Abstract [en]: All civil agents have to deal with a national framework, on which their options for acting are dependent. Ecuador is a case study, as shown by the author, where State regulations sometimes go as far as to effectively limit the activities of civil society…

Abstract [de]: Alle zivilgesellschaftlichen Akteur_innen müssen mit staatlichen Rahmen umgehen. Diese können aber deutlich begrenzend und einschränkend wirken, unabhängiges zivilgesellschaftliches Agieren fast gänzlich unterbinden – wie eine Betrachtung Ecuadors zeigt.


Januar 2015

Staatliche Rahmen oder staatliche Grenzen zivilgesellschaftlichen Handelns?

Eine Betrachtung der organisierten Zivilgesellschaft in Ecuador

Wird über staatliche Rahmen und Grenzen freier zivilgesellschaftlicher Organisation oder Betätigung geschrieben, fallen sofort Beispiele wie China oder auch Saudi-Arabien. In diesen Ländern sind die Betätigungsmöglichkeiten klar begrenzt, internationale wie nationale Organisiertheit vor Ort unterliegt klaren Grenzen. Dies hat vor allem etwas mit Kontrolle und Macht zu tun, aber auch mit einem bestimmten Staatsverständnis. Ohne  nun zu schemenhaft zu werden, sind doch zwei Tendenzen klar zu unterscheiden: Einerseits gibt es eine Traditionslinie eher schwacher Staaten, die zwar klare Rahmen setzten, aber einer zivilgesellschaftlichen Organisiertheit wenig bis gar keine Grenzen setzen. Und es gibt den staatlichen Versuch, die Grenzen und Rahmen deutlich enger zu setzen. Gerade Informationshoheit ist dabei ein Ziel. Dies deckt sich damit, wie viel Bildungsarbeit oder allgemeine organisatorische Aufgaben vom Staat aus der Hand gegeben werden. Nun soll deutlich vermieden werden, staatliche Kontrolle schlecht darzustellen. Auch ein sehr weit reichender Staat kann durchaus zivilgesellschaftliche Aktivitäten weiträumig zulassen und sogar fördern – es sind nur Tendenzen. Neben all den Beispielen harscher Kontrolle und damit oft verbunden auch problematischer Menschenrechtslagen verschwinden andere, „kleinere“ Beispiele begrenzter Organisierungsmöglichkeiten aus dem Blickfeld vieler. Dies liegt auch daran, dass die Organisationen, die in den betreffenden Ländern oder Gebieten aktiv sind, oftmals selber ihre Berichterstattung nach „draußen“ filtern, um aktiv bleiben zu können. Dies trifft deutlich auf Ecuador zu.

Ecuador ruft sehr unterschiedliche Bilder hervor. Die einen erinnern sich möglicherweise an die Yasuní- Initiative, ein Gebiet nicht der Ölförderung preiszugeben, wenn die internationale Staatengemeinschaft für die erwarteten Einnahmeausfälle aufkommt. Dies ist inzwischen eine gescheiterte Initiative – und die Ölbohrungen stehen bevor. Andere denken vielleicht an den Schwenk zu einem plurinationalen Staat mit einem neuen Selbstverständnis. Wieder andere mögen an Sozialleistung und die Umleitung staatlicher Einnahmen zu ärmeren Bevölkerungsschichten denken. Und all dies sind wichtige Facetten. Dahinter steckt seit einigen Jahren deutlich ein Staat, der immer mehr Einfluss gewinnt. Sei es bei Internetanschlüssen – der staatliche Anbieter gewinnt an Einfluss – oder aber bei als staatlich zu erbringend deklarierten Leistungen. Wer sich heute durch die Hauptstadt Quito bewegt, kann kaum die Allgegenwart staatlichen Einflusses übersehen, von Unmengen an wahrhaft großen Behörden zu allgegenwärtigen staatlichen Logos und Botschaften zu und für Ecuador. Dahinter steht die Nachricht, es gehe voran, so werde es allen auf Dauer und schon bald besser gehen. Dies sehen viele länger dort aktive Akteur_innen der organisierten Zivilgesellschaft jedoch keineswegs so. Es ist nicht so, dass alle Akteur_innen dem widersprechen, aber jene, die die staatlichen Aktivitäten kritisch hinterfragen und unabhängig von diesen Wirken wollen, sehen dies ganz deutlich so. Dies liegt daran, dass es immer schwerer wird, sich gegen den Staat zu organisieren, sich nicht dessen Kontrolle zu unterwerfen. Und dabei geht es nicht um revolutionäre Akteur_innen, sondern um solche, die möglicherweise nur Facetten anders sehen. 

Dies liegt insbesondere an einem Verwaltungsakt aus dem Juni 2013, dem inzwischen „berüchtigten“ Decreto No. 16, herausgegeben vom Präsidenten Rafael Correa selbst. Dies verlangt von allen organisierten zivilgesellschaftlichen Akteur_innen, internationalen die in Ecuador aktiv sind genauso wie ecuadorianischen, sich registrieren zu lassen und gewissen Kontrollen zu unterwerfen. Dies soll offiziell dem inneren Frieden dienen und dafür sorgen, dass sich die Organisationen an die Gesetze halten, zur Vereinheitlichung der Informationen und Dokumentation führen, die innere Funktionsfähigkeit stärken und Klarheit über die Ziele der Organisation schaffen. Dazu kommt, dass jene Organisationen, die als einzige in ihrem Gebiet gelten können, niemanden Interessierten die Partizipation verweigern dürfen. Dies klingt teilweise harmlos, gerade in der Formulierung von Rechten und Pflichten von Akteur_innen, hat aber deutliche Konsequenzen. Wie jene, die sich gegen diese Registrierung wehren, erörtern, heißt gerade letzter Aspekt letztlich, dass in einer Menschenrechtsorganisation auch Militärs oder Polizisten, deren Verletzungen von Menschenrechte gerade Thema sind, verlangen können, zu partizipieren. Darüber hinaus kann unter dem Argument von Verletzung innerer oder äußerer Regeln dafür gesorgt werden, dass die Versammlungsfreiheit oder Betätigungsmöglichkeiten klar beschränkt werden. Informationen verlieren ihre Privatheit – der Staat verlangt mit diesem Dekret die ganz klare Offenlegung von Zielen und Informationen, eine vorbereitende Organisation für überraschende Aktivitäten wird so unmöglich oder illegal. Und zuletzt können Organisationen gar ihre Schließung erfahren, wenn der Vorwurf erhoben wird, deren Organisiertheit richte sich gegen den inneren Frieden. Dies führt inzwischen zu einer sehr gespaltenen Zivilgesellschaft. Es können dabei drei Gruppen zivilgesellschaftlicher Akteur_innen unterschieden werden. Einige arrangieren sich mit dem Staat und seinen Vorgaben. Unter der Prämisse, es sei besser in Ecuador überhaupt noch wirken zu können als gar keine Wirkungsmacht vor Ort mehr zu haben, bleiben sie aktiv. Internationale Organisationen können dabei teilweise größere Reichweiten erreichen, wenn sie als solche registriert werden. Aber auch viele ecuadorianische Akteur_innen versuchen sich zu arrangieren. Einige suchen die Nähe zum Staat, andere versuchen in den neuen, engen Grenzen, diese wenigstens zu nutzen. Eine zweite Gruppe ist jene, die sich offen verweigert. Einige internationale Organisationen sind gegangen, sehen keine Möglichkeit freier auch politischer Arbeit mehr. Einige ecuadorianische Organisationen versuchen sich zu wehren, wollen sich entweder gar nicht registrieren oder versuchen  Kontrollen zu umgehen. Gerade jene Gruppe sucht Aufmerksamkeit für ihr Anliegen, deutlich auch international und im Internet. Dies fällt nicht leicht. Einerseits ist das Bild des sich sprunghaft entwickelnden Ecuadors sehr übermächtig, und es ist schwer, dagegen negative Facetten zum Leuchten zu bringen. Die Frage, ob jene Organisationen sich durch ihre Verweigerung nicht gerade gegen verfassungsgebundene Konzepte wie Buen Vivir stellen, müssen sie sich gefallen lassen. Dazu kommt, dass sie sich so in Ecuador klar in Gefahr begeben, die Schließung der Organisation stets reale und akute Konsequenz ist. Einige Organisationen wurden bereits geschlossen. Viele der sich zwischen der ersten und dieser Gruppen einordnen lassenden reden so lieber verdeckt und nicht öffentlich und machen ihre frustrierende Situation dennoch sehr klar. Doch machen jene, die öffentlich gegen staatliche Kontrolle angehen, ihr Anliegen sehr deutlich und verständlich. Dies entfaltete auch bereits einige Wirkung – so die Nachfrage von Seiten der UN zum Dekret und dessen Bedeutung und Reichweite. Eine Reaktion der Regierung jedoch erfolgte nicht, weder auf die internen Proteste noch auf internationale Nachfrage. Und auch dies mag der Grund dafür sein, dass sich eine dritte und nicht gerade kleine Gruppe entwickelte – die der nicht mehr aktiven, der sich zurückziehenden. Gerade in einem Land wie Ecuador, in dem organisierte Zivilgesellschaft so viel erreichte, bezüglich indigenen Rechten oder der Anerkennung eines plurinationalen Staates, ist dies eine dramatische Tendenz. Und diese Tendenz zeigt sich auch in der internationalen digitalen zivilgesellschaftlichen Vernetzung.

Durch Kontrolle und Regulierung begrenzte sich so die Gruppe aktiver zivilgesellschaftlicher Akteur_innen in Ecuador deutlich. Von außen ist dies dabei gar nicht ohne weiteres auf den ersten Blick wahrzunehmen. Dadurch, dass es ja noch jene aktiven Akteur_innen gibt, die mit dem Staat, in dessen Sinne und unter dessen Kontrolle agieren, bleibt das Bild einer aktiven Zivilgesellschaft. Dass selbst die kritischen sich aber doch mehr oder minder fügenden darauf bedacht sind, ihre Position und ihr Netzwerk nicht durch unbedachte Äußerungen zu  gefährden, fehlt auch der Informationsfluss zum Aufbau einer größeren Kritiker_innenfront. Dies geht nicht so weit wie anderswo global, aber doch schon sehr weit, Misstrauen und Resignation sind deutlich vorhanden, neben dem Willen, Veränderungen zu erreichen. So ist die heutige Situation als sehr unentschieden zu beschreiben. Der Staat scheint immer weitere Kontrolle auszuüben und ist in immer mehr Bereichen aktiv, die vorher klar zivilgesellschaftlich geprägt waren, so in der Bildung oder zum Thema Menschenrechte. Und von außen ist immer mehr auch nur der Staat wahrnehmbar, die Kontrolle an Informationen funktioniert schon sehr weit. Doch hier zeigen sich Grenzen und gegenläufige Tendenzen – es gibt das Aufbegehren, den klaren Widerstand. Nur eines wird dabei gescheut, und dies ist zu deutliche Vernetzung. 

Vernetzung stärkt die einzelne Organisation, kann aber auch den gesamten Verband gefährden – eine Organisation als solche ist leichter zu verbieten und zu bekämpfen als viele dezentrale Akteur_innen. Und so zeigt sich hier als Ergebnis für Ecuador, dass durch deutliche staatliche Grenzen und Rahmen zivilgesellschaftliches Engagement, verstanden als unabhängiges Engagement,  zwar durchaus eingeschränkt, aber nicht unterbunden wird. Statt einer stark vernetzten Zivilgesellschaft bildet sich eine multipolare; eine multipolar orientierte und wirkende Zivilgesellschaft. Einige orientieren sich gen internationale Verknüpfung, die meisten jedoch in Ecuador auf eine begrenzte Verknüpfung und den Erhalt und die Erweiterung von Nischen. Nun wird es interessant, die weitere Entwicklung zu verfolgen – und dabei bedarf es deutlicher Aufmerksamkeit darauf, die wenigen Informationsquellen auch zu finden und zu deuten. Genauso interessant wäre es jedoch, weitere Fälle zu untersuchen, um zu schauen, ob es sich in weiteren Fällen ebenso verhält, dass mehr Kontrolle und engere Rahmen zwar begrenzend, aber vor allem multipolarisierend, und damit für staatliche Kontrolle deutlich schwerer handhabbar wirkt, also die Kontrolle vorher fast noch leichter war.

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Posted by Anne Häseker

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