Abstract [en]: “Who counts as vaccinated?” – Mandatory vaccination presupposes a sustainable definition of the status “vaccinated”. In addition to the medical dimension of “being vaccinated”, i.e. the protection of people against infection and serious illness, the legal status of “vaccinated” would play an increasingly important role in the discussions around mandatory vaccination. On the one hand, answering the question “Who counts as vaccinated?” is not a trivial matter, on the other hand it concerns the loss of fundamental rights. This is why prior to implementing mandatory vaccination the thus far open question of “Who counts as vaccinated?” will need diligent debate. In the contribution “Unbureaucratic mandatory vaccination? As if!” Stefan Streit presents a list of minimum obligations for the development of mandatory vaccination.

Abstract [de]: „Wer gilt als geimpft?“ – Impfpflicht setzt eine tragfähige Definition des Status „geimpft“ voraus. Neben dem Schutz konkreter Menschen vor Ansteckung und Erkrankung, also der medizinischen Dimension des „Geimpftseins“, käme dem juristischen Status „geimpft“, bei einer Impfpflicht, eine überragende Bedeutung zu. Einerseits ist die Antwort auf die Frage „Wer gilt als geimpft?“ alles andere als trivial, andererseits entscheidet sie über den Verlust von Grundrechten. Deshalb bedarf es vor einer Impfplicht der sorgfältigen Bearbeitung der gegenwärtig noch offenen Frage: „Wer gilt als geimpft?“ In “Unbürokratische Impfpflicht? Von wegen!” legt Stefan Streit ein Minimalpflichtenheft für die Entwicklung einer Corona-Impfpflicht vor.


Februar 2022

Unbürokratische Impfpflicht? Von wegen! 

Impfpflicht Vol. 2

Auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung diskutiert Justus Bender die Lage bei der Impfpflicht. (0) Manche Akteure befürworten die Impfpflicht mit Register, andere nur das Impfregister und wieder andere nur die Impfpflicht. Das sanktioniert werden müsste wird diskutiert und die Belohnung fürs Impfen zum Thema gemacht. Etwas gezwungen wirkt lediglich das Schlusswort der Vorsitzenden des Ethikrats, Alena Buyx, Ethik ohne Digitalisierung gehe gar nicht. Dabei steht das E in Ethik doch gar nicht für Elektro. Aber das nur nebenbei. 

In dem Leitartikel wurde allerdings die Frage aller Fragen nirgends gestellt: Wer gilt als geimpft? Impfpflicht und Impfregister setzen voraus, dass vorher genau geklärt ist, was „geimpft“ denn überhaupt bedeutet. „Das ist doch sonnenklar“ sollte man meinen, aber ist es das wirklich? 

Sicher ist nur: wer zwei Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff oder erst eine Infektion und dann eine Impfung mit einem m-RNA Impfstoff bekommen hat gilt als geimpft, jedenfalls 14 Tagen nach der letzten Impfung. Bei allem anderen wird es schwierig! 

Noch mal fürs Protokoll, wir sprechen hier nicht über die medizinische Immunität, sondern nur über den juristischen Status „geimpft“. 

Wer gilt als geimpft? Es geht beim Impfstoff von Johnson & Johnson los. Hier gilt man bereits nach nur 7 Tagen nach der Injektion als vollständig geimpft. (3a) Die empfohlene zweite Impfung mit einem m-RNA- Impfstoff nach Johnson & Johnson stellt lediglich eine „Optimierung der Impfung“ da. (1, Seite 6). Für den Status „Geimpft im Sinne des Gesetzes“ reicht grundsätzlich die einmalige Impfung mit Johnson & Johnson, das sagt nicht irgendwer, sondern die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2). Die „Optimierung“ und/oder „Boosterung“ sind also keine Voraussetzung für den rechtlichen Status „geimpft“. Das Bundesgesundheitsministerium dazu: „Ein bisher erreichter Status eines vollständigen Impfschutzes nach nationalen Regelungen gilt zurzeit weiterhin fort. Die Gültigkeitsdauer von europäischen (EU)-Impfzertifikaten bleibt von dem Angebot einer Booster-Impfung derzeit unberührt.“ Trotz des Status „vollständig geimpft“ geht es derzeit nach nur zwei Impfungen und einem Kontakt mit einem Corona-Patienten in die Quarantäne, während diese nach der Boosterung nicht fällig wird (3). Vollständig geimpft ist also keinesfalls vollständig geimpft! Der Stellenwert der Boosterung für den rechtlichen Status „geimpft“ entsteht gerade erst. Im EU-Recht ist das schon konkret, da geht der Status „geimpft“ nach 9 Monate in „ungeimpft“ über. Hier wörtlich: „In der EU ist es bereits beschlossene Sache: Impfzertifikate und QR-Codes werden künftig neun Monate nach der Grundimmunisierung ungültig. Danach gilt man ohne Booster-Impfung nicht mehr als vollständig geimpft. Diese Entscheidung tritt am 01.02.2022 in Kraft.“ (3a) 

Wer gilt als genesen? „Als genesen gelten Personen, die nachweislich mit einem PCR-Test positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getestet wurden. Die Testung muss in den vergangenen 28 Tagen bis 6 Monaten erfolgt sein.“ (4) Der „Status genesen“ endet automatisch 6 Monate nach dem PCR Nachweis. Das ist wenigstens mal klar. 

Wann ist die Auffrischungsimpfung im Volksmund „Boosterung“ fällig? „Die 3. Impfstoffdosis soll in einem Mindestabstand von 3 Monaten zur vorangegangenen Impfung verabreicht werden.“, schreibt das Bundesgesundheitsministerium (4a).

Wer gilt als geboostert? Dazu liest man in der Coronaschutzverordnung: „Über eine wirksame Auffrischungsimpfung im Sinne dieser Verordnung verfügt, eine Person, die insgesamt drei Impfungen mit einem in der Europäischen Union zugelassenen Impfstoffe […] erhalten hat“ und

  1. geimpfte genesene Personen, also Personen, die eine mittels PCR-Test nachgewiesene Covid-19 Infektion hatten und davor oder danach mindestens eine Impfung erhalten haben,
  2. Personen mit einer zweimaligen Impfung, bei denen die zweite Impfung mehr als 14 aber weniger als 90 Tagen zurückliegt
  3. genesene Personen, bei denen der die Infektion bestätigende PCR-Test mehr als 27 aber weniger als 90 Tage zurückliegt. (5) 

Der Status „wirksame Auffrischungsimpfung“ endet also nach knapp 3 Monaten. Für diese völlig neue Dreimonatsfrist führten die Medien den Status „frisch geimpft“ oder „frisch genesen“ ein. (6) 

Zusammenfassung: Ab dem 01.02.2022 gilt man nach EU-Recht nach zwei Impfungen oder nach einer Infektion und einer Impfung, für 9 Monaten lang als „geimpft“. Eine Auffrischung/„Boosterung“ (= 3. Impfung bzw. 2. Impfung nach Infektion) soll frühestens 3 Monate nach der letzten Impfung stattfinden. In der aktuellen Corona-Schutzverordnung steht, dass der Status „wirksame Auffrischungsimpfung“ nach 90 Tagen, also nach weniger als 3 Monaten nach der letzten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Corona-Virus, sei es durch Impfung, sei es durch eine Infektion, endet. Das bedeutet, zukünftig punktgenaue Impfungen von zweimal Geimpften, nach 90 Tagen bzw. 3 Monaten, damit der Status „geimpft“ nicht zwischendurch verloren geht. Auch die Genesenen geraten nach 90 Tagen in dieses rechtliche Bermudadreieck. (6a) Das ist keine alltagstaugliche Lösung. Zudem setzt diese Regelung die Beteiligung des 28-tägigen Februars voraus, damit die 3 Monate nicht länger als die 90 Tagefrist werden. Die Weitsicht einer Übergangsfrist, zwischen der wünschenswerten, medizinischen Immunität und dem rechtlichen Status „ungeimpft“, ist mittlerweile wieder verloren gegangen. 

Eine „unbürokratische Impfpflicht“, die „nicht bis in die letzte Verästelung sich ausdenkt, wie man das alles macht“, so sieht der Bundeskanzler den Weg zu einer allgemeinen Impfpflicht für alle Erwachsenen. (7) Diese Absichtserklärung von Herrn Scholz erinnert beängstigend an die Strategie von Herr Spahn: „Wir werfen ein Stück Holz ins Wasser und schnitzen uns daraus während der Fahrt ein Boot“. Letzterer ist damit kläglich untergegangen.

So ein jovialer Umgang mit Regelwerken konnte z.B. bei der Auszahlung von Corona-Hilfen gerechtfertigt erscheinen. In der Notsituation nahm man kriminelle Trittbrettfahrer in Kauf, damit den tatsächlich Bedürftigen niederschwellig geholfen werden konnte. Vorübergehend übliche Prüfungen auszusetzen, nennt man Krisenmanagement. Um die Aufarbeitung des Missbrauchs kümmert man sich später. Das hat bei den Corona-Zahlungen und bei den Bürgertestabrechnungen funktioniert.

Bei der Impfpflicht liegen die Dinge aber anders. Es gibt sehr gute Gründe für eine Corona-Impfung, aber es sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben, dass die Impfung weder die Infektion noch das Ansteckendsein verhindert. Wo die passagere Großzügigkeit beim Verteilen des staatlich-gemeinsamen Geldes gerechtfertigt erschien, kann sie beim Aussetzen von Grundrechten nicht Teil eines echten Plans sein. Gerichte fordern für Gesetze Legitimität. Die Legitimation in der Frage „wer ist geimpft?“ entsteht, wie man oben sehen konnte, allein aus dem Verfahren. Mit dem Verzicht auf ein Verfahren verzichtet man auf die dringend benötigte Legitimität. Das heißt nicht, dass Verfahren immer gleichbleiben oder einfach sein müssten. „Hier sei zunächst nur auf Luhmanns Vorstellung hingewiesen, dass das Recht seine Legitimation gerade auch aus seiner Änderbarkeit und Vorläufigkeit erhält.“ (8) „Luhmann empfiehlt daher, Veränderungen nur in kleinen Schritten (inkremental) vorzunehmen, und das auch nur dann, wenn der Veränderungswillige den Beweis erbringen kann, dass das zu Verändernde in allen seinen Funktionen ersetzt und dadurch der bisherige Status quo optimal verbessert wird.“ (8) Einer Impfpflicht ohne Verfahren ermangelt es schon von Anfang an an Legitimität. Gerade die Einschränkung von Grundrechten zu Gunsten Dritter erfordert jedoch ein hohes Maß an Legitimität. Was bei der Masernimpfpflicht noch darstellbar war, kann bei der Corona-Impfpflicht nicht gelingen. Denn die Masern kann man tatsächlich ausrotten. Nach zwei Impfungen kann sich ein immungesunder Mensch nicht mehr infizieren und nicht mehr ansteckend sein. Und auch wenn Nebenwirkungen nach Impfungen sehr, sehr selten sind, kann man diese nicht, wie bei den überzahlten Coronahilfen rückgängig machen. Wenn man eine Impfpflicht will, bedarf es der Idee des Verfahrens von Anfang an, was auch konkrete Vorstellungen für die praktische Umsetzung erfordert. Dazu gehört eine Antwort auf die Frage „Wer gilt als geimpft?“, aber auch, wie es gelingen kann, dass Menschen den Status „geimpft“ nicht unbeabsichtigt verlieren, z.B. weil taggenaue Boosterimpfungen erforderlich sind.

Und so kommen wir zurück zum Anfang. Man kann sehr wohl eine Impfpflicht befürworten, aber gleichzeitig ein Impfregister ablehnen. Genauso kann man eine Impfpflicht für schädlich halten, auch wenn man Corona-Impfungen befürwortet und diese befördern möchte. 

Quellen: 

(0) Der Staat weiß zu wenig über die Geimpften, von Justus Bender in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, vom 16.1.2022 auf Seite 1

(1) https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/02_22.pdf?__blob=publicationFile (Stand 13.01.2022).

(2) https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/fragen-und-antworten/regelungen-fuer-geimpfte-und-genesene/#tab-4849-1 (Stand 14.01.2022).

(3) https://www.zusammengegencorona.de/impfen/aufklaerung-zum-impftermin/auffrischungsimpfung/ (Stand 13.01.2022).

(3a) https://www.swp.de/panorama/vollstaendig-geimpft-corona-gueltigkeit-nachweis-impfstatus-zertifikat-booster-impfung-mpk-61869751.html (Stand 16.01.2022).

(4) https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/fragen-und-antworten/regelungen-fuer-geimpfte-und-genesene/#tab-4849-1 (Stand 14.01.2022).

(4a) https://www.zusammengegencorona.de/impfen/aufklaerung-zum-impftermin/auffrischungsimpfung/#id-e5c68196-9192-5118-b294-242b3035bc33 (Stand 13.01.2022).

(5) https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/220115_coronaschvo_ab_16.01.2022_lesefassung_mit_markierungen.pdf(Stand 16.01.2022).

(6) https://rp-online.de/panorama/coronavirus/corona-neue-quarantaene-regeln-fuer-geimpfte-ungeimpfte-kinder-was-jetzt-gilt_aid-65313329

(6a) https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html

(7) Scholz will „unbürokratische“ Impfpflicht für alle Erwachsenen von elo/itz in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.01.2022 auf Seite 1.

(8) https://rechtssoziologie-online.de/kapitel-2/%C2%A7-9niklas-luhmanns-rechtssoziologie/


Vol. 1 Malus – Bonus finden Sie hier:

Vol 3: Wer ist tatsächlich geimpft? finden Sie hier:


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Posted by Stefan Streit