Wie kommen wir aus der Sackgasse heraus? Eine globale Quellensteuer auf Erdöl als Beitrag zur Klimagerechtigkeit

Nach dem Debakel der Klimakonferenz COP29 in Baku Ende 2024 und dem Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 brauchen wir einen Neustart für die Sache der Klimakrise.
Klar ist inzwischen, dass das Spiel über „Naming and Blaming“ zwar den Streit über die Verursacher der von Menschen gemachten Krise befeuert, aber nicht von sachlichen Interessen, sondern von Machtpolitik geleitet wird. Das Verursacherprinzip wird unterschiedlich ausgelegt: die Industrieländer wollen nicht für die Vergangenheit zahlen, Länder wie China, Australien oder Südafrika nicht für die Gegenwart. Auf einer nationalen Ebene können staatliche Behörden einzelne Verursacher etwa in der Industrie zur Rechenschaft ziehen. International aber fehlt eine durchsetzungsfähige Exekutive.
Das Verursacherprinzip stößt bei den Staaten auch sachlich an eine Grenze. Sprechen wir über den CO²-Ausstoß des letzten Jahres oder in der Geschichte bis zurück ins 19.Jahrhundert? Heute jedenfalls stehen drei Länder für mehr als 50% der globalen Emissionen: USA, China und Indien. Genau das aber befeuert die Kontroverse umso mehr: Denn China liegt mit 8,9 t pro Kopf zwar niedriger als die USA mit 14,4 t, aber deutlich höher als Indien mit 1,9 t pro Person pro Jahr. Gerade für Indien gilt daher, dass der hohe absolute Ausstoß von Emissionen stark mit der Bevölkerung korreliert.
Umgekehrt spielt Luxemburg bei der globalen Emissionsmenge keine Rolle, steht aber bei ziemlich schlechten Pro-Kopf-Werten von 12,2 t pro Kopf pro Jahr nicht gerade gut da.
Wir brauchen daher neue Wege. Dabei wurde immer wieder ein Öko-Sozial-Fonds bei den Vereinten Nationen diskutiert. Er sollte aus vertraglich vereinbarten Zahlungen der Staaten, also nationalen Staatshaushalten, und aus einer Finanzmarkttransaktionssteuer, der Tobin Tax, finanziert werden. Diese Finanzierung steht allerdings in den Sternen und hängt zu stark von den Zufälligkeiten regierender Parteien mit Budgethoheit ab.
Eingerichtet wurde jedoch ein UN SDG Fonds. Er verfügte Ende 2024 über 210 Millionen USD. Im Verhältnis zur Aufgabe, der globalen Bewältigung der Folgen der Klimakrise, ist dies ein Tropfen auf den heißen Stein.
Fassen wir zusammen, auf welche Herausforderungen die Finanzierung eines globalen Öko-Sozial-Fonds stößt, kommen wir auf folgende wesentliche Punkte:
- Wir brauchen eine stabile Finanzierungsquelle
- Wir brauchen klare Prinzipien der Mittelzuweisung
- Wir brauchen eine gute und korruptionsfreie Governance
- Wir brauchen ein signifikantes Finanzierungsvolumen.
Bis heute konnte kein gemeinsamer Mechanismus für die internationale Gemeinschaft gefunden werden. Freiwillige Leistungen von Staaten, von Stiftungen oder wohlhabenden Privatpersonen waren bisher bei weitem nicht ausreichend. Es gibt ja nicht einmal Einigkeit bei der weltweiten Initiative zur Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen. Und die Finanzmarkttransaktionssteuer ist bisher nicht über bescheidene praktische Anfänge hinausgekommen.
Dies könnte ein Anlass für heftige Frustrationen oder für Resignation sein. Besser ist jedoch die Suche nach pragmatischen Ideen für die Zeit, wenn die Welt wieder zu multilateraler Kooperation zurückfindet. Schließlich können wir mit dem parallelen Egoismus einzelner Staaten nicht zufrieden sein.
Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist in diesem Kontext ein Gedankenexperiment gerade mit Blick auf die COP20-Konferenz in Baku. Dabei stand die Frage im Vordergrund, unter welchen Bedingungen ölproduzierende Staaten und damit die OPEC ihren Widerstand gegen einen globalen Öko-Sozial-Fonds aufgeben würden.
Daraufhin versuchte ich, die Perspektive des Erdölministers eines OPEC-Staats wie etwa Saudi-Arabien einzunehmen, der seine nationalen Interessen vertritt. Die zugrundeliegende Vermutung bezog sich auf eine Haltung, die den OPEC-Staaten nicht das Geschäft verdirbt und die es ihnen erlauben würde, klimafreundlichen Lösungen zuzustimmen, wenn sie nichts oder fast nichts dafür zahlen müssen.
Da wir weltweit etwa 100 Millionen Barrel Rohöl täglich zu einem aktuellen Preis von rund 80 USD brauchen, kostet das Öl weltweit rund 8 Milliarden USD. Jährlich sprechen wir folglich von 2.900 Milliarden USD. Diese Zahl ist zu beziehen auf ein globales Bruttosozialprodukt von rund 110 Billionen und entspricht davon zwei bis drei Prozent.
Wenn wir eine Korrelationskurve zwischen Bruttosozialprodukt und CO²-Emissionen erstellen, ergibt sich ein Erwartungswert für ein bestimmtes Wohlstandsniveau. Schon aus dieser Überlegung heraus wird klar, wie eng ökologische und soziale Fragen zusammenhängen. Denn als Faustregel gilt: Je stärker die Armut, desto höher der CO²-Verbrauch durch ein verbessertes Wohlstandsniveau. Plakativ gesagt gilt: Wenn wir in einer Welt leben wollen, in der niemand weniger als 250 USD pro Monat zur Verfügung hat, dann brauchen wir nach heutigem Stand zusätzliche CO²-Emissionen in der Höhe der USA und Japans zusammen!
Interessant an der Korrelationskurve zwischen Wohlstandsniveau in USD-Jahreseinkommen und CO²-Emissionen sind die Abweichungen. Denn manche Länder wie Schweden oder auch Costa Rica sind deutlich besser als erwartet. So verbraucht Schweden rund 4 t CO² pro Jahr und pro Kopf bei gleichem oder besserem Wohlstand nur die Hälfte pro Kopf dessen, was Deutschland mit rund 8t CO² jährlich verbraucht. Was ist der Hintergrund?
Tatsächlich hatte Schweden schon früh eine CO²-Steuer eingeführt und planbar, aber regelmäßig bis auf derzeit 119 Euro pro Tonne angehoben. Deutschland liegt seit 1.1.2025 hier bei 55 Euro pro Tonne. Im Sinn unseres Gedankenexperiments liegt es nahe zu fragen, ob ein solcher Mechanismus auch für fossile Produkte wie Erdöl funktionieren könnte. Der Lackmus-Test bestünde in der Frage, ob ich in den Schuhen des Erdölministers eines OPEC-Staates die Lösung befürworten würde.
Betrachten wir nun folgenden Fall. Wir schlagen auf ein Barrel Rohöl mit einem aktuellen Preis von 80 USD eine fossile Quellensteuer in Höhe von 5 USD auf. Da wir für einen Liter Benzin 1,3 l Rohöl brauchen, können wir aus einem Barrel mit 159 Litern genau 122 Liter Benzin erhalten. Die zusätzlichen 5 USD pro Barrel hätten dann einen Effekt von rund 4 Cent. Diese Preiserhöhung ist für Konsumenten und Konsumentinnen durchaus tragbar, auch wenn die genaue Höhe der zusätzlichen Besteuerung von Land zu Land unterschiedlich ist.
Für die erdölexportierenden Staaten wäre eine solche Abgabe kein Hindernis, denn letztlich zahlen ja nicht sie die Rechnung, sondern die Verbraucher. Bei entsprechenden Vereinbarungen könnte die Abgabe auch von Rohölkäufern oder von Firmen wie Shell und BP eingesammelt werden. Es müsste allerdings zuverlässig an den Öko-Sozial-Fonds der UN weitergeleitet werden. Selbst wenn wir eine Vergütung für die Erhebung der fossilen Quellensteuer einpreisen, wäre der Effekt gigantisch. Denn 5 USD auf 100 Millionen Barrel täglich ergeben 500 Mio. USD pro Tag und 180 Milliarden pro Jahr.
Wie bei jeder Initiative müssen wir natürlich auf Widerstände, Einwände und praktische Wirksamkeitsfallen achten. Was passiert beispielsweise, wenn Staaten wie etwa Russland oder die USA nicht mitwirken? Mir erscheint deren Nicht-Mitwirkung keineswegs sicher, einfach weil wir die Attraktivität fairer Lösungen nicht unterschätzen sollten. Wenn aber einzelne Staaten ausscheren, dann hätten diese natürlich einen Preisvorteil: Ihr Barrel Rohöl würde 80 USD statt 85 USD kosten.
Hier wären dann einzelne Staaten oder Staatenbündnisse wie die EU gefragt. Gerade demokratische Staaten wären hier an einem Ausgleich interessiert und würden „Klimakompensationszölle“ erheben. Das bedeutet, dass Erdöl in diese Länder nur importiert werden kann, wenn die fossile Quellensteuer entrichtet oder alternativ der Klimazoll bezahlt würde. Die verantwortlichen Staaten wiederum würden sich dagegen nicht wehren, denn für sie wäre der Effekt derjenige, dass das Geld in ihre Kassen fließt statt in die Kassen des UN-Öko-Sozial-Fonds.
Ein zweiter Einwand wäre die Nicht-Anwendung der Abgabe im Inland, speziell in Ländern mit reichhaltigem Ölvorkommen wie Venezuela, Mexiko, Saudi-Arabien. Die einheimische Bevölkerung hätte dann einen im Vergleich mit anderen Ländern „unfairen“ Preisvorteil. Da die OPEC-Länder nicht die Mehrheit der Weltbevölkerung spiegeln, könnte dies hingenommen werden. Gerade dann aber gäbe es erst recht keinen Grund für einen Ölminister, sich gegen die genannte Regelung zu wehren.
Richtig ist natürlich auch, dass Ölreserven nicht unendlich sind. Wenn wir an den Zeitpunkt der höchsten weltweiten Fördermenge denken, also an „Peak Oil“, dann landen wir in den späten 2020er oder frühen 2030er Jahren. Und da Preise auf die Nachfrage wirken, folgt aus einer fossilen Quellensteuer auch ein gewisser Vorteil für erneuerbare Energien. Entsprechende Investments werden also attraktiver. Folglich fördert eine fossile Quellensteuer die nötige ökologische Transformation der Weltwirtschaft. Selbst wenn diese fossile Quellensteuer wirksam wäre, müssten wir uns gleichwohl die Frage nach der Mittelverteilung stellen.
Wenn es nicht lediglich um das Recht des Stärkeren geht, müsste die Zusammensetzung der Gremien, die über die Mittelverwendung bestimmen, sehr sorgfältig abgewogen werden, mit ausreichender Beteiligung aller Weltregionen, und mit strengen Vorkehrungen gegen Korruption. Langfristig ist hier u.a. eine Globale Anti-Korruptionsbehörde der UN zu fordern.
Glaubwürdig wird die fossile Quellensteuer erst mit einer guten Governance-Struktur. Dabei kann es eine der Leitideen sein, vor allem Staaten mit weniger als 3t CO²-Emissionen pro Kopf und pro Jahr zu bedenken. Ein zweites Prinzip kann die Feststellung besonderer Dringlichkeit und die Betrachtung einer besonders guten Wirksamkeit von Maßnahmen sein. Schließlich sollte auch ein Score für die Beurteilung der Governance in einem Staat einfließen. Wenn nämlich gute Regierungsführung den Weg für eine höhere Mittelzuweisung bahnt, dann ist dies ein starker Anreiz für Politiker, tatsächlich auch in den Aufbau gesellschaftlichen Vertrauens und die Bekämpfung von Korruption zu investieren.
Analog zur Praxis in großen Unternehmen bräuchte der UN Öko-Sozial-Fonds ein ständiges Audit Committee zur regelhaften Überprüfung der Fairness der Mittelvergabe gemäß den aufgestellten Regeln. Idealerweise ginge ein solches Revisionskomitee sogar mit dem Recht einher, effektive Sanktionen bei Verstößen zu verhängen.
Damit gelangen wir zu folgenden Kriterien für ein Scoring Modell der Mittelvergabe aus dem UN Öko-Sozial-Fonds:
- Dringlichkeit
- Effizienz und Effektivität der Maßnahme
- Niedriger CO²-Ausstoß pro Kopf (unter 3t pro Jahr)
- Gute Regierungsführung (Good Governance)
- Wirksame Maßnahmen der Mittelverwendungskontrolle.
Wenn es der internationalen Gemeinschaft gelingt, einen solchen Fonds einzuführen, dann wäre dies ein Meilenstein der Klimagerechtigkeit.
Dies ist deshalb besonders wichtig, weil ja die Verursachung, der aktuelle Verbrauch und die Schädigung durch die Klimakrise nicht unmittelbar miteinander korreliert sind. Gerade deshalb müssen ja ökologische Fragen und Fragen der sozialen und politischen Gerechtigkeit gemeinsam betrachtet werden. Anders lassen sich Klimakonflikte letztlich nicht vermeiden.
Der UN Öko-Sozial-Fonds solle aber die Möglichkeit haben, bestimmte Kriterien in begründeten Fällen zu überspielen, wenn es um das Wohlergehen bestimmter Bevölkerungsgruppen geht. So sind die Einwohner der Südseeinsel Tuvalu genau so wenig unmittelbar für die Qualität ihrer Regierung verantwortlich wie die Bewohner von Städten auf Permafrostboden, der gerade aufzutauen beginnt.
Die Umsetzung einer fossilen Quellensteuer muss dann auch nicht auf Erdöl begrenzt werden. Sie kann auf Gas ausgedehnt werden. Eine fossile Quellensteuer ist letztlich eine marktwirtschaftliche und eine kooperative Lösung. Sie könnte die Überlegenheit von internationaler Kooperation entgegen einer rein nationalistischen Agenda in manchen Staaten aufzeigen.
Letztlich haben wir nur einen Planeten. Und es lohnt sich, zu einer Welt beizutragen, die deutlich weniger als heute durch den Albtraum einer immer stärker und schlimmer werdenden Klimakrise bedroht wird.
Anders gesagt: Die menschliche Spezies ist zur Kooperation fähig. Aber von dieser Kooperationsfähigkeit hängt auch ihr Überleben ab.
Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ulrich Hemel, Direktor a.D., Weltethos-Institut
Laichingen, 31. Januar 2025
Foto: AFP