Abstract [en]: In many cases, the starting point of today’s global devastating crises is the failure of individuals or groups because of egoistic behaviour patterns and the loss of mutual trust. In the context of companies and organizations, an answer to this self-perpetuating system is the promotion of cooperation among employees. This can be achieved by developing a “zone of cooperation”, in which a sense for fairness but also for a sportive performance principle is being fostered and also, every member’s contribution is being esteemed and zero-sum game-situations are being shunned. The newly developed “Tübinger Concept of Cooperation” structures those approaches and supports the ethics of professionality, of credibility and of conflict. The Concept of Cooperation with its included Process-matrix renders possible to measure the effect of cooperation on the creation of value and sustainability.

Abstract [de]: Häufig steht als Ausgangspunkt der aktuellen Phase weltweiter krisenhafter Zuspitzungen das Versagen von Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund von Egoismen und dem damit einhergehendem Verlust von wechselseitigem Vertrauen. Eine Antwort im Kontext von Unternehmen und Organisationen auf dieses sich selbst perpetuierende System ist die Förderung kooperativen Arbeitens, indem der „Kooperationsraum“ geschaffen wird für ein sportliches und faires Leistungsprinzip, das die Beiträge jedes Einzelnen honoriert und belohnt, aber gleichzeitig Nullsummenspielsituationen vermeidet. Das neu entwickelte „Tübinger Kooperationskonzept“ strukturiert diese Ansätze und unterstützt die Ethik der Professionalität, der Glaubwürdigkeit und des Konfliktes. Das Kooperationskonzept mit der Prozess-Matrix ermöglicht es, die Wirkung der Kooperation auf die Wertschöpfung messbar zu machen.


August 2022

Kooperation in Unternehmen und Organisationen

Das Tübinger Kooperationskonzept

Einführung: Kooperation durch Vertrauen

Amartya Sen beginnt sein Buch „The Idea of Justice” mit einem Zitat aus Charles Dickens‘ „Great Expectations“: „In the little world in which children have their existence whosoever brings them up, there is nothing so finely perceived and so finely felt as injustice.”[1] Und tatsächlich: Die Entwicklungspsychologie zeigt, dass in Kindern von Geburt an eine Veranlagung für Gerechtigkeit und eine besondere Intuition zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse angelegt ist. Sen erläutert, dass Dickens dem Protagonisten Pip diese Worte nach einer Auseinandersetzung mit seiner Schwester in den Mund legt, die ihn gerade ungerecht behandelt hat.[2] Er betont aber auch die beruhigende und offensichtliche Tatsache, dass auch noch Erwachsene diese Fähigkeiten bewahren können, wenn die Rahmenbedingungen und wohl auch die individuelle Einstellung gesund sind.[3]

Nun zeigt sich aber gerade, dass sich die Weltgesellschaft mitten in einer Phase krisenhafter Zuspitzungen von falschem Handeln und von Ungerechtigkeiten, die große Umbrüche mit sich bringen und in besonderer Dringlichkeit zum Handeln zwingen, befindet. Ein Aussitzen ist einfach nicht mehr möglich. Neben der Klimakrise, die alles überragt, lässt sich als erster Ausgangspunkt dieser Zuspitzungen die Corona-Pandemie mit all ihren verheerenden Folgen nennen, die nach wie vor die Stabilität von Gesellschaft, Wirtschaft und öffentlichen Einrichtungen gefährdet. Als zweiter bedeutender Faktor folgt die Digitalisierung, die neben aller Vorteile ein Risiko der Entmenschlichung im Wirtschaftsleben in sich trägt. Und vor allem dieser während der Pandemie unvermeidbare Digitalisierungsschub zwingt Menschen noch mehr dazu, auf technische Kommunikationskanäle zu vertrauen. Der dritte Ausgangspunkt sind wirtschaftliche Krisen wie etwa „Dieselgate“ oder der Wirecard-Skandal, die einen verheerenden Mangel an Verantwortungsgefühl und die Beachtung ethischer Prinzipien der verantwortlichen Akteure offenlegen. Und schließlich folgen als vierter Punkt angesichts des Ukrainekrieges dramatische politische Krisen, die die Welt erschüttern. Dabei haben all diese Faktoren eine Gemeinsamkeit – sie beruhen auf der Zuspitzung von Dynamiken, an deren Ausgangspunkten das Versagen von Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund von Egoismen vor allem in ökonomischen Fragen steht. Und immer steht neben dem Egoismus auch der Verlust an Vertrauen, der einerseits zustande kommt, wenn Verantwortliche durch Verantwortungslosigkeit versagen, und diejenigen, für die sie verantwortlich sind, kein Vertrauen mehr in sie haben. Andererseits verstärkt eine Verletzung der Verantwortung durch einen Akteur in einem System auch das Vertrauen anderer Akteure, die dann evtl. auch nicht mehr verantwortungsvoll handeln, sozusagen von dem ersten Delinquenten in die Dynamik der Verantwortungslosigkeit gezogen werden. Hier handelt es sich somit dann um eine spieltheoretische Konstellation mit all ihren fatalen Folgen. Die Antwort darauf ist die Förderung von Kooperation zwischen den Akteuren und innerhalb von Organisationen.

Doch wie sieht dies in der Praxis aus? Die spieltheoretischen Konstellationen lassen sich am besten durch Auflösung von Informationsasymmetrien herstellen, die dann erst eine gesunde Kooperation ermöglichen. Man könnte in diesem Zusammenhang dann auch von der Tugend des Vertrauens als Grundlage, die geschaffen werden muss, sprechen. Die Herausforderungen der Zeit machen somit in Bezug auf den Alltag in Politik und Wirtschaft ein reflektiertes Hinterfragen nötig, das menschliche bzw. psychologische Aspekte mit betrachtet, die direkten Niederschlag in alltäglichen Handlungen finden. In Bezug auf die Digitalisierung gilt etwa, dass persönliche Treffen und spontane menschliche Interaktion unverzichtbar für einen gesunden Austausch und für spontane kreative Gedanken sind.[4] Bezogen auf Managementprozesse würde dies dann etwa als Grundlage eine altruistische Organisationskultur durch kooperative Arbeitsprozesse und prozedurale Fairness erfordern.[5]  So schreiben auch Friedrich Glauner und Bernd Villhauer: „Wir benötigen Unternehmen dort, wo durch organisierte Kooperation ein Nutzen gestiftet werden soll, den ein Mensch alleine nicht bewerkstelligen kann.“[6] Das Gegenbild hierzu ist der Egoismus in Unternehmen und Organisationen, durch den das konstruktive, wertschöpfungsorientierte Arbeiten und die Nachhaltigkeit leiden. 

Was gefährdet Kooperation in Organisationen?

Kooperation leidet in Organisationen dann, wenn die prozedurale Fairness unterwandert wird und dadurch Empathie und Altruismus beeinträchtigt und Widerstand und Aggression gefördert werden.[7] Dies geschieht etwa, wenn Kooperation zur Verhaltensmaxime erklärt wird, gleichzeitig jedoch die leistungsfähigen Unkooperativen bei Entgelt- und Karriereentscheidungen vorgezogen werden.[8] Glauner und Villhauer sprechen in diesem Zusammenhang auch von vier mentalen Fallen: 1. Von den „Kategorien der Knappheit“, die „Angst und Gier“ begründen, 2. von den „Kategorien des Ertrags“, die die Externalisierung antreiben, 3. Von „Kategorien des Wettbewerbs“ mit einer Betonung auf der Selbstbezüglichkeit sowie 4. von „Kategorien des Wachstums“ und der darin inne liegenden Logik der Dominanz.[9] Jeder Marktteilnehmer möchte in einem solchen Gefüge dann immer mehr für sich alleine:

„Hierbei erhalten immer weniger Gewinner alles, finanziert durch die übergroße Zahl der Verlierer, die nichts mehr bekommen. Das führt zu den sich schon heute abzeichnenden Verwerfungen, die die Existenz von immer mehr Unternehmen und möglicherweise die Zukunftsfähigkeit der Menschheit als Ganzes bedrohen.“[10]

Eine Antwort auf dieses sich selbst perpetuierende System ist die Förderung kooperativen Arbeitens, indem der Raum geschaffen wird für ein sportliches und faires Leistungsprinzip, das die Beiträge jedes Einzelnen honoriert und belohnt, aber gleichzeitig Nullsummenspielsituationen vermeidet.[11] Hierbei ist auch ein Sanktionsmechanismus nötig, der beispielsweise egoistisches Trittbrettfahrens innerhalb eines insgesamt kooperativen Systems unterbindet, etwa durch Führungsmechanismen wie Incentive-Systeme. 

Die Paradigmen der Interdependenz

Hierfür sollten zunächst die verschiedenen Formen der Interdependenz betrachtet werden. Es lassen sich drei Paradigmen unterscheiden, die sich jeweils unterschiedlich auf das zu erwartende individuelle Leistungsresultat auswirken. Diese finden etwa in der pädagogischen Psychologie Anwendung, erlauben aber auch durchaus Rückschlüsse auf die Interdependenzen von Akteuren in Organisationen: 

Bei einer kooperative Interdependenz steigen die Erfolgsaussichten einer Person mit dem Erfolg der anderen Gruppenmitglieder. Bei der kompetitiven Interdependenz dagegen sinken diese, wenn andere Gruppenmitglieder ebenfalls Erfolg haben. Schließlich gibt es noch die individualistische Interpendenz, bei der kein Zusammenhang zwischen den Erfolgsaussichten einer Person und dem Erfolg der anderen Gruppenmitglieder bestehen.[12] Es ist also somit offensichtlich, dass für nachhaltigen Organisationserfolg, der entsteht, wenn alle an einem Strang ziehen, die kompetitive Interdependenz sehr schädlich ist. Letztere führt dann entweder zu Free-Riding oder dem „Ja-bin-ich-denn-der-Depp?-Phänomen“, im schlimmsten Fall sogar zu Unehrlichkeiten und Sabotage.[13]

Der Begriff „Kooperationsraum“

Um also den Rahmen für kooperatives und damit auch wertschöpfungsorientiertes Arbeiten abzustecken, benötigen die Mitarbeiter „Kooperationsraum“, der hiermit als Begriff in diesem Kontext neu eingeführt werden soll.[14] Dieser entsteht dann, wenn Organisationen bzw. Gruppen ohne Korpsgeist einen emphatischen und von ethischen Grundsätzen geprägten Umgang miteinander pflegen. Die Förderung des gegenseitigen Vertrauens steht im Mittelpunkt und lässt durch situatives Führen, prozedurale Fairness und eine gute Kommunikationskultur auch jedem Einzelnen genügend Raum für die persönliche Entfaltung. Auch die Sensibilität für die von Homeoffice und Digitalisierung geprägten modernen Arbeitswelten und das dadurch besonders große Risiko einer entmenschlichten Kommunikationskultur finden Berücksichtigung. Kooperationsraum wird in vielerlei Kontexten benötigt: In Unternehmen, in der Öffentlichen Verwaltung, aber beispielsweise auch in Schulen. Es lässt sich somit folgende Hypothese formulieren: 

Wertebasiertes, also humanes bzw. kooperationsförderndes Entscheidungsverhalten von Führungskräften und Mitarbeitern führt zu „Lust an Leistung“ bzw. Wertschöpfungsorientierung und Organisationserfolg.[15] Eine erfolgreiche Organisation zeichnet sich aus durch die Förderung von „Flow“, einem ‚besonderen dynamischen Zustand“, dieses ‚holistische Gefühl bei völligem Aufgehen in einer Tätigkeit‘, insbesondere in einer anstrengenden Tätigkeit.[16] Anerkennung, Bindung, wertebasiertes – also humanes bzw. kooperationsförderndes – Entscheidungsverhalten von Führungskräften und Mitarbeitern, führt zu „Lust an Leistung“ bzw. zu Wertschöpfungsorientierung und Organisationserfolg.[17] Zusätzlich profitieren Organisationen von einer empathischen Kommunikationskultur. Im Sinne Daniel Batsons lässt sich dieser Zusammenhang noch weiter präzisieren. Zunächst hängt Kooperation von erfolgreicher Kommunikation und Vertrauen ab.[18] Darüber hinaus kann man auf einer höheren Ebene des Kooperierens feststellen, dass es im Menschen einen angeborenen Willen zum Helfen gibt. Batson beschrieb dies aus der Perspektive der Sozialpsychologie und untersuchte die Frage, ob das Helfen immer und exklusiv durch die Erwartung eines Vorteils für einen selbst motiviert werde und ob im Menschen tatsächlich die Offenheit für altruistisches Helfen angelegt sei.[19] Er formulierte die „Empathie-Altruismus-Hypothese“, dass bei bestimmten Bedingungen das Gefühl für eine Person in Not die altruistische Motivation zum Helfen erzeuge.[20] Dies unterstreiche die menschliche Empathie als eine Fähigkeit, die tief verbunden ist mit der Theory of Mind, dem mentalen Konstrukt, das es ermöglicht, andere Individuen nicht nur als ein Objekt, sondern als ganz ähnlich zu einem selbst mit einem eigenen Blick auf die Realität, zu sehen.[21] Batson vertritt aufgrund seiner empirischen Forschung die Sichtweise, dass altruistisches Helfen nicht in Verbindung steht, mit egoistischem Altruismus.[22] Er nimmt an, dass Altruismus, der auf Empathie basiert, ein motivationaler Status mit dem ultimativen Ziel sei, das Wohl einer anderen Person zu erhöhen.[23] Egoismus wiederum sei der motivationale Zustand mit dem ultimativen Ziel, sein eigenes Wohl zu erhöhen – auch wenn es etwa um Situationen gehe, in denen aus egoistischen Beweggründen geholfen wird. [24]

Es scheint aufgrund der empirischen Forschung Batsons somit Hinweise darauf zu geben, dass wirkliches Helfen bzw. Altruismus nur dann entstehen kann, wenn dieses Helfen aufgrund von Empathie getan wird. Über die Empathie-Altruismus-Hypothese stellt sich aus meiner Sicht darüber hinaus im Sinne des Henne-Ei-Paradoxons noch die Frage, ob es auch eine bestimmte negative Form von egoistischer Empathie geben könnte. Denn auch Empathie kann dadurch auch mit für das Gegenüber negativer Intention gelebt werden. Dies lässt sich zum Beispiel immer dann beobachten, wenn Einfühlung als Instrument für Manipulation genutzt wird, um den eigenen Vorteil zu verfolgen. Deshalb sollte die Förderung von Empathie nie unabhängig von altruistischem Helfen bzw. dessen Fundierung in einem altruistischen Wertesystem gelebt werden. 

Für Führungskräfte, die den Kooperationsraum ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern möchten, bedeuten diese Ausführungen etwa, dass die Grundsätze prozeduraler Fairness eingehalten werden. Richard Sennett hat in diesem Zusammenhang das „Soziale Dreieck“ als Bild entwickelt, wie er es bei Industriearbeitern in den 1970er Jahren beobachten konnte:  Die Arbeiter respektierten ihre Vorgesetzten und vice versa – wenn auch widerwillig –, sie tauschten sich untereinander ganz offen aus und schützten sich, und wenn es im Betrieb wirklich als nötig erachtet wurde, sahen sie es auch als ihre Pflicht an, Überstunden zu machen.[25]  Um „Kooperationsraum“ zu pflegen, erfordert dies von den Führungskräften zudem Stimmigkeit ihrer Entscheidungen für die Teams sowie die nachhaltige Aufrechterhaltung der Rahmenbedingungen für Empathie und Altruismus. So sollte grundsätzlich die Frage beachtet werden, wie Unternehmen und Organisationen die durch die Digitalisierung weniger werdenden Meetings im Unternehmen so gestalten können, dass Sie besonders effektiv sind und auch den Teamgedanken fördern. Darüber hinaus ist ein besonders kooperationsfördernder Kommunikationsstil, etwa mit Elementen der wertschätzenden Erkundung und der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg, empfehlenswert, um positive Paradigmen zu fördern – ohne ins Ideologische oder in Korpsgeist abzudriften.  

Das Tübinger Kooperationskonzept

Das neu entwickelte Tübinger Kooperationskonzept strukturiert diese Ansätze und unterstützt die Ethik der Professionalität, der Glaubwürdigkeit und des Konfliktes.[26] Es fördert ein erfolgreiches Veränderungsmanagement hin zu mehr Wertschöpfungsorientierung durch Kooperation und kombiniert unter anderem Elemente des St. Gallener Management-Modells, des Dreiphasen-Ansatz von Kurt Lewin sowie der Balanced Scorecard von Kaplan und Norton und mit den Werten des Weltethos-Institutes Tübingen. Zudem bildet es eine Synthese aus mehreren organisations- und kommunikationspsychologischen Ansätzen. 

Ergänzend hierzu findet der Grundsatz der Kooperation seinen Niederschlag in einer Prozessmatrix und im allgemeinen Rahmen des Konzeptes.

Das Konzept untergliedert einen Veränderungsprozess hin zu mehr Wertschöpfungsorientierung und Kooperation in vier Phasen, dazu zählt die klar formulierte Ausrichtung der Organisation nach einer gründlichen Status Quo-Analyse. Die in diesem Prozess formulierten Ziele ermöglichen es dann automatisch, nicht nur eine kollaborative Organisationskultur zu pflegen, sondern eine kooperative Kultur. Ohne gemeinsame Ziele ist keine Kooperation möglich. Danach folgt ganz klassisch die Phase des Unfreezing, das heißt, der mögliche Veränderungsbedarf wird ermittelt und der eigentliche Handlungsprozess wird eingeleitet. Danach folgt die Changing-Phase, in der die Prozess-Matrix eingesetzt wird und sich die neuen Handlungsweise etablieren müssen sowie schließlich das Refreezing, bei dem die Organisation wieder in stabile Routine übergeht.

Das Kooperationskonzept mit der Prozess-Matrix ermöglicht es, die Wirkung der Kooperation auf die Wertschöpfung messbar zu machen. Wird dann etwa festgestellt, dass die Organisation erneut in eine Phase der Stagnation übergeht, kann das Kooperationskonzept erneut Anwendung finden. 

Für die Praxis lässt sich das Kooperationskonzept in Unternehmen, öffentlichen Organisationen und im schulischen Kontext anwenden: Für die Wirtschaft gilt, dass Unternehmen besonders starken ökonomischen Zwänge unterliegen und durch Mechanismen wie etwa Betriebsblindheit durch kompetitive Interdependenzen, die die leistungsfähigen Unkooperativen fördern, geprägt sind. Diese zerstören das Vertrauen innerhalb einer und aus Kundensicht an eine Organisation. Das Konzept legt hier einen Schwerpunkt auf dem Identifizieren und Beenden von negativen Mechanismen und von Nullsummenspielsituationen. Positive Gewohnheiten können herausgestellt und auf diesen weiter aufgebaut werden. 

Zwischen der Praxis in Unternehmen und der Öffentlichen Verwaltung gibt es viele Gemeinsamkeiten, aber es gibt auch deutliche Unterschiede. So haben Verwaltungen und Öffentliche Organisationen nicht den Zwang zum Erwirtschaften von Gewinn. Doch die Gemeinwohlorientierung bringt andere Herausforderungen mit sich: Bürokratie, politische Rationalitäten, knappe Kassen, das Fahren auf Sicht in politisch komplexen Zeiten. All dies erzeugt Druck auf Führungskräfte und Teams, so dass auch hier die prozedurale Fairness, Kooperation durch Vertrauen sowie Kreativität und Wertschöpfungsorientierung zentrale Erfolgsfaktoren darstellen, die im Mittelpunkt der Organisationskultur stehen müssen. 

In Schulen wiederum ist der Arbeitsalltag von großer Verantwortung für die Schülerinnen und Schüler geprägt und es gibt unterschiedlichste Kontextfaktoren, die die Unterrichtsqualität und den Bildungserfolg beeinflussen. Andererseits ist das Arbeiten an Schulen durch sehr divergente Faktoren wie bürokratische Vorgaben, aber auch viel Autonomie im Handeln der Lehrerinnen und Lehrer geprägt. Die Schuleffektivitätsforschung belegt, dass Lehrerkollegien genau dann besonders erfolgreich sind, wenn von Seiten der Schulleitungen eine positive Führungskultur vorgelebt und der Teamgedanke gefördert werden: Die Empirie zeigt, dass

„ein kooperativer Führungsstil, der zudem durch eine hohe Erwartungshaltung an die Lehrkräfte auf der einen und an die Schülerinnen und Schüler auf der anderen Seite gekennzeichnet ist, vorteilhaft für die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler ist. Die Arbeitsweise der erfolgreichen Schulleitungen zeichnet sich ferner durch ein hohes Maß an Transparenz aus, das durch demokratische Entscheidungsprozesse aller schulischen Akteursgruppen flankiert wird“.[27] 

Des Weiteren wird in diesen erfolgreichen Schulen ein distributiver Führungsstil mit dem Delegieren von Aufgaben an spezielle Arbeitsgruppen“ sowie „die Entwicklung einer positiven Schulkultur“ praktiziert.[28] Es lässt sich somit zusammenfassen, dass die Förderung von Kooperationsraum in Organisationen zu mehr Zusammenarbeit, aber auch zur Förderung der Identität und persönlichen Entfaltung der Akteure und zu mehr Wertschöpfungsorientierung in allen gesellschaftlichen Bereichen führen kann. 

Ethik als Leitfaden und ein Ausblick

Wenn sich also – etwa durch die Umsetzung des Tübinger Kooperationskonzeptes – gesunde Kooperationsräume bilden, dann werden auch ganz automatisch grundlegende ethische Werte gelebt, wie sie beispielsweise die Weltethos-Idee von Hans Küng mit den Prinzipien Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Partnerschaftlichkeit und ökologische Verantwortung wiedergeben. Zudem wird auch der Ethik der Professionalität Rechnung getragen und somit „Mehrwerte geschaffen werden, die das gesamte System nachhaltig tragen und den Gesamtressourcengrundstock der Unternehmung und seiner Umgebungssysteme auf natürliche Weise wachsen lassen.“[29] Das Tübinger Kooperationskonzept kombiniert betriebswirtschaftliche Theorien mit Erkenntnissen aus der sozial- und geisteswissenschaftlicher Forschung bis hin zur Entwicklungspsychologie, Pädagogik und evolutionären Anthropologie. Auf diese Weise lässt sich eine Lücke schließen zu den üblichen Managementtheorien aus dem Bereich der klassischen BWL, die oft sehr einseitig ausgerichtet sind und nicht selten sozialen Werten und ethischen Verhaltensweisen widersprechen und eher spieltheoretischen Denkweisen unterliegen.[30] Aus Kooperationsräumen werden im Idealfall Vertrauensräume.

Es lässt sich somit postulieren, dass sich Kooperation lohnt, auch aus einer ganz alltagstauglichen Perspektive für die Unternehmenspraxis heraus. Nichtsdestotrotz böte diese Perspektive auch einen Rahmen für empirische Forschung über die Zusammenhänge von Kooperation und Wertschöpfung bzw. nachhaltigem Organisationserfolg. 


[1] Charles Dickens (1996). Great Expectations. Penguin: London, S. 63.

[2] Vgl. Amartya Sen (2009). The Idea of Justice. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press, preface, S. VII.

[3] Vgl. Sen. The Idea of Justice, preface, S. VII.

[4] Vgl. Wolf, W./Tomasello, M. (2020). Human children, but not great apes, become socially closer by sharing an experience in common ground. In: Journal of Experimental Child Psychology. 11/2020. Amsterdam: Science Direct.

[5] Vgl. Jeffrey Sachs. „We need the virtue of cooperation […] and we need an ecological virtue as well.” (Vortrag zu „10 Jahre Globales Wirtschaftsethos” 2019 in Tübingen): https://weltethos-institut.org/news/10-years-of-global-ethic-manifesto/, zuletzt geprüft am: 18. Juli 2022. 

[6] Friedrich Glauner/Bernd Villhauer (2021). Alles neu. Geschäftsidee, Geschäftsmodell, Unternehmensplanung. München: UVK Verlag, S. 32.

[7] Empathie ohne Altruismus ist nicht erstrebenswert, denn ohne Mitmenschlichkeit kann die Einfühlung in andere Personen auch Machtmissbrauch und Manipulation unterstützen.

[8] Vgl. Stefanie Nick-Magin (2021). Recommendations for a sustainable Public Administration: Team-cooperation and Procedural Fairness in times of COV-19 driven Digitization. In: Hemker, Thomas/Müller-Török, Robert/Prosser, Alexander/Scola, Dona/Szádeczky, Tamás/Urs, Nicolae. Central and Eastern European e|Dem and e|Gov Days 2021 (Tagungsband). Wien: Facultas Verlag. S. 390: „[…] In other words, in a healthy organization procedural fairness is practised and cooperation must be worthwhile. Managers make sound decisions and they do not praise cooperation and then reward the free riders in the teams. […]” sowie vgl. 
Antoinette Weibl, (2014). Variabler Leistungslohn in der Verwaltung – Allheilmittel oder Medikament mit starken Nebenwirkungen?. In: Ziekow, J. (ed.). Bewerten und Bewertet- Werden. Wirkungskontrolle und Leistungssicherung in der öffentlichen Verwaltung. Schriften der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften (Band 38), Baden-Baden: Nomos, S. 23-35.

[9] Glauner/Villhauer. Alles neu, S. 17.

[10] Glauner/Villhauer. Alles neu, S. 17.

[11] Vgl. Haidt, J., (2012). The Righteous Mind. Why Good People Are Divided by Politics and Religion. New York: Pantheon Books, S. 234f. sowie vgl. Nick-Magin. Recommendations for a sustainable Public Administration, S. 390.

[12] Vgl. Tina Seidel/Andreas Krapp (2014). Pädagogische Psychologie, München: Beltz, S. 284.

[13] Seidel/Krapp. Pädagogische Psychologie, S. 285.

[14] Vgl. Kooperationsraum (2022). Was bedeutet “Kooperationsraum”?, verfügbar unter: https://www.kooperationsraum.de, zuletzt geprüft am 24.07.2022. 

[15] Felix von Cube (2006). Lust an Leistung. Die Naturgesetze der Führung, München: Piper, S. 11.

[16] von Cube. Lust an Leistung, S. 11 sowie vgl. Mihály Csíkszentmihályi (1985). Das flow-Erlebnis: Jenseits von Angst und Langeweile – im Tun aufgehen, Stuttgart: Klett-Cotta.

[17] Vgl. Mihály Csíkszentmihályi (1975). Beyond boredom and anxiety. San Francisco: Jossey-Bass Publishers.

[18] Vgl. Rudolf Fisch (2020). Warum ist Verständliche Verwaltungskommunikation in Zeiten der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung“ ein Thema – Einführung und Übersicht. In: Fisch, R. (ed.). Verständliche Verwaltungskommunikation in Zeiten der Digitalisierung, Baden-Baden: Nomos, p. 9-29. S. 20.

[19] Vgl. C. Daniel Batson (1991). The altruism question. Toward a social-psychological answer. Hillsdale: Erlbaum, S. 1.

[20] Vgl. Batson. The altruism question, S. 177.

[21] Vgl. Batson. The altruism question, S. 136.

[22] Vgl. Batson. The altruism question, S. 2.

[23] Vgl. Batson. The altruism question, S. 6. 

[24] Vgl. Batson. The altruism question, S. 7.

[25] Richard Sennett (2012). Together. The Rituals, Pleasures and the Politics of Cooperation. New Haven: Yale University Press.

[26] Vgl. Ulrich Hemel (2012). Ethische Unternehmensführung bei der Klee und Berg GmbH Hemel, In: Ralf Dillerup, Roman Stoi: Fallstudien zur Unternehmensführung, München: Vahlen, S. 38-48, S. 41.

[27] Racherbäumer, Kathrin/Christina Funke/Isabell van Ackeren/Marten Clausen (2013). Schuleffektivitätsforschung und die Frage nach guten Schulen in schwierigen Kontexten. In: Rolf Becker/Alexander Schulze. In: Bildungskontexte. Strukturelle Voraussetzungen und Ursachen ungleicher Bildungschancen, Heidelberg: Springer 2013, S. 239-267, hier: S. 255.

[28] Racherbäumer et. al.. Schuleffektivitätsforschung, S. 255.

[29] Glauner/Villhauer. Alles neu, S. 67.

[30] Vgl. Dirk C. Moosmayer/Sandra Waddock/Long Wang/Matthias P. Hühn/Claus Dierksmeier/Christopher Gohl. Leaving the Road to Abilene: A Pragmatic Approach to Addressing the Normative Paradox of Responsible Management Education. In. Journal of Business Ethics (2019) 157:913–93 sowie vgl. Amartya Sen (1977). Rational Fools: A Critique of the Behavioral Foundations of Economic Theory, in: Philosophy & Public Affairs, Summer, 1977, Vol. 6, No. 4 (Summer, 1977), S. 317-344.

LITERATUR

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von Cube, Felix: Lust an Leistung. Die Naturgesetze der Führung, München 2006.

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Posted by Stefanie Nick-Magin