach Berichten des Spiegels, „auch in Kontakt mit dem Chef der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, dem Österreicher Martin Sellner, wie er selbst“ sage. Schiffmann ist das Aushängeschild der Gruppierung, jetzt aber, wegen inhaltlicher Differenzen, zurückgetreten, um selbst eine neue Partei zu gründen.[63] In seinem Video vom 08.06.2020 beklagt Schiffmann, dass Menschen weltweit wegen des „Todes eines Menschen“ auf die Straße gehen, und der sei „schlimm“, nicht aber wegen der Opfer des Corona-Lockdown, das sei auch „schlimm“. So seien in England zwei Drittel der Todesfällt nicht durch Corona, sondern durch den Lockdown entstanden. „2,5 Mio. Menschen seien im März und April (in Deutschland) nicht operiert, obwohl das nötig gewesen wäre.“ Noch heute würden wir auf die zweite Welle warten. „Die Heilung“, so Schiffmann, sei „bereits jetzt schlimmer als die Krankheit es hätte werden können.“ Eine gewagte Hypothese – keine Belege. Lassen sich überhaupt alle Schäden hinreichend bestimmen? Was soll wie, mit welchem Faktor, gegeneinander abgewogen werden? Eine kaum zu lösende Aufgabe – auch mit Taschenrechner. Außerdem, die Pandemie ist noch nicht vorbei. Falsch sei, so Schiffmann, dass eine „Handvoll Menschen über das Schicksal von 83 Mio.“ entscheide. Die Menschen müssten selbst in basisdemokratischen Gruppen, auf Grundlage von unterschiedlichen Expertenmeinungen, entscheiden, was richtig und falsch ist.[64] Schiffmann unterschlägt, dass diese „Handvoll Menschen“ im Rahmen eines demokratischen Verfahrens legitim gewählt wurden. Auch, dass ihm, dem Anmelder der Stuttgarter Demo, am 17. April die Verfassungsrichter unter Auflagen Recht gaben. In Gießen gaben die Richter den Eilanträgen zweier Demo-Anmelder statt. Dies zeigt, die Entscheidungen der Exekutive finden ihre Grenzen am Recht.

Wie viele Corona-Rebellen so verwechselt auch Schiffmann, dass die staatlichen Maßnahmen gewirkt haben damit, dass sie überflüssig gewesen seien. There is no glory in prevention – man erntet keinen Ruhm für erfolgreiche Vorbeugung gegen die Epidemie, sagt Christian Drosten dazu. Im Coronavirus-Update Folge 48 Stand 11.06.2020 berichtet Drosten von zwei Studien, die in Nature veröffentlicht wurden, „in denen man versucht, auszumessen: Was haben die Maßnahmen eigentlich genützt?“ Die eine Studie ist vom Imperial College London. „Es gibt eine Berechnung von Todesfällen für verschiedene Länder, die aufgetreten wäre, wenn die Epidemie freien Lauf gehabt hätte. Da wird ausgerechnet: 570.000 Tote in Deutschland, 470.000 in Spanien, 500.000 in England, 720.000 in Frankreich, 670.000 in Italien.“ Zum Vergleich: Bis zu dem Zeitpunkt waren es in Deutschland in der Realität nicht mal 7000, also mit Maßnahmen. In Italien, das sehr spät reagiert hat und hart getroffen war, gab es bis dahin 30.000 Tote.

Das seien, so Drosten, „aber hypothetische Werte, die sicherlich in keinem dieser Länder so aufgetreten wären. Denn man hätte ja gemerkt, dass eine Infektionsepidemie im Umlauf ist, und auch ohne spezifische politische Entscheidungen hätten sich die Leute vorsichtiger verhalten.“ Wie effektiv Deutschland gehandelt hat, zeigen die Infektionszahlen der Bevölkerung in Prozent.

„Frankreich 3,4 Prozent, England 5,1 Prozent, Italien 4,6 Prozent, Spanien 5,5 Prozent. […] Das ebenfalls ähnlich strukturierte Deutschland steht hier mit 0,85 Prozent Infizierten in der Bevölkerung. Deutschland ist das einzige große Land in Europa, das sich richtig abhebt. Es hat über fünfmal weniger Infiziertenfälle.“[65]

Seit Jahren verbreitet Ken Jebsen (KenFM) auf YouTube Halbwahrheiten und Verschwörungsmythen. Das ist bekannt und wäre nicht der Rede wert, wenn er nicht bei einer wachsenden Anhängerschaft Misstrauen und Angst in die demokratischen Institutionen säen und Feindschaft und Hass gegen die politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten schüren würde. Jebsen hat auf seinem YouTube-Kanal 485.000 Abonnenten (Stand 30. Mai 2020). Seit das Video Gates kapert Deutschland! am 4. Mai hochgeladen wurde, haben es eine Woche später bereits über drei Millionen Menschen gesehen. Viele teilten das Video auf anderen Plattformen; auch die AfD Müncheberg und der AfD Ortsverband Burladingen.[66] Jebsen behauptet darin, Bill Gates kontrolliere komplett Politik, Medien und Forschung: „Der Lockdown der Republik wäre ohne die von Gates finanzierten Berater im Hintergrund so nie über die Bühne gegangen und wird erst beendet, wenn Gates sein Go gibt.“[67]

Auch Christian Drosten von der Charité würde von der Gates-Stiftung bezahlt. Richtig ist:

„Projektgebundene Fördergelder etwa an die Berliner Charité fließen nicht direkt an beteiligte Forscher wie Christian Drosten, wie Jebsen behauptet, sondern an die Institutionen. Im Vergleich zum jährlichen Budget der Charité von 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2018 macht die Förderung der Gates-Stiftung in Höhe von 250.000 Euro im März 2020 einen verschwindend geringen Teil aus“,

so das ZDF.[68]

In Deutschland entstehe eine Diktatur unter der Führung des Gates-Ehepaares. Jebsen ruft auf seinem Kanal KenFMzu Demonstrationen und Widerstand auf:

„Wir schlittern hier mit riesigen Schritten in eine digitale Diktatur und deswegen möchte ich an dieser Stelle die deutsche Bevölkerung explizit dazu aufrufen, sich dem entgegen zu stellen. Ich rufe Sie dazu auf, sich an den Artikel 20 des Grundgesetzes zu erinnern. […] Da steht nämlich, Artikel 20, Sie haben das Recht auf Widerstand.“[69] 

Jebsen verschweigt den zentralen Nebensatz, dass das nur greife, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. „Andere Abhilfe“ kann heißen, dass die Justiz beurteilt, ob getroffene Maßnahmen dem Grundgesetz entsprechen. Dieser Schritt steht jedem Bürger immer offen und er wurde erfolgreich genutzt.

Jebsen sprach auf einer Demonstration auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart und bezeichnete das politische System der Bundesrepublik als eine seit 1949 anhaltende „Demokratie-Simulation“. Eine Formulierung, wie man sie auch von Erika Steinbach (AfD) kennt.[70] Corona würde instrumentalisiert, um „den Staat noch mächtiger und den Bürger noch ohnmächtiger zu machen“. Jebsen zieht Vergleiche, unter anderem zu „Rassengesetzen“ im Zweiten Weltkrieg.[71] Auffällig viele Positionen überschneiden sich mit denen der AfD. In der Flüchtlingspolitik vertritt er andere.

Jebsen ziele „auf Personen ab, die einfache Erklärungen suchen und nur ein rudimentäres Verständnis von politischen Prozessen“ hätten, sagt der Kommunikationsforscher Dr. Philipp Müller von der Universität Mannheim. „Das Video ist eine Kampfansage an die populären Medien. Er möchte sein eigenes Revier und das eigene Einkommen verteidigen, indem er sich zum Anwalt der Corona-Kritiker erklärt.“[72] Jebsen provoziert, er überspitzt bis zur Unkenntlichkeit und verbreitet Lügen. Missverständnisse scheinen ihm egal. Verschwörung, Angst, Hass, Misstrauen, Ressentiments sind für ihn Waren. Sie werden nachgefragt, er bietet sie an. Das Geschäft mit der Angst blüht. Inzwischen hat der Kopp-Verlag – er verkauft nach eigenen Angaben 10 000 bis 25 000 Bücher pro Tag[73] – im Internet die seriöse Wirtschaftswoche längst überholt. BILD hechelt hinterher. Hochwertiger Journalismus sieht anders aus: u.a. Glaubwürdigkeit, wahrheitsgemäße, fachlich fundierte Berichterstattung, besondere Verantwortung gegenüber dem Medienkonsumenten, Erhalt der demokratischen Gesellschaftsstruktur – ein Grund, warum der rbbsich von Jebsen trennte. Als zugelassener Journalist hat man dem Ethik-Kodex des Deutschen Fachjournalistenverband (DFJV) zu folgen.[74]

Jebsen sieht sich als Künstler. Als solcher könne er mit ‚journalistischen Standards‘ ähnlich viel anfangen wie das Satiremagazin Titanic. Für Jebsen ist der Standdard: Hauptsache anti-Mainstream, anti-Massenmedien.[75]

Edward Bernays, der Neffe Sigmund Freuds, dessen Buch Crystallizing Public Opinion Jebsen kennt, war ein gewiefter Meinungsmacher. Er entwickelte als Erster für US-Regierungen und große Firmen Werbestrategien und gilt als Vater der Public Relations. Bernays setzte ganz auf die Gefühle, nicht auf den Verstand: Menschen können über Meinungsführer gelenkt werden. Sich und seine eigenen Leute beschrieb er als „raffinierte Drahtzieher hinter den Kulissen“, als „unsichtbare Herrscher“. Auch die Nazis versuchten nach der Machtergreifung 1933, das amerikanische PR-Genie als Berater für das „Dritte Reich“ zu gewinnen.[76] Es scheint so, als ob Jebsen in die Fußstapfen Bernays getreten ist. Journalistisches Ethos und die Demokratie bleiben dabei auf der Strecke. Hauptsache Front gegen die „da oben“.

Verschwörungsideologien als Symptom und Katalysator autoritärer Tendenz der Gesamtgesellschaft

Auch im 21. Jahrhundert finden wir, trotz des Siegeszuges von Wissenschaft und Technik, die ihrerseits auch in Inhumanität umschlagen können, Formen mythischen Bewusstseins. Viele Menschen fühlen sich den Zwängen von Wissenschaft und Technik ausgeliefert, die sie nicht mehr verstehen, und suchen nach Orientierung. Wir leben zwar in einem Zeitalter der Aufklärung, sind aber von einem aufgeklärten Zeitalter noch weit entfernt.

Bis in das frühe 20. Jahrhundert waren Verschwörungstheorien in der westlichen Welt ganz selbstverständlich Grundlage von Regierungspolitik. Eine „Studie über die Entwicklung in den USA“ kommt „zu dem Schluss, dass es die aufkommenden Sozialwissenschaften“ in den 60er Jahren waren, die „die konspirative Vorstellungen diskreditierten“, bemerkt der Tübinger Prof. Michael Butter. Die Studien der Frankfurter Schule zum autoritären Charakter und Karl Poppers Die offene Gesellschaft haben dabei eine große Rolle gespielt. Man argumentierte auch mit dem Holocaust, der gezeigt hatte, welche fürchterlichen Folgen Verschwörungsideologien haben.[77] Verschwörungsideologien kann man wie auch Populismus mit Adorno im Sinne einer Dialektik der Aufklärung als das „das Andere der Vernunft“ als Schattenseite und gleichzeitig Gegenbewegung einer zu schnell sich vollziehenden Modernisierung und Rationalisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen verstehen. Verschwörungsideologien sind so gesehen Ausdruck der Krise des Subjekts in der Moderne.

Trotz der Zunahme von Wissen und Bildung wächst heute der Zweifel an den Wissenschaften und der irrationale Glaube an globale konspirative Kräfte wie zum Beispiel der Glaube, dass ‚die Banken‘ oder aktuell Bill Gates in Absprache mit ‚der Politik‘ und mit Hilfe ‚der Medien‘ die Fäden zögen, kurz, dass ‚die Eliten‘ alle unter einer Decke steckten und ‚das Volk‘ betrögen. Man glaubt, dass nicht einfach Übel in der Welt ist, sondern, dass rational kalkulierende Personen oder Gruppen im Hintergrund die politischen und gesellschaftlichen Prozesse lenken würden.

Es geht nicht darum, die Kritik an intransparenten Strukturen zu diskreditieren. Vielmehr geht es um eine Mentalität (Graumann & Moscovici, 1987), „deren Merkmal es ist, in der Welt planvolles und koordiniertes Handeln von Gruppen zu sehen, die in meist böser Absicht, in jedem Fall aber vorsätzlich und im Geheimen agieren.“[78] Wer den Zufall und die Komplexität der Welt negiert und hinter allem einen geheimen rationalen Plan vermutet, denkt in manichäischen Schwarz-Weiß-Bildern. Die Wirkung ist regressiv. Das Vertrauen in den Anderen und in das politische System geht verloren. Das Gefühl von Fremdbestimmung verstärkt sich. Die Bestätigung eines Feindbilds macht die Verschwörungsideologie attraktiv. Der Sündenbock entlastet und gibt Hoffnung, weil man ihn bekämpfen kann. Menschen kann man schnell beseitigen, für die Veränderung von Strukturen, wie die Globalisierung, wie auch der eigenen Lebensgewohnheiten, braucht man einen sehr langen Atem.

„Man kann es kaum noch leugnen, so dumm oder merkwürdig ist es. Wenn man es nur wiederholt, gibt es dem auf eine Weise mehr Glaubhaftigkeit“, erklärte Gates bei einem Pressegespräch der New York Post sein Dilemma, angemessen auf die kruden Theorien zu reagieren, bemerkt Stern.de. „Um ein Nischenphänomen handelt es sich nicht.“ In einer Yougov-Umfrage wurden US-Bürger auch nach Gates und sein Corona-Engagement gefragt.

„Bei Personen, die sich selbst als Republikaner sehen, war der Glaube an Gates’ Impfverschwörung und den Gedankenkontrollchip weit verbreitet. Nur 26 Prozent bewerteten sie als klar falsch, ganze 44 Prozent halten die Verschwörungsgeschichte für wahr. Und selbst bei den Demokraten fand sie noch 19 Prozent Zustimmung.“[79] 

Es ist sicher kein Zufall, dass die Zahlen hier übereinstimmen: 44 Prozent der Amerikaner halten Donald Trump für einen guten Präsidenten. Mit Trump ist ein Verschwörungsideologe an der Macht. Anfang 2020 erklärte er das Virus für eine Erfindung der Demokraten und der „Fake-News-Medien“. 2011 erklärte er, der Klimawandel sei ein Betrug und eine Erfindung der Chinesen. Er verbreitet sie auch, weil sie seinen Geschäften oder derjenigen, die ihn unterstützen, nützen. „Als in Sichtweite seiner schottischen Golfplätze ein Windpark entstehen soll, behauptet er im April 2019, Windräder erzeugen Krebs“, notiert Heike Buchter, Auslandskorrespondentin im Büro Der Zeit in New York. Zu den treusten Anhängern Trumps gehört die Gruppe QAnon, die im Internet verbreitet, Obama, Soros und andere Vertreter der Elite planten einen Putsch. Die USA solle dann in eine Diktatur umgebaut werden. Trump sei hingegen vom Militär eingesetzt, um diese Verschwörung, und diesen deep state, zu stoppen, der Amerikas Bürger ausbeute und unterdrücken wolle.[80] Ähnlich argumentieren Vertreter der Rechten und Verschwörungstheoretiker in Deutschland, nur aus der Perspektive jener, die zur Macht streben. Es gelte die „Merkel-Diktatur“ zu verhindern bzw. zu beenden.

Auch akademische Bildung schützt nicht immer vor Verschwörungsideologien. Der Astrophysiker und Wettervorhersage-Betreiber Piers Corbyn, der älteste Bruder des ehemaligen britischen Labour-Führers Jeremy Corbyn, gehört in Großbritannien zu den aktivsten Verbreitern von Verschwörungsmythen.

„Die Epoche der Aufklärung begann 1720. Sie bildet das Fundament der modern von Wissenschaft, Vernunft und Demokratie geprägten Gesellschaft. Corona-Skeptiker versuchen nun diese just 300 Jahre später mit exaltierten Tänzen und boshaft zur Schau getragenen Dummheit zu revidieren,“[81] 

twittert Prof. Guido Kühn. Wer politische Eliten zu Sündenböcken erklärt und der Wissenschaft und den Experten kein Vertrauen mehr schenkt, bei dem blüht oft auch im Privaten die Bereitschaft zum Aberglauben. „Gut jeder vierte Deutsche zeigt sich aufgeschlossen gegenüber Wunder- und Geistheilern, gut 40 Prozent der Bevölkerung halten etwas von Astrologie oder von New Age, mehr als die Hälfte äußern Sympathie für Anthroposophie und Theosophie“, heißt es in Der Zeit aus dem Jahre 2013. „Esoterische Vorstellungen“, schreibt der Soziologe Detlef Pollack, „gelten zunehmend als normal.“[82]

Ein Grund liegt im modernen Spezialistentum und der Ausdifferenzierung der Wissenschaften, ein anderer in der steigenden Unduldsamkeit ‒ weil sonst ja technisch alles so perfekt funktioniert ‒ gegenüber Irrtümern in Politik, Wissenschaft oder Medizin. Fehlurteile, aber auch Lügen, wie zu Beginn des Irak-Krieges, Watergate-Affäre, Geheimdienstaktivitäten, Attentate, also reale Verschwörungen oder auch Cum-Ex-Geschäfte, Dieselbetrugsskandal, Wahlmanipulation durch Cambridge-Analytica, Subprime-Kredite 2008 usw. reichen aus, um grundsätzlich Mächte des Bösen am Werk zu sehen. Auch der legale und illegale Einfluss von Lobbygruppen auf Diskurse und Politik weckt durchaus berechtigtes Misstrauen und befeuert den Boom der Verschwörungstheorien. Hinzu kommt, nicht nur das Wissen, sondern auch jeder Blödsinn findet heute ungeprüft über das Netz seine Leser. Das Internet hat die Wissenshierarchie des vordigitalen Zeitalters aufgeweicht. Der entscheidende Unterschied: Während die Wissenschaft sucht, hat die Verschwörungsideologe längst gefunden und ist gegenüber Kritik resistent.

Vor allem in Krisenzeiten neigen ängstliche und verzweifelte Menschen dazu, zu fatalen Mitteln zu greifen. Mythische Energien und Vorstellungen verdrängen andere Formen der Interpretation. „In der Politik“ schreibt der Philosoph Ernst Cassirer, „leben wir immer auf vulkanischem Boden“. In ihr sei „das Gleichgewicht nie vollständig etabliert“, hier gebe es nur „eine relative Stabilität und Sicherheit“. Seien diese nicht mehr gewährleistet, entstehe der Mythos neu.[83] Den Mythos könne man nicht für immer besiegen und unterdrücken. Mit der AfD kam der Mythos in die Politik. Mit den Verschwörungsideologen ist er aus dem Netz auf die Straße getreten.

Zur modernen Geschichte gehöre, wie Cassirer verdeutlicht, eine unheimliche Konstruktion: der Mythos, der als politische Waffe gebraucht wird. Der Mythos produziert nicht nur Sinn-, sondern auch Feindbilder. War nicht schon das marxsche ‚Proletariat‘ als Triebkraft der Geschichte ein solcher Mythos oder der Stalin- und Hitler-Mythos, dem Millionen verfielen, darunter auch bedeutende Dichter und Denker? Sind wir nicht in zwei Weltkriegen einem Mythos vom Feind und Tod verfallen? Auch für den Übervater der Neuen Rechten, Carl Schmitt, bildete die Freund-Feind-Logik mit seiner Bereitschaft zu töten und getötet zu werden, den wesentlichen Kern des Politischen. Gleichzeitig wächst der irrationale Glaube an und die Instrumentalisierung von Verschwörungsideologien aller Art. Man spricht wieder von ‚Lügenpresse‘, von ‚Umvolkung‘ oder ‚dem System‘ Emotionen ersetzen Fakten, Gerüchte fluten das Internet. Wenn Emotionen an die Stelle von Fakten treten, dann ist die Zeit des Mythos gekommen. So verbreitet die AfD die Ansicht, die Flüchtlingskrise sei das Werk geheimer Eliten, die eine Umvolkung oder eine Zerstörung der Werte des christlichen Abendlandes plane. Die „Fehlentwicklungen der letzten Jahre“ werden einer „kleinen, machtvollen politischen Führungsgruppe innerhalb der Parteien“, den „links-grün versifften Eliten“ in Politik, Kultur und Zivilgesellschaft, die in Wahrheit der „heimlich Souverän“ sei, in die Schuhe geschoben. Verschwörungsideologen und Rechtspopulisten kritisierten Eliten, sie reduzierten die politische Lage radikal, indem sie nur ganz wenige Akteure annehmen und lösen komplexe politische Themen in einen Gegensatz von Gut und Böse auf. Beide können rechts als auch links sein. Sie vertreten einen Anti-Elitismus und gehen von der Grundüberzeugung eines im Sinne einer Voluonté générale als einheitlich imaginierten Volkswillens aus.[84]

Fantasien über Verschwörungen der Wissenschaft sind typisch für das 20. und das beginnende 21. Jahrhundert. Ein frühes Beispiel stammt von Adolf Hitler. Im Völkischen Beobachter vom 03. Januar 1921 schreibt er: „Wissenschaft, einst unseres Volkes größter Stolz, wird heute gelehrt durch Hebräer, denen im günstigsten Fall diese Wissenschaft nur Mittel ist zu ihrem eigenen Zweck, zum häufigsten aber Mittel zur bewussten planmäßigen Vergiftung unserer Volksseele und dadurch zur Herbeiführung des inneren Zusammenbruchs unseres Volkes.“ Die Einstein‘sche Physik überlebte, die ‚Deutsche Physik‘ ging zwar mit dem Nationalsozialismus unter, kann aber als Vorläuferin eines grundlegenden Wandels gelten: „Sie gibt vor, selbst Wissenschaft zu sein, anstatt wie früher auf Religion oder Mythen zu gründen“, bemerkt Gero von Randow.[85] Wie die Kreationisten, so behaupten auch die Flat EatherWissenschaftler zu sein. Unter der Überschrift Wissenschaft versus Ideologie wird von der AfD behauptet, der Klimawandel sei nicht menschengemacht, CO2 sei so unschädlich wie Dieselfahrzeuge. Kernenergie gehöre heute zu den sichersten Technologien.[86] Ihre Außenseiterposition erklären sie, wie beispielsweise Wolfgang Wodarg, Sucharit Bhakdi, Bodo Schiffmann, verschwörungstheoretisch mit einem „Komplott zur Unterdrückung der Wahrheit.“[87] Verschwörungsideologen verfangen, weil es reale Verschwörungen und auch gekaufte Wissenschaft gibt, beispielsweise in der Atom-, Agrar-, Auto- oder Tabakindustrie. Sie verallgemeinern jedoch diese Ausnahmen zu einem feststehenden Urteil. Gefährlich wird es, wenn sich die Politik auf gekaufte Wissenschaft oder Pseudowissenschaft stützt.

Die Luft sei noch nie so gut gewesen wie heute; Feinstaub sei überhaupt kein Problem, Covid-19 sei völlig harmlos oder gar eine Erfindung. Schnell können durch eine medienwirksam platzierte Falschinformation Millionen Menschen verunsichert und desorientiert werden, wie die Debatte um die Stickoxidgrenzwerte zeigt. „107 Lungen-Ärzte. Alles Lüge mit dem Diesel-Feinstaub“, hieß es am 23. Januar 2019 auf der Vorderseite der BILD. Jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung, aber keiner hat das Recht auf eigene Fakten, schon gar nicht der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der „die masochistische Debatte“, wie „wir uns in Deutschland mit immer schärferen Grenzwerten selbst schaden und belasten können“,[88] beendet sehen wollte. Selbsternannte Experten tauchten auf und leugneten oder verharmlosten die Gefahren. Heute wissen wir: Tabak- und Erdölkonzerne finanzierten über Jahre „Kronzeugen“ aus der Wissenschaft, um wissenschaftliche Fakten gezielt anzuzweifeln. In ihrem Buch Merchants of Doubt legt Noami Oreskes, die in Harvard Wissenschaftsgeschichte lehrt, ein Netzwerk aus zwielichtigen Experten offen, die im Dienst großer Industrien – Tabak, Öl, Gas, Kohle – die Welt mit Nebelkerzen beleuchten. Der Zweifel ist ihr Produkt. Er ist das beste Mittel, um mit dem Tatsachenmaterial zu konkurrieren. „Der Kulturkrieg ist ein Trick der Industrie, um die Amerikaner dazu zu bringen, gegen die Vernunft zu stimmen und gegen ihre eigenen Interessen“,[89] sagt Oreskes. Ohne die Millionen Dollars der Mercers hätte Trump die Wahl nie gewonnen. Nach dem Machtantritt Trumps wurden schnell von staatlichen Webseiten Informationen über den Klimawandel entfernt; Daten zu Luft- und Wasserqualität waren nur schwer zugänglich. Die Regierung Trump, heißt es jetzt, führe einen Krieg gegen die Wissenschaft. Weltweit sind die Wissenschaftler 2017 gegen Fake-News und Trump auf die Straße gegangen. Anhänger solcher Theorien sind häufig gegenüber vernünftigen Einwänden resistent, weil diese Ideen festgefahrene seelische Bedürfnisse und Vorurteile befriedigen: „Sie dämpfen das Ohnmachtsgefühl angesichts des Machtgefälles zwischen Laien und Forschern,“ schreibt von Randow. Sie geben ein Gefühl der Macht, man habe das Komplott der Forscher entzaubert. Warum muss ich Atom- oder Quantenphysik, Klimatologie oder Virologie studiert haben, wenn ich mir das Wissen im Internet zusammensuchen kann? „Theorien über die Verschwörung der Wissenschaft sind insofern eine Schrumpfform wissenschaftlicher Bildung.“[90]Halbbildung.

Gleichwohl ist nicht jede Kritik oder jedes Misstrauen an der Politik Verschwörungsdenken. Man darf und muss auch hinterfragen. Ohne Skepsis keine Demokratie. Nicht jede anti-elitäre Kritik ist gleich eine Verschwörungsideologie. Karl Popper war einer derjenigen, der mit seiner Schrift Die offene Gesellschaft und ihre Feinde den Begriff „Verschwörungstheorie“ mitprägte und auf diesen Unterschied indirekt verwies. Er kritisiert darin totalitäre Ideologien, wie Stalinismus und Nationalsozialismus. Sie haben für ihn eine gemeinsame Wurzel im Historizismus: in der Vorstellung der Gesetzmäßigkeit, Planbarkeit und Vorhersagbarkeit der Geschichte. Der Historizismus ist für Popper demnach „reiner Aberglaube“. Popper hatte etwas Spezielles im Blick: Verschwörungsideologien auf Basis von geschlossenen Weltanschauungen. Ideologien, die verwandt sind mit dem Historizismus.

Adorno hat in seinen Studien zum autoritären Charakter „Unwissenheit und Konfusion“ als „Begleiterscheinungen einer Mentalität“ bezeichnet, „die man Mangel an politischen Erfahrungen nennen“ könne, „insofern, als die gesamte politisch-wirtschaftliche Sphäre in den Augen des Individuums etwas ganz ‚Entlegenes‘ ist, das es nicht konkret erleben und nicht mit Einsichten und Reaktionen erreichen kann, mit dem es aber in einer indirekten, entfremdeten Weise fertig werden“ müsse. Dies erzeuge, vor dem Hintergrund von Unwissenheit und Konfusion, „Unsicherheit und Furcht des Ich, die sich nur zu gut, mit Kinderängsten verbinden“. Nach Adorno führe die „paradoxe Aufgabe“, das „Unverständliche“ zu begreifen, zu einer „paradoxen Lösung“, die aber in eine Sackgasse führe: Stereotypie und Personalisierung, also Wiederholung infantiler Muster. Adorno nennt: „Starre Dichotomien, wie die von ‚Gut und Böse‘, ‚wir und die anderen‘, ‚ich und die Welt‘.“[91] Die für die meisten Menschen undurchsichtig gewordene Komplexität der politischen und ökonomischen Situation biete in den Augen Adornos „eine ideale Gelegenheit zur Regression auf die Stufe der infantilen Stereotype und Personalisierung.“ Die „politischen Rationalisierungen“ seien das „zwanghafte Wiederaufleben irrationaler Mechanismen, die das heranwachsende Individuum niemals überwunden“ hätte. Je weniger ein Mensch imstande sei, so Adorno weiter, „in einen Erkenntnisprozess einzutreten, desto eigensinniger klammer er sich an bestimmte Schemata, da der Glaube an sie ihn der Mühe enthebt, sich wirklich mit der Sache zu befassen. Hier setze die „Verdummung“ ein.[92] Stereotypie verlange indes nach ihrem „genauen Gegenteil“. Umgekehrt flüchte „die Personalisierung von der wirklichen Abstraktheit“, d.h. „vor der ‚Verdinglichung‘ einer gesellschaftlichen Realität, die durch Eigentumsverhältnisse bestimmt ist“. Anstatt sich dagegen „selbst der Anstrengung der unpersönlichen geistigen Arbeit zu unterziehen, die die Abstraktheit der gesellschaftlichen Prozesse“ erfordere, würden „objektive gesellschaftliche und ökonomische Prozesse, politische Programme“ mit Personen identifiziert. Stereotypie und Personalisierung gehören nach Adorno zum Komplex ‚psychotisches‘ Denken, ein wesentliches Kennzeichen der faschistischen Mentalität.[93]

Zur Infantilität kann man auch die „Verblendung durch den Augenblick“, wie der Soziologe Andreas Reckwitz es kürzlich bezeichnet, zählen. Hier wären die Krisen der Spätmoderne, 9/11, Finanz-, Flüchtlings- und Corona-Krise, zu nennen. Nach Reckwitz sind diese Krisen nicht „Ergebnis anonymer Prozesse“, die von Personen oder Personengruppen gesteuert werden, sondern Ergebnis eines „gesellschaftlichen Strukturwandels in der Moderne“, der „die Form ein silent revolution“ annehme. Es handele sich um „allmähliche Wandlungsprozesse, die langsam über einige Jahrzehnte stattfinden, für lange Zeit wenig sichtbar sind und deren Bedeutung häufig unterschätzt werden.“ Die Vorstellung eines „natürlichen Primats von Politik und Staat vor der Gesellschaft“ sei naiv und produziere nur Enttäuschung. Politik und Staat seien selbst „ein Teil der Gesellschaft, sie seien „selbst ein institutioneller Komplex, der die Dynamik von Ökonomie, Kultur und Technologie, zwar beeinflussen, aber nicht komplett steuern“ könne. Der „soziale Wandel in der Moderne sei immer beides: einerseits ein ungeplanter Prozess von silent revolution, auf den andererseits an bestimmten Punkten die Politik steuernd Einfluss“ nehme.[94]

Verlorene Mitte – Flucht ins Autoritäre

Die Professorin Julia Becker von der Uni Osnabrück hat, wie der Tagesspiegel berichtet, eine repräsentative Studie durchgeführt. Sie wollte herauszufinden, was die Corona-Rebellen antreibt. Ihr Ergebnis:

„30 Prozent der Befragten stimmten Indikatoren für Verschwörungstheorien zu. ‘Sie glauben etwa an einen geheimen Plan hinter auf den ersten Blick voneinander unabhängigen Ereignissen. Und sie glauben, von der Regierung genau überwacht zu werden.‘“.[95]

Die sozialpsychologischen Forschungsergebnisse von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen aktuellen Leipziger „Mitte“-Studie 2018/2019, die vom Forschungsteam des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld (IKG) unter Leitung von Wilhelm Heitmeyer und Andreas Zick durchgeführt wurde, zeigen, dass aktuell die deutsche Gesamtbevölkerung eine ausgeprägte Verschwörungsmentalität (30,7%) aufweist. Die Aussagen zu »geheimen Organisationen« und »geheimen Verschwörungen« werden zwar von einer knappen Mehrheit (51,2%) abgelehnt, aber der Gedanke, Politikerinnen und Politiker seien »Marionetten«, erscheint mehr als der Hälfte (51,8%) der Bevölkerung nicht falsch. „Besorgniserregend“ sind diese Befunde, so Felix Brauner, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB), „insbesondere dadurch, dass eine ausgeprägte Verschwörungsmentalität häufig mit der Ausbildung rechtspopulistischer Überzeugungen“ einhergehe, „was ein massives Misstrauen in die demokratischen Institutionen und eine verstärkte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zur Folge“ habe, „sodass eine Verschwörungsmentalität auch heute eng mit einer antidemokratischen und antipluralistischen Grundüberzeugung verbunden“ sei. „Insbesondere für die Ausbildung antisemitischer Vorurteile, die im heutigen Rechtspopulismus vor allen hinter einer Israelkritik versteckt“ seien, so Brauner, stelle „eine ausgeprägte Verschwörungsmentalität einen einflussreichen Prädiktor.“[96] Nicht überraschend wirkt höhere Bildung der autoritären Orientierung zumindest in Teilen entgegen.

Die Forschungsgruppe um Decker zeigt, auf welchen gesellschaftlichen und psychologischen Prozessen die Ausbreitung der Verschwörungsmentalität basiert. Bei ihrer Diagnose stützt sie sich auf die Gesellschaftsanalyse der aktuellen Kritische Theorie:

„Als Kernhypothese nehmen wir die fehlende Anerkennungserfahrung und der autoritären Sozialisation im Hintergrund der autoritären Dynamiken an, die wir mit den Sphären der Anerkennung des Frankfurter Sozialphilosophen Axel Honneth erfassen.“[97] 

Die Studie stützt sich nach Honneth auf die drei Sphären der Anerkennung – als Bürgerin oder Bürger, als Person, als tätiger Mensch – und zeigt den Zusammenhang zwischen einer verweigerten Anerkennung, Verschwörungsmentalität und mentaler Verschlossenheit.

„Menschen mit liebevoller Erziehung sind gegenüber Differenz offener und weniger bereit, sich Autoritäten zu unterwerfen. […] Je mehr emotionale Anerkennung von den Eltern, desto mehr Offenheit beim Kind (und späteren Erwachsenen); je mehr soziale Leistungsanforderungen oder harte Strafen, desto weniger Offenheit.“[98]

In gesellschaftlicher Hinsicht bedeutet das: „Bei verweigerter Anerkennung als Bürgerin oder Bürger findet sich signifikant häufiger ein autoritäres Syndrom. Das stützt unsere These, dass lebenslange und gesellschaftliche Dynamiken über die Entstehung des autoritären Syndroms mitentscheiden. […] Die verweigerte Anerkennung als Bürgerin oder Bürger geht zudem signifikant häufiger mit Verschwörungsmentalität und Verschlossenheit einher. Komplementär dazu steigert die Anerkennung als Person und als tätiger Mensch die Fähigkeit zur Anerkennung von Differenz: Wer in diesen Sphären Anerkennung erfährt, ist anderen Menschen gegenüber eher offen und akzeptiert häufiger die Differenz zwischen Menschen.[99] Verschwörungsideologien sind, nach Florian Hessel, Mischa Luy und Pradeep Chakkarath, heute „gleichzeitig ein Symptom wie ein Katalysator einer autoritären Tendenz der Gesamtgesellschaft und des ‚kulturellen Klimas‘ (Adorno).“[100] Damit zeigt die Mitte-Studie den Zusammenhang autoritärer Einstellungsmuster und Verschwörungsdenken, den bereits die Frankfurter Schule um Adorno[101] und Löwenthal sowie die Totalitarismusanalyse Hannah Arendts als Wegbereiter der antidemokratischen Ideologien assoziiert hatte.

Autoritäre Haltungen, Fake-News und Verschwörungsdenken sind voneinander nicht zu trennen, der autoritäre Charakter erträgt keine Ambivalenzen. Wilhelm Heitmeyers Studien zur politischen Einstellung der Deutschen haben im Laufe vieler Jahre ergeben, dass ein stabiler Anteil von 20 Prozent der Befragten rechtsextremen Ansichten zuneigt – ein „vagabundierender Autoritarismus“, wie Heitmeyer es nennt. Jüngst hat nun eine Studie der Universität Leipzig gezeigt, dass sich nicht weniger als 40 Prozent der Deutschen eine autoritäre Regierung vorstellen könnten.[102] Hier wird deutlich, dass es weiterhin eine autoritäre Dynamik in der Gesellschaft gibt. Sie weist auf die Polarisierung, aber auch auf den Wunsch nach Kontrolle, Unterwerfung und ein starkes Bedrohungserleben hin. Ein Drittel der Bevölkerung erfüllt sich dieses Kontrollverlangen mit einer Verschwörungsmentalität. Das macht die Ausprägung der autoritären Versuchung und die Flucht in die autoritäre Sicherheit sichtbar. Angst war schon immer die beste Grundlage andere für sich einzunehmen.

Die hohe Akzeptanz der staatlichen Corona-Maßnahmen trägt ein Janus-Gesicht. Sie ist nicht allein Ausdruck der Vernunft – auch weil Politik im Modus der Unmittelbarkeit im Junktim mit der Wissenschaft die Maßnahmen transparent gemacht und sehr gut erklärt haben – sondern, so paradox das klingen mag, Ausdruck der Bereitschaft der Unterwerfung des „vagabundierenden Autoritarismus“, weil es ums eigen Überleben ging. Dieser ist nach wie vor gefährlich, „Einstellungen können latent sein oder manifest geäußert werden, aber sie bleiben über die Zeit stabil“, sagt Decker.[103] Es habe eine deutliche Polarisierung und Radikalisierung stattgefunden. Zudem sei ein großer Teil der jungen Menschen bereit, Gewalt anzuwenden. In der nächsten Krise kann es zu ganz anderen Bündnissen und Wahlergebnissen führen. Vertrauen kann in Mistrauen umschlagen. Wer glaubt, dass das Problem AfD sich mit Corona erledigt hat, der irrt. Kein einziger von Rechtsterroristen Ermordeter hat zu einem Mentalitätswechsel geführt, auch Corona nicht. Schlechte AfD-Umfragewerte bedeuten nicht weniger Menschenfeindlichkeit und Nationalismus in der Mitte der Gesellschaft. Gerade nach Corona ist es Aufgabe der Politik das gewonnen Vertrauen nicht zu verspielen.

„Man kann sich verwirklichte Demokratie nur als eine Gesellschaft von Mündigen vorstellen“[104]

Vertrauen ist für uns alle überlebenswichtig, von Anfang an, auch wenn wir in vielen Situationen die Wahl haben, ob wir Vertrauen schenken oder nicht. Sie hilft dem Sozialwesen Mensch, so Niklas Luhmann,[105] als Mechanismus die Komplexität der Welt zu reduzieren. Nie war Vertrauen in staatliche Institution so gefragt wie in der gegenwärtigen Covid-19 Krise.

Die Forschungsergebnisse der Leipziger „Mitte“-Studie zeigen auch den Weg wie Vertrauen stabilisiert werden kann. Den Desintegrationsprozessen in der Gesellschaft muss durch die Stärkung der drei Sphären der Anerkennung, als Bürgerin oder Bürger, als Person, als tätiger Mensch, begegnet werden. Jeder Mensch ist, wie der US-amerikanische Soziologe Talcott Parsons sagt, primär an der Wahrung einer Form von „Selbstachtung“ interessiert, die auf die Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner angewiesen ist. So ist es „einer der schlimmsten Schläge“ für jeden Einzelnen, „die Achtung von Menschen zu verlieren, deren Achtung man erwartet“.[106] Es ist davon auszugehen, dass nicht nur die individuellen Mitglieder, sondern auch die wesentlichen Institutionen von Gesellschaften auf Praktiken und Ordnungen intersubjektiver Anerkennung angewiesen sind. Individuen brauchen, um sich nicht autoritären Führern zuzuwenden, Vertrauen und ein Gespür dafür, dass sie wertvoll sind. Dazu gehört die Fähigkeit zur Empathie und zur Herausbildung eines autonomen Gewissens. Zur Erziehung zur Mündigkeit(Adorno) gehört, zu lernen, gesellschaftliche Widersprüche zu erkennen, auszuhalten und nicht regressiv aufzulösen, wie auch Aufklärung im besten Sinne, nämlich als „Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen“.[107]

Eine soziale und gesellschaftliche Spaltung untergräbt nicht nur das Vertrauen in Menschen aus anderen Milieus, sondern auch das Vertrauen in die Politik. Vertrauen in Demokratie wächst durch bessere Bildung und durch die Schaffung von mehr Gerechtigkeit, Transparenz, Fehlerkultur und Anerkennung. Demokratie erfordert aber auch institutionalisierte Kritik und Debatte durch legitime Opposition auf Basis des Grundgesetztes. Zur Demokratie gehört mehr als die demokratischen Institutionen. Demokratie ist eine aktive Lebensform. Ohne Vertrauen keine Demokratie. Vertrauen ist kein Zustand, sondern eine zwischenmenschliche soziale Praxis, die auf positiven Erfahrungen beruht. Dafür ist es nie zu spät.

Existenzialismus oder die Furcht vor der Freiheit

Der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs macht darauf aufmerksam, dass für Jaspers „gerade im Zerbrechen des Gehäuses von Sicherheiten und Erwartungen“ auch die Möglichkeit liege, „zur eigenen Freiheit zu finden“ und „in dieser Grenzsituation zu einer neuen Stufe der Selbstverantwortung zu gelangen.“[108] Es ist das Besondere der existenzphilosophischen Bedeutung der Angst, dass sie sofort nach ihrer positiven aufbauenden Wirkung fragt. Der Mensch ist das, was er aus sich macht. Für Heidegger offenbart sich in der Angst nicht nur das Nichts. Sie ist auch eine Bedingung der Freiheit. „Ohne ursprüngliche Offenbarkeit des Nichts kein Selbstsein und keine Freiheit.“[109] Es ist eine Illusion zu glauben, ein Leben ohne Angst leben zu können. Sie spiegelt unsere Abhängigkeiten und das Wissen um unsere Sterblichkeit. „Wir können nur versuchen Gegenkräfte gegen sie zu entwickeln: Mut, Vertrauen, Erkenntnis, Macht, Hoffnung, Demut, Glaube und Liebe“, notiert der Psychologe Fritz Riemann.[110]

In Begriffen wie GeworfenheitSelbstentwurfFreiheit und Selbstbestimmung zeigt sich die Fokussierung des Existentialismus auf die Aufgabe der Selbstbefreiung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten hin. Der Mensch ist nach Jean Paul Sartre aber nicht nur für sich, sondern für alle Menschen verantwortlich.[111] Als freie Wesen können wir gleichwohl vor der Verantwortung fliehen. Sartre nennt das die „Unaufrichtigkeit“ oder Selbstlüge. Auch für Karl Jaspers haben wir die Wahl, die Grenzsituation anzunehmen, uns der Gegenwart auf radikale Weise zu stellen oder wir können versuchen, ihr auszuweichen, indem wir sie leugnen, bagatellisieren oder nach Schuldigen suchen. Der französische Existenzialismus, im und nach dem Krieg entstanden, war eine Philosophie für die Menschen, die sich selbst das Fürchten gelehrt und in den Abgrund geschaut haben, nun aber bereit sein sollten, erwachsen zu werden und für sich und die Welt Verantwortung zu übernehmen. Ende der 60er Jahre kam der Existenzialismus aus der Mode. Corona hat ihn erneut auf die Tagesordnung gesetzt, vor allem dann, wenn wir lernen müssen, längere Zeit mit dem Virus zu leben. Womöglich müssen wir uns auf mehrere Etappen der Pandemie vorbereiten. Auch die Spanische Grippe dauerte zwei Jahre, von 1918 bis 1920. Sie wirkte sich weltweit in drei aufeinanderfolgenden Wellen aus. Das Virus zeigt, dass die Ungewissheit Teil der menschlichen Existenz und das Leben zuweilen tragisch sein kann. Es zeigt aber auch, dass Mut, Willenskraft, Solidarität und Nächstenliebe auch ein scheinbar unabwendbares Schicksal meistern können. Genauso spannt auch Albert Camus in einem Essay Die Pestden Bogen vom Absurden über die Revolte bis hin zum Humanismus. Die Pest ist als Parabel der Résistance eine Mahnung zur Solidarität der Menschen im Kampf gegen Tod und Tyrannei.


[1] mdr aktuell: Pandemie Chronik der Corona-Krise, Stand: 01. Mai 2020, 09:54 Uhr, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/corona-chronik-chronologie-coronavirus-100.html

[2] Petra Pinzler: Corona ist auch eine Umweltkrise, Zeit-Online 04.06.2020. 

[3] Samira El Quassil: Angst vor Kontrollverlust. Den inneren Wohlstandsfaschisten überwinden, Spiegel Kultur, 05.03.2020, 16:30 Uhr, https://www.spiegel.de/kultur/corona-und-europas-abschottung- den-inneren-wohlstandsfaschisten-ueberwinden-a-643e46a9-0305-437f-b5f3-c9fd64212f77.

[4]  Birnbaum, Robert/Georg Ismar: Vom Virus regiert, Tagesspiegel, 12.04.2020, S. 4.

[5] mdr aktuell: Ansprache der Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Aufgabe von historischem Ausmaß“, 18.03.2020, 20:02 Uhr, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/ansprache-angela-merkel-corona-100.html.

[6] Giovanni di Lorenzo: Die Welt steht still, Die Zeit Nr. 13, 19.03.2020, S. 1.

[7] Karl Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen, München 1994, S. 261.

[8] Ebd., S. 236.

[9] Albert Camus: Die Pest, Hamburg 1991, S. 202.

[10] Karl Jaspers: a.a.O., S. 280.

[11] Tagesspiegel: Akzeptanz schwindet mit der Angst, 11.04.2020, S. 2.

[12] Thomas Assheuer: Menschenopfer für den Kapitalismus, Zeit-Online, 21.04.2020, https://www.zeit.de/kultur/2020-04/corona-pandemie-kapitalismus-oekonomie-menschenleben.

[13] Andrea Dernbach: Ausnahmezustand oder neue Normalität, TS 03.05.2020, S. 21.

[14] Giorgio Agamben zur Corona-Krise: Wir sollten uns weniger sorgen und mehr denken, NZZ 07.04.2020, https://www.nzz.ch/feuilleton/giorgio-agamben-zur-coronakrise-wir-sollten-uns-weniger- sorgen-und-mehr-nachdenken-ld.1550672?reduced=true.

[15] Ebd.

[16] Christophe Ono-dit-Biot: Sloterdijk : «Le système occidental va se révéler aussi autoritaire que celui de la Chine», 18.03.2020, https://www.lepoint.fr/politique/sloterdijk-le-systeme-occidental-va-se-re- veler-aussi-autoritaire-que-celui-de-la-chine-18-03-2020-2367624_20.php#.

[17] Jörg Altwegg: Die Niederlage der Denker, FAZ, 01.04.2020, https://www.faz.net/aktuell/feuille- ton/franzoesische-kontroverse-niederlage-der-denker-in-corona-krise-16705488.html.

[18] Peter Sloterdijk im Gespräch mit Adam Soboczynski: „Für Übertreibungen ist kein Platz mehr“, Die Zeit Nr. 16, 06.04.2020, S. 47.

[19] Meisterdenker Agamben? Stellungnahmen von Petra Gehring, Gerald Hartung und Susanne Lettow, Informationen Philosophie, 1/2020, http://www.information-philoso- phie.de/?a=1&t=1149&n=2&y=4&c=69.

[20] Spiegel Panorama: Texas Vizegouverneur: Großeltern sind bereit für ihre Enkel zu sterben, 24.03.2020, https://www.spiegel.de/panorama/coronavirus-texanischer-gouverneur-fordert-grossel- tern-auf-fuer-ihre-enkel-zu-sterben-a-5d7724af-e3d8-4ba0-a561-ecb8af0f402d.

[21] The Guardian: No 10 denies claim Dominic Cummings argued to ‘let old people die’, https://www.theguardian.com/politics/2020/mar/22/no-10-denies-claim-dominic-cummings-argued-to- let-old-people-die.

[22] Hans-Ulrich Gumbrecht: Der Notstands-Staat, Neue Züricher Zeitung, 24.03.2020, https://www.nzz.ch/feuilleton/hans-ulrich-gumbrecht-coronavirus-notstand-und-die-zukunft-des-staa- tes-ld.1548096.

[23] Christian Drosten: NDR-Info-Podcast. „Das Coronavirus-Update“, vom 22. April, https://www.ndr.de/nachrichten/info/34-Verspielen-wir-unseren-Vorsprung,audio671384.html.

[24] Burkhard Ewert: Corona-Forscher Streek sieht App, Masken und Massentests skeptisch, https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/2065630/corona-forscher-streeck-sieht-app-masken-und-massentests-skeptisch.

[25] Jan Heidtmann: „Die Bestrafungstaktik ist bedenklich“, SZ, 04.05.2020, https://www.sueddeut- sche.de/kultur/juli-zeh-corona-interview-1.4867094?reduced=true.

[26] Markus Decker: Corona-Krise. Warum Juli Zeh völlig falsch liegt, RND, 06.04.2020, https://www.rnd.de/politik/juli-zeh-uber-corona-krise-warum-sie-vollig-falsch-liegt- GN4NUPV35FFQZABNOSUKP32464.html.

[27] Sven Lemkemeyer: Papier sieht Freiheitsrechte bedroht, TS 02.05.2020, S. 6.

[28] Wolfgang Schäuble: Der Weg zurück wäre fürchterlich, Tagesspiegel, 26.04.2020, S. 3.

[29] Tina Hildebrandt: „Man wird Schritt für Schritt kleiner“, Die Zeit Nr. 19, 29.04.2020, S. 6.

[30] Shimon Stein/Moshe Zimmermann: Vor steilen Abhängen, Tagesspiegel, 26.04.2020, S. 22.

[31] Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW): „Wir retten möglicherweise Menschen, die sowieso bald sterben.“ Eine Antwort an Boris Palmer, https://uni-tuebingen.de/de/177051.

[32] Christina Kunkel: Covid-19 kostet etliche Jahre Lebenszeit, SZ 01.05.2020, https://www.sueddeut- sche.de/gesundheit/coronavirus-covid-19-lebenserwartung-1.4893657.

[33] IZEW, a.a.O.

[34] Florian Schumann: Forscher legen Szenario für den Weg aus der Corona-Krise vor, Zeit-Online, 29.04.2020, https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-04/coronavirus-strategie-eindaemmung-neuinfektionen-wissenschaftliche-stellungnahme.

[35] Jürgen Habermas/Klaus Günther: „Mich beunruhigt, wie nun auch Juristen den Lebensschutz relativieren“. „Kein Grundrecht gilt grenzenlos. Sie können miteinander kollidieren, Die Zeit Nr. 20, 07.05.2020, S. 43.

[36] Zit. bei Anna Mayer: Denn sie wussten nicht, was sie tun, Die Zeit Nr. 21, 14.05.2020, S. 3. https://www.badische-zeitung.de/umfrage-der-uni-freiburg-zeigt-hohe-zustimmung-zu-corona-regeln–185761154.html.

[37] https://www.mwgfd.de/.

[38] https://twitter.com/SHomburg/status/1269176246694526978.

[39] https://www.mwgfd.de/wp-content/uploads/2020/06/Anzeige_FAZ.pdf.

[40] https://twitter.com/HGMaassen/status/1269697864126644224.

[41] https://twitter.com/HGMaassen/status/1269637277589921793.

[42] https://twitter.com/HGMaassen/status/1269639015159992325.

[43] Thomas Steiner: Umfrage der Uni Freiburg zeigt hohe Zustimmung zu Corona-Regeln, 20.05.2020.

[44] Maria Fiedler/Paul Starzmann: Wie anfällig sind die Deutschen für Verschwörungstheorien, TS, 28.05.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/unzufriedenheit-misstrauen-abwehrhaltung-wie-anfa- ellig-sind-die-deutschen-fuer-verschwoerungsmythen/25866030.html.

[45] Philipp Grüll: Ingrid Brodnig: „Gut gemachte Falschmeldungen sind emotional intelligent“, Euro-aktiv, 02.04.2020, https://www.euractiv.de/section/europakompakt/interview/ingrid-brodnig-gut-gemachte-falschmeldungen-sind-emotional-intelligent/.

[46] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/verschwoerungsmythen-und-antisemitismus/.

[47] OMPACT 4/2020: Sie kommen! Die neue Asylflut im Schatten von Corona, https://www.compact- shop.de/shop/compact-magazin/compact-4-2020-sie-kommen-die-neue-asylflut/.

[48] Thomas Rudl: Bezahlter Hass im Netz. Youtube zeigte Werbung für rechtsextremen Mythos vom „Bevölkerungsaustausch“ an, 10.06.2020, https://netzpolitik.org/2020/youtube-zeigte-werbung-fuer- rechtsextremen-mythos-vom-bevoelkerungsaustausch-an/#spendenleiste.

[49] Sebastian Leber: Hass ist ein Virus, Der Tagesspiegel 18.04.2020, S. 3.

[50] Alexander Fanta: Plattformen sollen transparenter werden, 10.06.2020, https://netzpoli- tik.org/2020/plattformen-sollen-transparenter-werden/#spendenleiste.

[51] Tagesschau.de: Twitter löscht chinesische Fake News, 12.06.2020, https://www.tagesschau.de/ausland/twitter-china-propaganda-101.html.

[52] Florian Hessel, Mischa Luy, Pradeep Chakkarath: Verschwörungsdenken. Zur Semantik, Strukturen und Funktionen einer Wahrnehmungs- und Deutungskultur, in: Verschwörungsdenken, Psychosozial Gießen, 159/2020, S. 12.

[53] Timo Lehmann im Interview mit Matthias Quent: „Rechte Narrative dominieren die Proteste“, 16.05.2020, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-proteste-rechte-narrative-dominieren- a-4179fb8c-18b9-4624-ac46-4a2dc5f09bb3.

[54] Jost Müller-Neuhof: Grundgesetz-Ausgabe jetzt auch am Aluhut. Die Verfassung darf nicht als Abwehrecht von Ich-Lingen missbraucht werden, 25.05.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/grundgesetz-ausgabe-jetzt-auch-am-aluhut-die-verfassung-darf-nicht-als-abwehrecht-von-ich-lingen-missbraucht-werden/25857604.html.

[55] Tagesschau.de: Demos gegen Beschränkungen Politik warnt vor Radikalisierung, 11.05.2020, https://www.tagesschau.de/inland/corona-demos-reax-101.html.

[56] Kai Biermann u.a.: Zurück auf die Straße, Die Zeit Nr. 21, 14.05.2020, S. 2.

[57] Christian Schröder: Deutsche Denker gegen Angela Merkel, Tagesspiegel, 01.02.2016, https://www.tagesspiegel.de/kultur/botho-strauss-ruediger-safranski-peter-sloterdijk-deutsche-denker- gegen-angelamerkel/12907680.html.

[58] https://www.rubikon.news/artikel/die-virus-hysterie.

[59] Alexander Gauland: Warum muss es Populismus sein? FAZ, 06.10.2018, S. 8.

[60] Johannes Simon: Die eigenen Privilegien stressfrei genießen, Die Zeit 08.09.2018, https://www.zeit.de/kultur/2018-09/sammlungsbewegung-aufstehen-sahra-wagenknecht-bernd-stegemann-moral-rhetorik

[61] Antonie Rietzschel: Deutschland erlebt einen neuen Pegida-Moment, SZ 17.05.2020, https://www.sueddeutsche.de/politik/kommentar-corona-protest-pegida-1.4910301.

[62] Jochen Taßler/Jana Heck: Böse Mächte und trojanische Pferde, Tagesschau.de, 02.04.2020, https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/corona-verschwoerungstheorien-101.html.

[63] Maik Baumgärtner, Roman Höfner und Timo Lehmann: Eine Möchtegern-Partei zerlegt sich selbst, Spiegel Politik, 09.06.2020, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-protestbewegung-wi- derstand-2020-eine-moechtegern-partei-zerlegt-sich-selbst-a-dd92766e-275c-4086-9323- ca072ec53203.

[64] Bodo Schiffmann: Es geht weiter mit einer neuen Partei und näheres gibt es am kommenden Sonntag, https://www.youtube.com/watch?v=OpP_ezErCZg.

[65] Christian Drosten/Corinna Hennig: Coronavirus-Update NDR-Info, Folge 48, Stand 11.06.2020, https://www.ndr.de/nachrichten/info/coronaskript174.pdf.

[66] Kira Urschinger: Fakencheck. KenFM-Video „Gates kapert Deutschland“, 21.05.2020, https://www.swr3.de/aktuell/fake-news-check/faktencheck-ken-jebsen-kenfm-bill-gates-corona- 100.html

[67] Nils Metzger: Warum Sie Ken Jebsen nicht vertrauen sollten, ZDF, 08.05.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-kenfm-jebsen-faktencheck-100.html.

[68] Ebd.

[69] Ebd.

[70] Ricarda Breyton/Matthias Kamann: „Deutschland – Fall für den Psychiater, Welt, 02.07.2018, https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article178586484/Deutschland-Fall-fuer-den- Psychiater.html.

[71] Nils Metzger: Warum Sie Ken Jebsen nicht vertrauen sollten, ZDF, 08.05.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-kenfm-jebsen-faktencheck-100.html.

[72] Ebd.

[73] Johannes Pennekamp/Patrick Bernau: Die Angstindustrie, FAZ 17.01.2015, https://www.faz.net/ak- tuell/wirtschaft/unternehmen/verlage-und-unternehmen-rund-um-verschwoerungstheorien- 13374395.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2.

[74] Ethik-Kodex, https://www.dfjv.de/beruf/journalismus-als-beruf/berufsethik.

[75] Anna Marohn: RBB. Krudes Geblubber, Die Zeit 49/2011, 01.12.2011, https://www.zeit.de/2011/49/RBB-Jebsen.

[76] Philipp Schnee: PR Erfinder Bernays. Der Überzeugungstäter, Spiegel Geschichte, 30.09. 2009, https://www.spiegel.de/geschichte/pr-erfinder-bernays-a-948512.html.

[77] Michael Butter: „Wie ein Buschfeuer im Kopf“, in: Vorsicht Verschwörung, Die ZeitGeschichte, 3/2020, S. 114.

[78] Oliver Decker/Alexander Yendell & Elmar Brähler: Anerkennung und autoritäre Staatlichkeit, in: Oliver Decker/Elmar Brähler (Hg.): Flucht ins Autoritäre, Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft, Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2018, 2018 Psychosozial, S. 122, https://www.boell.de/sites/default/files/leipziger_autoritarismus-studie_2018_-_flucht_ins_autori- taere_.pdf?dimension1=ds_leipziger_studie.

[79] Stern.de: Bill Gates zu Corona-Verschwörungstheorien: „Man kann es kaum noch leugnen, so dumm ist es“, 09.06.2020, https://www.stern.de/digital/online/bill-gates-zu-corona-verschwoerungs- theorie—man-kann-es-kaum-noch-leugnen–so-dumm-ist-es–9294180.html.

[80] Heike Buchter: Der lauteste Flüsterer der Welt, in: Vorsicht Verschwörung, Die ZeitGeschichte, 3/2020, S. 104.

[81] https://twitter.com/profguidokuehn/status/1262137658928762880.

[82] Max Rauner: Was suchen die da? Die Zeit, 16.05.2013, S. 33.

[83] Ernst Cassirer: Vom Mythos des Staates, Hamburg 2002, S. 364.

[84] Jochen Taßler/Jana Heck: Böse Mächte und trojanische Pferde, Tagesschau.de, 02.04.2020, https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/corona-verschwoerungstheorien-101.html.

[85] Gero von Randow: Blendwerk aus der Zauberwelt, in: Vorsicht Verschwörung, Die ZeitGeschichte, 3/2020, S. 106.

[86] Wissenschaft versus Ideologie. Klima und Energie, https://www.afd.de/energie-klima-technik-infrastruktur/.

[87] Gero von Randow: a.a.O., S. 107.

[88] FAZ.net: „Wer schneller als 120 fahren will darf das“, 27.01.2019, https://www.faz.net/aktu- ell/wirtschaft/scheuer-bekraeftigt-nein-zu-tempolimit-16010266.html.

[89] Roman Deininger: Sag die Wahrheit, SZ 22./23.04.2017, S. 13.

[90] Gero von Randow: a.a.O., S. 108.

[91] Theodor W. Adorno: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt am Main 1971, S. 187ff.

[92] Ebd., S. 189.

[93] Ebd. S. 190.

[94] Andreas Reckwitz: Verblendet vom Augenblick, Die Zeit Nr. 25, 10.06.2020, S. 45.

[95] Maria Fiedler/Paul Starzmann: Wie anfällig sind die Deutschen für Verschwörungsmythen? TS 28.05.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/unzufriedenheit-misstrauen-abwehrhaltung-wie-anfaellig-sind-die-deutschen-fuer-verschwoerungsmythen/25866030.html.

[96] Felix Brauner: „Vertraut mir, ihr solltet niemandem vertrauen“, in: Verschwörungsdenken (Hg.) Mischa Luy, Florian Hessel, Pradeep Chakkararath, Psychosozial 159, 1/2020, S. 33.

[97] Oliver Decker/Elmar Brähler, a.a.O., S. 55.

[98] Ebd., S. 128f.

[99] Ebd., S. 131.

[100] Florian Hessel, Mischa Luy, Pradeep Chakkarath: Verschwörungsdenken. Zur Semantik, Strukturen und Funktionen einer Wahrnehmungs- und Deutungskultur, in: Verschwörungsdenken, Psychosozial Gießen, 159/2020, S. 11.

[101] Theodor W. Adorno: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt am Main, 1973, S. 71ff.

[102] Sieglinde Geisel: Der geheime Wunsch nach starker Führung, Deutschlandfunk Kultur, 29.11.2918, https://www.deutschlandfunkkultur.de/das-autoritaere-in-uns-der-geheime-wunsch-nach- starker.1005.de.html?dram:article_id=434444.

[103] Universität Leipzig: Neue „Mitte“-Studie der Universität Leipzig: Gesellschaft ist zunehmend polarisiert, Bereitschaft zu Gewalt steigt, https://www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/neue-mitte-studie- der-universitaet-leipzig-gesellschaft-ist-zunehmend-polarisiert-bereitschaft-zu/.

[104] Theodor W. Adorno: Erziehung zur Mündigkeit, Vorträge und Gespräche mit Helmut Becker 1959- 1969, Frankfurt am Main, 1970, S. 112.

[105] Niklas Luhmann: Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Kontanz/München, 2014.

[106] Talcott Parsons: Die Motivierung des wirtschaftlichen Handelns, in: ders./Dietrich Rüschemeyer (Hg.) Beiträge zur soziologischen Theorie, Neuwied-Berlin1964, S. 136-159, hier: S. 146; vgl. auch: ders., Ansatz zu einer analytischen Theorie der sozialen Schichtung, in: ebd., S. 180-205, hier: S. 184f. 

[107] Theodor W. Adornoa.a.O., 1970, S. 97.

[108]  Interview: Elisabeth von Thadden: Wie soll man mit diesen psychischen Grenzsituationen umgehen? Zeit-Online, 02.05.2020.

[109] Martin Heidegger: Was ist Metaphysik, Frankfurt/Main 1949, S. 32.

[110] Fritz Riemann: Grundformen der Angst, München 1979, S. 7.

[111] Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, Reinbek 1993, S. 325.


Bruno Heidlberger, *1951,1987 Promotion zum Dr. phil., Studienrat für Politik, Philosophie. Geschichte, Lehraufträge an der TU Berlin und derzeit an der MHB Brandenburg. Autor: „Jugoslawiens Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. Historische Voraussetzungen und Konsequenzen“, Peter Lang Verlag Frankfurt/M., Bern, New York, Paris 1989; Aktuell: „Wohin geht unsere offene Gesellschaft? 1968‘ – Sein Erbe und seine Feinde“, Logos Verlag Berlin 2019; Verfasser von Essays und Rezensionen in philosophischen, psychologischen und politischen Fachzeitschriften.


Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten des Instituts für Sozialstrategie ist auch in Auszügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet.

Publikationen des IfS unterliegen einem Begutachtungsverfahren durch Fachkolleginnen- und kollegen und durch die Institutsleitung. Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorinnen und Autoren wieder.

Posted by Dr. phil. Bruno Heidlberger