Abstract [de]: IfS-Mitarbeiter Kai Reinke berichtet von der ersten sozialethischen Unternehmensbegehung, die das IfS in Kooperation mit dem Heinreich Pesch Haus bei der Gebäudereinigungsfirma Kehl GmbH in Ludwigshafen durchführte.


August 2014

„Sozialethische Unternehmensbegehung“

Ein anderer Blick auf die wirtschaftliche Realität von Unternehmen

Das Konzept

Unternehmen leben einerseits von der persönlichen, inneren Haltung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere ihrer Führungskräfte; und Unternehmen gestalten bzw. prägen andererseits die Mitarbeitenden nachhaltig. Es entsteht eine eigene Unternehmenskultur von gemeinsamen Werten, Normen und Einstellungen, welche die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten der Organisationsmitglieder prägen.

Insbesondere lehrt die wirtschaftliche Praxis, dass sehr viele Entscheidungen intuitiv getroffen und der persönlichen, inneren Haltung der handelnden Person folgen. Darum ist es sinnvoll, die eigene  innere Haltungwahrzunehmen und kennenzulernen. 

Bei unseren „sozialethischen Unternehmensbegegnungen“, gehen wirtschaftliche Laien (z.B. Religionspädagogen, an Wirtschaft und Ethik interessierte Studierende…) unter Anleitung von Sozialethikern direkt in die Unternehmen hinein und nehmen das Gespräch mit den Akteuren dort auf. Mit Hilfe eines Fragebogens als Leitfaden kann man sich der ökonomischen Praxis auf verschiedenen unternehmerischen Hierarchieebenen annähern und diese in Augenschein nehmen. Das soll zu einer beiderseitigen Annäherung der sich eher fremden „Welten“ führen,  einerseits um  dem Unternehmen zur Seite zu stehen, eine gute Unternehmenskultur zu entwickeln, und andererseits um sozialethische Themen praxisnah mit konkreten Unternehmenserfahrungen zu hinterlegen.[1]

Abgrenzung zur „klassischen“ Unternehmensberatung

Gespräche über Werte, Ziele, Differenzierung und Haltungen stehen im Mittelpunkt der „sozialethischen Unternehmensbegehung“. Durch das Einspielen einer anderen Perspektive will die sozialethische Unternehmensbegehung eine Anleitung zur Reflexion sein. Darin unterscheidet sie sich von der klassischen, „Ergebnis orientierten“ Unternehmensberatung. 

Das Ziel der sozialethischen Unternehmensbegehung ist nicht wie ein klassisches Beratungsziel zu begreifen. Vielmehr geht es um eine “sozialethische Diagnose”, die das Unternehmen als Akteur der gegenwärtigen Zivilgesellschaft ins Spiel bringt und nicht mehr und nicht weniger tut, als beobachtete Phänomene zur Sprache zu bringen. 

Im klassischen Unternehmensjargon ließe sich die Aufmerksamkeit für eine sozialethische Unternehmensbegehung am ehesten als SR-Tätigkeit begreifen. Der Nutzen ist aber eher diagnostischer Art, weniger in äußerer Reputation zu sehen.

Im Unterschied zu Beratern und Organisationsentwicklern wird hier ja gerade das Gespräch ohne Verwertungsnutzen und ohne das Ziel von Anschlussaufträgen kultiviert. Das wiederum ist ein schon wieder sehr ungewöhnlicher Nutzen und ein Beitrag zu einer dialogischen Unternehmenskultur. 

Benefit für das Unternehmen (bzw. die Organisationen)

Ein Nutzen entsteht dem Unternehmen aus den Gesprächen: Die tatsächlich gelebte Haltung der Mitarbeitenden und der Organisation tritt im Rahmen der Versprachlichung, der Verständigungsnachfrage, aber auch des kritischen Hinterfragens zutage. Dieser dialogische Prozess zahlt auf die Bildung einer gemeinsamen, schlüssigen Haltung ein, welche dort für die ökonomische Wertschöpfung von Interesse ist, wo sie einen überzeugenden Unternehmensauftritt  auf belastbarer Vertrauensbasis optimiert. So könnten Brüche zwischen Ankündigung und Verhalten, zwischen Unternehmensmarketing und der Realität des Unternehmens vermieden oder zumindest erkannt und behoben werden.

Wird die sozialethische Unternehmensbegehung öffentlichkeitswirksam genutzt, kann dies zur Verbesserung des öffentlichen Ansehens des Unternehmens beitragen und die Attraktivität des Unternehmens, gerade in Hinblick auf den zukünftigen Fachkräftemangel, steigern. Sowohl  Arbeitgeberattraktivität als auch Unternehmensidentifikation werden erhöht, wenn bekannt wird, dass besagtes Unternehmen Wert auf einen offenen dialogischen Prozess, und in der Folge auf ein positives Betriebsklima, legt.

Benefit für die Teilnehmer (wirtschaftliche Laien)

Ein Nutzen für die Teilnehmer entsteht durch die Gelegenheit, ein Unternehmen mit einem unabhängigen Blick von innen zu betrachten. Da die Teilnehmenden wirtschaftliche Laien sind, haben diese im Normalfall nicht die Gelegenheit, sich ein Unternehmen in Bezug auf gelebte Werte innerhalb des Unternehmens anzuschauen. Selbst wenn die Teilnehmer schon mal ein Praktikum in einem Unternehmen absolviert oder gar in einem Unternehmen gearbeitet haben, ändert sich ihr Blickwinkel, da sie ja selber Teil des Unternehmens waren. 

Mit der „sozialethischen Unternehmensbegegnungen“ wird es ihnen ermöglicht, sich ein Unternehmen mit einem ganz anderen Blickwinkel anzusehen, was für sich alleine schon einen Mehrwert bringt. Speziell aber durch das Wahrnehmen der inneren Haltung des Unternehmens lassen sich Zusammenhänge und vielleicht sogar Mechanismen entdecken, die im eigenen Studium oder im Beruf weiterhelfen können. Z.B. kann das Beobachten von Auswirkungen einer inneren Haltung auf ein positives Betriebsklima einen selber dazu animieren, seine eigene innere Haltung im beruflichen Alltag zu reflektieren und einen Veränderungsprozess bei einem selbst anstoßen.

Die erste „sozialethische Unternehmensbegegnung“

Am 8. Mai 2014 haben das Institut für Sozialstrategie (IfS) und das Heinrich Pesch Haus (HPH) in Ludwigshafen gemeinsam die erste „sozialethische Unternehmensbegegnung“ veranstaltet. Das Ziel der Begehung war die Glasbau- und Gebäudereinigungsfirma Fa. Kehl GmbH. Die Teilnehmer der Begehung waren vorerst noch Mitarbeiter des IfS, des HPHs und zwei Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften. 

Im Vorfeld der Begehung erfolgte ein Sondierungsgespräch mit dem Geschäftsführer der Fa. Kehl GmbH. Hierbei wurde die sozialethische Unternehmensbegehung strukturiert und das Verfahren für das spezifische Unternehmen festgelegt.

Direkt vor der Begehung selbst fand ein Workshop mit den Teilnehmern statt, in dem das Konzept erläutert, der Fragebogen besprochen und Rückfragen gestellt wurden. Anschließend wurde das Unternehmen besucht. In einer kurzen Vorstellungsrunde wurden neben den Teilnehmenden auch das Unternehmen und dessen Unternehmensgeschichte präsentiert. Von besonderer Bedeutung war dabei, dass das Unternehmen ein in dritter Generation geführter Familienbetrieb ist, welcher Wert auf das Engagement in der eigenen Region auch über wirtschaftlichen Erfolg hinaus legt. 

Für die Befragung der Geschäftsführung sowie der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wurden von den Teilnehmern Zweiergruppen gebildet, um so unterschiedliche Wahrnehmungen der jeweiligen Antworten erfassen zu können. Die Gespräche wurden auf verschiedenen Hierarchieebenen geführt. Befragt wurden die Assistenz der Geschäftsführung (bzw. Leiter des Marketings), eine Vorarbeiterin, ein Abteilungsleiter, ein Facharbeiter aus der Produktion und sowohl eine gelernte als auch eine ungelernte Reinigungskraft.

Durch die verschiedenen Perspektiven der unterschiedlichen Hierarchieebenen gab es divergierende Antworten auf die gestellten Fragen. Allerdings ließen sich auch einige Gemeinsamkeiten in den Ansichten bzw. inneren Haltungen der verschiedenen Mitarbeiter feststellen. Von großer Bedeutung scheint dabei der verstorbene Gründer, Franz Kehl, des Unternehmens zu sein. Dieser hat seine christlich geprägten Werte in sein persönliches Handeln als Führungskraft und damit letztlich in die Unternehmenskultur einfließen lassen. Dies hatte auch Auswirkungen auf das soziale Engagement des Unternehmens in der Region. So wurden diverse Vereine (Sport und Gesellschaft) und kirchliche Gemeinden in der Umgebung unterstützt sowie ein Brunnen für den öffentlichen Raum gespendet.

Im Unternehmen direkt ist vor allem aufgefallen, dass sehr viel Wert auf Freundlichkeit und Höflichkeit im Umgang mit den Kunden, aber auch untereinander gelegt wird. Dies ist zum einem natürlich der Notwendigkeit dieser Haltungen im wirtschaftlichen Kontext und in der spezifischen Branche des Unternehmens geschuldet. Ein gutes Erscheinungsbild ist laut Aussage der Unternehmensführung sehr wichtig in der Reinigungsbranche, aber diese Haltung hat sich auch innerhalb des Unternehmens durchgesetzt. Der freundliche und höfliche Umgang der Mitarbeiter untereinander war deutlich wahrzunehmen. Eine eigene offizielle Werte-Charta gibt es im Unternehmen nicht, jedoch hat sich sichtlich ein Leitbild von einem „guten Miteinander“ etabliert. Bei Konflikten wird – laut Aussagen verschiedener Mitarbeiter – erst das persönliche Gespräch gesucht (gelegentlich auch zwischen der untersten und der obersten Hierarchieebene). Vermittlungsgespräche durch den Betriebsrat scheinen selten notwendig zu sein.

Es hat sich in der Firma eine Art „Wir-Gefühl“ etabliert: Dies scheint nicht nur innerhalb der einzelnen Abteilungen und Hierarchieebenen der Fall zu sein, sondern auch über die verschiedenen Ebenen hinweg. Es wird aufeinander geachtet und sich umeinander gekümmert. So gab es in der Vergangenheit z.B. schon häufiger die Situation, dass vom Unternehmen einzelnen Mitarbeitern private Kredite gezahlt wurden, wenn diese in einer besonderen Situation waren. So wurde etwa einer Mitarbeiterin die Kosten für den Führerschein vorgestreckt – oder es wurde einem Mitarbeiter sogar ein Reiseticket gezahlt, um zur Beerdigung eines Verwandten zu kommen. Generell wird nach Tarif gezahlt. Gewinnmaximierung geht nicht über alles; die Mitarbeiter empfinden  den Umgang der Unternehmensführung mit ihnen als fair.

Insgesamt gesehen scheint es in der Firma Kehl eine klar erkennbare innere Haltung zu geben, die sehr auf Höflichkeit und einem guten Umgang miteinander fußt. Jedoch gibt es auch kleine Diskrepanzen. In der Außendarstellung legt das Unternehmen Wert auf ein umweltbewusstes Handeln. Dies ließ sich in der Unternehmensbegehung nicht überprüfen, es war jedoch auffällig, dass dieses Thema in den Gesprächen nie geäußert wurde. Dies lässt darauf schließen, dass es nicht Teil der inneren Haltungen, oder zumindest nicht tief im Bewusstsein verwurzelt ist. 

Ein weiterer Punkt wo sich kleine Unstimmigkeiten bzw. Veränderungen wahrnehmen ließen, ist der Generationenwechsel in der Unternehmensführung. Franz Kehl hat das Unternehmen zu seiner Zeit noch als eine Art wohlwollender Patriarch geführt.  Für ihn und seinen Schwiegersohn (derzeitiger Geschäftsführer), die beide einen handwerklichen Hintergrund besitzen, scheinen christliche Werte und Tradition eine größere Rolle zu spielen als bei seinem Enkel (derzeitig Assistenz der Geschäftsführung). Dieser hat BWL studiert und somit durch sein Studium eine andere innere Haltung erlangt als noch die beiden anderen Generationen. Dabei tritt besonders die Tradition mehr in den Hintergrund, und es wird mehr Flexibilität gewünscht und erwartet. Soziale Wertansichten sind aber nach wie vor vorhanden. Veränderungen in der Unternehmensführung werden auch durch die Belegschaft wahrgenommen, wobei diese auch sehr stark auf äußeren wirtschaftlichen Druck zurückzuführen sind.

Erfahrungen eines Teilnehmers

„Für mich war die „sozialethischen Unternehmensbegegnungen“ die erste praktische Erfahrung im Bereich der Wirtschaftsethik. Ich hatte zwar VWL im Studium als Nebenfach und mich im meinem Politikwissenschaftsstudium mit Moral und Ethik beschäftigt, jedoch hatte ich bis jetzt wenig mit der Schnittstelle von Wirtschaft und Ethik (besonders dem Bereich des CSR) zu tun. 

Durch diverse Nebenjobs oder Praktika ist mir die Berufswelt nicht unbekannt und ich habe dort natürlich bei der Arbeit innere Haltungen und deren Auswirkungen im Betrieb auf irgendeine Form gespürt. Sei es eine Verschlechterung der betrieblichen Stimmung durch Rationalisierungsmaßnahmen oder ein positives Arbeitsgefühl durch ein „familiäres Arbeitsklima“. Diese Wahrnehmung bzw. dieses Spüren unterscheidet sich aber von einem Blick, den man reflektiert von außen als „Unternehmensbegeher“ erhält. Bei der Begehung kann einem die innere Haltung und deren Auswirkungen viel bewusster werden. 

Es war äußerst interessant wahrzunehmen, dass wirklich gewisse innere Haltungen existieren, die sich quer durch die verschiedenen hierarchischen Ebenen des Betriebs ziehen und dass diese ein bestimmtes Klima im Unternehmen schaffen können. Sehr gut fand ich auch, dass ich die Gelegenheit bekommen habe, sowohl ein Gespräch mit der oberen als auch mit der unteren hierarchischen Ebenen des Unternehmens zu führen. Dabei waren natürlich sehr unterschiedliche Ziele und Wünsche der einzelnen Personen zu erkennen. Dem Assistenten der Geschäftsleitung lag viel daran, mehr Flexibilität ins Unternehmen zu bringen. Der gelernten Reinigungskraft war es wichtig, ihre berufliche Perspektive zu verbessern. Es gab aber auch viele Schnittmengen in den Auffassungen trotz einer sehr divergierenden Herkunft und eines sehr unterschiedlich erscheinenden Habitus der Befragten. Dabei standen -wie oben ausgeführt- das „Wir-Gefühl“ und die Freundlichkeit sehr im Vordergrund.

Die Unternehmensbegehung hat mir nochmals bewusst gemacht, was ich in meinen eigenen Arbeitserfahrungen schon erlebt habe: die inneren Haltungen, besonders die in den oberen hierarchischen Ebenen, haben eine konkrete Auswirkung auf das betriebliche Klima- und dieses hat direkte Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter.

Spannend hätte ich gefunden, wenn es in dem befragten Unternehmen eine „offizielle“ Werte-Charta gegeben hätte und man somit besser hätte schauen können, ob Diskrepanzen zwischen dem Gesagten/Geschriebenen und dem Gelebten bestehen. Insgesamt war es aber eine sehr positive und bereichernde Erfahrung.“


[1] Hemel, Ulrich/ Fritzsche, Andreas/ Manemann, Jürgen (Hrsg.): Habituelle Unternehmensethik. Von der Ethik zum Ethos. 2012, 1. Aufl., Baden-Baden, Nomos.


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Posted by Kai Reinke

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