Abstract [en]: Cash in people’s possession embodies a sense of material freedom; for this reason alone, it should be preserved at all costs. A switch to digital currency, as proposed by various parties, would further alienate citizens from legal tender as a “creature of the legal order,” endanger them through cybercrime, and strain their trust in the system of market-based democracy.

Abstract [de]: Bargeld im Besitz der Leute verkörpert ein Gefühl materieller Freiheit; und es sollte schon deshalb unbedingt erhalten bleiben. Ein verschiedentlich angeregter Übergang zu Digitalem ergäbe für die Bürger eine weitere Entfremdung von gesetzlichem Geld als einem „Geschöpf der Rechtsordnung“, eine Gefährdung durch Cyberkriminalität sowie eine Belastung des Systemvertrauens in die Marktwirtschaftliche Demokratie.


Juli 2023

Das Bargeld nicht dem Digitalen opfern!

Modernes Geld und die scheinbare weitere „Modernisierung“

Das moderne Geld ist nur noch „ein Geschöpf der Rechtsordnung“, wie es Georg Friedrich Knapp (1842-1926) bereits im Jahre 1921 treffend formulierte. Das galt für die ab dem 20.6.1948 in Westdeutschland eingeführten D-Mark-Noten, und das gilt für die ab dem 1.1.2002 in den Ländern der Europäischen Währungsunion eingeführten Euro-Noten als „gesetzliche Zahlungsmittel“. Eine besondere „Deckung“, etwa durch Goldbestände (wie früher) oder durch andere Waren im Hintergrund, gibt es nicht. Werthaltig ist dieses moderne Geld für die Bürger im Vertrauen auf das, was man dafür bekommen kann, im Binnenbereich gleichsam durch „Bruchteile des Sozialprodukts“. Neben diesem Bargeld gibt es noch ein sehr viel größeres Volumen an „Buchgeld“ (auf Konten oder „in den Büchern“ von Kreditinstituten aufgeschrieben). Die Kontoinhaber können vom Kreditinstitut jederzeit „regelrechtes“ Geld als Bargeld oder gesetzliche Zahlungsmittel verlangen und „abheben“. Nach internationaler Konvention werden mit dem Bargeldumlauf und verschiedenen Kategorien von Einlagen volkswirtschaftliche Geldmengen bestimmt (M1, M2, M3). Pragmatisch definieren angloamerikanische Lehrbücher „Geld als ein Bündel von Aktiva“, die Menschen als Geld gebrauchen, sowie als Quasi-Geld („near money“). Geld ist bekanntlich etwas, das dreierlei Funktionen erfüllt: (1.) Tausch- oder Zahlungsmittel, (2.) Recheneinheit, (3.) Wertaufbewahrungsmittel.  Hier interessieren die Banknoten näher. Die Banknoten sind der wesentliche Teil des „Stückgeldes“ aus Banknoten und Münzen. Das „Bargeld“ wird mit dem beim Publikum im Umlauf befindlichen und „habhaften“ Teil der Gesamtgeldmenge gezählt.

Ein neuerungsgeneigter Teil der Bevölkerung wie auch kostenbewusste Bankleute bringen immer wieder den Vorschlag zur Sprache, das Bargeld abzuschaffen und sich mit Digitalem zu begnügen. Man möchte hierin gleichsam eine weitere Modernisierung des Geldes sehen – angeregt durch „Digitalisierungen“ verschiedener Art. Diese erleichtern das Leben bei Problemen, die man ohne Digitalisierung vielleicht gar nicht hätte. Nicht überall sind Kosten-Nutzen-Analysen dafür üblich. Es kommen auch seltsame Blüten zum Sprießen, wie „Instant Economics“ einer „Real-time Revolution“ durch Anschluss sämtlicher Wirtschaftseinheiten an einen Zentralrechner der Volkswirtschaft (vgl. Economist vom 23.10.2010) mit täglichen Ergebnisübermittlungen. Freiheitsgeprägte Nationalökonomen vom Schlage eines Friedrich A. von Hayek (1899-1992) müssten darüber entsetzt sein. Doch auch das Bargeld und ein denkbarer Ersatz mit Digitalem haben mit Freiheit zu tun.

Die hauptsächliche Bedeutung des Geldes in freiheitlichen Nationalökonomien

Die Bedeutung des Geldes in freiheitlichen Wirtschaftsgesellschaften wurde lange nicht erkannt und geschätzt, und es bestehen darin auch heute noch Defizite. Es geht um drei Aspekte, einmal den Gebrauchswert des Bargeldes, zum zweiten um die volkswirtschaftliche Nicht-Neutralität der Geldmengen sowie zum dritten um ein Systemvertrauen der Bürger. Leicht einzusehen ist der Gebrauchswert des Bargeldes mit Blick auf die bereits erwähnten drei Funktionen von Geld. Es gibt einen fühlbaren Gebrauchswert des Bargeldes, der einer materiellen Freiheit entspricht. Fjodor Dostojewski (1821-1881) hat es im Rückblick auf seine Zeit im Straflager klar ausgedrückt, was geprägtes oder gedrucktes Geld in der Hand bedeuten kann: „Geld ist geprägte Freiheit“. Diesen Aspekt hat hierzulande nicht jeder begriffen, als er von der völligen Abschaffung des Geldes durch die „Roten Khmer“ in Kambodscha hörte. Den noch lebenden Deutschen aus der Zeit des RM-Untergangs ist das Gefühl von „Enteignung“ noch ganz gegenwärtig. Selbst die Mitverwendung von Lebensmittelmarken und Bezugsscheinen neben den RM-Noten im Zweiten Weltkrieg hatte den Leuten noch einen Rest an Freiheitsgefühl belassen.

Nicht-Neutralität von Geldmengenänderungen, Systemnähe und das Systemvertrauen

Nun zur Nicht-Neutralität von Geldmengenänderungen durch die Zentralbanken. Als man noch der Fisherschen Verkehrsgleichung oder einer naiven Quantitätsgleichung anhing, wonach (Periode für Periode) „Geldmenge mal Umlaufgeschwindigkeit gleich Preisniveau mal Handelsvolumen“ wäre, billigte man dem Geldbereich im Fakultätsaufbau der Universitäten keinen besonders hohen Rang zu. Die Geldmenge bestimme ja nur multiplikativ die absoluten Preise der Güter, deren relative Preise das eigentliche wissenschaftliche Problem der Preistheorie bildeten. Es war – mit bekannten Namen der Lehrgeschichte verbunden – der Irrtum von der Neutralität der Geldmengenänderungen im Wirtschaftsgefüge. Dieser wird konzeptionell ganz offenkundig, sobald Geld als ein Argument in Nutzenfunktionen der Konsumenten (Guthaben bereiten ähnlich Freude wie Konsumgüter) oder in Produktionsfunktionen der Unternehmungen vorkommt (Liquidität nützt dem Betriebsablauf), was tatsächlich der Fall ist. Erst als in den 1970er Jahren – verbunden mit dem Wirtschafts-Nobelpreis an Milton Fridman (1912-2006) im Jahre 1976 – ein „Neuer Monetarismus“ erstarkte und gegen den seinerzeit vorherrschenden „Keynesianismus“ publizistisch erfolgreich zu Felde zog, kam es zum Gleichrang in den Universitäten und teilweise sogar zu einer Überschätzung der Geldtheorie. Methodologisch illegitim war daran – nebenbei bemerkt – die Verallgemeinerung von Theorierichtungen; denn es konnte und kann in Wahrheit ja nur raum-zeitlich spezifizierte Quasi-Theorien geben. Statistisch-ökonometrisch gebildete Wirtschaftstheoretiker sahen die Kontroversen um Monetarismus und Keynesianismus dementsprechend lediglich als alternative Abbildungen datengespiegelter Realitäten sowie auch als eine Frage von Parameterwerten raum-zeitlich abgegrenzter Wirtschaftsräume oder unterschiedlichen Elastizitäten kurz- und langfristiger Art. Die tatsächliche Nicht-Neutralität von Geldmengenänderungen war auch empirisch im Wirtschaftsleben zu erkennen: etwa in der Zeit des RM-Untergangs nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland mit unvorstellbaren Turbulenzen von 1946 bis 1948 (so Bodo Spiethoff, 1918-2000), oder auch bei der völligen Abschaffung des Geldes in Kambodscha, als die „Roten Khmer“ von 1975 bis 1978 am Ruder waren.

Ein distanzierter Systemrang des Geldes und das Systemvertrauen bilden den dritten Aspekt. Nach Georg Friedrich Knapp (1842-1926) war Geld (als gesetzliches Zahlungsmittel) – wie erwähnt – nur noch ein Geschöpf der Rechtsordnung und damit der Lebenswelt ein Stück weit entrückt. Mit einem angestrebten Übergang zu etwas „Digitalem“ würde die Distanz noch einmal merklich vergrößert. Dem nach Niklas Luhmann (1927-1998) anzustrebenden „Systemvertrauen“ der Bürger käme dies gewiss nicht zustatten. Bei den aktuellen Initiativen zur Abschaffung des Bargeldes wird deutlich, dass Geld zu haben – „to be in cash“ – für freiheitliche, weltoffene Gesellschaften nicht umfassend genug nach seiner tatsächlichen Bedeutung eingeschätzt wird, und dass dies auch etwas mit der beinahe körperlichen Nähe zum Geld zu tun hat.

Cyberkriminalität in Kriegszeiten

Wladimir I. Lenin (1870-1924) hinterließ in seinen Schriften den Ratschlag, zur Zerstörung kapitalistischer Systeme müsse man deren Währungen ruinieren. Ein gänzlich „digitales Geldwesen“ würde seinen Nachfahren die Zerstörungsarbeit unvorstellbar erleichtern – weit über den nationalen Rahmen hinaus. Das kann hierzulande niemand wollen. Man sollte sich durch einige erfolgreiche Systemattacken gewarnt fühlen, die geschehen sind, und die mir in den vorakademischen Tätigkeiten als Revisionsassistent bereits unter die Augen kamen. Fundiert ist gewiss diese generelle Warnung: „Das Internet ist nicht das Paradies des herrschaftsfreien Diskurses, sondern unter anderem ein Ort der Machtausübung, der Manipulation, des Kampfes um Einfluss und um soziale Geltung“ (so Ulrich Hemel, geb. 1956).

Schlussfolgerung und mehr

Unter Systemaspekten einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, aber auch unter einer naheliegenden gebotenen Vorbeugung gegen kriminelle Störungen des gesamtwirtschaftlichen Geschehens sind die Abschaffung des Bargeldes und der vorgeschlagene Übergang zu digitalem Ersatz energisch abzulehnen. Also: Das Bargeld nicht dem Digitalen opfern!

Drei Weiterungen sind festzuhalten. (1.) Das Thema muss für die von Wolfgang Eichhorn (geb. 1937) geforderten volkswirtschaftlichen Bedrohungsbilder und Sicherheitskonzeptionen vorgemerkt werden. (2.) Das Thema könnte die Vermögensbildung kleiner Leute wie das geschehene Scheitern des altbewährten „Sparkassenbuches“ zusätzlich belasten. (3.) Im Übrigen sollte es eines Tages nicht zu solch nachträglichen Wertungen kommen: „Die Geschichte des Geldes ist nicht zuletzt eine Geschichte seines bewussten oder unbewussten Missbrauchs durch die Politik“ (so Hans Willgerodt, 1924-2012). „Was die Leute das Schicksal nennen, sind meistens ihre eigenen dummen Streiche“ (so Arthur Schopenhauer, 1788-1860).


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Posted by Adolf Wagner