Abstract [de]: Die Widerspruchshypothese zwischen Ethik und Wirtschaft stellt ohne Umschweife die Behauptung auf: Ethik hat in der Wirtschaft nichts verloren, da die Schaffung von wirtschaftlichem Mehrwert nicht kausal mit ethischen Handlungsmotiven zusammenhängt. Nur ein schlechter Unternehmer würde zweckfrei aus ethischen Motiven handeln, ohne deren unmittelbar ökonomischen Wert überprüft zu haben. Für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg ist ethisches Handeln jedoch ohne Frage zumindest hinreichende Bedingung. Vertrauen wirkt dabei als Katalysator sowohl der ökonomischen als auch der ethischen Wertschöpfung. Um Vertrauen jedoch überhaupt erst aufzubauen, können Professionalität, Wertschöpfung, Strategie, transparente Kommunikation und persönliche Verantwortung als wesentliche Postulate gelten. Denn diese machen ein Unternehmen glaubwürdig – auf dem Markt und im Inneren des Unternehmens.


Oktober 2012

Wirtschaftlichen und ethischen Mehrwert schaffen

Führen mit Werten und Zielen

Wirtschaft ohne Ethik? 

Die verschiedenen wirtschaftlichen Skandale der letzten Jahre haben zu einer Verunsicherung der Bevölkerung und zu einem wachsenden Misstrauen gegenüber politischen und wirtschaftlichen Führungskräften geführt. Der SPD-Parteichef Müntefering verglich im April 2005 bestimmte Finanzinvestoren mit „Heuschrecken“. Unternehmern wird soziale Kälte und seelenlose Profitgier unterstellt, etwa wenn Werke ins osteuropäische Ausland oder nach China verlagert werden. Wirtschaft und Ethik scheinen in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Widerspruch an sich zu werden. Der Zusammenhang zwischen Alltag, ethischer Orientierung und wirtschaftlich erfolgreichem Handeln gerät außerhalb des Blickfelds. 

Die Orientierung am Shareholder Value, also an der Wertschöpfung im Interesse von Anteilseignern eines Unternehmers, hat noch weiter dazu beigetragen, Unternehmern und Unternehmen hemmungslose Profitgier als erstes und eigentliches Motiv ihres Handelns zu unterstellen. Rein ökonomisch gesehen ist es zwar richtig, dass der Gewinn eine Residualgröße darstellt, die erst nach Befriedigung der Interessen aller anderen Akteure- wie etwa Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und Staat-zum Tragen kommen kann. Psychologisch gesehen geht von der einseitigen Proklamierung von Shareholder-Value-Gedanken aber der Eindruck aus, das soziale und kulturelle Umfeld eines Unternehmens werde von wirtschaftlichen Entscheidungsträgern gar nicht erst wahrgenommen- geschweige denn als Gesprächspartner angenommen. 

In der Zwischenzeit gibt es auch wirtschaftswissenschaftliche Literatur, die den psychologischen Graben zwischen ethischem und wirtschaftlichem Handeln zu begründen versucht. Die Widerspruchshypothese zwischen Ethik und Wirtschaft, wie ich sie gerne nennen möchte, stellt ohne Umschweife die Behauptung auf: Ethik hat in der Wirtschaft nichts verloren, da die Schaffung von wirtschaftlichem Mehrwert nicht kausal mit Ethik zusammenhängt. Die zweckrationale Logik des Profits nimmt Ethik dann allenfalls als Randbedingung wirtschaftlichen Handelns wahr, etwa als Maßnahme zur Imageverbesserung. Unternehmerische Handlungen im Umfeld gesellschaftlicher Verantwortung- wie etwa das Sponsoring einer kulturellen, sportlichen oder sozialen Veranstaltung¬werden dann auf ihren Beitrag zur Verbesserung eines umsatzfördernden Images überprüft und auf diesen unmittelbaren Unternehmenszweck hin instrumentalisiert. Folgt man dieser Argumentationslinie, für die etwa JOEL BAKAN in seinem interessanten Buch „The Corporation- The Pathological Pursuit of Profit and Power“ aus dem Jahr 2004 steht, dann KANN ein Unternehmer gar nicht erst unmittelbar ethisch handeln- es sei denn, er sei ein schlechter Unternehmer. Denn nur ein schlechter Unternehmer würde zweckfrei aus ethischen Motiven handeln, ohne deren unmittelbar ökonomischen Wert überprüft zu haben.

Der unverzichtbare ethische Rahmen wirtschaftlichen Handelns 

Nachvollziehbar an derartigen Argumentationen ist vor allem der Hinweis auf die zweckrationale Seite wirtschaftlichen Handelns. Der Philosoph JÜRGEN HABERMAS hat in seinem epochalen Werk „Theorie des kommunikativen Handelns“ darauf hingewiesen, dass man zwei Typen von Handlungen unterscheiden kann: zweckrationale und kommunikative Handlungen. 

Zweckrationale Handlungen setzen einen Kontext voraus, bei dem es den Akteuren um das Erreichen gemeinsamer Ziele und Zwecke geht. Stellen wir uns ein Unternehmen vor, bei dem es um ein bestimmtes Projekt, beispielsweise den Bau einer neuen Fabrik, geht. Gelegentlich wird es Projektbesprechungen geben, bei denen der Projektfortgang, aber auch auftauchende Schwierigkeiten und mögliche Lösungen besprochen werden. Typischerweise wird das Ergebnis solcher Sitzungen im zweckrationalen Zusammenhang durch ein Protokoll festgehalten. 

Ganz anders sieht es bei kommunikativen Handlungen aus, etwa dem Zusammensein mit Freunden, dem Verbringen gemeinsamer Zeit in der Familie und dergleichen. Hier wäre es ausgesprochen merkwürdig, wenn beispielsweise der Ehemann seine Frau nach einem gemeinsamen Mittagessen dazu auffordern würde, ein Ergebnisprotokoll zu schreiben. Vielmehr geht es- jenseits des unmittelbaren Zwecks der Nahrungsaufnahme- um die interpersonale Bestätigung und Anerkennung des jeweils Anderen in seiner Bedeutung für die handelnden Personen. Gerade das aber wird man typischerweise nicht in der Form eines Ergebnisprotokolls dokumentieren können. 

Auch in Unternehmen gibt es selbstverständlich Kommunikation. Diese steht aber grundsätzlich unter dem Primat des Zwecks einer Unternehmung, also letztlich der Gewinnerzielung und dem langfristigen Überleben des Unternehmens als Organisation. Diesen Sachverhalt anzuerkennen, bedeutet aber keineswegs, ethisches und wirtschaftliches Handeln in einen übertriebenen Gegensatz zu bringen. Dafür sprechen folgende vier Argumente: 

ERSTENS: Wirtschaftliches Handeln muss die Rahmenbedingungen der geltenden Gesetze beachten. Diese aber spiegeln unwiderruflich gesellschaftlich wirksame Wertvorstellungen, bezeugen also den nicht hintergehbaren Einfluss von Ethik und nicht nur ökonomischer Werte! 

ZWEITENS: Ausschließlich ökonomische Handlungsparameter ohne Ethik sind ökonomisch suboptimal. Wirtschaftliches Handeln braucht einen politischen Rahmen, der über Wirtschaft hinaus geht, und zwar auch deshalb, weil rein ökonomische Motive nicht immer den optimalen ökonomischen Mehrwert generieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Eisverkäuferbeispiel im Lehrbuch der Mikroökonomie von PINDYK und RUBINFELD (2001, 466): Zwei Eisverkäufer an einem Strand haben ihren Eisstand anfänglich im gleichen Abstand voneinander. Um dem anderen Kunden abzujagen, bewegt sich der eine stärker in die Mitte des Strandes. Dies lässt den anderen nicht ruhen, und so weiter-bis letztlich beide Eisverkäufer in der Mitte des Strandes aufgestellt sind. Für die Badegäste am Ende des Strandes bedeutet dies aber längere Wege in der prallen Mittagssonne, und so kommt am Ende aus einer ökonomisch rationalen Überlegung beider Akteure eine Situation zustande, die im Blick auf Markt und Kundenbedürfnisse gerade nicht optimal ist- denn mancher Badegast wird auf das Eis angesichts des längeren Wegs verzichten wollen, so dass die Gesamtmenge des verkauften Eises geringer ist als in der Anfangssituation. 

DRITTENS ist Ethik für wirtschaftliches Handelns unverzichtbar aufgrund des menschlichen Interesses an Fairness und Gerechtigkeit. Dieses eher anthropologische Argument mag zunächst überraschend klingen. Tatsache ist aber, dass Menschen immer und grundsätzlich ganzheitlich handeln. Sie können ihre Gefühle und Strebungen zurückdrängen, aber in aller Regel nicht einfach aus- oder abschalten. Wirtschaftliches Handeln aber ist untrennbar mit Fragen der Gerechtigkeit verbunden, angefangen von der Frage nach dem gerechten Preis bis hin zu den komplizierten Fragen der Verteilungsgerechtigkeit im Blick auf Steuern, auf marktbeherrschende Kartelle, auf die Behandlung von Gesellschaftern untereinander oder auf das Verhältnis von Schuldnern, Gläubigern und Kapitalanlegern. So orientiert sich bekanntermaßen die Rechnungslegung des deutschen HGB eher an den Interessen von Gläubigern, während die IAS oder IFRS stärker den Blickpunkt des Fair Value eines Unternehmens aus der Perspektive von Finanzanlegern in den Vordergrund rücken. 

Das menschliche Interesse an Gerechtigkeit im ökonomischen Zusammenhang wird u.a. durch die Experimente zum sogenannten „Ultimatum-Spiel“ in der Neuroökonomie dokumentiert, von dem der Gehirnforscher Manfred Spitzer in seinen Buch „Selbstbestimmen“ berichtet (2004, 266-282): Man gab Probanden in Zweier-Teams die Aufgabe, 10 Euro nach freiem Gutdünken zu verteilen. Der eine konnte einen Vorschlag machen, der andere diesen annehmen oder ablehnen. Bei Ablehnung des Vorschlags bekam keiner etwas, bei Annahme wurde das Geld gemäß dem Vorschlag der einen Seite aufgeteilt. 

Nun ist leicht einzusehen, dass die „gerechte“ Verteilung bei jeweils 5 Euro liegt. Andererseits ist bereits 1 Euro mehr als gar nichts. Rein ökonomisch gesehen, müsste also auch der Vorschlag einer Verteilung von 9 Euro für den einen und 1 Euro für den anderen Probanden vorteilhaft. Dennoch wurde ein solcher Verteilungsvorschlag überwiegend abgelehnt, und zwar-so die Hypothese- aufgrund des verletzten Gerechtigkeitsempfindens der über Annahme oder Ablehnung entscheidenden Probanden. Das gleiche galt auch für 8 und 2 Euro. Die größte Häufigkeit lag beim Vorschlag 6 Euro für die eine und 4 Euro für die andere Seite. Man konnte also mit einem gewissen Maß an „Ungerechtigkeit“ leben, aber eben nicht über ein bestimmtes Maß hinaus. Und dieses Maß war nicht ausschließlich ökonomisch bestimmt! 

VIERTENS ist erfolgreiches wirtschaftliches Handeln nicht ohne bestimmte ethische Grundwerte wie alltägliches Vertrauen denkbar. Auf den Begriff des Vertrauens werde ich später noch einmal zurückkommen. Als Indikator für das Argument kann aber bereits hier der Begriff des „ehrbaren Kaufmanns“ gelten, der ohne den Kontext der Werte „Ehre“ und „Vertrauen“ gar nicht denkbar ist. Vertrauen ist geradezu der Kernwert wirtschaftlichen Handelns, ohne den auch wirtschaftlicher Erfolg letztlich gar nicht denkbar ist. Denn einem Unternehmen und Unternehmer, dem Kunden und Mitarbeiter misstrauen, wird über kurz oder lang seinen Markt und letztlich seine Existenzberechtigung verlieren!

Ethik alleine reicht nicht aus

Obwohl Ethik für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg nötig ist, kann ethisches Handeln keineswegs als hinreichende Bedingung für Erfolg gelten. Vom Ehrlich-Sein alleine ist noch niemand zum erfolgreichen Unternehmer geworden! Ethik ist, so gesehen, kein Widerspruch zu wirtschaftlichem Erfolg, reicht aber alleine nicht aus. 

Unter Gesichtspunkten der Ethik geht es im Wirtschaftsleben allerdings nicht nur um Gewinnerzielung. Im Vordergrund steht vielmehr die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse, die Bedarfsdeckung. Wer Durst hat, will etwas trinken, um seinen Durst zu löschen. Unternehmen der Getränkeindustrie richten sich auf genau diesen Bedarf aus. Ihre Gewinnerzielungsabsicht hebt nicht auf, dass die Bedarfsdeckung das Primäre, die zweckrationale Ausrichtung auf Gewinn das Sekundäre ist. Noch einmal: Der Mensch ist als Mensch immer Mensch in seiner Ganzheitlichkeit, untrennbar von seinen Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten! 

Ethik in den Vordergrund wirtschaftlichen Handelns zu stellen, zieht aber auch Fallstricke und Gefahren nach sich. Zum einen handelt nicht jeder, der große ethische Werte proklamiert, selbst besonders ethisch. Die Kluft zwischen Ankündigung und Handeln, zwischen Proklamation und Umsetzung, tut sich immer wieder auf und macht sich als schmerzliche Glaubwürdigkeitslücke bemerkbar. 

Darüber hinaus trifft die „Idealismusfalle“, wie ich sie nennen möchte, ganz besonders stark die sogenannten Tendenzbetriebe wie etwa Kirchen, Parteien oder Gewerkschaften. Vor lauter Begeisterung über die gemeinsam vertretenen Werte geraten viele Menschen in den Sog einer zunehmenden Selbstausbeutung, aber auch moralischen Bevormundung. Sie neigen dann dazu, den Dialog auf der Suche nach dem richtigen Weg durch ethischen Paternalismus zu ersetzen, der anderen vorschreibt, wie sie leben sollen. Dabei wird „gut“ nicht selten durch „gut gemeint“ ersetzt. Ethisch gemeintes Verhalten wird im wirtschaftlichen Handlungsfeld dort fragwürdig, wo es fälschlicherweise meint, sich vom Anspruch professionellen Handelns, sorgfältiger Urteilsbildung und differenzierter Argumentation abkoppeln zu können! 

Der Pendelschlag der Übertreibung sollte uns aber nicht davon abhalten, ernsthaft nach den Möglichkeiten und Grenzen ethischer Handlungsregeln zu fragen. Dabei setze ich voraus, dass die Eigengesetzlichkeit des Bereichs Wirtschaft die Anwendbarkeit allgemeiner Regeln ebenso wie die Gültigkeit einiger allgemeiner ethischer Prinzipien nach sich zieht.

Schaffung von wirtschaftlichem und ethischem Mehrwert

Grundsätzlich besteht die Kernaufgabe jedes Unternehmens in der Wertschöpfung, die sich letztlich in einem angemessenen Unternehmergewinn spiegelt. Die ökonomische Wertschöpfung beruht aber ihrerseits auf einer fundamentalen ethischen Wertschöpfung, dem Schaffen eines ethischen Mehrwerts. Dieser ethischer Mehrwert drückt sich in der Schaffung und im Erhalten von Vertrauen im Markt, aber auch durch die Pflege von Ausdrucks- und Selbstentfaltungswerten aus. Denn jeder Mensch möchte mit seiner Arbeitsleistung in der Regel nicht nur Geld verdienen, sondern auch die ihm eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten in sozial anerkannter Weise zum Ausdruck bringen und sich so selbst entfalten. 

Vertrauen wirkt dabei als Katalysator sowohl der ökonomischen wie auch der ethischen Wertschöpfung. Vertrauen ist das Bindeglied zwischen wirtschaftlichem und ethischem Mehrwert. Es liegt jedem vernünftigen Wirtschaften zugrunde und lässt sich ohne große Mühe in verschieden anspruchsvolle Formen von Vertrauen differenzieren.

Beispielsweise müssen wir darauf vertrauen, dass das angebotene Wasser nicht vergiftet ist und uns der Verhandlungspartner nicht mit einer Waffe nach dem Leben trachtet. Neben diesem Vorschuss- oder Grundvertrauen benötigen wir ein gewisses Systemvertrauen, etwa darin, dass der Strom funktioniert und nicht plötzlich das Licht ausgeht. Darüber hinaus bringen wir bestimmten Personen und Unternehmen ein gewisses Kompetenzvertrauen entgegen. Ich erwarte beispielsweise, dass mein Zahnarzt wirklich weiß, was er tun muss, um meine Zahngesundheit bestmöglich zu fördern und zu erhalten. Würde ich von ihm erwarten, dass er mein Auto repariert, wäre dies zum einen ziemlich teuer, zum anderen ein Beispiel für verfehltes Kompetenzvertrauen. Schließlich gibt es sowohl im persönlichen Leben wie im Geschäftsleben die Ebene des persönlichen Vertrauens, die sich im Lauf einer gelingenden Beziehung aufbauen kann und die alles andere als selbstverständlich ist. 

Ökonomisch gesehen, senkt Vertrauen die Transaktionskosten- wobei man trefflich darüber streiten könnte, wo und wie die Grenze zu einem naiven, blinden Vertrauen oder gar zum Missbrauch von Vertrauen zu ziehen ist. Gleichwohl liegt der enge Zusammenhang zwischen dem ethischen Wert des Vertrauens und wirtschaftlichem Erfolg auf der Hand. Sucht man nach einigen konkreten Anwendungsregeln von Ethik im Handlungsfeld Wirtschaft, so handelt es sich – zusammenfassend- um ein Ensemble vertrauensbildender Maßnahmen im Zusammenhang ethischer Wertschöpfung. Dabei lassen sich – unabhängig von der gegenwärtigen, heftigen Diskussion um Corporate Governance – einige spezifisch ethische Postulate guter Unternehmensführung ausformulieren.

Fünf wesentliche Postulate guter Unternehmensführung-ethisch und praktisch

Bei der Anwendung ethischer Prinzipien auf das Handlungsfeld Wirtschaft soll an dieser Stelle jedoch keine Grundsatzdiskussion über wissenschaftliche, philosophische oder religiöse Ansätze zur Ethikbegründung geführt werden. Weder soll einer reinen Prinzipienethik ohne Anwendungsbezug das Wort geredet werden, noch sollten sich ethische Aussagen über Unternehmensführung in der Denkform der ethischen Kasuistik ausschließlich auf einzelne Fallbeispiele beziehen. Vielmehr soll versucht werden, die Eigengesetzlichkeit des Wirklichkeitsbereichs Wirtschaft ebenso wie die Verbindung wirtschaftlichen Handelns mit anderen Handlungsfeldern zu berücksichtigen und als Postulate guter Unternehmensführung auszuformulieren. 

Das erste ethische Postulat ist die Forderung nach Professionalität. Im Alltag würde man sagen: Tue das gut, was du tust. Da nun wirtschaftliches Handeln in einem Unternehmen zweckgerichtet ist, lässt sich diese Forderung als Generalpostulat der Professionalität formulieren. Wenn jemand Kuchen backt, sollte er guten Kuchen backen- also professionell handeln. Für mich als Kunden oder Verbraucher ist es weniger interessant, ob der Kuchen in christlicher, islamischer, sozialistischer oder sonstiger Absicht gebacken wurde. Wichtig ist, dass es sich um guten Kuchen handelt. Übertragen gesagt: Wer ein Produkt herstellt oder eine Dienstleistung erbringt, sollte das in ihn gesetzte Kompetenzvertrauen durch ein hohes Maß an erworbener Professionalität zu rechtfertigen in der Lage sein. Dazu gehört eine gute Ausbildung, aber auch eine gründliche Befassung mit dem Sachstand, damit man sich eine fundierte Meinung bilden kann. Wirtschaftliche Entscheidungsmängel sind in aller Regel Mängel in der qualifizierten Meinungsbildung und Entscheidungsvorbereitung. Und damit zeigt sich in einfachster Form, dass das Gegenteil von „gut“ in vielen Fällen ein markiges, aber unvorbereitetes „gut gemeint“ ist. 

Das zweite ethische Postulat bezieht sich auf den speziellen Bereich des wirtschaftlichen Handelns. Es ist das Postulat der Wertschöpfung. „Das gut tun, was man tut“ heißt für ein Unternehmen, sich am Kundennutzen zu orientieren und nach der bestmöglichen Faktorkombination von Wertschöpfung zu suchen. Der Imperativ der Wertschöpfung sichert das langfristige Überleben eines Unternehmens. Umgekehrt bedeutet dies, dass Wertvernichtung unethisch ist. Dabei darf allerdings nicht außer acht gelassen werden, dass es oft zu einem recht heftigen Ringen darüber kommt, welcher Weg der Wertschöpfung der richtige ist. Letztlich spielt hier im zweckrationalen System Wirtschaft der Markterfolg eine regulierende Rolle: Denn was Wertschöpfung ist oder nicht ist, entscheidet- innerhalb eines bestimmten gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmens- letztlich der Kunde. 

Die Suche nach dem richtigen Weg der Wertschöpfung führt zum dritten ethischen Postulat guter Unternehmensführung, nämlich dem Postulat der Strategie. Dies bedeutet nicht, dass jeder Bäcker eine Hochglanzpräsentation aus einer erstklassigen Unternehmensberatung benötigt. Strategien können und dürfen implizit sein. Je größer ein Unternehmen ist, um so wahrscheinlicher und um so nötiger ist es allerdings auch, Strategie explizit auszuformulieren. Ethische Anforderungen an eine unternehmerische Strategie gipfeln darin, dass diese sachgerecht, klar, verlässlich und langfristig sein sollte. Unklare und widersprüchliche Strategien, die kurzfristig wechseln und möglicherweise mit den Gegebenheiten des Marktes und den Fähigkeiten eines Unternehmens wenig zu tun haben, sind nicht nur professionell, sondern auch ethisch fragwürdig. Sie taugen nicht zur Orientierung, verhindern also proaktiv die Führung mit Werten und Zielen. Strategie muss vielmehr einen eigenen Beitrag zur Vertrauensbildung im Unternehmen und in seinem Umfeld führen und damit zur Schaffung ethischen Mehrwerts beitragen. 

Das vierte ethische Postulat guter Unternehmensführung besteht in der Forderung nach transparenter Kommunikation. Menschen sind auf Kommunikation angewiesen, um sich zu verständigen. Die ethische Anforderung an ein Unternehmen besteht darin, wahrhaftig, zeitnah, offen und anspruchsgerecht zu kommunizieren. Dies wirkt selbstverständlich, ist es in vielen Fällen aber nicht. Wahrhaftige Kommunikation bedeutet, dass alles, was gesagt wird, wahr ist-nicht aber, dass jederzeit alles gesagt wird, was man weiß. Nicht jeder hat einen ethisch gerechtfertigten Auskunftsanspruch. Wenn es etwa um Entscheidungen wie die Verlagerung einer Fabrik geht, hat die Belegschaft einen vorrangigen Informationsanspruch vor der Presse und weiteren Öffentlichkeit. Sie sollte also zeitnah zur getroffenen Entscheidung und wenigstens einen halben Tag VOR der Öffentlichkeit informiert werden. Transparente Kommunikation erweist sich hier als weiterer Mosaikstein professionellen Handelns in einem Unternehmen. Sie sorgt für Authentizität und Integrität im persönlichen Bereich, für Reputation und Glaubwürdigkeit im Kontext eines kleineren oder größeren Unternehmens. 

Schließlich und letztlich möchte ich auf das ethische Postulat der persönlichen Verantwortung eingehen. In vielen Unternehmen wird so etwas wie kollektive Verantwortungsflucht betrieben. Viele Unterschriften auf einem Dokument bedeuten auch, dass persönliche Verantwortung verwischt wird. Die Berufung auf Sachzwänge verweist nicht selten auf Wert- und Beziehungskonflikte, die nicht ausgesprochen werden. Dabei ist es unbestritten, dass Systeme prägen, dass sie Druck ausüben und Menschen in ihrer Berufsrolle formen und verformen können. Dennoch gilt der Grundsatz: Systeme prägen, aber Menschen handeln. Jeder einzelne Mensch hat seine persönliche Handlungsreichweite, für die er alleine und höchstpersönlich verantwortlich ist. Was über diese Handlungsreichweite hinausgeht, muss er nicht verantworten. Konflikte sind dabei niemals ausgeschlossen- bis hin zur extremen Konsequenz des Verlassens des Feldes, also der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses. Persönliche Verantwortung kann und darf nicht aufgegeben werden- und trotz vielfältigen Systemdrucks gibt es auch Beispiele, wo Menschen in durchaus geprägten und prägenden Systemen eine deutliche Spur hinterlassen haben. Denken wir etwa an den Einfluss, den Roman Herzog auf unser Bild vom Amt eines Bundespräsidenten, den Nelson Mandela auf unser Verständnis von Demokratie in Südafrika, den Johannes Paul II. auf unsere Wahrnehmung der Rolle des Papstes genommen hat. 

Grenzen der persönlichen Handlungsreichweite 

Dennoch darf der Blick für die harten Grenzen unserer Welt nicht vorschnell verklärt werden. Dabei stellen sich ethischem Handeln in der Wirtschaft vor allem drei Formen von Handlungsbarrieren und Hindernissen in den Weg: Macht und Ohnmacht, Verblendung und menschliche Schwäche. 

Kein noch so ethisch motivierter Werksleiter kann etwas ausrichten, wenn seine Anteilseigner die Schließung seiner Fabrik verfügen. Ein Beispiel dafür ist die Schließung des an sich profitablen Kadus-Werks im Schwarzwald, das Friseurprodukte herstellte und ursprünglich zum Wella-Konzern gehörte. Nach dessen Übernahme durch Procter&Gamble wurde entschieden, dass das Werk aufgrund ungenügender Profitabilität geschlossen wird. An dieser Stelle geht es um Macht und Ohnmacht, und zwar unabhängig davon, wie diese Entscheidung als solche wirtschaftlich und ethisch zu beurteilen wäre. 

Eine zweite Grenze ethischen Handelns ist eine Fehlfunktion des Erkennens, die als Verblendung bezeichnet wird. Dazu gehören Formen von Größenwahn, von mangelnder Realitätswahrnehmung oder verzerrter Erkenntnisperspektive. Aus der Zeit des Internet-Hypes und der New Economy um die Jahrtausendwende sind hierzu viele Beispiele bekannt. Möglicherweise lässt sich auch die Idee der Welt-AG bei der Zusammenführung von DaimlerChrysler unter dem Blickwinkel der Verblendung einordnen.

Die dritte Grenze ethischen Handelns ist das alltägliche Kapitel menschlicher Schwäche in Gestalt von Gier, Neid, Habsucht, Korruption und vielgestaltiger Grenzbereiche. Die Zeitungen sind tagtäglich voll von entsprechenden Verfehlungen. Sie sind nur letztlich eher für den Menschen insgesamt als für das Handlungsfeld Wirtschaft alleine typisch, zeigen aber mit aller Deutlichkeit auf, dass die Vermittlung von Werten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht allein an Familie, Schule und Kirche delegiert werden kann. 

Wer selbst von Grenzen ethischen Handelns in der Wirtschaft betroffen ist, wird und sollte sich bemühen, genau das zu verändern, was er mit vertretbarem persönlichen Mut und Risiko verändern kann. Widerstrebt es seinen Werthaltungen fundamental oder wird er persönliche in den Strudel unethischer Handlungsweisen hineingezogen, ist es ethisch geboten, den Mut zu einem klaren „Nein“ aufzubringen und im Extremfall-wie erwähnt-das konkrete Handlungsfeld auch zu verlassen.

Führen mit Werten und Zielen

Führen mit Werten und Zielen hat direkt mit guter Unternehmensführung zu tun – auch wenn nicht jeder, der ethisch handelt, ein guter Unternehmer ist- und umgekehrt! Auch wenn sich ethisches Verhalten im Handlungsfeld Wirtschaft kurzfristig keineswegs immer lohnt, so lässt sich dennoch vertreten, dass langfristig ethisches Verhalten und wirtschaftlicher Erfolg zu konvergieren scheinen. Ein Unternehmen, das auf Dauer unehrlich und unethisch mit Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgeht, wird langfristig nicht erfolgreich sein. Trotz zahlreicher Fälle von Machtmissbrauch ist mir zumindest kein solcher Fall bekannt. Umgekehrt bedeutet dies, dass es für ein Unternehmen extrem lohnenswert sein kann, die eigenen ethischen und unternehmerischen Werte auszuformulieren und deren Umsetzung in jährliche Zielvereinbarungen aufzunehmen. 

Dies wird und kann allerdings nur unter der Randbedingung der Glaubwürdigkeit gelingen- denn andernfalls würde nur den bestehenden Formen der Unternehmenslyrik oder Business Poetry eine weitere hinzugefügt. Führen mit Werten und Zielen hat, so gesehen, mindestens ebenso viel mit reflektiertem Handeln wie mit selbstverständlichem Vorleben zu tun. Besonders die erste Führungsebene, aber auch die Gesellschafter eines Unternehmens sind hier besonders gefragt. 

Damit aber schließt sich der Kreis: Niemand von uns kann sich der persönlichen Verantwortung, die er hat, entziehen. Die persönliche Handlungsreichweite mag im Einzelfall eher begrenzt oder aber sehr weit ausgedehnt sein. Immer aber ist sie als derjenige Bereich wahrzunehmen, der einer persönlichen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit zugänglich ist. Die Einladung, persönliche Verantwortung ernst zu nehmen und vorzuleben, um neben einem wirtschaftlichen auch einen ethischen Mehrwert zu schaffen, ist für eine Kultur guter Unternehmensführung entscheidend. Sie ist der Gradmesser der Glaubwürdigkeit jeder Führung durch Ziele und Werte. Sie zeigt aber auch auf, dass der Mensch auch im wirtschaftlichen Feld nicht losgelöst von seinen außerökonomischen Interessen und Strebungen betrachtet werden kann, sondern grundsätzlich eine Ganzheit bildet. Und schon aus diesem Grund lässt sich mit Fug und Recht schlussfolgern, dass Ethik und Wirtschaft letztlich kein Widerspruch sind, sondern sich ergänzende Perspektiven menschlichen Handelns darstellen! Das Postulat der wirtschaftlichen Wertschöpfung schließt daher, richtig verstanden, die Orientierung am ethischen Mehrwert ein, weil dieser ethische Mehrwert die Vertrauensbildung auf dem Markt und im Inneren eines Unternehmens im Sinn verlässlicher Glaubwürdigkeit überhaupt erst möglich macht!

LITERATUR

J. Bakan, The Corporation, The Pathological Pursuit of Profit and Power, London 2004.

J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/M. Bd.1-2, 1981.

U. Hemel, Wert und Werte, München 2005.

H. Joas, Die Entstehung der Werte, Frankfurt/M. 1999.

N. Pfitzer/P. Oser (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, Stuttgart 2003. 

R. S. Pindyk / D. L. Rubinfeld, Microeconomics, Upper Saddle River N.J. (Prentice Hall) 2001. 

M. Spitzer, Selbstbestimmen, Gehirnforschung und die Frage: Was sollen wir tun? München 2004.


Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten des Instituts für Sozialstrategie ist auch in Auszügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet.

Publikationen des IfS unterliegen einem Begutachtungsverfahren durch Fachkolleginnen- und kollegen und durch die Institutsleitung. Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorinnen und Autoren wieder.

Posted by Ulrich Hemel

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert