Chevrons Ölförderung und der indigene Widerstand
Abstract [de]: Der Rechtsstreit um die Kosten der Beseitigung der Umweltschäden durch die Ölförderung von Chevron im Gebiet von Lago Agrio im Amazonas-Regenwald Ecuadors läuft seit nunmehr über 20 Jahren. Dabei geht es um Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die Förderung eines Konsortiums von Texaco und Petroecuador. Texaco gehört inzwischen zu Chevron, der Rechtsstreit ist somit der zwischen Einwohnerinnen und Einwohnern der Region von Lago Agrio in Ecuador und Chevron und wird sowohl vor US- als auch vor Gerichten in Ecuador ausgetragen. Nach langen Jahren der Verhandlung wurde Chevron schließlich in Ecuador zu einer Millionenzahlung verurteilt, dies war 2012. Danach strengte Chevron diverse Gerichtsverfahren an, unter anderem gegen die juristischen Beistände der Einwohnerinnen und Einwohner der Region. Dies führte nicht nur dazu, dass sich immer mehr Anwaltskanzleien zurückzogen und sogar Entschädigungen an Chevron zahlten, letztlich blieb der Hauptankläger isoliert zurück. Im März diesen Jahres hob schließlich ein US-Gericht den Beschluss aus Ecuador auf, da dieser auf Bestechung und der Fälschung von Beweisen beruhe, die Geldvollstreckung wurde außer Kraft gesetzt.
Mai 2014
Chevrons Ölförderung und der indigene Widerstand
Der Rechtsstreit um die Kosten der Beseitigung der Umweltschäden durch die Ölförderung von Chevron im Gebiet von Lago Agrio im Amazonas-Regenwald Ecuadors läuft seit nunmehr über 20 Jahren. Dabei geht es um Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die Förderung eines Konsortiums von Texaco und Petroecuador. Texaco gehört inzwischen zu Chevron, der Rechtsstreit ist somit der zwischen Einwohnerinnen und Einwohnern der Region von Lago Agrio in Ecuador und Chevron und wird sowohl vor US- als auch vor Gerichten in Ecuador ausgetragen. Nach langen Jahren der Verhandlung wurde Chevron schließlich in Ecuador zu einer Millionenzahlung verurteilt, dies war 2012. Danach strengte Chevron diverse Gerichtsverfahren an, unter anderem gegen die juristischen Beistände der Einwohnerinnen und Einwohner der Region. Dies führte nicht nur dazu, dass sich immer mehr Anwaltskanzleien zurückzogen und sogar Entschädigungen an Chevron zahlten, letztlich blieb der Hauptankläger isoliert zurück. Im März diesen Jahres hob schließlich ein US-Gericht den Beschluss aus Ecuador auf, da dieser auf Bestechung und der Fälschung von Beweisen beruhe, die Geldvollstreckung wurde außer Kraft gesetzt.
Ein anderer Fall indigenen Widerstandes mit transnationaler zivilgesellschaftlicher Unterstützung war der des U’wa-Stammes im Amazonas-Regenwald Kolumbiens. 1995 drohte dieser Stamm, Massenselbstmord zu begehen, sollte die US-Ölfirma Occidental Petroleum im Land ihrer Ahnen nach Öl bohren. Damit diese Drohung Öffentlichkeit enthielt und Wirkung zeigen konnte, wurden die Indigenen Organisation Kolumbiens einbezogen und über diese auch weitergehende transnationale Netzwerke. Dazu gehörten auch verschiedene Gruppen des Rainforest Action Networks (RAN). Über das RAN wurde verbreitet, worum es in dem Fall ging, welche Forderung die U’wa hatten und wie die Lesenden der online-Präsenz helfen könnten. So begann eine Auseinandersetzung über Interpretationshoheiten. Welche Auswirkungen die Ölbohrungen haben war genauso Gegenstand der Debatte, wie welchen Herkunftshintergrund, welche Herkunftsbindung die U’wa hätten. Dabei vermischten sich, und dies ist parallel zum Fall in Ecuador mit Chevron zu sehen, Straßenproteste mit online-Auseinandersetzungen und klaren PR-Kampagnen. 1998 zog Occidental Petroleum seine Bestrebungen in der Region zurück. Gerade das RAN sah darin einen klaren Sieg von Cyberaktivismus.
Der Fall von Chevron wurde immer mehr zu einer Wegscheide stilisiert
Warum nun, so stellt sich die Frage, der hier nachgegangen werden soll, zeigte die eine Aktivität Erfolge, die andere bisher maximal bedingt? Klar kann vorgebracht werden, dass der kolumbianische Fall einen ganz anderen Maßstab hatte und auch exemplarisch eine andere Wirkung. Der Fall von Chevron in Ecuador wurde immer mehr zu einer Wegscheide stilisiert – verliert hier Chevron, kann dies auch anderswo geschehen, können betroffene Gebiete stets Firmen nachträglich belangen, über vertraglich vereinbartes hinaus. Dies ist zumindest eine Sorge, oder für andere eine Hoffnung, die breit geäußert wird. Dies trifft auf den Fall in Kolumbien nicht zu. Doch bei allen weiteren findbaren Unterschieden, aber auch Gemeinsamkeiten wie der Kategorie Indigene und der Region, soll hier der Frage der Vernetzung und Unterstützungsgenerierung nachgegangen werden. Wie soll beziehungsweise sollte jeweils Gerechtigkeit hergestellt werden? Welche Rolle spielte dabei Meinungshoheit und wie wurde diese herzustellen gesucht?
Im Fall Chevron in Ecuador wurde juristisch versucht perzipierte Gerechtigkeit herzustellen, neben dem Kampf um Interpretationen und Meinungen. Dies war in Kolumbien gar nicht möglich, das betroffene Gebiet lag außerhalb des anerkannten Stammesgebiets. Dort ging es also vor allem darum, ein moralisch-historisches Anrecht auf dieses Gebiet zu reklamieren und für sich zu beanspruchen. Die Argumentation war explizit nicht juristisch, sondern moralisch-historisch. Der angedrohte Massenselbstmord konnte dabei erst durch die mediale Verbreitung seine Wirkung erzielen. Seine symbolische Aufladung half dabei Bilder zu stützen: Der Stamm erklärte nur so einen würdigen Tod finden zu können, im Rahmen der Ölbohrung wären sie zu einem langsamen und qualvollen Tod verurteilt. Dabei half der Verweis auf ähnliche Fälle, und dies ist eine Verbindung nach Ecuador und Chevron. Auch dort ging es darum Krankheiten und Ölförderung zu verbinden, jedoch nicht als Potentialität der Zukunft, sondern vielmehr als reale Größe, deren Ursache jedoch umstritten war. Deutungshoheit war auch in der juristischen Auseinandersetzung zentral. In beiden Fällen half ein Berufen und sich Vernetzen mit wissenschaftlichen Akteur_innen, deren Autorität für die jeweilige Argumentation stützend wirken sollte. Wichtig war auch stets die Unterstützung durch andere wissenschaftliche Autoritäten, gerade um Landansprüche zu belegen, einmal den auf das ausgewählte Förderland, im anderen Fall auf das verseuchte Land. Dabei blieben Grenzziehungen, zwischen Betroffenheit und Nicht-Betroffenheit oder auch Stamm und Nicht-Stamm stets problematisch. Der Weg der Wahl, zumindest im Rahmen der Generierung öffentlicher Unterstützung, war es deshalb, Bilder zu bieten. Diesen konnte sich angeschlossen werden, oder es konnten Sinnbilder für Gefährdetes oder Verlorenes und zu Kurierendes entstehen.
Süd gegen Nord, Arm gegen Reich
Im Fall des RAN wurde dabei eine Art Dschungelidylle konstruiert, die U’wa wurden zum Sinnbild von Natürlichkeit und letztlich quasi moderne „edle Wilde“. Dies generierte Unterstützung, dies machte die Kampagne zu einer der erfolgreichsten des RAN und schuf Bilder, die weite Verbreitung fanden. Doch es entstand auch eine Art Parallelwelt, die es zu bewahren galt. Hingegen versuchte der Rechtsstreit mit Chevron in Ecuador mit anderen Bildern zu punkten, Bilder des Elends, Bilder der (Umwelt)zerstörung, von schwarzer Brühe im Paradies. Doch auch hier stand der Urwald als Paradies da, welches die Gier nach Öl für ewig zerstörte, so die Rhetorik und die vermittelte Botschaft. Beide Kampagnen arbeiteten mit Web-Präsenz, und dies weit über eine Homepage hinaus, der Vermischung von Straßen- und Online-Aktivismus. Süd gegen Nord, Arm gegen Reich, Ressourcen und Ausbeutung sind die Pole die dabei bemüht werden und wurden, aber auch Rechtlosigkeit und Rechtsbeugung. Interessanterweise versuchen beide Fälle aber auch Rechte vormals Rechtlosen zukommen zu lassen, einmal klar juristisch bei deutlicher Ausnutzung internationaler Verträge und Rechtsnormen, einmal eher moralisch und durch Aktivismus, der im ersten Fall auch nicht fehlt. Die Allianzen, die dafür eingegangen werden mussten, waren nicht stets Allianzen völliger Übereinkunft. Die U’wa mussten sich in einem gewissen Sinne (Re)produzieren, ein Image kreieren und mehr Opfer werden, als sie vielleicht werden wollten. Und auch die Einwohnerinnen und Einwohner von Lago Agrio mussten Verbindungen zu Jurist_innen suchen, die sie vielleicht sonst zu meiden gesucht hätten, und sich als Opfer und Betroffene darstellen lassen, ihre Region öffnen und zugleich als verseucht stehen lassen. Das Erringen von Erfolgen, dem Abzug der Ölfirma aus Kolumbien, das Urteil gegen Chevron in Ecuador, hatte also einen Preis.
Diesen waren beiden betroffenen Gruppen bereit zu zahlen, warum gab es doch so unterschiedliche Ausgänge? Dies liegt zum einen an dem Unterschied etwas abzuwehren und Entschädigung für getanes Unrecht zu bekommen, ersteres scheint eher möglich. Auch für die Ölfirma hat dies weniger Symbolgehalt und perzipierte Folgewirkungen. Dies darf nicht unterschätzt werden, eine Entschädigung für Umweltverschmutzungen in Ecuador hätte vermutlich weitreichende Folgen nicht nur für Chevron und in Ecuador gehabt. Der andere Grund ist der oder die Konkurrent_in und dessen beziehungsweise deren Bedeutung, die sie einem Fall zumessen. Im kolumbianischen Fall war es auch ein multinationaler Konzern, und kein kleiner, doch das anvisierte Bohrfeld keineswegs so bedeutend, wie das Öl in Ecuador relational angesehen wurde. Keineswegs ist auch gesagt, dass wenn es seit den 1990er Jahren um eine Neubohrung in Ecuador gegangen wäre, diese nicht auch zurückgezogen worden wäre. Denn die Kampagne für Entschädigung hat breite Unterstützung, breite Wirkung und großes mediales Backing. Doch der Preis gilt Chevron im Falle eines Entschädigungsvollzugs als zu hoch. Diese Geschichte ist aber gleichfalls, anders als der kolumbianische Fall, keineswegs zu Ende. Chevron nutzt härteste Bandagen, auf der eigenen Homepage wird deutlich und graphisch unterstützt der Hauptanwalt des Anliegens als korrupt und Beweise fälschend dargestellt. Zeitungen und Homepages sind stets der einen oder anderen Seite zugeneigt. Der Kampf um Bilder ging soweit, dass Chevron von einem Dokumentarfilmer, der über den Fall berichtete, die Herausgabe all seines Materials forderte, vor Gericht Recht bekam und das Material nutzte, um das Urteil aus Ecuador im März diesen Jahres als unwirksam und auf Bestechung beruhend beurteilen zu lassen. Wird dem Wikipedia-Artikel gefolgt, war dies nur ein temporärer Rückschritt, juristische Anstrengungen in anderen Ländern Lateinamerikas, in denen Chevron noch aktiv ist, würden bereits gegen Chevron angegangen. Wird Chevron selber oder bestimmter Presse gefolgt, handelt es sich insgesamt um eine Schmierenkampagne und Vorverurteilungen. Die ganze Schuld liegt diesen folgend auf dem damaligen Partner Petroecuador. Es zeigt sich, dass dabei die Auseinandersetzung immer mehr eine zwischen den Unterstützer_innen der Anliegen vom Lago Agrio und Chevron wurde. Statt dass diese Unterstützer_innen quasi Teil des indigenen Begehrens und Anliegens wurden, wurden diese entkoppelt. Chevron erkennt das Elend der Indigenen an, zumindest zum Teil, wenn auch keinesfalls vollständig. Dies wird aber nicht auf Öl, oder nur bedingt darauf zurück geführt, und zugleich anderen Parteien angelastet. Gerade das in den USA basierte Unterstützungsnetzwerk um Anwalt Steven R. Donziger wird von Chevron angegangen, als rechtsverdrehende Gruppierung, die regionale Justizschwächen, also die Justiz Ecuadors, ausnutze, und das Anliegen der Einwohnerinnen und Einwohnern von Lagio Agrio vereinnahme, ohne es objektiv zu beurteilen.
Die juristische Auseinandersetzung mit Chevron ist nicht beendet
Die letztliche Lehre ist damit wohl diese, dass ein Netzwerk, gerade wenn es um regionale Betroffenheit geht, zwar auf transnationale zivilgesellschaftliche Einbettung und Vernetzung angewiesen ist, aber auf keinen Fall zulassen darf, auch nur dargestellt zu deutlich zu zerfallen. Die stetige Rückführung auf die und Betonung der U’wa im Rahmen der RAN-Aktivitäten mag diese etwas gekostet haben, aber sie ermöglichte auch erst, ihnen ihre wahrgenommene Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Opfer und Unterstützer_innen immer mehr getrennt zu nehmen, und dies wird erleichtert durch die Vermengung der Verwendung unterschiedlicher juristischer Wege und Systeme mit digitalen wie anderweitigen medialen Kampagnen, birgt hingegen die Gefahr, dass die Gerechtigkeitsfrage letztlich aus dem Blick gerät oder an die Seite geschoben wird. Dagegen wird wieder medial vorgegangen, die Rückkoppelung erprobt, und dies ist es wohl, warum der Fall immer noch aktiv und stetig, und teilweise zunehmend Aufmerksamkeit erfährt. Die juristische Auseinandersetzung ist keinesfalls beendet, die mediale nimmt wieder neue Höhen, wobei ein Verlassen der Ebene Chevron-Unterstüzer_innen, die vor allem Chevron-Donziger ist, eindeutig Potential für Gerechtigkeit für die Einwohnerinnen und Einwohner von Lago Agrio bieten würde und der transnationalen zivilgesellschaftlichen Vernetzungen gerecht werden würde.
Diese Ausführungen fordern deutlich dazu auf, zu überprüfen, ob hier beschriebene Tendenzen sich vermehrt auch bei anderen Fällen zeigen. Einerseits wird bei beiden hier beschriebenen Fällen die lokale wie internationale zivilgesellschaftliche Vernetzung in ihrer Bedeutung deutlich – ein Rahmen, dem es an weiteren Fällen in der Region und darüber hinaus nachzuspüren gilt. Diese Bedeutung ist als erste hergeleitete Hypothese zu fassen. Zentraler jedoch und andererseits gilt es zu überprüfen, ob die Tendenz, die durchaus als zweite Hypothese zu fassen ist, dass Prävention weiter führt als Schadensbegrenzung, sich generalisieren lässt. Hinzuzufügen und ergänzend wäre dabei genauer zu untersuchen, welches Recht als Bezugspunkt gewählt wird, und wie weit eine Mischung aus nationalem Recht und transnationalem Rechtsrahmen als Berufungshintergrund führen kann. Hier wurden klare Tendenzen aufgezeigt und daraus zwei Hypothesen abgeleitet, ihre Generalisierung und Differenzierung bedarf der Untersuchung weiterer Fälle.