Abstract [de]: Ulrich Hemel im Interview mit csr-news.net über seine Monographie Die Wirtschaft ist für den Menschen da. Vom Sinn und Seele des Kapitals (2013).


August 2013

Die Wirtschaft ist für den Menschen da

Zukunftsstrategie für die globale Zivilgesellschaft

http://csr-news.net/main/2013/12/04/die-wirtschaft-ist-fur-den-menschen-da-zukunftsstrategie-fur-die-globale- zivilgesellschaft/

Laichingen (csr-news) > Ist menschenwürdiges Wirtschaften möglich? Ja, schreibt Ulrich Hemel in seinem neuen Buch, dann, wenn die Wirtschaft dem Menschen dient, ohne ihn zu beherrschen. Hemel ist Unternehmer und Theologe, er leitet das von ihm gegründete Institut für Sozialstrategie und er ist Buchautor. CSR-NEWS hat mit ihm über sein neues Buch „Die Wirtschaft ist für den Menschen da – vom Sinn und der Seele des Kapitals“ gesprochen.

Sie schreiben, es geht um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Kommen der Theologe und der Unternehmer in Ihnen zu unterschiedlichen Ergebnissen und Antworten?

Hemel: Nein, weil Sie auch als Unternehmer an einer menschenwürdigen Gesellschaft mitarbeiten. Natürlich steht beim Unternehmer die betriebswirtschaftliche Perspektive, also das Wohl des eigenen Unternehmens, im Vordergrund. Aber das funktioniert nur, wenn es Menschen gibt, die Produkte oder Dienstleistungen nachfragen. Das heißt, der Unternehmer ist Teil seiner Umgebung und muss sich wie alle anderen an die geltenden Regeln halten. Und in dieses gesellschaftliche Umfeld passt auch der Theologe, der dann die Perspektive der Ethik und des Gemeinwohls mit einbringt.

Sie unterscheiden in ihrem Buch die dunkle und die helle Seite des Kapitals. Zwei Seiten der gleichen Medaille oder geht das eine ohne das andere?

Hemel: Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille, beide sind untrennbar miteinander verbunden. Geld und Kapital sind, in gewisser Weise, Ausdruck der Symbolfähigkeit des Menschen. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Was ist eine Lehrerstunde wert? Daran ist zu verstehen, wie eine Gesellschaft funktioniert und welchen Wohlstand sie sich erarbeitet hat. Ein Volksschullehrer in Weißrussland wird schlechter bezahlt als ein Grundschullehrer in Deutschland. Und zwar nicht, weil einer von beiden schlechtere Arbeit leistet, sondern weil jedes Land die Arbeit des Lehrers unterschiedlich bewertet, auch auf der Grundlage des sehr unterschiedlichen Wohlstandsniveaus. Solche Bewertungen sind Handlungen, bei denen wir einen Geldwert einer erkennbaren Leistung zuordnen. Es handelt sich dabei um einen symbolischen Akt, nicht um eine ewige Wahrheit.

Soziale und ökologische Fragen sollten nach Ihrer Auffassung grundsätzlich zum ökonomischen Gesamtkalkül gehören, Teil des ökonomischen Denkens und Handelns sein. Sie sprechen in diesem Zusammenhang vom unternehmerischen kategorischen Imperativ. In der Praxis überwiegt aber doch eher die ökonomische Perspektive. Wie lässt sich der Blickwinkel verändern?

Hemel: Jedes wirtschaftliche Handeln hat einen gesellschaftlichen Kontext – das geht auch nicht anders. In dieser Gesellschaft wird dann definiert, welche Handlungskorridore im Sinn von Gesetzen und Regelungen den Unternehmen zur Verfügung stehen. Das betrifft auch den Umgang mit Arbeitnehmern und der hat auch klare ökonomische Aspekte. Ausbeutung beispielsweise funktioniert immer nur dort, wo es keine Alternativen gibt. Ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von der lokalen und der globalen Zivilgesellschaft. Wir müssen im eigenen Interesse darauf achten, dass es globale Spielregeln gibt, beispielsweise beim Klimaschutz. Ein unendlich schwieriges Unterfangen mit vielen Rückschlägen. Der jüngste Klimagipfel in Warschau hat dies gezeigt. Wir müssen aber zunehmend die globale Zivilgesellschaft ernst nehmen, wenn wir das nicht tun, wird es uns nicht besser gehen.

Sie sagen, nicht elitäre Netzwerke, sondern zivilgesellschaftliche Organisationsformen werden unsere Zukunft bestimmen. Wo verorten sie die Unternehmen?

Hemel: Die Unternehmen haben einen wunderbaren Ort. Ich betrachte sie als Akteure der lokalen und globalen Zivilgesellschaft. Deswegen unterscheide ich auch nicht zwischen Unternehmen unterschiedlicher Größenordnung. Sicherlich prägt ein Mittelständler mit eigener Verantwortung sein Unternehmen anders, als es in einem multinationalen Konzern möglich ist. Aber Unternehmen sind Akteure der Zivilgesellschaft in ihrem lokalen Kontext, aber auch global. Und in dieser Aufgabe haben sie auch eine unmittelbare Verantwortung dafür, dass sie menschenwürdig mit ihren Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden umgehen. Das schließt natürlich nicht aus, dass es problematische Unternehmen gibt, genauso wie es problematische NGOs gibt. Meine Definition von Zivilgesellschaft umfasst alles was nicht Staat ist oder organisierte Kriminalität. Alle Akteure sind insofern auch grundsätzlich erst einmal gleichberechtigt, ich würde da keine unterschiedlichen Bewertungen vornehmen.

Wie lassen sich wirtschaftliche Ziele mit der Entwicklung einer Gesellschaft verbinden? Sie sprechen in diesem Zusammenhang von sozialen Innovationen.

Hemel: Wir haben in unserer Gesellschaft ja inzwischen gelernt, dass unbegrenztes materielles Wachstum ein Irrweg ist und uns nicht weiterbringt. Wir brauchen also eine Abkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch – inwieweit das möglich ist, das ist umstritten. Denken sie an das Beispiel vom Lehrer. Wenn sie diesen besser bezahlen, dann gilt das formal als Wirtschaftswachstum, es werden aber nicht mehr Ressourcen verbraucht. Es gibt zahlreiche Faktoren wie etwa Bildung, aber auch Gesundheit und Sicherheit, die Lebensqualität bestimmen und die rücken auch immer mehr ins kollektive Bewusstsein. So gelangen wir langsam zu einem mehrdimensionalen Bild davon, was eine gute und lebenswerte Gesellschaft ausmacht.

Sie schreiben, wir bräuchten eine Zukunftsstrategie für die globale Zivilgesellschaft. Wie könnte die aussehen?

Hemel: Die ganze Menschheit hat sich ja in einer Balance zwischen Wettbewerb und Kooperation entwickelt. Wenn sie sich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Diskussion der letzten Jahre anschauen, dann stellen sie fest, dass wir vor zehn, zwanzig Jahren einen starken Pendelschlag in Richtung Wettbewerb hatten. Jetzt schlägt es in die andere Richtung aus und wir verlangen wieder sehr viel vom Staat. Die Aufgabe der globalen Zivilgesellschaft wird es sein, festzustellen, wo Wettbewerb sinnvoll ist und wo man besser auf Kooperation setzt. Zum Beispiel werden in der Entwicklungshilfe reale wirtschaftliche Interessen oftmals durch den Wunsch nach Hilfehandeln überdeckt. Da wären Wettbewerb und wirtschaftliches Handeln, allerdings auf Augenhöhe mit den Partnern, das sinnvollere Vorgehen. Wir müssen politische Prozesse bei der Entwicklung der globalen Zivilgesellschaft in vieler Hinsicht erst noch lernen.

Ist CSR die richtige Strategie der Unternehmen auf diesem Weg?

Hemel: Persönlich bin ich da etwas skeptisch. Es ist ein wichtiger Teil, aber noch nicht das Ganze. Das menschenwürdige Handeln muss grundsätzlich auch in wirtschaftlichem Handeln inkludiert sein. Es macht beispielsweise keinen Sinn, wenn ich mir eine tolle CSR-Abteilung leiste, aber gleichzeitig meine Lieferanten knechte. Ich möchte eine werteorientierte Unternehmensführung, die mit der Strategie eines Unternehmens verbunden ist und dazu gehört selbstverständlich ein integriertes Reporting, welches nachhaltige und finanzielle Gesichtspunkte in der Balance hält. Aber man darf sich da keinen Illusionen hingeben, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Diese Balance zu halten, das müssen wir als Gesellschaft noch einüben. Wir reagieren noch immer zu viel auf Schlagworte, und „CSR“ ist häufig eines davon, trotz vieler hervorragender Initiativen.

Wie kann der Gedanke des werteorientierten, menschenwürdigen wirtschaftlichen Handelns in der Gesellschaft verankert werden?

Hemel: Wir müssen zunächst zwei Dinge anerkennen. Der Mensch ist einerseits der an Nutzenmaximierung interessierte Homo oeconomicus, aber eben nicht nur, er ist genauso ein Homo cooperativus. Es gibt auch hier um eine Balance in jedem von uns, ein Gleichgewicht zwischen der Suche nach dem ökonomischen Vorteil und kooperativem Handeln, um sozialen Anschluss und Sinnhaftigkeit zu erleben. Beides gehört zusammen gedacht. Sich ganz überwiegend mit der Wettbewerbsnatur des Menschen zu beschäftigen ist ein Fehler, wie er leider noch immer an zahlreichen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, teilweise sogar an philosophischen und theologischen Fakultäten, gelehrt wird: Auch hier wird es um ein neues Gleichgewicht gehen müssen!

Posted by csr-news

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