Abstract [de]: Bei der geforderten ‚unbürokratischen Impfplicht‘ folgt auf die Frage „Wer gilt aus juristischer Perspektive als geimpft?“ noch jene, „wer tatsächlich geimpft ist“. Stefan Streit führt in diesem Beitrag seine Überlegungen zur geforderten ‚unbürokratischen Impfpflicht‘ fort und sieht bei der Überprüfung des tatsächlichen Impfstatus keine einfache Antwort. Für die Authentifizierung des Impf-Ereignisses, nach dem Verlust oder beim Verdacht einer Fälschung von analogen und digitalen Impfnachweisen, sei eine unbürokratische Lösung unangemessen. Vielmehr werde hier einfach Verantwortung an Bürger, Ärzte und Apotheken abgegeben.


April 2022

Wer ist tatsächlich geimpft?

Impfpflicht Vol. 3

Nach „Wer gilt als geimpft?“, stellt sich direkt die Frage „Wer ist tatsächlich geimpft?“ Auch das ist keinesfalls eine triviale Frage.

Zuerst einmal ist es beim Impfen wie bei der Vaterschaft. Am Ende weiß nur der, der eine Injektion bekommen hat, dass er tatsächlich geimpft ist. Wissen müsste es auch der Arzt. Aber mal ehrlich, ich bin Arzt, und ich impfe regelmäßig gegen Corona, aber nach so einer Impfsession weiß ich schon nach ein paar Stunden nicht mehr, wen ich geimpft habe. Klar, ich kann in meiner Impfdokumentation nachschauen, wen ich geimpft habe, aber mit Wissen hat das nichts zu tun. Natürlich bescheinige ich allen Menschen, die in unserer Praxis geimpft wurden, eine Impfung. Sofort nach dem „Pieks“ sowieso und wenn notwendig, auch später, wenn sie ihre Bescheinigung verloren haben.

Und an der Stelle geht es schon los. Natürlich machen wir das nicht im Impfausweis. Weil dort nicht wie bei der Gelbfieberimpfung (einer anderen Pflichtimpfung in manchen Ländern) Name, Vornamen, Geburtsdatum, ggf. Reisepassnummer usw. zusammen vermerkt sind. Aus diesem Grunde bekommen die Patienten bei uns ein gesondertes Impfzertifikat mit allen Angaben (Datum, Chargennummer, Impfpraxiskontaktdaten usw.) in drei Sprachen. Jedes Mal gibt es die Frage, ob die Impfung nicht in den Impfausweis eingetragen werden kann und es entsteht jedes Mal die kurze Diskussion, warum nicht.

Wichtig ist der Hinweis, dass der gelbe Impfausweis eine super Erinnerungshilfe in drei Sprachen für Tetanus-, Hepatitis und andere Impfungen ist. Allerdings eignet er sich nicht als Nachweisdokument für die Corona-Impfung. Die Begründung: 5 bis 10 Prozent aller Impfausweise seien gefälscht, (Quelle: Süddeutsche Zeitung vor einigen Wochen, ich weiß die Titel, Autor und Ausgabe leider nicht mehr, vielleicht kann jemand aushelfen, Danke!) ruft regelmäßig aufgeregte Widerrede hervor. Die lässt sich nur dadurch befriedet, indem ich betone, dass das nicht für die Menschen gilt, die mit ihrem gelben Impfbuch vor mir sitzen, sondern für die, die noch nie vor einem Arzt zur Impfung gesessen haben. Das überzeugt dann meist.

Wer ist tatsächlich geimpft? Bis vor drei Jahren war das klar: Alle die in einen Impfpass einem Eintrag für eine Impfung haben.

Seitdem ist aber etwas passiert, was die meisten nur am Rande mitbekommen haben dürften: die Masern-Impfpflicht. Bei der Masern-Impfpflicht (1) bekommt man einen Vorgeschmack, was man bei einer Corona-Impfpflicht alles falsch machen kann. Gegenwärtig kommen jede Woche ein oder zwei Menschen, die in Gemeinschaftseinrichtungen arbeiten in die Arztpraxis, legen den Impfpass auf den Tisch und fragen nach einem Masern-Immunitätsnachweis für den Arbeitgeber. Der Stichtag, bis zu dem der Nachweis erbracht werden musste, wurde zweimal verlängert. Ursprünglich lief die Frist am 01.03.2020 (2) ab, dann ab dem 31.12.21 (2), zuletzt wurde die Übergangsfrist bis zum 31. Juli 2022 (3) verlängert. Warum ist diese Frist wichtig? Beim Verstoß drohen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Strafe von 2500 Euro! (3a) Also Augen auf bei Fristenplanung für Impfpflichten! Die Masern-Impfpflicht ist gekennzeichnet von deutscher Gründlichkeit. Nur auf eigene Kosten kann die Immunität über einen Antikörpernachweis belegt werden, für den das RKI leider bis heute keinen akzeptierten Grenzwert festgeschrieben hat. Freigestellt von der Masern-Impfpflicht sind nur Menschen, mit einem Attest über eine Kontraindikation für diese Impfung. Für alle anderen gilt: Als geimpft im Sinne des Gesetzes gilt nur der, der einen Nachweis im Impfpass mit Datum, Impfstoffname, Chargennummer des Impfstoffs, Stempel des Impfarztes und Unterschrift beibringen kann. (4) So ein vollständiger Impfbucheintrag ist heute Standard und wird vielleicht seit 20 Jahren routinemäßig im Impfpass vorgenommen. Davor reichte ein Kreuzchen im Feld Masern-Mumps-Röteln, dahinter wenn es hochkam ein Handzeichen oder ein Stempel im alten, weißen, ziehharmonikagefalteten Impfausweis. Niemand wäre früher auf die Idee gekommen seinen Impfpass zu fälschen, die Einträge dienten eben nur als Erinnerungshilfe, auf die man sich auch nach Jahrzehnten noch verlassen konnte.

Nun könnte man argumentieren, es gibt ja auch Menschen, die haben ihren Impfausweis verloren. Das hat das Robert-Koch-Institut klar geregelt: Impfungen, die nicht dokumentiert sind, gelten als nicht gegeben. Kann man die Impfdokumentation nicht erfragen oder aus den Akten rekonstruieren, dann ist die Masern-Impfung erneut fällig. Eine unvollständig dokumentierte Impfung stellt keinesfalls eine absolute Impfindikation da, wie es bei einer völlig fehlenden Dokumentation der Fall wäre. Hier wird der Arzt abwägen, für wie valide er den Impfbucheintrag hält. Das war bis vor der Impfpflicht völlig unkompliziert. Seit der Impfpflicht muss man immer damit rechnen, dass auch diese Einträge gefälscht sind. Durch die Masern-Impfpflicht hat der Impfpass deutlich an Erklärungswert verloren. Das ist ein trauriger Kollateralschaden.

Nun kommen diese Menschen mit ihren alten Impfausweiseinträgen in die Praxis und brauchen ein Masernattest, dass genau den Anforderungen des Gesetzes entspricht. Wie gesagt, der Impfstoffname und die Chargendokumentationsnummer fehlt fast immer, oft auch der Stempel und/oder die Unterschrift. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass nur bei weniger als jedem fünften Lehrer oder Erzieher, die Informationen zum ordnungsgemäßen Ausfüllen des Masern-Attests der Bezirksregierung NRW vorliegen. Auch hier gibt es Lösungen, aber die sind nicht unbürokratisch…

Es gab es in der Presse weder Verlautbarungen, dass die Lehrer oder Mitarbeiter in Kindertageseinrichtungen von ihrem Arzt keine Atteste ausgestellt bekämen, noch wurde geklagt, es seien massenhaft ärztliche Atteste im Umlauf seien, die den Anforderungen des Gesetzes nicht genügen. Das ist irritierend. Deshalb ist davon auszugehen, dass sehr viele der ausgestellten Nachweise zur Masern-Immunität nicht den Vorgaben des Gesetzes entsprechen. Noch mal zur Erinnerung: hier geht es nicht um die Frage, ob für diesen Menschen die Indikation zu einer weiteren Impfung aus medizinischer Sicht besteht. Es geht allein um die gutachterliche Aussage: Der Patient gilt vor dem Gesetz als geimpft: ja oder nein.

Sie sehen die Frage „Wer ist tatsächlich geimpft?“ ist zwar untrennbar mit der Frage „Wer gilt als geimpft?“ verknüpft, jede Frage erfordert aber eine eigene Antwort. Nach diesem Warmlaufen kommen wir nun zu den entsprechenden Fragen bei der Corona-Impfpflicht.

„Wer ist tatsächlich geimpft?“ – Einfach zu beantworten ist diese Frage nur, wenn ein Patient gerade geimpft wurde. Nur dann wissen Patient und Arzt: Die Impfung hat stattgefunden. Die Impfdokumentation auf einen Blatt Papier dient als guter Nachweis. Mit einem Vertrag auf Papier werden Autos verkauft und Mietverträge gemacht. Mit elektronischen Dokumenten ist das schwieriger. Klar, auch so ein Dokument kann man fälschen, aber der Aufwand ist deutlich höher als die Fälschung des gelben Impfausweises. (An dieser Stelle möchte ich darauf aufmerksam machen, dass mir seit Jahresbeginn von drei Patienten berichtet wurde, ihnen seien die Impfpapiere entwendet worden seien. Was früher als nutzloses Papier in der Brieftasche weggeworfen wurde, ist aktuell offensichtlich ein wertvoller Beifang der Taschendiebe.)

Bis zum Sommer 2021 war das alles kein Thema, massenhaft gelbe Impfausweise, echte und sicher auch sehr viele gefälschte Impfpapiere, wurden durch die Übertragung in die digitalen Cov-Pässe als echt geadelt. Aktuell überprüfen die Apotheken die Plausibilität, mit der Frage, ob es die Impfpraxen überhaupt gibt und durch einen Impfstoff-Chargennummernabgleich im Internet. Alles das hilft bei einem recycled und geklauten Impfausweis natürlich nicht. Hier stimmen alle Angaben zur Impfung, allerdings müsste für ein Impfattest die Überprüfung stattfinden, ob diese Impfung auch tatsächlich bei diesem konkreten Patienten stattgefunden hat. Ein Telefongespräch mit einer Arztpraxis ist gegenwärtig schwierig, denn alle rufen gerade dort an. Und klar, wenn hier jetzt routinemäßig ein telefonischer Abgleich zwischen Apotheke und Arztpraxis stattfindet, dann blockiert ein weiterer, systematischer Anrufgrund die Telefone in den Arztpraxen. Ein Anruf in einem Impfzentrum ist dagegen grundsätzlich nicht realistisch, diese wurden im Herbst abgebaut und selbst wenn es möglich wäre dort anzurufen, ist es unwahrscheinlich, dass auf die Impfdokumentationen der Impfzentren des letzten Jahres, on demand, zugegriffen werden könnte.

Halten wir also fest, die Vorlage eines Impfnachweises, egal in welcher Form, auf Papier oder digital, hilft bei der Klärung der Frage „Wer ist tatsächlich geimpft?“, nicht weiter. Jedenfalls nicht ohne eine nochmalige Authentifizierung des Impf-Ereignisses. Das Pflichtenheft für diese Authentifizierung muss konkretisiert werden. Wir sprechen hier von 150 bis 210 Millionen Impfungen. Selbst wenn jeder Vorgang optimistisch kalkuliert, nur zehn Minuten für Anfrage, Authentifizierungsnachweis und den Transfer der Authentifizierung in Anspruch nimmt, dann verbraucht das 1,5 bis 2,1 Milliarden Minuten oder 400.000 bis 580.000 Arbeitsstunden. Da an diesem Vorgang zwei Teilnehmer beteiligt sind – Apotheke und Arztpraxis – verdoppelt sich der Aufwand, also je ca. 10 bis 14 Stunden pro Arztpraxis (bei angenommenen 40.000 Arztpraxen) und noch mal die gleiche Zeit in den Apotheken, bis zum 15.03.2022.

Als letzter Ausweg bliebe die Bestimmung der Antikörper gegen Corona. Der Wert, der so ermittelt wird, ist natürlich nicht ohne Tücke: er ist nur eine Momentaufnahme, Antikörperspiegel können verloren gehen, bei manchen gar nicht erst ansteigen, obwohl sie nachweisbar geimpft sind.

Außerdem gibt es keinen akzeptierten Grenzwert, oberhalb dessen man als immun gilt und unterhalb dessen man nicht als immun gilt. Geklärt werden müsste außerdem, ob dreimal Geimpfte, ohne einen Antikörper-Nachweis in der Folge, trotzdem als geimpft gelten oder ob zwingend weitere Impfungen fällig werden.

Angenommen die Impfpflicht betrifft alle über 18-Jährigen, dann müssen 83 % von 83 Millionen Bürger zur Blutentnahme für 69 Millionen. (5) Kalkuliert man Terminabsprache, Blutentnahme, Laborbestimmung, Attest, Attestübermittlung sehr, sehr konservativ mit 20 Euro und einem Zeitaufwand von 20 Minuten, dann kostet das 138 Millionen Euro und 10 Stunden pro Praxis. Auch das müsste bis 15.3.2022 abgewickelt werden.

Festgelegt werden müsste an dieser Stelle noch der Umfang einer als ausreichend angesehen Identitätsklärung vor solchen massenweisen Antikörperbestimmungen. Üblicherweise haben Arzt und Patient ein großes Interesse haben, dass die Identität der Person und der Aktenlage übereinstimmt. So ein Antikörpernachweis entspricht eher einer Dopingkontrolle als einer ärztlichen Behandlung. Es ist zu erwarten, dass sich Menschen unter falscher Identität in Arztpraxen vorstellen, die hohe Antikörperspiegel haben, um (gegen Geld?) einen Immunitätsausweis für Dritte zu ergattern. Dagegen braucht es zusätzliche Maßnahmen jenseits des normalen Praxisbetriebs. Arztpraxen verfügen nicht über die Fähigkeit zu einer kriminologisch-ermittelnden Personalausweiskontrolle, wie beispielsweise die Beamten bei der Grenzkontrolle am Flughafen.

Klar, man kann eine unbürokratische Impfpflicht fordern, allerdings überlässt man es dann nicht nur den Bürgern, diese Pflicht gegenüber anderen Bürgern durchzusetzen, sondern erwartet auch noch nebenbei, das Verfahren dazu zu entwickeln. Ich halte das für keine gute Idee. So ein Vorgehen entspricht dann dem sprichwörtlichen Stück Holz, das man ins Wasser wirft, um dann während der Fahrt auf hoher See ein Boot daraus zu schnitzen.

Quellen:

(1) https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__20.html

(2) https://www.kvno.de/meta-navigation/suche/news/nachricht/masernschutzgesetz-frist- verlaengert

(3) https://www.der- paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Gesetz_zur_Staerkung_der_Impfpraevention_Bundesgesetz blatt.pdf

(3a) https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/impfpflicht-masern-strafen-kontrolle- 100.html#sprung4

(4) https://www.schulministerium.nrw.de/BP/VerenaTexte/SEV_Dokument_und_Formblatt_Masern.docx

(5) https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft- Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/bevoelkerung-altersgruppen-deutschland.html


Vol. 2 Unbürokratische Impfpflicht? Von wegen! finden Sie hier:

Vol 4: Wer prüft den Impfstatus und was dann? finden Sie hier:


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Posted by Stefan Streit