Abstract [en]: Because of the stormy innovative evolution in microeconomic relations all the macroeconomic forecasts are extremely risky. Only some experts with their step cycle forecasts per year can hold respect.
Abstract [de]: Alle gesamtwirtschaftlichen Voraussagen sind wegen des stürmischen innovativen Wandels im Mikrobereich höchst unsicher. Doch unser Vertrauen verdienen weiterhin einige Experten mit ihren ungefähren jährlichen Richtungsprognosen.
November 2022
Sind wirtschaftliche Voraussagen überhaupt möglich?
Wirtschaftsleute und Regierungen brachen Anhaltspunkte für die zukünftige Leistungsfähigkeit ihrer Volkswirtschaft. Zum Beispiel: (1.) Wird man den Wohlfahrtsrang Deutschlands an 23. Stelle der Weltrangliste nach dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weiterhin halten können? (2.) Wie stark und wie lange wird man zur Staatsfinanzierung anderer Länder (im Frieden und im Krieg) beitragen können? Dem Dichter Friedrich Schiller (1759-1805) erschienen Prognosen völlig unmöglich: „Vermauert ist dem Sterblichen die Zukunft.“ Die Fachleute der „Evolutorischen Ökonomik“ sehen es ganz ähnlich: Das künftige Neue ist nicht antizipierbar, auch nicht die künftig empirisch geltende explikativökonometrischen Strukturen der nationalökonomischen „Maschinerie“.
Dennoch müssen es die Wirtschaftswissenschaftler immer wieder versuchen. Man traut einigen erfahrenen Fachleuten – so sagten James S. Duesenberry (1918-2009) und Johan Pfanzagl (1928-2019) – eine besondere Begabung für „richtige Hypothesen“ zu, d. h. einen ernsthaften methodologischen Apriorismus. Die einstige „Wahrsagerin von Bonn“, Madame Buchela (1899-1987), die laienhaft zumeist treffendere Punktprognosen für das Sozialproduktswachstum abgab als der damalige Sachverständigenrat, wäre ein Grenzfall. Statistische Daten der Zukunft gibt es nicht; denn die Zukunft findet ja erst noch statt, und die wünschenswerten planerischen Leserer-Daten aus den Köpfen der „Macher“ sind auch nicht verfügbar. Die Makroökonometriker werten also Daten der Vergangenheit aus, unterstellen sodann, die Volkswirtschaft wäre eine halbwegs beständige Maschine, so dass vergangenheitsbewährte Strukturen auch zukunftstauglich sind. Zwei Meinungsführer von ehedem – Wilhelm Krelle (1916-2004) und Gottfried Bombach (1919-2004) – vertraten exakt diese Position, die jedoch in Turbulenzen von tausenderlei Neuerungen, Gründungen und Pleiten sowie mit Millionen neuen Menschen in der Zukunft keineswegs tragfähig sein dürfte.
Von Philip Kotler (geb. 1931), einem alterfahrenen US-Marketingmann, gibt es eine Auto-Parabel, die gut auf das problematische Vorgehen der Makroökonometriker passt: Beim Voraussagen ist man in der Lage eines Autofahrers, der den Richtungsangaben einer Person folgt, die vom Rücksitz aus dem Heckfenster schaut. Mit „Daten aus dem Heckfenster“ hat sich die Deutsche Bundesbank zu ihrem MEMMOD-Modell mit 690 Gleichungen für 9 Länder und die Europäische Kommission zu ihrem QUEST-Modell mit 1.030 Gleichungen für einen Verbund von 16 Ländern „voran“ gewagt. Dabei hätten die Einzelgleichungen der Modelle mit dem vorhandenen – ungenauen – Datenfundus in gleicher Qualität durchaus wesentlich anders zugeschnitten sein können.
Man dürfe die Bemühungen nicht aufgeben, bessere Methoden und Werkzeuge für Prognosen zu entwickeln, wie Ragnar Frisch (1895-1973) wiederholt forderte. Meines Erachtens muss man für datenlose Zeiten beim Wahrscheinlichkeitsbegriff ansetzen. Nur der weithin vorherrschende, ingenieurwissenschaftliche Begriff der Wahrscheinlichkeit ist frequentilistisch auf auszählbare Häufigkeiten von Ereignissen abgestellt. Die subjektivistische Wahrscheinlichkeit im Sinne einer persönlichen Wettbereitschaft (so Thomas Bayes, 1701-1761) oder einer Maßzahl vernünftiger Beurteilung (so Dennis V. Lindlay, 1923-2013) erfordert ex ante keine Daten. Diesen Begriff der Wahrscheinlichkeit bevorzugten bereits John Maynard Keynes (1883-1946) und sein statistisch kompetenter Vater John Neville Keynes (1852-1949). Also: Erfahrene Fachleute (mit oftmals schon bestätigten Urteilen) ihre subjektiven Wahrscheinlichkeiten zur Fundierung der Hypothesen- und
Gleichungssysteme sowie der Punktprognosen heranziehen! Es sind dies „perspektivische Wahrheiten“, die anderen zur Orientierung verhelfen.
Karl-Heinz Raabe, ein vergessener großer Man im Bundeswirtschaftsministerium, würde sich mit seiner Vorgehensweise gut einfügen, die man in zwei Heften einer wirtschaftsstatistischen Fachzeitschrift in der Mitte des 20. Jahrhunderts dargestellt findet. Von den saldenmechanischen Beziehungen wie Wolfgang Stützel (1925-1987) ausgehend und ohne die fernere Vergangenheit wichtig zu nehmen, schloss Raabe vom aktuell letzten Jahr der „Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ auf zentrale Größen a) der Entstehungsrechnung und b) der Verwendungsrechnung des kommenden Jahres. Er wusste dabei um die Qualität der amtlichen Rechnungs-Daten: Sie waren Schätzungen, notwendigerweise höchst ungenau und ohne überhaupt existierende „wahre Werte“. Jahreswachstumsraten, damals des Bruttosozialprodukts, nun des Bruttonationaleinkommens, waren in einer Bandbreiten von +/- 0,5 Prozentpunkten gleichermaßen als zutreffend annehmbar. Raabe entwickelte und folgte einer höchstpersönlichen Ein-Perioden-Theorie, die gebündelt alles umfasste, was die nationalökonomische Alt-Literatur vergeblich in Wachstum oder Trend, Konjunktur oder Zyklus sowie Fortschritt zu separieren gesucht hatte. Raabe gelangte damit zum selben Ergebnis wie im Jahre 1967 eine Frau Ilse Mintz vom US-„National Bureau of Economic Research“: Jährliche Wachstumsraten- oder Wachstumszyklen vorrangig nachzuzeichnen. Wie von den Fachleuten im Statistischen Bundesamt wurde ein rechnerisch stimmiges Gesamtbild durch Summen- und Saldentransaktionen sowie mit Differenzen- und Restrechnungen erzeugt.
Auf die Reproduktion von Phänomenen waren die Vorgehensweisen der damaligen Nationalökonomen wie auch die Konzeptionen von Raabe und Mintz gerichtet. Die neuere gesamtwirtschaftliche Theorie – auf die Erkenntnis der explikativ-ökonometrischen Strukturen von Gleichungssystemen gerichtet – wollten die Ökonometriker mit ihren Modellen erfasst haben. Bei Raabe und Mintz darf man sie in ihren subjektivistischen Wahrscheinlichkeits-Ansätzen vermuten. Kurzum: Für pauschale jährliche Richtungsangaben sind die simplen Vorgehensweisen nach Raabe-Stützel-Mintz kostengünstiger und evolutionsökonomisch sogar besser zu begründen. Werner Mahr (1906-1985) ahnte die heraufziehende
Chaos-Mathematik voraus, als er in Vorlesungen an der Universität München wieder und wieder sagte: „In der Volkswirtschaft ist alles möglich und das Dümmste wahrscheinlich.“ An Kriege dachte er dabei nicht.
Eine Antwort auf die Frage (1.) oben hängt von zweierlei ab: von der Resilienz, Elastizität, Stossfestigkeit oder Antifragilität der deutschen Wirtschaft gegen sämtliche Belastungen der Gegenwart, im Nachhinein abzulesen am Bruttoinlandsprodukt im Zähler der Kennziffer, ferner vom Nenner der Kennziffer, der ansteigenden Bevölkerungszahl. Auch das Vorankommen der anderen und die Spreizung der Einkommen hierzulande spielen eine Rolle. Ein Rückfall in der internationalen Rangliste erscheint mir derzeit als plausibel. Die Antwort auf die Frage (2.) hängt primär vom Außenbeitrag, dem Überschuss der Exporte über die Importe, ab. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918-2015), ein Volkswirt, wie etwa auch Erich Preiser (1900-1967), machten an der Höhe des positiven Außenbeitrags die Fähigkeit Deutschlands zur möglichen Höhe der Entwicklungshilfe für andere Länder fest. Entwicklungshilfe und Staatshilfen für Dritte „auf Pump“, d. h. bei Erhöhung der Staatsschulden, waren nicht vorstellbar und würden wohl auch dem Eid aller Parlamentarier und Regierungsmitglieder widersprechen, für die staatsangehörige Bevölkerung einzutreten.
Zum Autor: Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Adolf Wagner, Universität Leipzig, Post: D-72108 Rottenburg, Burglehenweg 7, Mail: prof@adolfwagner.eu, war Gründungsdirektor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung (IEW) der Universität Leipzig, vormals auch Direktor des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) der Universität Tübingen und Co-Direktor des Instituts für Sozial- und Familienpolitik der Universität Marburg sowie Lehrstuhlinhaber an den Universitäten Reutlingen, Marburg, Tübingen und Leipzig. In den 29 Jahren als Mitherausgeber der „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik“ (davon 11 Jahre geschäftsführend) hat er auch Bücher für G. Mankiw, M. Taylor und P. Krugman übersetzt. Wagner war mehrmals Dekan und an der Universität Leipzig für einige Zeit auch Prorektor. Letzter Diplomand des namhaften Münchener Professors Erich Preiser, habilitiert für Volkswirtschaftslehre und Statistik in Tübingen. Im vorakademischen Berufsleben war er erfolgreich im bayerischen Sparkassenwesen engagiert. Näheres: www.adolfwagner.eu.
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