Schöpferische Zerstörung – was macht einen Unternehmer aus?

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Abstract [de]: Das Bild des Unternehmers in der Öffentlichkeit ist häufig durch eine große Ambivalenz gekennzeichnet. Dass die Wahrheit wie so oft auch hier zwischen Schwarz und Weiß, Dämonisierung und Mythologisierung liegt, wird in diesem Vortrag mehr als deutlich. Ulrich Hemel geht darin – auch anhand biographischer Beispiele – auf das Set an Eigenschaften ein, welches einen Unternehmer ausmacht und zeigt auf, dass die Komplexität der Aufgabe nicht zu unterschätzen ist. Die Fähigkeit, Chancen zu Erkennen wird dabei ebenso beleuchtet, wie die verschiedenen Risiken, denen sich Unternehmer ausgesetzt sehen. Durch diese Charakteristika und das Agieren unter unsicheren Bedingungen werden sie zu Motoren für Wirtschaft und Gesellschaft, eine Rolle, deren genauere Betrachtung durchaus lohnenswert ist.

 

April 2008

Schöpferische Zerstörung – was macht einen Unternehmer aus?

Vortrag auf der Tagung der Sozialethiker 2008 in Mönchengladbach am 25. April 2008

 

get pdf: Schöpferische Zerstörung

 

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Unternehmer sind der Motor der Wirtschaft, so kann man immer wieder hören. Gleichzeitig schlägt den Verantwortlichen in der Wirtschaft heute ein rauer Wind entgegen, so als ob es ehrenrührig wäre, sich für das Wachsen und Gedeihen eines Unternehmens einzusetzen, und so als ob das Gewinnstreben immer schon eine negative Note hätte, weil der Gewinn gewissermaßen jemand anders weggenommen werden müsse.

Dies ist nicht der Fall, aber in der deutschen Öffentlichkeit sind solche Bilder eines Null-Summen-Spiels in der Wirtschaft weit verbreitet. Unternehmer tun allerdings in der Regel wenig gegen Mängel in der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Rolle. So ist das Bild des Wirtschaftsführers bis heute deutlich stärker von Persönlichkeiten geprägt, die als angestellte Manager in großen Banken und Konzernen zum Unwillen vieler enorme Gehälter verdienen. Große Unternehmer, die für ihr Vermögen selbst verantwortlich sind, wirken vergleichsweise zurückhaltend- gleich ob wir von den Brüdern Albrecht, Dieter Schwarz, Anton Schlecker und Erivan Haub im Einzelhandel oder Adolf Merckle, Adolf Würth oder den Brüdern Strüngmann im Bereich der Industrie sprechen.

Joseph Schumpeter (1883-1950), der exzentrische Sohn eines Tuchfabrikanten aus Mähren, wollte-wie bereits im Vortrag von Prof. Plumpe erwähnt-der größteNationalökonom der Welt, der größte Reiter in Österreich und der größte Liebhaber in Wien werden (P.Strathern 2003,257)- und er hatte wohl Erfolg mit seinen Ambitionen. Er ist derjenige Wirtschaftstheoretiker, der den Unternehmer als die treibende Kraft in der Marktwirtschaft erkannte und das geflügelte Wort von der schöpferischen Zerstörung prägte, mit dem das Wirken von Unternehmern beschrieben wird.

Klar ist, dass technologische Entwicklungen Protagonisten des Markterfolgs brauchen. Ebenso klar ist, dass das Neue der Feind des Alten ist. Niemand kauft heute eine Musikkassette, und doch ist der Kassettenrecorder ein gar nicht sonderlich altes Artefakt der Industriegesellschaft.

Wir sprechen heute allerdings nicht allein von technischen Innovationen, sondern mindestens ebenso sehr von Innovationen im Geschäftsmodell- ob es sich hier um SAP, um Versandapotheken, um Yahoo oder Amazon handelt. Nicht immer stecken geniale Einzelunternehmer hinter solchen Erfolgsgeschichten, aber auch heute gilt, dass große Vermögen tatsächlich am unternehmerischen Vermögen einzelner Menschen wie Warren Buffett, Bill Gates, Carlos Slim oder den Familien Mittal und Tata hängen. Wir sind also gut beraten, uns zwar vor der Mythologisierung des Unternehmers zu hüten, andererseits aber seine Rolle in der modernen Gesellschaft ernst zu nehmen.

Dies gilt erst recht, wenn wir die breite Basis des deutschen Mittelstands betrachten. Nicht alle Mittelständler erzielen große öffentliche Aufmerksamkeit, aber dort wo es sich um die unternehmerische Persönlichkeit in erster oder zweiter Generation handelt, sind sehr wohl Muster zu erkennen, die ihnen bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam sind.

Diesen Mustern möchte ich mich im folgenden zuwenden und dabei mit einer Reflexion über das Unternehmertum als Set von Einstellungen und mit meiner persönlichen unternehmerischen Erfahrung beginnen (1). Anschließend betrachte ich die Themen Risiko (2) und Chance (3), werde aber auchauf das „Unternehmer sein“ als Lebensform eingehen (4). Mit einigen Überlegungen zur „schöpferischen Zerstörung“ und zur „Sozialethik des Unternehmers“ werde ich abschließen (5).

 

 

1. Unternehmer ist, wer die Einstellung dazu hat – der persönliche Rahmen

Die meisten Menschen erleben aus ihrer Familie die Situation von Menschen, die als Angestellte oder Arbeiter ihr monatliches Gehalt von einer Firma, einer Institution oder vom Staat erhalten. Selbständig sind in Deutschland nur etwa 10% der Erwerbstätigen. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Menschen den Schritt in die Selbständigkeit wagen.

Sie erleben dann häufig die großen Schwankungen der Nachfrage, die gerade ein kleines Unternehmen, das am Anfang steht, nicht durch Reserven und vorhandene Kapital- und Beschäftigungspuffer auffangen kann. Sie erleben aber auch den großen Unterschied zwischen der Verantwortung des Geschäftsinhabers und des Angestellten. „Wenn mein Mitarbeiter krank wird, stehe ich selbst im Laden und habe keinen Samstag und keinen Sonntag“, berichtet ein junger Unternehmer aus dem Bereich der Systemgastronomie.

Zur „schöpferischen Zerstörung“ gehört es auch, dass viele Neugründungen die Anfangsjahre nicht überstehen und dass viele Betriebe nicht überleben, sobald die Gründergeneration sich aus Altersgründen zurückzieht. Für jedes erfolgreiche Unternehmen der zweiten Generation stehen vielleicht zehn andere, die einen Generationenübergang gar nicht schaffen.

Weil es so enorm schwer und auch selten ist, ein Unternehmen über mehrere Generationen zu erhalten, entsteht in Unternehmerfamilien ein Stück Werkstolz auf das Erreichte. Gleichzeitig wirkt ein Prozess der Entpersönlichung, weil nämlich das „Werk“, also das Unternehmen, wichtiger wird als die Einzelperson, so etwa bei den Familien Haniel, Henkel, aber auch Bertelsmann, Zeiss oder Bosch, um nur einige zu nennen.

Unternehmensethisch ist diese Beobachtung nicht belanglos, weil sie zu den identitätsstiftenden Werten eines Unternehmens führt. Jedes Unternehmen hat eine Gründungsgeschichte, vielleicht sogar einen Gründungsmythos-wie etwa bei Daimler und Benz, Siemens und anderen. Der Gründergeist wirkt in einem erfolgreichen Unternehmen über mehrere Generationen hin fort und hat zur Folge, dass Unternehmen sehr wohl als Weg- und Wertgemeinschaften beschrieben werden können. Was der Gründer sagt und tut, hat Gewicht über seinen Tod hinaus¬vielleicht nicht in jeder Einzelheit, aber häufig in zentralen Glaubenssätzen unternehmerischen Handelns. Fakt ist jedenfalls, dass die zentralen Werte einer Unternehmenskultur nicht unabhängig von der Geschichte und Gründung eines Unternehmens gedacht und erfasst werden können.

Unternehmertum hat damit zwangsläufig etwas mit den Persönlichkeiten der Unternehmer zu tun, auch wenn deren Profil so unterschiedlich ist, wie Menschen unterschiedlich sein können. Es gibt aber sehr wohl einen mentalen Rahmen für unternehmerisches Handeln, der klar benennbar ist: Es geht um den Mut, dem eigenen Scheitern ins Auge zu sehen- denn es kann immer auch schief gehen, und es ist auch oft schief gegangen. Es geht um den Mut, eigenen Ideen zu folgen, auch wenn diese nicht auf uneingeschränkte Zustimmung im sozialen Umfeld stoßen. Es geht in vielen Fällen auch um den festen Glauben an den Wert einer bestimmten Idee, einer bestimmten Vorgehensweise, einer bestimmten geschäftlichen Intuition¬egal was andere dazu sagen. Und es geht immer auch um den oft tragischen, manchmal auch komischen Umgang mit eigenen Stärken und Schwächen. Schließlich- und das ist nicht zu vergessen- geht es um die Rolle des Zufalls, aber auch um die Fähigkeit, aus Zufällen eine systematische Geschichte entstehen zu lassen und sich eine Existenz aufzubauen.

In meiner eigenen Lebensgeschichte kam- nicht ganz unüblich- der Schritt ins Unternehmertum erst im Alter von 48 Jahren zur Reife. Nach einigen Jahren an der Universität, in der Unternehmensberatung und in der Industrie gründete ich 2004 die „Strategie und Wert Beratungs- und Beteiligungs-GmbH“ mit einem Startkapital von 25.000 Euro. Ziel war es, die im Lauf vieler Jahre gewonnenen Fähigkeiten und Fertigkeiten aus den Bereichen Unternehmensberatung, Gesundheitswesen, Logistik und Möbelindustrie in den Dienst einer eigenen unternehmerischen Geschichte zu stellen und damit auch der Familie ein Stück Unabhängigkeit zu sichern. Die Familie gehört daher auch von Anfang an dazu, und die Geschichte wäre unvollständig ohne den wesentlichen Beitrag meiner Frau Amparo Lucia, meines Bruders Cornelius, aber auch meiner Söhne Stefan und Daniel.

Das Umsatzziel des ersten Jahres lag bei 30.000 Euro, die ich zu meiner Freude übertreffen konnte. Bald war klar, dass das reine Beratungsgeschäft zwar lukrativ, aber auch sehr zeitintensiv war. So begann ich nach einer unternehmerischen Beteiligung Ausschau zu halten und wurde auf der Fachmesse „Medica“ in Düsseldorf fündig: Ein Verbandmittelunternehmer mit etwa 40 Mitarbeitern suchte einen Nachfolger.

Die im Berufsleben gesammelten eigenen Erfahrungen aus dem Kauf und Verkauf mehrerer Firmen ermutigten mich, Verhandlungen aufzunehmen, bewahrten mich allerdings nicht vor Fehlern. Sie befähigten mich andererseits, ein unternehmerisches Konzept zu entwickeln, mit der ich vor einer Bank auftreten und die notwendige Finanzierung erreichen konnte.

Im Nachhinein war der Kaufpreis dennoch zu hoch, und der Markt entwickelte sich schlechter als geplant. Für den unternehmerischen Mind Set entscheidend ist aber nicht die Analyse möglicher Schwierigkeiten, sondern die proaktive Haltung, diese zu überwinden.

Dazu gehört zum einen der Mut, aus der Welt eines mittleren Konzerns in den Bereich eines inhabergeführten Familienunternehmens zu investieren. Praktisch heißt das, dass Delegation von Aufgaben in vielen Fällen nicht möglich ist, weil die dafür nötigen Mitarbeiter und Kräfte fehlen.

Im Fall der Rogg Verbandstoffe GmbH&Co.KG, die in diesem Geschäftsjahr knapp 10 Mio. Euro Umsatz erzielen werden, hieß dies auch, intensive Gespräche mit meinem Bruder zu führen, um ihn dazu zu motivieren, seine Stelle als Bereichsleiter Einkauf in einem großen Versandhandelsunternehmen aufzugeben und im Jahr 2005 als Geschäftsführer in das neue Familienunternehmen und in eine für ihn neue Branche einzusteigen.

Nun will ich mich nicht in Einzelheiten dieser für uns spannenden Geschichte verlieren, sondern den Fall eher unter dem Aspekt des unternehmerischen Profils analysieren. Für meine Herkunftsfamilie, die als Angestellte, als Lehrer, in früherer Generation auch als Handwerker gelebt hatte, war der Schritt in die unternehmerische Unabhängigkeit risikoreich. Dazu kommt das Risiko der Zusammenarbeit unter Brüdern, die sich trotz gemeinsamer Geschichte in ihrer Risikoneigung, ihrer Persönlichkeit und ihrem Weltbild unterscheiden. Der Glaube anden unternehmerischen Erfolg schweißt aber auch zusammen, selbst wenn Ärzte streiken und unser Gesundheitssystem Züge des Marktversagens aufweist.

Ein Höhepunkt der neuen Existenzform als Familienunternehmer war die Möglichkeit, flexibel und mit erweiterten Handlungsmöglichkeiten auf familiäre Krisen zu reagieren. So hatte der heute 24-jährige Sohn meiner jüngsten Schwester nach dem Abschluss der Realschule vergeblich versucht, doch noch sein Abitur zu machen und warf die schulische Ausbildung mit 22 Jahren frustriert hin. Meine Schwester war verzweifelt. Und hier war etwas möglich, was mir als angestelltem Manager niemals möglich gewesen wäre: Mein Bruder und ich haben ihn in die Firma geholt, wo er zunächst im Lager arbeitete und heute eine geregelte Ausbildung als Industriekaufmann macht. Praktisch heißt dies allerdings auch, dass wir Familiensinnvor rein ökonomische Überlegungen gestellt haben. Die Rückwirkung auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist allerdings enorm positiv, denn sie erfahren: Wir kümmern uns um den einzelnen Menschen. Für uns ist es nicht egal, wie es dem einzelnen geht. Erhöhte Mitarbeiterloyalität ist die Folge.

Ein anderes Beispiel für praktizierte unternehmerische Freiheit ist unser „Müttermodell“, bei dem es darum geht, Müttern beim beruflichen Wiedereinstieg mit einem speziell auf sie ausgerichteten Modell zum beiderseitigen Nutzen zu unterstützen und damit ein Stück „soziale Innovation“ zu realisieren.

Generell wirkten sich die Erfahrungen aus dem Bereich der Beteiligungsgesellschaften im konkreten Fall so aus, dass ich als Unternehmensgründer meine aktive Rolle von vornherein vom operativen Geschäft löste, um mich den Fragen der Strategie und der Finanzplanung zu widmen. Im Hintergrund stand die Beobachtung, dass die meisten Unternehmer nicht mehr die Zeit und die Kraft finden, einen Schritt zurück zu tun, um das eigene Tun zu reflektieren und um damit auch neue Chancen im Markt auszuloten.

Diese aktive Zurückhaltung ermöglichte es meinem Bruder, als Geschäftsführer eigenes Profil zu gewinnen, während ich selbst neue Chancen ergreifen konnte. So erhielt ich 2006- also nur ein Jahr nach der ersten Beteiligung- die Möglichkeit, für ein Unternehmen der Möbelzulieferung in Spanien zu bieten. Es handelte sich um eine Fabrik in Burgos in Nordspanien, die mit 115 Mitarbeitern Laminatprodukte, Kanten und Ummantelungsfolien für die Möbel- und Fußbodenindustrie herstellt und die für den verkaufswilligen Mutterkonzern zum Randgeschäft geworden war.

Da ich einige Zeit in dieser Industrie tätig gewesen war, konnte ich mir das Geschäft zutrauen, verfolgte aber auch hier das Konzept des aktiven Aufsichtsrats, der ein erfolgreiches Management-Team unternehmerisch unterstützt. Gleichzeitig erkannte ich die Chance, die in der Besonderheit der Finanztransaktionen von Konzernen liegt: Wir leben nämlich in einer Zeit, in der Unternehmen nicht mehr nach Sachwerten, sondern nach EBITDA-Multiples (also einem Mehrfachen des operativen Betriebsgewinns) bewertet werden. Zum Unternehmen gehörte aber eine werthaltige Immobilie mit über 30.000 m2 Grund auf dem Stadtgebiet der mittleren Großstadt Burgos. Über die Beleihung dieser Immobilie konnte ein großer Teil des Kaufpreises dargestellt werden.

Auch hier aber liegen Chance und Risiko nahe beieinander. Während sich die Zusammenarbeit mit dem am Unternehmen namhaft beteiligten Geschäftsführer und Mitunternehmer hervorragend entwickelte, brach im Rahmen der Subprime-Krise der spanische Immobilienmarkt seit Herbst 2007 zusammen. Der Rückgang beläuft sich aktuell (d.h. im Frühjahr 2008) auf –28% bis –42%. Bei einer Exportquote von 50% war der spanische Inlandsanteil zwar nicht allein entscheidend, stellt aber doch eine enorme Herausforderung für ein noch junges Unternehmen dar- auch wenn das erste Geschäftsjahr der seit Februar 2007 aktiven „Tacon Decor SL“ mit einem kleinen Gewinn abgeschlossen werden konnte.

Der rückläufige Markt stellt zudem eine Chance auf den Gewinn von Marktanteilen dar, teilweise durch bessere Service-Leistung, teilweise durch den Versuch, das Geschäft von Wettbewerbern zu unternehmen. Außerdem stellt das Energieeinspeisungsgesetz, das in Spanien eingeführt wurde, eine Chance für eine größere Investition in Solaranlagen dar, für die wir 17.000 m2 Dachfläche nutzen können.

Die 2004 gegründete „Strategie und Wert“ hat sich insoweit zur aktiven Holding entwickelt, die im Jahr 2007 mit den angeschlossenen Geschäften 160 Mitarbeiter beschäftigt und einen Umsatz in Höhe von 35 Mio. Euro bei einer Bilanzsumme von 19 Mio. Euro erreichen konnte. Ohne Mut zum Risiko ist das nicht möglich, und dieser Mut zum Risiko ist eine wesentliche Determinante unternehmerischen Handelns.

 

 

2. Unternehmer ist, wer das Risiko trägt

Es gehört zum Gemeingut, dass Arbeitnehmer ein Arbeitsplatzrisiko tragen, das durch die Solidargemeinschaft abgefedert wird, etwa im Rahmen der Arbeitslosenversicherung. Das ist übrigens auch richtig so, da viele Arbeitnehmerinnnen und Arbeitnehmer außer ihrer Arbeitskraft kein ausreichendes Vermögen haben, um Krisenzeiten zu überstehen.

Eine Arbeitslosenversicherung für Unternehmer gibt es nicht, und ausreichende Rücklagen haben beileibe nicht alle von ihnen. Wenn es folglich etwas gibt, was Unternehmer ausmacht, dann ist es ihre Fähigkeit und Bereitschaft, Risiken einzugehen.

Diese Risiken sind zahlreich, und es gibt nicht die geringste Garantie gegen falsche Risikoeinschätzungen. Auf einige Risiken möchte ich eingehen, um herauszuarbeiten, worin das Unternehmerische am Unternehmer tatsächlich besteht.

Das Beispiel der oben geschilderten „Tacon Decor SL“ zeigt zum einen das unabwendbare Marktrisiko. Vielleicht wäre es möglich gewesen, die dunklen Wolken der heraufziehenden Finanzkrise der zweiten Hälfte 2007 vorab zu erkennen. Doch niemand, aber auch wirklich niemand hat im boomenden spanischen Immobilienmarkt eine so massive Krise vorhergesehen, wie sie jetzt – im erste Halbjahr 2008 – eingetreten ist. Dabei geht es natürlich nicht nur um Umsätze und Gewinne, sondern um die Fixkostenstruktur eines Unternehmens: Maschinen müssen bezahlt werden, gleich ob sie produzieren oder nicht. Mitarbeiter erwarten ihren Lohn, gleich ob ausreichend Beschäftigung vorhanden ist oder nicht. – Zum Marktrisiko gehört u.a. auch das Großkundenrisiko. Wenn heute ein Zulieferer Aldi oder Schlecker beliefert, ist er vom Handel ebenso abhängig wie ein Automobilzulieferer von seinen Großkunden. Fällt ein Großkunde aus, steht 20-30% oder mehr der gesamten Kapazität. Nicht selten geht dies über die Kräfte eines Unternehmens, und der Zulieferer muss Insolvenz oder Zahlungsunfähigkeit anmelden.

Das Marktrisiko leitet somit sofort auf das Liquiditäts-und Finanzierungsrisiko über. Wenn die nötigen Banklinien nicht ausreichen, fehlt einem Unternehmen die Liquidität, um Durststrecken zu überwinden. Die sorgfältige Liquiditätsplanung gehört daher zu den Grundaufgaben solider Unternehmensführung. Dieser Punkt wird häufig unterschätzt, gerade weil Gründungsunternehmer oft Ahnung von ihren Märkten und Produkten haben, aber die finanztechnische Seite unterschätzen. Letzten Endes sind die 2007/2008 aufgetretenen Schwierigkeiten der IKB, der SachsenLB und anderer Banken in der gegenwärtigen Krise Folgen von Fehleinschätzungen im Liquiditäts-und Finanzierungsmanagement.

Ein weiteres Risiko ist das Produktrisiko. Wenn die eigenen Produkte weitgehend veraltet sind, hängt es von der Innovationsgeschwindigkeit im Markt ab, wann ein Unternehmen vom Markt verschwindet; denken Sie an das Beispiel vom Aufstieg und Untergang des Unternehmens von Max Grundig. Wer andererseits zu viel Geld in Innovationen steckt, wird – wie es in den 90er Jahren mit Carl Zeiss passiert wird-Opfer einer Liquiditätskrise. Es gibt also nur einen relativ schmalen Korridorzwischen einem zu hohen Produktrisiko durch Überalterung und durch Überinvestition in neue Produkte. – Ein Beispiel in diesem Bereich ist der sogenannte Windelkrieg, den Procter & Gamble- der Hersteller der „Pampers“- Ende der 90er Jahre anzettelte. Das Unternehmen ließ über 600 Forscher Tausende von Patenten auf das High Tech Produkt „Babywindeln“ anmelden und führte u.a. das Unternehmen „Paragon“ durch nachgewiesene Patentverletzungen in den Ruin.

Kann ein Unternehmen einer solchen Innovationsattacke nicht ausweichen, wird es nicht überleben. Das Gleiche gilt vom Technologierisiko, denn wenn jemand auf das falsche Pferd setzt, hat er verloren. Dies war beispielsweise der Fall bei einer Fabrik für Quecksilberthermometer in Frankreich. Die Unternehmensleitung führte zwar die Fabrik operativ hervorragend, hatte aber den Trend zur digitalen Temperaturmessung übersehen. Eines Tages verbot der Gesetzgeber in Frankreich Quecksilberthermometer- und das Unternehmen musste schließen! Zum Technologierisiko kam hier das Gesetzgebungsänderungsrisiko, das gerade im Gesundheitswesen von enormer Bedeutung ist!

Der Fall Siemens mit den zahlreichen, bekannt gewordenen Korruptionsvorgängen verweist auf ein Risiko, das heutige Dax-Vorstände als das größte Einzelrisiko einschätzen: das Reputationsrisiko. Als Shell wegen der Brent Spar in der Kritik stand, reagierte das Unternehmen mit einer enormen Ausweitung des gesellschaftlichen Engagements bis hin zur bekannten Shell-Jugendstudie. Ziel wares einzig und allein, verloren gegangene Reputation wieder zu gewinnen. Ähnliches war jüngst beim äußerst großzügigen Sozialplan von Nokia für das zu schließende Werk in Bochum zu beobachten. Am extremsten ausgeprägt war das Reputations¬und das damit verbundene Haftungsrisiko im Fall der untergegangenen großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „Arthur Anderson“, die nach dem Skandal rund um Enron in den USA zerfiel und heute als Unternehmen nicht mehr existiert.

Schließlich und endlich möchte ich auf ein Risiko hinweisen, das die meisten Unternehmer unterschätzen: das Schlüsselpersonenrisiko. Niemand lebt ewig. Keiner ist unersetzlich. Nicht alle Top-Leistungsträger bleiben bei der Stange. Wenn es einem Unternehmer nicht gelingt, tüchtige und selbständig entscheidende Personen aufzubauen, die seinen eigenen physischen Tod überdauern können, danngelingt eben der Übergang in die nächste Generation nicht. Die Unternehmensnachfolge ist daher ein Dauerbrenner in der heutigen Diskussion, zumal nicht alle Unternehmerkinder (sofern solche vorhanden sind) ein Interesse daran haben, in den elterlichen Betrieb einzusteigen. Trotzdem ist es auch für Unternehmer unangenehm, sich mit dem eigenen Tod zu befassen und Gesellschaftsverträge und Testament so sinnvoll und so rechtzeitig anzupassen, dass keine Verwerfungen die Folge sind, wenn sie eines Tages von der Bühne des Lebens abtreten müssen.

Nun könnte man den Schluss ziehen, dass die Fülle der benannten Risiken vom aktiven Unternehmertum abschreckt. Dies ist nicht selten auch der Fall. Es ist sicher richtig, dass zu einem guten Unternehmer auch der gute Schlaf gehört. Wer angesichts der zahlreichen realen Risiken, die immer wieder den Bestand des Unternehmens und die Existenz des Unternehmers tatsächlich gefährden, schlecht schläft, der wird es schwer haben, ein guter Unternehmer zu sein.

Nicht nur die Fähigkeit zum guten Schlaf und die Gabe guter Nerven, sondern vor allem auch die komplementäre Eigenschaft zum Umgang mit Risiken ist von Bedeutung, nämlich die Gabe zum Erkennen unternehmerischer Chancen!

 

 

3. Unternehmer ist, wer Chancen sieht

Wer mit einem begeisterten Unternehmer spricht, wird von den realen Risiken, auf die ich hingewiesen habe, seltener hören als von den Chancen, die er sich verspricht. Unternehmer ist, wer Chancen sieht- und erfolgreicher Unternehmer ist der, der gleichzeitig die Risiken ausreichend realistisch einschätzt.

So erkannte die indische Familie Mittal inmitten der großen Stahlkrise Ende des 20.Jahrhunderts die enorme Chance, die in diesem Werkstoff angesichts wachsender Märkte in Indien und China liegt. Sie konsolidierten die Branche und übernahmen sogar Arcelor, den französischen und europäischen Marktführer in diesem Bereich. Heute gehört die Familie Mittal zu den zehn reichsten Familien der Welt. Warum? Sie haben die Chancen, die im Stahl liegen, rechtzeitig erkannt und instinktsicher gehandelt.

Bereits legendär ist die Geschichte des jungen Bill Gates, der früher und konsequenter als andere auf den PC als Mittel der personalisierten technischen Kommunikation setzte und noch immer mit Windows ein Quasi-Monopol für PC-Betriebssysteme hat- trotz der erkennbaren und allseits beklagten Schwächen des Systems!

Gehen wir nach Deutschland zurück, dann finden wir mit Würth jemand, der das Produkt „Schraube“ durch konsequenten Kundenservice so sehr verwandelt hat, dass die Bequemlichkeit des Kunden (Convenience) zum eigentlichen Produkt geworden ist, das nachhaltiges Wachstum und hohe Renditen ermöglicht.

Solche Beispiele lassen sich beliebig vermehren, natürlich auch im kleineren und weniger bekannten mittelständischen Bereich. Die Konstante aber bleibt: Unternehmer ist, wer Chancen sieht.

Praktisch hat dies zwei Auswirkungen: Gute Unternehmer sind nach meiner Überzeugung fast schon grundsätzlich knapp an Personal und an Kapital. Wer mehr Ideen hat, als er verwirklichen kann, produziert einen enormen Hunger nach qualifiziertem Personal und nach Kapital. Aus diesem Grund sind auch die industrielle Real- und die Finanzwirtschaft so eng miteinander verbunden. Und aus dem gleichen Grund fordern aktive Aktionäre von Konzernen, die sehr viel Liquidität haben, eine Ausschüttung an die Anteilseigner, frei nach dem Motto: Wenn das Management keine Ideen hat, wie das Geld einzusetzen ist, sollte es lieber eine Sonderdividende an die Aktionäre ausschütten!

Unternehmerisches Wachstum ist, so gesehen, eng mit der Fähigkeit verbunden, unternehmerische Ideen zu finden und sie konsequent zu realisieren. Weil solche Ideen Geld kosten, ist eine gute Finanzierungsbegleitung erforderlich- sei es durch eine Bank, durch einen Börsengang oder sogar durch Private Equity. Und weil unternehmerische Ideen Menschen brauchen, die sie umsetzen, suchen gute Unternehmen fast immer händeringend nach guten Leuten! Und gute Leute orientieren sich wiederum an denjenigen Unternehmen, die sich den Geist des Vorwärtsstrebens erhalten haben. Sozialethisch bedeutet dies übrigens, dass es gute Argumente für eine Konvergenz von ethischem Handeln im Sinn einer menschenfreundlichen und attraktiven Personalpolitik und wirtschaftlichem Erfolg gibt!

Das „Sehen“ von Chancen ist jedoch eine Frage der Geschäftstauglichkeit, nicht so sehr der ethischen Reflexion. Im Wirtschaftsleben gilt, was auch in anderen Bereichen erfahrbar ist: Es gibt immer solche und solche. Menschen sind unterschiedlich, und sie deuten ihr eigenes Lebenswerk unterschiedlich. Sowohl der skrupellos agierende amerikanische Magnat Cornelius Vanderbilt wie der nicht gerade zimperliche Adolf Merckle berufen sich auf ihren christlichen Glauben, wirklich oder scheinbar immun gegenüber Widersprüchen, die von Dritten geäußert werden. Selbstbild und Fremdbild können einander widersprechen. Für die sozial¬und wirtschaftsethische Reflexion gilt daher in meinen Augen lediglich ein Vorbehalt gegenüber pauschalen Aussagen: Es gibt ethisch und es gibt christlich motivierte Unternehmer, und es gibt auch andere!

Die Frage, was einen Unternehmer ausmacht, erfordert daher noch einmal einen anderen Angang, und zwar ausgehend von der Theorie der Lebensformen!

 

 

4. „Unternehmer sein“ ist eine Lebensform

Der Begriff der Lebensform ist in der Zeit 1924-1928 durch Alfred Schütz in Wien unter dem Einfluss von Henri Bergson und Edmund Husserl entstanden; er verweist auf Strukturen der Sinngebung und der Handlungskonstanz im individuellen Leben und wirkt- modern gesprochen- als „Framing“ für den zusammenhängenden Lebensentwurf, den wir als Individuen leben.

Die Individualisierung der modernen Gesellschaft jenseits des alten Schemas sozialer Klassen und Schichten, wie sie etwa im soziologischen Begriff der verschiedenen Milieus abgebildet wird, führt nahe an den Begriff der Lebensform heran. Unterschiedliche Lebensformen werden u.a. durch die Hervorhebung bestimmter Werte auf Kosten anderer bestimmt, weil dadurch gemeinsame Interessen konstituiert und die Phänomene der Welt gemäß ihrer subjektiven Wichtigkeit kategorisiert werden.

Leitende Werte gesellschaftlich maßgeblicher Lebensformen sind beispielsweise Einstellungen und Haltungen zur Bildung, Religion, Kultur, materiellem Wohlstand und sozialem Prestige: Was davon ist für eine Familie wichtig oder weniger wichtig? Welcher Wert wird im Konfliktfall bevorzugt? Was prägt und bewegt Menschen?

Spricht man hier vom Unternehmer als einer Lebensform, dann steht nach meiner Erfahrung der Wert der Unabhängigkeit und Selbständigkeit, der Freiheit und der Selbstentfaltung, der Wert der Gestaltungsfreude und der Chancenorientierung im Vordergrund. Diese Werte prägen das Lebensgefühl, auch wenn es analytisch richtig ist, dass jeder Unternehmer auch seinerseits in einem Netz zahlreicher Abhängigkeiten agieren muss: Er muss mit Kunden, Mitarbeitern, Banken, Lieferanten, möglicherweise auch anderen Teilhabern und weiteren Interessengruppen zusammenarbeiten und immer wieder Mittel und Wege finden, um mit ihnen auszukommen, ohne die eigenen Interessen komplett hintanzustellen.

In der Regel führt diese komplexe Aufgabenstellung zu einem ausgeprägten Pflicht¬und Verantwortungsethos, das merkwürdig mit bestimmten Formen der sozialen Wahrnehmung kontrastiert, die Aspekte von Macht und Reichtum in den Vordergrund schieben.

Richtig ist allerdings auch, dass das Besondere am Unternehmer nicht leicht zu greifen ist. Angesichts der Vielfalt der Aufgaben ist er in der Regel weder der beste Finanzexperte noch der innovativste Techniker noch der beste Vertriebsspezialist. Er bleibt-wie ein Zehnkämpfer- fast immer hinter den besten der jeweiligen Disziplin zurück, hat aber- zumindest vom Prinzip her- als einziger den Gesamtüberblick und den Impuls, über das eigene Handeln das größere Ganze wachsen und gedeihen zu sehen.

Das Unternehmerische als Lebensform ist nicht auf die Einzelpersönlichkeit beschränkt. Häufig erwachsen Unternehmen von vornherein aus einem Teamimpuls¬so etwa das Softwareunternehmen SAP oder auch die Film- und Medienunternehmer Warner Brothers. Der Unternehmer als Allein-Entscheider darf folglich nicht mythologisiert werden: Es gibt ihn- aber genau so häufig gibt es Firmen, die von Anfang an mit starken Teams erfolgreich waren. Im Übrigen habe ich noch keinen Unternehmer kennen gelernt, dem nicht absolut klar wäre, wie sehr er auf die Gesamtleistung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen ist!

Trotz dieser Einschränkungen prägt das Unternehmerische als Lebensform zahlreiche Familien, ob es sich nun um lokale Handwerker oder kleine und mittlere Gewerbetreibende oder wirklich um Industriellenfamilien handelt. Typisch gerade für Familienunternehmer ist weiterhin eine Form der dynastischen Demut: Diese Menschen wissen, dass sie nicht die ersten und dass sie nicht die letzten sind. Ihr Bestreben geht darin, das ihnen anvertraute Vermögen weiter zu entfalten und in eine gute Zukunft zu führen- am besten in die nächste Generation.

Natürlich gelingt das nicht immer, sonst gäbe es keine Unternehmensverkäufe, Fusionen und Akquisitionen. Wirtschaft ist kein Spiel des Stillstands, sondern von je her ein Ort des dynamischen Ringens vieler widersprüchlicher Kräfte. Im sozialen Kontext ist es schwer, diesen Punkt der dauernden Unsicherheit und potenziellen Bedrohung ausreichend klar zu vermitteln. Im Alltag sind hier eher soziale Barrieren wie Verständnislosigkeit, bisweilen auch Neid spürbar.

Dazu kommt die persönliche und bisweilen auch ethische Ambivalenz des Unternehmers. Erwägungen dazu sollen die vorliegenden Überlegungen abschließen.

 

 

5. Von der „schöpferischen Zerstörung“ zur „Sozialethik des Unternehmers“

Das Bild des Unternehmers in der Öffentlichkeit schwankt stark. Die ethische und soziale Ambivalenz, die in der Unternehmerrolle steckt, führt zu oszillierenden Urteilen.

Mal überwiegt der Blick auf den Ausbeuter und Kapitalisten, mal steht eher der Garant von Arbeitsplätzen und sozialem Frieden im Vordergrund. Mal setzt sich der persönlich haftende Unternehmer vom kalten Konzernmanager und vom Kalkül des Private Equity Investors ab, mal wird die scheinbare oder echte Rückständigkeit von Familienunternehmern beklagt.

Auch die christliche Sozialethik hat Anteil am schwankenden Unternehmerbild. Einerseits verweist sie mit Recht auf den Vorrang der Arbeit gegenüber dem Kapital, das ja gewissermaßen „geronnene Arbeit“ darstellt. Was das angesichts der Zwänge der Globalisierung praktisch bedeutet, ist weniger klar. Andererseits gesteht schon „Quadrogesimo Anno“ (1931, Nr.38) auch den Unternehmern das Recht auf Vereinigungen zu In „Mater et Magistra“ ebenso wie in „Populorum Progressio“ (Nr.28) wird auf das Ziel einer „echten menschlichen Gemeinschaft“ im Betrieb hingewiesen. Das spricht eher für den inhabergeführten Betrieb als für den anonymen Großkonzern. Doch auch hier überholt die Realität gelegentlich den frommen Wunsch, denn in vielen Betrieben- man denke an die 2007 bekannt gewordene Mitarbeiterausspähung beim Einzelhändler Lidl- kann von einer „echten menschlichen Gemeinschaft“ gewiss nicht die Rede sein..

Ein Unternehmer, der Erfolg haben will, wird und muss sich vor einem Übermaß an Sentimentalität hüten. Wenn sich ein Produkt überlebt hat, muss er es aufgeben- wie etwa im Fall der regionalen, deutschen Babywindelmarke Fixies bei einem namhaften deutschen Familienunternehmen, das auf diesem speziellen Markt mit großen amerikanischen Giganten nicht mithalten konnte. Dies einzusehen, kann Konflikte auslösen, aber auch das ist Teil der „schöpferischen Zerstörung“ im Lebenszyklus von Unternehmen.

Die „schöpferische Zerstörung“ macht eben auch vor den eigenen Werken nicht halt. Cornelius Vanderbilt (1794-1877) war zunächst erfolgreicher Reeder, verkaufte dann seine Schiffe und wurde Magnat der amerikanischen Eisenbahnen. Wer sich der schöpferischen Zerstörung in Form neuer Technologien, neuer Märkte oder neuer Spielregeln widersetzt, geht über kurz oder lang unter. Insofern ist es eine große Kunst, wenn es Unternehmen gelingt, über mehrere Generationen oder gar über mehrere Jahrhunderte hinweg überleben zu können!

Unternehmen ohne Unternehmer gibt es nicht. Wenigstens der Anfangsimpuls hat in der Regel persönliche Züge. Und da Unternehmer in ihrer Chancen- und Risikoorientierung auf die Karte der persönlichen Freiheit setzen, brauchen sie auch immer wieder Grenzen, die auf das Gemeinwohlinteresse hinweisen. Die doppelte Balance zwischen den Kräften des Marktes einerseits und den Interessen von Staat und Gesellschaft andererseits ist schwierig und muss in jeder Gesellschaft – auch im Konflikt- neu austariert werden.

Es ist eine Aufgabe der Sozialethik, im Janusgesicht des Unternehmers nicht nur das Zerrbild des starken und mächtigen Individuums zu sehen, sondern auch die ethische Bandbreite und biographische Vielfalt, die menschliche Bedürftigkeit und bisweilen auch die persönliche Not von Unternehmerinnen und Unternehmern. So litt der Finanzmagnat und Milliardär J. P. Morgan (1837-1913) zeitlebens unter Depressionen, auch aufgrund einer – wie er meinte- besonders hässlichen Knollennase mit heftigem Aknebefall.

Auch Unternehmer wollen ganz bewusst Teil der Gemeinschaft sein, in die sie hineingeboren wurden. Dies gilt natürlich auch für Katholische Unternehmerinnen und Unternehmer, die zu den üblichen Verdächtigungen aus dem deutschen sozialen Umfeld gelegentlich auch noch in ihrer eigenen Kirche mit meist unberechtigtem Misstrauen angesehen werden und so immer wieder die hohe Kunst üben, zwischen allen Stühlen zu sitzen.

Im Übrigen gilt, dass gute Unternehme wirtschaftlichen und auch ethischen Mehrwert schaffen. Der ethische Mehrwert besteht darin, Vertrauen bei Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten und Gesellschaftern zu schaffen, zu erhalten und zu mehren. Solches Vertrauen setzt Verlässlichkeit, Kompetenz, aber auch einen vernünftigen Umgang mit Erwartungen (etwa beim Preis-Leistungs-Verhältnis) voraus.

Gelegentlich regt sich übrigens bei Unternehmern auch ein Moment der Dankbarkeit, wenn sie großen und unbestreitbaren Erfolg haben: Dann stiften sie Kunstsammlungen oder Universitäten, fördern Kinderheime oder Sportvereine. Man denke- trotz ihrer bisweilen ambivalenten oder sogar fragwürdigen Verhaltensweisen- an Würth, Ludwig, Hopp und andere. Das aufblühende Stiftungswesen auch in Deutschland legt Zeugnis von diesem Wunsch ab, etwas zurückzugeben- denn ein wenig Glück gehört schon auch dazu, um wirklich erfolgreich zu sein.

Gerade für eine christlich inspirierte Sozialethik gilt hier aber die Aufgabe des analytischen Blicks: Unternehmer sollten weder dämonisiert noch mythologisiert werden. Sie sind Mitmenschen wie andere auch, aber sie unterscheiden sich vor allem in einem: der Funktion, durch das Ergreifen von Chancen und durch das Tragen von Risken tatsächlich ein Motor unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu sein.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

LITERATUR:

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Radermacher, Franz Josef: Globalisierung gestalten, Die neue zentrale Aufgabe der Politik, Berlin 2. Aufl. 2006.

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