Abstract [de]: Mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur Europäischen Union im Jahr 2007 wurde der Binnenmarkt ein weiteres Mal nach Osten erweitert. Die Hoffnung nährte sich, dass sich das Lebensniveau in den postsowjetischen Staaten langsam dem in Mitteleuropa anpassen würde. Ein Blick auf die Entwicklung des BIP stützt diese Vermutung. Gleichzeitig wurde aber auch der immense wirtschaftliche Unterschied deutlich, der nach wie vor zu verzeichnen ist.


Dezember 2013

Studie zur Armutszuwanderung

Mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur Europäischen Union im Jahr 2007 wurde der Binnenmarkt ein weiteres Mal nach Osten erweitert. Die Hoffnung nährte sich, dass sich das Lebensniveau in den postsowjetischen Staaten langsam dem in Mitteleuropa anpassen würde. Ein Blick auf die Entwicklung des BIP stützt diese Vermutung. Gleichzeitig wurde aber auch der immense wirtschaftliche Unterschied deutlich, der nach wie vor zu verzeichnen ist. Bei einer solchen Disparität gleicht sich der Binnenmarkt intern durch Wanderungsbewegungen aus. Städte werden verlassen, wenn dort keine persönliche Perspektive mehr besteht bzw. sich woanders die (begründete) Hoffnung auf ein besseres Leben eröffnet. Zu beobachten ist das beispielsweise in Detroit, der Uckermark und in Stalipinovo, einem Stadtteil Plovidivs, der zweitgrößten Stadt Bulgariens. Stalipinovo gehört zu den größten Romaghettos der EU mit zum Teil katastrophalen Lebensbedingungen. Es ist ein Vertreter, der typisch für viele solcher Quartiere angesehen werden kann. Dort packten viele ihre Sachen und taten das, was ihnen zusteht, sie verhielten sich, wie vorhersehbar gewesen wäre, im europäischen Geist. Sie zogen als EU-Bürger dorthin, wo es die Hoffnung auf Arbeit, Wohnmöglichkeiten und vielleicht auch Familienanschluss gibt. Stadtteile wie die Dortmunder Nordstadt, Berlin Neukölln oder die Neckarstadt West in Mannheim. Dort stehen Männer nun an Straßenecken und warten, bis sie für einen Hungerlohn Schwerstarbeit als Tagelöhner verrichten können, Berichte über sich prostituierende Frauen machen die Runde ebenso wie Bilder von aufgebrachten Anwohnern. Die Neuzuwanderer störten den sozialen Frieden heißt es aus aller Munde. Aber wie geht es den Neuzuwanderern selbst und wieso kommen sie ausgerechnet in Stadtteile, die ohnehin schon Heimat für zahlreiche Arme sind?

Dieser Frage bin ich mit meiner Studie „Neuzuwanderer in städtischen Ankunftsgebieten. Rumänische und bulgarische Zuwanderer in der Dortmunder Nordstadt“ am Beispiel Dortmunds auf den Grund gegangen. Die Ergebnisse der stadtsoziologischen Untersuchung zeigen, dass die Neuzuwanderer nicht zufällig in der Nordstadt ankommen, sondern dass der Stadtteil besondere Eigenschaften hat, die ihn für Zuwanderung attraktiv erscheinen lässt. Zum einen sind dies Geschäfte und Dienstleistungsangebote, die Migranten eher nutzen als Menschen ohne Verwandtschaft im Ausland. Dazu zählen Möglichkeiten des Geldtransfers ohne Konto, Internetcafés oder Handyanbieter für internationale Mobilfunkkommunikation. Zum anderen ist das eine bereits ansässige Bevölkerung mit Zuwanderungsgeschichte, welche zum Teil dieselbe Sprache der Neuzuwanderer spricht. Zusätzlich sind kleinräumige Wohnstandortkonzentrationen von Rumänen und Bulgaren auszumachen, die mit solch beschriebenen Dienstleistungsangeboten zusammenhängen. Außerdem sind die Wohnmöglichkeiten unzureichend, wodurch der öffentliche Raum eine besondere Bedeutung als Aufenthalts- und Alltagsort gewinnt. Er wird geschlechts- und tageszeitabhängig von der Neuzuwanderergruppe genutzt. Bei aller gebotenen Objektivität waren Anzeichen absoluter Armut zu beobachten, die einen Menschen nicht unberührt lassen können. Das ist eine Folge des Rechtsstatus der Neuzuwanderer, der oftmals nicht eindeutig ist.

Denn trotz aller Polemik einer Einwanderung in die Sozialkassen haben sie in der Regel keinen Anspruch auf Hartz 4. In der Folge fehlt der Bedürftigkeitsnachweis, um beispielsweise bei den Tafeln Lebensmittel zu bekommen. Außerdem ist es Praxis Rumänen und Bulgaren nicht in Obdachlosenunterkünfte zu lassen (und der Winter steht vor der Tür). Die Kommunen alleine sind mit der Situation überfordert. Vielleicht ändert sich die Situation unter der Großen Koalition. Im Koalitionsvertrag steht auf Seite 108: „Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sollen Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsausschlüsse in der Grundsicherung für Arbeit- suchende präzisiert werden.“ Es wird sich zeigen, ob die Klärung der Anspruchsvoraussetzungen den Menschen vor Ort helfen wird. Nur eins ist klar, Geld kostet es allemal. Die Frage ist nur, wofür es ausgegeben wird. Unter dem Strich profitiert Deutschland aber von der Europäischen Union, den frei zugänglichen Märkten unserer europäischer Partner und Zuwanderung. 

Die Studie zur Armutszuwanderung kann kostenlos bezogen werden unter:

http://www.zefir.rub.de/mam/content/global_social_work_zefir_band_8.pdf


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Posted by Sebastian Kurtenbach

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