Abstract [en]: The article provides a critical view of the book by Amy C. Edmondson. The analysis includes a description of the conceptual understanding of a “fearless organisation”, a consideration of narrated real-life example situations with regard to the provability of the views as well as explanations for the understanding of the outlined management method. Finally, there is a critical appraisal including current technological developments (keyword: digitalisation). The views of the book are further related to current changes in an universal conception of man. The analysis is summarised with a brief assessment of the practicability of the ideas in the real world of management in the context of contradictory global developments. Finally, the one-sided perspective due to the lack of multidimensionality of the scientific disciplines used is identified as a major critical point of the method.

Abstract [de]: Der Beitrag liefert eine kritische Sicht auf das Buch von Amy C. Edmondson. Die Analyse umfasst die Beschreibung des Begriffsverständnisses einer „fearless organization“, eine Betrachtung erzählter realer Beispielsituationen im Hinblick auf die Beweisfähigkeit der Anschauungen sowie Erläuterungen zum Verständnis der skizzierten Managementmethode. Schließlich erfolgt eine kritische Würdigung unter Einbeziehung der gegenwärtigen technologisch geprägten Entwicklungen (Stichwort: Digitalisierung). Die Anschauungen des Buches werden weiterhin in Bezug zu aktuellen Veränderungen eines universellen Menschenbildes gesetzt. Zusammengefasst wird die Analyse mit einer kurzen Beurteilung der Praktikabilität der Ideen in der realen Welt des Managements im Kontext von widersprüchlichen globalen Entwicklungen. Im Kern wird schlussendlich die einseitige Perspektive durch die fehlende Mehrdimensionalität der herangezogenen Wissenschaftsdisziplinen als wesentlicher kritischer Punkt der Methode ausgemacht.


Dezember 2021

the fearless organization


Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth

Können wir aktuellen und zukünftigen Gefährdungen angemessen begegnen, indem wir einfach besser zusammenarbeiten? Welche Instrumente und wie viel Weisheit es braucht, um in leistungsfähigen Organisationen auf alle Eventualitäten gut vorbereitet zu sein, das untersucht „the fearless organization“ von Amy. C. Edmondson

Welche Bedeutung wird der Mensch zukünftig noch haben? Übernehmen Maschinen immer weiter die Kontrolle über unser Leben? Eine Fülle von Publikationen zu diesem drängenden Thema überschwemmt den Wissens- und Halbwissensmarkt! Das Buch von Amy C. Edmondson (Englische Ausgabe: Edmondson, Amy C. (2019). the fearless organization. Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. Hoboken, New Jersey: John Wiley & Sons, Inc.; Deutsche Ausgabe: Edmondson, Amy C. (2020). Die angstfreie Organisation: Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. München: Vahlen.) stellt eine andersartige Konnotation dar. Sie fokussiert auf den Menschen. Der Mensch ist noch wichtig! Das ist die gute Botschaft des Buches.

Ist eine Arbeitswelt ohne Angst möglich?

Amy C. Edmondson verfügt über jahrzehntelange Expertise in der wissenschaftlichen Analyse von Führungsverhalten auf unterschiedlichsten Hierarchieebenen. Die renommierte Harvard Professorin fasst ihre Erkenntnisse, Beobachtungen und Empfehlungen in dem vorliegenden Buch zusammen. Das Thema fesselt sie seit Ihrer Dissertation. Bereits am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn erkannte sie einen bedeutenden Zusammenhang. Nicht jene Teams erreichten eine bestmögliche Leistungsbilanz, welche am wenigsten Fehler machten, sondern jene, welche viele Fehler in einem definierten Rahmen zuließen. Die Teams lernten aus dem, was falsch gelaufen war. So konnten sie in zukünftigen Situationen optimaler reagieren.

Ihre Überlegungen basieren auf Überzeugen. Die entscheidende Aufgabe eines „Leaders“ sieht Edmondson in der Schaffung einer menschenorientierten Arbeitsumgebung. Ein wesentlicher Schritt für die Optimierung der Arbeitsumgebung ist aus ihrer Sicht der Abbau von Ängsten. Ängste führen in ihren Augen zu einer Kultur des Schweigens. Eine „angstfreie“ Umgebung solle hingegen dem Mitarbeiter ermöglichen, das Bestmögliche zu leisten. So ihr Credo kurz zusammengefasst. 

Mit dem Begriff „psychological safety“ umreißt die Autorin ein spezifisches Bewusstsein und unternimmt den Versuch, eine anwendbare Methode mitzuliefern. Die Herstellung des anzustrebenden Zustandes einer „psychological safety“ wird von ihr als ein Prozess größerer und kleinerer Interventionen betrachtet. Bewusste Reaktionen auf sich spontan ändernde Gegebenheiten in einer komplexen Welt identifiziert sie als wesentlichen Aspekt eines adäquaten Führungsverhaltens.

Die Autorin bemüht zur Illustration ihrer Auffassung das Bild eines Segelturns. Um die optimale Position der Segel zum Wind zu finden, bedürfe es ebenso einer ganzen Reihe von kleineren und größeren gezielten Interventionen. Wohlwissend, dass der geübte Kapitän nie genau beurteilen könne, welche Änderungen der Windrichtung in kürzester Zeit zu erwarten sind. Ungeachtet dessen muss er in einem bestimmten Moment seine Entscheidung fällen. 

Das beschriebene Bild verdeutlicht im übertragenen Sinne das Verständnis. Es verdeutlicht jedoch auch die Schwäche des Buches. Mit Bezug zu konkreten Handlungsoptionen und -notwendigkeiten bleibt das Buch unscharf und wage. Bei aller Phantasie! Die Frage, warum ein Mensch in einer spezifischen Situation eine ganz spezifische Reaktion zeigt, hat viele Facetten. Dazu mögen sowohl individuelle, biografische als auch gesellschaftliche und kulturelle Aspekte zählen. In diesem Kontext kommt das Buch seinen eigenen hochgesteckten Ambitionen nicht nach.

Die Kapitel sind klar und übersichtlich strukturiert. Zu Beginn des Buches wird weit ausgeholt. Geschichten und Begebenheiten werden ausführlich dargelegt. Thesen sollen damit bewiesen oder Plausibilitäten hergestellt werden. Der Leser wird intellektuell nicht überfordert, was durchaus positiv zu verstehen ist. Zu viele Verweise auf Quellen bei trivialen Gedankengängen erscheinen jedoch teilweise überflüssig. Viele Quellen führen nicht immer zu einem Erkenntnisgewinn.

Ein Lehrbuch für emphatisches Leadership?

Das Buch ist lehrreich und unterhaltsam, wenn spezifische Entscheidungssituationen in Unternehmen, Krankenhäusern, der Raum- und Luftfahrt, der Politik etc. prägnant erzählt werden. Sowohl gelungenes menschliches Entscheiden, als auch in unser aller Bewusstsein eingeprägte Katastrophen, werden beispielhaft herangezogen. Teilweise kann die Autorin beweisen, dass Defizite in puncto „psychological safety“ zu verheerenden menschlichen Tragödien führten. Viele der Schlussfolgerungen sind jedoch Allgemeinplätze. Der Wechsel der Perspektive und die Einbeziehung spezifischer Wissenschaftsdisziplinen, z.B. der Sozialwissenschaft, hätte der Aussagekraft gut zu Gesicht gestanden.

Edmondson hebt in unterschiedlichen Variationen hervor, dass „psychological safety“ ein entscheidendes Kriterium für die Entwicklung einer lernenden Organisation sei. Unternehmen müssten im komplexen Wettbewerb hart um das Überleben kämpfen. Vor diesem Hintergrund seien Mitarbeiter nicht nur gut für die Erledigung von trivialen Aufgaben. Mitarbeiter verfügten über feine Sensoren, um Gefahren frühzeitig zu erkennen. Ein Unternehmen, welches sich in einer komplexen, unsicheren Welt befindet, sollte den Mitarbeitern sehr genau zuhören. Edmondson hebt hervor, dass die Ausgestaltung von Offenheit im Umgang mit betrieblichen Problemen ebenso eine entscheidende Führungsaufgabe sei. Die nachweisbare ständige Erneuerung eines Unternehmens könne nur mit der Hilfe der Mitarbeiter gelingen. So kann die Überlebensfähigkeit verbessert werden. Diesen Zusammenhang sollte ein umsichtiger Leader verinnerlichen. 

Den deutschen Lesern dürften die Ausführungen zum Diesel-Skandal und zum kulturellen Innenleben von VW besonders interessieren. Die Geschehnisse werden aus neutraler, distanzierter Perspektive betrachtet. Es ist spannend zu erfahren, wie eine mit Führungsgelingen und -versagen umfassend vertraute Wissenschaftlerin aus der amerikanischen Sicht auf den Skandal blickt. Sie vertritt die These, dass „harte“ Führungstechniken verbunden mit einer permanenten Kontrolle der Akteure nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Die Wurzel des VW-Skandals wird nicht im Führungsversagen einzelner Manager sondern, in einem überkommenen Führungsverständnis identifiziert. Den tieferen Motivationen der Mitarbeiter wurde aus ihrer Sicht wenig Beachtung geschenkt. Edmondson betrachtet darüber hinaus nicht erreichbare Zielszenarien für Mitarbeiter und ein Klima der Angst als entscheidende Ursachen für die gravierenden kriminellen Verfehlungen. Diese Gesichtspunkte erscheinen einigermaßen bemerkenswert. In Deutschland ist weitestgehend das Fehlverhalten von einzelnen Managern als Hauptursache des Wirtschaftsskandals im öffentlichen Bewusstsein haftengeblieben. Weitaus weniger wird ein althergebrachtes, auf Ansagen und Kontrollieren, fußendes autoritäres Führungsverhalten als ursächlich wahrgenommen.

Sensoren der Mitarbeiter als Warnsignale

Vor diesem Hintergrund skizziert die Autorin, welche gravierende Änderungen die Arbeitswelt in jüngster Zeit durchlaufen hat. Vor Jahrzehnten mag es noch ausgereicht haben, den Mitarbeiter mit Druck zu geradlinig erreichbaren Zielen zu treiben. Unser gegenwärtiges Wirtschaftsleben ist geprägt von Unsicherheit und Risiken. Führungskräfte können nicht alles, was notwendig wäre, überschauen. Die Wahrnehmung und Urteilsbildung aller Beteiligten sind notwendig, um fatale Folgen rechtzeitig abzumildern oder diese mit den richtigen Mitteln zu beherrschen. Die Autorin hebt richtigerweise hervor, dass es Mut bedarf, auch die zweifelsohne richtigen Dinge auszusprechen. In diesem Zusammenhang bleibt das Beispiel der NASA Shuttle Katastrophe besonders in Erinnerung. Ein junger Offizier sah die drohende Katastrophe kommen und traute sich nicht, seine Erkenntnis auszusprechen. Das Fazit der Autorin lautet, dass eine

Kultur des Schweigens eine gefährliche Kultur

ist. Wie jedoch kann eine derartige Kultur des Schweigens aufgebrochen werden? Das Buch fordert dazu auf, eine Führungskultur „einzutrainieren“, die eine Offenheit gegenüber Fehlern unterschiedlichster Art möglich macht. Ein Appell also!

Welche Instrumente sollte man anwenden, um das gewünschte Ziel einer einer „fearless organization“ zu erreichen? Eine sensible Kommunikation, welche die korrekten Sinnzusammenhänge herausarbeitet und nicht als Mittel zum Zweck der Machtausübung benutzt wird, hebt Edmondson als besonders entscheidend für den Erfolg hervor. Sie beschreibt diese Kommunikation als eine „furchtlose“, welche in komplexen Situationen unter großem Druck sowie ohne vergleichbare Präzedenzfälle zu richtigen Handlungen führt. Eine derartige spezifische Fähigkeit fällt nicht vom Himmel. Um in komplexen Situationen korrekt kommunizieren zu können, sind differenzierte Fähigkeiten zwingende Voraussetzung. Der Prozess zur Ausbildung der gewünschten Fähigkeit muss wie ein Training geplant, konkrete Abläufe müssen vor dem „inneren Auge“ durchgespielt werden. In diesem Sinne kommt es für sie nicht darauf an, Mitarbeiter zu „dressieren“. Die Schaffung einer Arbeitsumgebung, bei welcher Respekt und Hilfsbereitschaft die wesentlichen Faktoren für ein gelingendes und sinnerfülltes Miteinander sind, ist für Edmondson die entscheidende Frage. Eine Arbeitsatmosphäre, die auf Krisen im besten Sinne gut vorbereitet, ist die Voraussetzung für gute Entscheidungen in Krisensituationen.

Sind wir auf die Zukunft vorbereitet?

Was haben wir gelernt? „Psychological Safety“ hat nichts damit zu tun, sich anderen Menschen gegenüber gewogen zu zeigen, anderen nach dem Munde zu reden. Nicht eine allgemeine Atmosphäre des Behaglichen oder Wohlwollenden ist das Entscheidende. „Psychological Safety“ wird ebenso ganz falsch verstanden, wenn der Begriff mit einem niedrigeren Performance Standard in Verbindung gebracht wird. „Psychological Safety“ wird von Edmondson im weitesten Sinne als ein Managementinstrument verstanden. Diese Tatsache vermittelt die Autorin auch mit der Forderung nach Messung des Erreichungsgrades bei der Implementierung. Edmondson zeigt Wege auf, wie eine erfolgreiche Etablierung in das betriebliche Geschehen aussehen könnte. Die konkreten Vorschläge als Teil eines Managementansatzes in Verbindung mit dem narrativen Stil des Buches sind wertvoll und können den Blick weiten.

Wie wissenschaftlich ist das Buch? Folgen die Argumentationen wissenschaftlichen Prinzipien? Die Antwort könnte salomonisch lauten: zum Teil, jedoch nicht überzeugend. Wirkliche Geschehnisse, dienen weitestgehend als Grundlage der Argumentation. An der Wahrheit und dem Ausgang dieser Begebenheiten lässt sich nichts deuteln. Jedoch, was genau in der jeweiligen Situation, in Verbindung mit welcher Historie und den spezifischen Eigenschaften einer Person zu diesem Ausgang geführt hat, wird nicht hinterfragt. Lassen sich auf den Ereignissen und den jeweiligen Folgen bereits Verallgemeinerungen ableiten? Nein, meine ich. Es ist eben keine Wissenschaft. Wenn es eine Wissenschaft von Management und Leadership überhaupt geben kann. Die Beobachtungen und Analysen stellen die Grundlage für ein „Frame“ dar. Also eine Vorgehensweise für Leadership (in diesem Sinne vorbildliches Führungsverhalten), um vorgegebene Leistungsziele zu erreichen und die Menschen bestmöglich mitzunehmen. Insofern ist es eher Consulting als Wissenschaft. Im Verständnis von Edmondson ist ein Frame eine Vorstellung von einem richtigen Weg zu einem bestimmten Ziel, verbunden mit der konkreten Vorstellung, was auf diesem Weg alles passieren könnte. 

Um in einer technologischen, digitalen Welt mit wachen Augen als Leader zu agieren, ist jedoch eine Mehrdimensionalität notwendig. Das Spannungsfeld eines durch die Digitalisierung zukünftig mehr und mehr geprägten Menschenbildes muss bereits heute mitgedacht werden. Einige Impulse zum Verständnis des tiefgreifenden Umfangs der Veränderungen sind Shoshana Zuboff’s fundamentalem Buch Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus zu entnehmen. Zuboff denkt die kontextuelle Einbettung in unsere dritte Moderne und begibt sich auf den Weg, die Qualitäten und verdeckten Risiken herauszuarbeiten. Diese wirtschaftswissenschaftliche Perspektive, die Frage wo entsteht zukünftig Profit und wem gehört dieser, ist von großer Bedeutung für das Verständnis zukünftiger oder bereits existierender Risiken. Sind wir alle nur ein Zahnrad im Getriebe oder können wir mitgestalten? Nach wie vor leben wir in einem globalen kapitalistischen System. Nach wie vor werden die Früchte des Fortschritts ungleich verteilt. Lasten werden einseitig auf jene, die sich am wenigsten wehren können, abgewälzt.

Die generelle Frage, ob die menschliche, individuell geprägte Autonomie gefährdet ist, wurde bei Edmondson nichtbetrachtet. Wie die zukünftige Existenz in einer gefährdeten Arbeitsgesellschaft im Kontext von „Psychological Safety“, aussehen könnte, wird nicht kritisch beleuchtet. Zuboff nimmt hingegen eine „instrumentäre Macht […] als unblutiger Putsch geplant“ ins Visier der kritischen Auseinandersetzung. In ihren Augen ist dieser Putsch: „statt gegen unsere Körper gerichtete Gewalt gleich[e] die instrumentäre ‚Dritte Moderne‘ eher einer Dressur“. Sie sieht

die immer lauteren Forderungen nach einem effektiven Leben […], dem allmählichen Ausmerzen von Chaos, Ungewissheit, Anomalien und Konflikt zugunsten von Vorhersagbarkeit, automatisierter Regelmäßigkeit, Transparenz, Konfluenz, Überredung und Befriedigung

als fragwürdig an.

Der unterschwelligen Aufforderung:

Autorität abzutreten, [sich] keine Sorgen zu machen, den Mund zu halten, [sich] treiben zu lassen und [sich] den technologischen Visionen zu beugen, deren Reichtum und Macht als Beweis für […] überlegene Urteilskraft stehen soll

, steht sie skeptisch gegenüber. Ihre Zukunftsperspektive fasst sie in die düsteren Worte: 

Man geht davon aus, dass wir uns in einer Zukunft ergeben, in der wir über weniger Kontrolle verfügen und machtloser sind denn je, in der uns neue Quellen der Ungleichheit spalten und unterwerfen, in der einige von uns Herren sind und viele Untertan, in der einige Stimulus und die vielen nichts weiter als Reaktionen. 

Natürlich kann man der Meinung sein, dass Edmondsen‘s Buch nicht „so viel“ leisten konnte und wollte. Leadership ist allerdings ohne Vorbildfunktionen nicht denkbar. Vorbildfunktion sollte nicht zu trennen sein von der Fähigkeit zu kritischem Denken! Diese Intention hat Edmondson’s Buch durchaus. Dafür ist jedoch die Substanz, die Vielschichtigkeit und der Perspektivwechsel nicht umfassend genug. Der oftmalige Verweis auf gar zu Bekanntes, schafft keine neue Klarheit. Es handelt sich um Scheinbeweise. Viele Namen und Methoden werden ins Spiel gebracht, ohne kritische Auseinandersetzung und die Gewinnung von eigenen Ideen.

Der Autorin selbst scheint die strukturelle Schwäche ihrer Konzeption bewusst zu sein. So holt sie mit einer Gegenargumentation aus, als wollte sie möglicher Kritik gleichsam selbst den Wind aus den Segeln nehmen, um in ihrem Bild zu bleiben. Ihre Argumentation, dass es sich natürlich um einen Prozess handele, dass es nicht von heute auf morgen zu erreichen sei, dass es natürlich um Menschen gehe, die eben, andere sind, wenn sie Macht haben als wenn sie keine Macht haben, offenbart die methodische Hilflosigkeit.

Die skizzierte Konzeption einer „fearless organization“ bedarf nicht nur eines Absichtsraums, sondern ebenso eines Aktionsraums. Dieser Aktionsraum ist nicht ohne Kampf und Auseinandersetzung zu haben! Die Ideen von Edmondson müssen theoretisch als auch praktisch verknüpft werden mit den Ausprägungen einer modernen Arbeitswelt, die einseitig auf digitale Überwachung und Leistung getrimmt werden wird. Diese Arbeitswelt folgt nach wie vor auf dem Prinzip der Abhängigkeit. Angstfrei jedoch kann nur sein, wer autonom ist. Frei ist, wer außerhalb seines Arbeitsbereiches über sein Leben entscheiden kann. Ist man jedoch abhängig von der Gunst eines Arbeitgebers, hängt man am alles entscheidenden Zahlungsfluss einer abhängigen Beschäftigung, so wird die betreffende Person nur eine begrenzte Motivation aufbringen können, die richtigen Dinge im richtigen Moment anzusprechen. Nach wie vor müssen also die Verhältnisse so geschaffen werden, dass eine „fearless organization“ überhaupt möglich ist. Der Mensch befindet sich mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit der Natur in einer Kampfzone. Manchmal ist der Schrecken vor der menschlichen Fehlleistung größer als die Zuversicht. Wie Woyzeck es in dem auf bedrückende Art und Weise existenzialistischen gleichnamigen Drama von Büchner ausspricht: „Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt Einem, wenn man hinunterschaut …“ –Oftmals ist der Mensch als Einzelner auf sich selbst zurückgeworfen. Was macht also zukünftig den Menschen frei genug, um nicht alles widerspruchslos hinnehmen zu müssen? Die fatalen Ausprägungen einer auf Überwachung, Steuerung und Manipulation fokussierten Welt der dritten Moderne sind es auf jeden Fall nicht. Die skizzierte andere Dimension „einer Kampfzone“ sollte mitgedacht werden, wenn man die Werthaltigkeit von Amy C. Edmondson‘s Buch in den richtigen Rahmen setzen will. Den alles durchdringenden technologischen Veränderungen unserer Zeit wird nur ein modernes aufklärerisches Denken mit einer kritischen Methode des Sozialen als angemessener Bestandteil einer „fearless organization“ gerecht.

Ergänzt man den Rahmen des Buches um diese Dimension, kann man es als Ermutigung für Führungskräfte lesen, sich den guten und richtigen Zielen zu verschreiben. Die Entwicklung einer „angstfreien Organisation“ ist ein solches Ziel. Dieses Ziel sollte jedoch kein Ideal bleiben. Es darf nicht als idealisierter Zustand aufgefasst werden, der einzelnen dazu dient, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. So ein idealisierter Begriff hat immer die Gefahr der Vernebelung eines klaren Blicks auf die Realitäten! Demokratische Spielregeln müssen so weiterentwickelt werden, dass gemeinschaftlicher und individueller Missbrauch rechtzeitig aufgedeckt und schließlich eliminiert werden kann. Angstfreies Denken und Handeln kann nur in einer weitegehend freien Gesellschaft möglich sein. Herrschafts- und Lebensformen müssen auf den Prüfstand. Nur wer über Alternativen verfügt, wird als Person sichtbar und kann sich trauen. 

Das Buch vermittelt, einen dringlichen Appell an Führungskräfte, sich bewusst den wirklichen Bedürfnissender ihnen anvertrauten Menschen zu widmen. Einen kürzeren Weg kann man gehen, wenn man sich Brechts Gedanken über die Fehler zu eigen macht: „Das Schlimmste ist nicht: Fehler haben, nicht einmal sie nicht bekämpfen, ist schlimm. Schlimm ist, sie zu verstecken.“ Fragen wir uns also, warum wir immer noch einer Welt leben, in der das Verstecken von Fehlern an der Tagesordnung ist?

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Posted by Oliver Bülchmann