Ulrich Hemel rezensiert die Dissertation Ökonomische Praktiken. Zur theoretischen Fundierung eines alltäglichen Begriffs von Sonja Knobbe, ehemalige Geschäftsführerin des IfS.


Praktiken

Sonja Knobbe, frühere Geschäftsführerin des Instituts für Sozialstrategie, beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit der Frage, wie sich wirtschaftliche Praktiken von anderen unterscheiden. Ihr geht es nicht so sehr um Themen der Effizienz, sondern um Austauschbeziehungen und konkrete soziale und institutionelle Kontexte. Sie referiert hier insbesondere einen durchaus interessanten Autor wie Karl Polanyi (1886-1964), dessen Ansatz sie vom eher formalen Angang eines Lionel Robbins abgrenzt. Daraus folgt jedoch leider, dass sie sich zwar auf bestimmte sozialphilosophische Perspektiven des wirtschaftlichen Handelns hin öffnet, hier aber erstaunlicherweise weitere, alternative Ansätze gar nicht erst diskutiert. Dies gilt  etwa für den Band von Dierksmeier/Hemel/Manemann über „Wirtschaftsanthropologie“ (Baden Baden: Nomos 2015), beispielsweise bezüglich der Unterscheidung zwischen „homo oeconomicus“ und „homo cooperativus“ (Ulrich Hemel).

Sonja Knobbe, frühere Geschäftsführerin des Instituts für Sozialstrategie, beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit der Frage, wie sich wirtschaftliche Praktiken von anderen unterscheiden. Ihr geht es nicht so sehr um Themen der Effizienz, sondern um Austauschbeziehungen und konkrete soziale und institutionelle Kontexte. Sie referiert hier insbesondere einen durchaus interessanten Autor wie Karl Polanyi (1886-1964), dessen Ansatz sie vom eher formalen Angang eines Lionel Robbins abgrenzt. Daraus folgt jedoch leider, dass sie sich zwar auf bestimmte sozialphilosophische Perspektiven des wirtschaftlichen Handelns hin öffnet, hier aber erstaunlicherweise weitere, alternative Ansätze gar nicht erst diskutiert. Dies gilt  etwa für den Band von Dierksmeier/Hemel/Manemann über „Wirtschaftsanthropologie“ (Baden Baden: Nomos 2015), beispielsweise bezüglich der Unterscheidung zwischen „homo oeconomicus“ und „homo cooperativus“ (Ulrich Hemel).

Berichtet wird zwar vom womöglich „unrealistischen“ Menschenbild des homo oeconomicus (S.19-22). Über die Abgrenzung von der Neoklassik hinaus ist die Perspektive Sonjas Knobbe allerdings vor allem dort interessant, wo es um den Bericht zum oben genannten Referenzautor geht. Dabei ist die soziale Kontextualität ökonomischen Handelns, aber auch die Einsicht in die Bedeutung intermediärer Institutuionen weder überraschend noch neu. Darüber hinaus wird allerdings die Unterscheidung zwischen monetären und nicht-monetär bewerteten Formen wirtschaftlichen Handelns weder aufgegriffen noch erörtert.

Dieses Beispiel verweist auf einen bisweilen eher in sich abgeschlossenen „praxistheoretischen“ Ansatz der Betrachtung in der hier vorgelegten Dissertation (S. 35, S.275-300). Dieser bietet interessante Aspekte, geht aber über die eigenen Begriffswelt, vermutlich in bewusster Abgrenzung, nicht hinaus. Dabei wird letztlich nicht klar, was genau eine Praxistheorie sein soll, wie sie sich von einer Nicht-Praxis-Theorie unterscheidet, worin ihre entweder theoretischen oder praktischen oder eben praxistheoretischen Vorzüge liegen.

Die Folge daraus ist eine Schwierigkeit, die sich im letztlich fehlenden Fazit des Bandes ausdrückt. Die Abgrenzung gegenüber einem rein formalen Ansatz wie bei Lionel Robbins mag zwar gelingen, gehört heute aber schon zum Common Sense der wirtschaftlichen Diskussion. Dies gilt schon deshalb, weil über die Gewinnorientierung längst schon Fragen der gesellschaftlichen Sinngebung („Purpose“) und des Gemeinwohlbeitrags von Unternehmen im Vordergrund stehen. Dass wirtschaftliches Handeln komplex ist, vielfältigen sozialen Konditionierungen unterliegt und nicht allein formal verstanden werden kann, verdient daher zwar Zustimmung, lässt aber auch die Frage zurück: Was daran ist tatsächlich eine neue Erkenntnis?

Sonja Knobbe ist mit dieser etwas bangen und auch kritischen Rückfrage an das greifbare Ergebnis ihrer Dissertation nicht allein auf weiter Flur. Unter zivilgesellschaftlicher Perspektive ist es allerdings wesentlich, Wissenschaft als großes gesellschaftliches Gespräch und als gemeinsame Lernaufgabe zu begreifen. Dazu gehören zwangsläufig auch scharfsinnig wiedergegebene Aporien, Spannungen und Widersprüche zwischen der Welt der akademischen Theorie und der realweltlichen Praxis, gleich wie gelungen deren „praxistheoretische“ Überwindung sich darstellen mag. 

Wirtschaften als gesellschaftliche Praxis mit einer realen Gemeinwohlperspektive zu betrachten, ist schließlich eine Zukunftsaufgabe, die für alle gesellschaftlichen Beteiligten gilt, gleich ob in der Rolle als Konsument oder Konsumentin, Produzent oder Produzentin, Handelstreibender oder politisch Verantwortlicher.

Posted by Ulrich Hemel