Siwa: Eine Oase im Ausverkauf?

Frederik Klär
[DE] Die Oase Siwa in Ägypten entwickelt sich zunehmend vom Agrarstandort zu einem Tourismuszentrum. Während der Tourismus wirtschaftliche Vorteile bringt, führen ausländische Investitionen und steigende Grundstückspreise zu sozialen und ökologischen Herausforderungen. Fragen zur Infrastruktur, Wasserversorgung und Müllentsorgung bleiben ungelöst. Eine nachhaltige Entwicklung erfordert ethische Investitionen, lokale Mitbestimmung und globale Zusammenarbeit. Siwa steht exemplarisch für die Spannungen zwischen lokaler Entwicklung und globalen Einflüssen.
[EN] The Siwa Oasis in Egypt is transitioning from an agricultural hub to a growing tourist destination. While tourism generates economic benefits, foreign investments and rising land prices pose social and environmental challenges. Issues such as infrastructure, water supply, and waste management remain unresolved. Sustainable development requires ethical investments, local participation, and global cooperation. Siwa exemplifies the tensions between local development and global influences
Die Vorzüge Ägypten als Reiseland sind kein Geheimnis. Das Land am Nil lockt mit seiner fünftausend Jahren alten Geschichte, den Stränden am Roten Meer und seiner schier endlosen Wüste jedes Jahr tausende Touristen zu sich. Ein in den letzten zwei Jahrzehnten immer beliebter werdendes Reiseziel ist die Oase Siwa, im Nord-Westen des Landes gelegen, direkt an der Grenze zu Libyen.
Traditionell war die Oase sowie ihre umliegenden Gebiete durch die Agrarwirtschaft geprägt. Neben den bekannten Siwa-Datteln werden in der Region Oliven, Feigen, Orangen, Aprikosen, Gemüse und andere Agrarprodukte angebaut. Jedoch ist die Oase in den vergangenen Jahren ein regelrechter Hotspot für ägyptische und internationale Touristen geworden. So bietet Siwa ihren Besuchern viele Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Touristen können in den saphirblauen Salzsehen, die ein Nebenprodukt der örtlichen Salzindustrie sind, eine Abkühlung genießen und dabei ähnlich wie im Toten Meer ganz ohne Anstrengung auf dem Wasser treiben. Auch beherbergt die Oase bedeutende antike Stätten wie etwa die Altstadt von Schali oder das Orakel des Ammon, welches bereits Alexander der Große bei seiner Eroberung Ägyptens besuchte.
Aufgrund Siwas steigender Beliebtheit bei Reisenden hat sich der Tourismus in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor in der Oase entwickelt und dutzende Reiseführer, einheimisch wie von außerhalb, bieten Besuchern ihre Dienste an. Auch beherbergt die Siwa mittlerweile zahlreiche Hotels und Restaurants. Viele Reiseführer, die bereits mit ihren Touren Profite gemacht haben, sind mittlerweile dazu übergegangen, Land zu erwerben und eigene kleine Hotels und Ferienwohnungen zu erbauen. Andere nutzen den Landerwerb, um den Traum einer eigenen Farm zu erfüllen. Die selbstangebauten Agrarerzeugnisse werden dabei entweder selbst verbraucht oder auf dem Markt verkauft. Sie dienen damit insbesondere der Versorgung der eigenen Familie in jenen Monaten in außerhalb der Tourismussaison.
Auf diese Weise spielt der Tourismus beträchtliche Summen in die Taschen der lokalen Bevölkerung und ist damit ein Segen für alle, die von ihm profitieren können. Jedoch locken die Versprechungen von Profiten auch vermehrt Investoren von außerhalb. So erfährt Siwa in jüngster Zeit einen beträchtlichen Zustrom von ausländischem Kapital, besonders aus Westeuropa und den Golfstaaten. Die Investoren erwerben dabei vornehmlich Land. Dieses dient zum einen dem Bau von riesigen Hotelanlagen, die Siwa in die Lage versetzten sollen, zukünftig größere Massen an Touristen zu beherbergen. Fragen nach der Verträglichkeit eines solchen Tourismus für die Oase bleiben dabei unbeantwortet. Zum anderen bauen immer mehr Gäste, insbesondere aus Westeuropa, Ferienhäuser in der Region. Die Vermietung dieser Häuser ist dabei gar nicht beabsichtigt, sondern die Nutzung als privates Feriendomizil steht im Vordergrund. Einigen Einheimischen tut sich dabei die Befürchtung nach einer Geisterstadt auf, in der die meisten Häuser des Jahres ungenutzt bleiben und somit nichts zum örtlichen Wohlstand beitragen.
Beide Entwicklungen befinden sich noch im Anfangsstadium und es bleibt abzuwarten, welche Folgen beide Entwicklungen haben werden. Was jedoch schon aktuell ist, sind die weitreichenden ethischen, sozialen und ökologischen Fragen, die sich mit Hinblick auf die antizipierten Folgen ergeben.
Einerseits bedeutet eine Zunahme von Investition, Bau und Tourismus Wohlstand für eine abgelegene Region eines Landes mit ohnehin nur mittlerem Einkommen im unteren Bereich. Andererseits geht die erhöhte Nachfrage von Bauland mit erhöhten Grundstückspreisen auch für Einheimische einher. So sehen sich einige jener Touristenführer, die anfangs von dem erhöhten Tourismus profitiert haben, mit ausländischen Investoren, insbesondere aus den kapitalstarken Golfstaaten, konfrontiert. Auch stellen sich Fragen für die Zukunft die Einheimischen, die nicht vom Tourismus oder geringeren Maße vom Tourismus profitieren, etwa diejenigen, die nicht in der Tourismusbranche arbeiten. Wie sollen etwa Erntehelfer oder Tagelöhner mit allgemeinen Preiserhöhungen zurechtkommen? Auch ist fraglich, wie eine Region mit ohnehin schon schwacher Infrastruktur mit einem gesteigerten Tourismusaufkommen zurechtkommen kann. Wer kümmert sich um die Unmengen an Abfall, die mit Massentourismus einhergehen und was passiert, falls das Touristenaufkommen die lokale Wasserversorgung überlastet?
Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Wer in welchem Maße und auf welche Art und Weise von den Entwicklungen in Siwa profitieren soll, kann nicht ohne gründliche ethische Reflexion beantwortet werden. Ferner müssen etwaige Lösungen nicht nur gefunden, sondern auch implementiert werden, was in einem Land mit verhältnismäßig hoher Korruption schwierig sein dürfte.
Bei Suche und Implementation von Lösungen kommt der globalen Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle zu. Nur wenn sich ausländische wie inländische Investoren auf Grundlage von ethisch reflektierten Grundsätzen handeln, Touristen sich über die öko-sozialen Konsequenzen ihrer Reisen bewusst sind und lokale Gemeinschaften eine allgemein akzeptierte Vision für die Zukunft ihrer Region finden, können die verschiedenen Bedürfnisse aller beteiligten Akteure in Einklang gebracht werden. Dies sind gewiss keine leichten Vorhaben, aber in Anbetracht der stetig steigenden globalen Vernetzung zweifelsohne notwendig. Siwa ist mit seiner Mischung aus Natur, Geschichte und Freizeit ein einzigartiger Ort in Ägypten und über die Grenzen des Landes hinaus. Die Herausforderungen, mit der sich die Oase konfrontiert sieht, sind Bestandteil einer globalen Entwicklung. Auch in anderen Teilen der Weltregionen wachsen Spannungen zwischen internationalen Investoren und lokalen Bewohnern, sei nun auf deutschen Immobilienmärkten, wachsenden Industrien Südasiens oder in der Oase Siwa. Globalisierung prägt die Welt seit Jahrzehnten, es ist an der Zeit, dass sie menschengerecht wird.
Autor: Frederik Klär
Foto: Frederik Klär