Abstract [en]:

Globalization and Digitalization intensify conflicts over resources and participation. In a world increasingly experienced as finite, the concept of property changes its character. The concept of property, based on the idea that one can attach value to everything in euros, dollars or yuan, is losing its appeal, especially in Europe. To the extent that the old social agreement about property is shrinking, fierce battles ignite in new areas of conflict.

Stable social agreements on diverse topics like cultural assets, body parts and health data depend on the used concept of property. It is of all things the force of digitalization that drives the transformation of the context factor ‘property’. The resulting digi-global reality calls for new social agreements on participation in organs (parts of persons) and health data (parts of personality). The idea of property, applied to living donor organs and data, inevitably leads to severe social tensions. The solution is balancing of participation on essential life spheres („Teilhabeausgleich für bedeutende Lebensbereiche“).

Abstract [de]:

Globalisierung und Digitalisierung verstärken Konflikte um Ressourcen und um Teilhabe. In einer zunehmend als endlich erlebten Welt, verändert der Eigentumsbegriff seinen Charakter. Das Konzept des Sacheigentums, basierend auf der Vorstellung, man könne allem einen Wert in Euro, Dollar oder Yuan beimessen, verliert vor allem in Europa an Strahlkraft. In dem Maße, wie die alte soziale Übereinkunft von Sacheigentum schwindet, entzünden sich heftige Kämpfe auf neuen Konfliktfeldern.

Stabile gesellschaftlichen Übereinkünfte, bei so unterschiedlichen Themen wie Kulturgüter, Körperteile und Gesundheitsdaten, hängen vom jeweils verwendeten Eigentumskonzept ab. Ausgerechnet die Wucht der Digitalisierung treibt die Transformation des Kontextfaktors Eigentum voran. Die so entstehende digi-globale Realität fordert neue sozialen Übereinkünfte zur Teilhabe an Organen (Personenteile) und an Gesundheitsdaten (Persönlichkeitsanteilen). Die Idee des Sacheigentums, auf lebende Spenderorgane und Daten angewendet, führt unvermeidlich zu schweren, sozialen Spannungen. Die Lösung besteht im „Teilhabeausgleich für bedeutende Lebensbereiche“.

 

Januar 2019

Vom Eigentum 3.0

Der Umgang mit Steinen, toten Schädeln, lebenden Organen, Menschen und Daten

 

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Nicht alles ist zum Eigentum geeignet. Eigentum gewährt bevorzugten Zugriff und meist die Möglichkeit zur Veräußerung. Die Alpen oder die Büste der Nophretete kommen als Eigentum von Einzelpersonen in unserem Verständnis eher nicht in Frage. Ganze Großteilstücke der Erdkruste oder bedeutende Kulturgüter sollte niemand alleine sein Eigentum nennen. In der Vorstellung, jedem solle es möglich sein, über die Alpen zu wandern und alle sollten die Nophretete anschauen können, scheint ein Teilhabegedanke durch. Bei Gebirgen und Kulturgütern beschreibt die Vorstellung des konventionellen Sacheigentums das soziale Konfliktfeld immer weniger gut. Hier steht nicht das Material im Fokus. Der besondere Wert der Alpen geht auf den erlebbaren Raum zurück, der über den Gesteinen Panorama, Klima, Flora und Fauna bildet. In gleicher Weise bedeutet der Materialwert für Kulturgüter wenig. Edelmetallfunde schaffen es meist nicht bis ins Museum, sie werden vorher eingeschmolzen. Der Wert, des nicht so edlen Rests, der es dann doch ins Museum schafft, besteht vor allem in den kollektiven Erinnerungen vergangener Gemeinschaften. Meist erkennen wir die Informationen auf diesen Datenträgern nicht mal, und wenn wir sie erkennen, verstehen wir häufig ihre Bedeutung nicht. Der Wert der Nophretete besteht sicherlich nicht im Materialwert – Gips ist preiswert – sondern allein in der Ahnung um die Informationen, die untrennbar mit der Büste verbunden sein müssen.

Vor gerade mal gut 200 Jahren betrachtete man alle Kulturgüter wie Bodenschätze. 1801 transportierte Lord Elgin die Statuen der griechischen Akropolis ab, um sie ins British Museum zu bringen, wo sie bis heute stehen. Seinerzeit war es für große Museen üblich „Expeditionen“ loszuschicken, die Kulturgüter fremder Kulturen abzubauten, um diese ohne Klärung der Eigentumsrechte umstandslos mitzunehmen. 1871 fand Heinrich Schliemann in Troja den „Schatz des Priamos“. Er brach seine Arbeiten sofort ab und flüchtete damit nach Deutschland. Von den ursprünglich 8.000 osmanischen Goldgegenständen, kann man heute nur noch ein paar klägliche Reste im Moskauer Puschkin Museum bestaunen. Dieser Umstand darf, in der gegenwärtigen politischen Situation, von Museumsdirektoren und Politikern in Deutschland als Gnade betrachtet werden. Läge die Schliemannbeute in einem deutschen Museum, wäre ein schmerzhafter Rückgabeprozess, an die Türkei gegenwärtig nahezu unvermeidlich. Erst der Olympiavertrag 1872 zwischen Deutschland und Griechenland brachte in der Archäologie die Wende. Die Eigentumsverhältnisse von noch nicht ausgegrabenen Kulturgütern wurden vor deren Bergung geregelt. Mit diesem Vertrag verpflichteten sich deutsche Forscher, alles, was sie in Olympia ausgraben würden, in Griechenland zu belassen. Im Gegenzug sicherten die Griechen den Deutschen exklusiv die Veröffentlichungsrechte und Museumsrepliken der Funde zu. Diese Klärung archäologischer Eigentumsverhältnisse – seinerzeit eine juristische Innovation – mündete in eine sehr nachhaltige griechisch-deutsche Zusammenarbeit, die mit Unterbrechungen von 1872 bis 1966 andauerte. Der angesehene Archäologe E.H. Cline formuliert für Alterseigentümer zusammenfassend, „dass es Privatleuten generell nicht gestattet sein sollte, Derartiges zu besitzen und zu sammeln.“

Bei Kulturgütern handelt es meist um tote Materie, in der Regel um tote Steine, manchmal aber auch um tote Knochen. Chemisch gesehen besteht kein Unterschied zwischen einem Stein und einem ausgetrockneten Knochen. Dennoch sind wir der Meinung, ein Knochen sei nicht einfach ein Stück Mineral. 2018 gab das Rautenstrauch-Joist-Museum in Köln einen Maori-Schädel aus Museumsbesitz an die genuinen Neuseeländer zurück. Was war passiert? Die Information aus der rituellen Tätowierung war plötzlich wirksam geworden. Schon immer vermochten kundige Maoris die Herkunft Verstorbener an Hand der Tatoo-Daten auszulesen. Die Ansprüche an dem Schädel entfalteten erst durch die Veröffentlichung der unabweisbaren Herkunft des Schädels Wirkung. Schlagartig veränderte sich die Perspektive und ab sofort eignete sich dieser Schädel nicht mehr zum Eigentum Dritter. Entweder gehört ein Schädelknochen dem, dessen Gehirn gerade darin arbeitet oder der Ahnenreihe des Verstorbenen. In diesem Kontext könnten also nur die Erben einen Anspruch geltend machen. Gerade weil und obwohl im spirituellen Kontext gar keine rational-erklärbare Verwendung für tote Schädel existiert, war die Rückgabe folgerichtig. Nur deshalb haben die meisten Menschen das Gefühl, allein die Angehörigen oder deren Nachfahren, könnten einen toten Schädel für sich beanspruchen. Allein die Akzeptanz dieser spirituellen Sphäre und die Verortung der Bedeutung in diesem spirituellen Kontext, bildet also die Grundlage für die Rückgabe des Schädels. In diesem Zusammenhang begreift man den Schädel als Personenteil und als Datenträger von bedeutenden Informationen für die Angehörigen. Die Informationen vom und über den Verstorbenen bleiben – wie so oft – für die meisten anderen unsichtbar. Die Schädelrückgabe gründete also gerade nicht auf einer Vorstellung vom Sacheigentum. Ganz im Gegenteil, in dem Moment, in dem der Schädel zum Gegenstand eines Handels würde und damit die typischen Sacheigentumsaspekte wirksam würden, verlöre sich jede Rechtfertigung für dessen Rückgabe. Für tote Knochen ergibt sich gegenwärtig eine irritierende Eigentumsvorstellung, die sich nur solange ableiten lässt, wie das Eigentum nicht als Sache behandelt wird. Der Kurator des Rautenstrauch-Joist- Museums fasst die Großwetterlage um der Schädelrückgabe seines Hauses so zusammen: „Human Remains gelten heute nicht mehr als Objekte, sondern als verstorbene Individuen.“ Allein die fehlende Möglichkeit einer Zuordnung zu einer verstorbenen Persönlichkeit qualifiziert die vielen anderen Schädel derzeit noch als Museumsexponate.

Den Umgang mit Großlandschaften und mit steinernen Kulturgütern regeln heute zahlreiche Gesetze, die verhindern, dass daraus handelbares Privateigentum werden könnte. Für tote Knochen setzen sich derzeit vergleichbare Anschauungen auf der Ebene ungeschriebener, sozialer Übereinkünfte durch. Das ist wirklich bemerkenswert, denn bei toten Knochen und auch anderen kulturellen Datenträgern bröckelt die Vorstellung des Sacheigentums, ohne das Gesetze geändert oder Juristen tätig geworden wären. Allein eine stille Verschiebung des kollektiven Rechtsempfindens treibt derzeitig die Rückgabeaktionen von Personenteilen verstorbener Menschen voran. Von einen Tag auf den anderen, so scheint es, eigenen sich tote Schädelknochen noch nicht einmal mehr als gemeineigenes Museumsexponat. Als legal handelbares Privateigentum kommen diese Schädel auf keinen Fall mehr in Frage. In Frankreich greift diese Vorstellung bereits auf andere, nicht knöcherne, menschliche Hinterlassenschaften über. Die dort heftig geführte Rückgabediskussion kolonialer Kunstwerke, stellt den Beginn eines Prozesses da, bei dem es gar nicht mehr darum geht, ob diese Schätze an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden, sondern nur noch darum, wann und wie die Rückgabe erfolgen wird.

Zeitgleich findet bei uns in Deutschland eine Diskussion um die Handhabung von lebenden Personenteilen, also bei Organen, statt. Auch ein lebendes Organ gehört erst einmal dem, in dessen Körper es gerade arbeitet. Möchte ein lebender Mensch eine Niere spenden, darf er dies tun. Es ist seine Niere, er darf sie verschenken, aber nicht zum Verkauf anbieten. Bislang kann man sich in Deutschland keine gekaufte Niere einpflanzen lassen. Auch das empfinden die meisten Menschen als richtig. Ungeklärt ist dagegen derzeit die Legitimation zur Organentnahme bei hirntoten Menschen, die zu Lebzeiten keine Vorausverfügung gemacht haben. Ein Organ gehört grundsätzlich zur Person, es ist also ein Personenteil. Niemand außer der Person, in der es seinen Dient tut, hat ein Anrecht auf dieses Organ. Trotzdem kann ein Mensch schon zu Lebzeiten eine seiner zwei Nieren abgeben. Ebenso kann jeder Mensch, durch eine Verfügung alle seine Organe nach seinem Tode, wenn er sie zum Leben nicht mehr braucht, spenden. Dann kann er sogar sein Herz zur Verfügung stellen. Das Herz eignet sich als Organ natürlich nicht für eine Lebendspende. Bei einer Lebendorganspende darf das Überleben des Spenders nicht in Frage stehen. Bei einer Lebendorganspende darf es kein Ich oder Du geben, sondern nur ein Ich und Du von Spender und Empfänger. Deshalb entnimmt in Deutschland keine Transplantationsklinik das Herz einer lebenden Person, um es einer anderen Person einzupflanzen. Auch das finden wir in Ordnung. Persönlichkeitsrechte sehen vor, jeder Mensch dürfe über seinen Körper umfänglich verfügen, auch über seinen Tod hinaus. In dieser Vorstellung manifestiert sich noch ein deutlicher Sacheigentumsaspekt. Legt sich ein Mensch vor seinem Tod eindeutig und schriftlich fest: Organentnahme ja oder nein, so wird seinem Willen entsprochen. Das trifft das Rechtsempfinden der meisten.

Gegenwärtig arbeitet die Politik nun einer Regelung, für die Fälle, in denen Menschen keinen Willen für die Zeit nach Ihrem Tod bekundeten. Ob von diesen Personen Personenteilen zur Transplantation entnommen werden dürfen, ist gegenwärtig unklar. An dieser Stelle möchte ich noch einmal vergegenwärtigen, wer als Organspender ganz konkret in Frage kommt. Lebende dürfen Organe nur spenden, solange davon auszugehen ist, sie erlitten durch die Spende keinen Gesundheitsschaden. Definitiv-biologisch Tote, solche mit Leichenstarre und Totenflecken, kommen dagegen nicht in Frage, da ihre Organe bereits einer Zersetzung unterliegen. Deshalb stammen Organspenden von unentbehrlichen Organen, wie Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Hornhaut von hirntoten Menschen. Bei Hirntoten handelt es sich nicht um klassische Tote. Menschen im Hirntod sind am Ende eines Krankheitsverlaufes angekommen, der keine Aussicht auf Gesundheit, Bewusstsein und Teilhabe mehr bietet. Erst die Intensivmedizin ermöglicht diesen Zustand. Der Hirntod bildet einen Punkt auf der Zeitleiste des menschlichen Sterbeprozesses, der eindeutig vor dem Punkt des definitiv-biologischen Todes, mit klassischen Todeszeichen, wie Leichenstarre und Totenflecken, liegt. Durch technische Maßnahmen verlangsamt die Intensivmedizin, den normalerweise zügig voranschreitenden Sterbeprozess dramatisch. Nach nur zehn Sekunden Sauerstoffmangel bricht die elektrische Aktivität eines Gehirns zusammen und damit wird dem, was wir Bewusstsein nennen, die Grundlage entzogen. Erfolgt eine erfolgreiche Wiederbelebung innerhalb weniger Minuten, bevor die Nervenzellen des Gehirns zerfließen, kehren die Hirnströme und das Bewusstsein wieder, als wäre nichts gewesen. Dauert der Sauerstoffmangel länger, überstehen dies nur die robusteren Zellen schadlos. Die Hirnzellen sterben einfach am schnellsten, während die Nieren, die Lunge und sogar das Herz „die Luft bedeutend länger anhalten können“. Dauert der Sauerstoffmangel gerade so lange, dass die empfindlichen Großhirnzellen abgestorben sind, der Rest des Körpers aber wieder stabilisiert werden konnte, bezeichnen wir diesen Menschen als hirntot. Den Hirntot gibt es nur, weil nach einer vorangegangenen, schicksalhaften und bedeutsamen Schädigung, der Sterbeprozess einer Person, durch die Intensivmedizin dramatisch verlangsamt werden konnte In diesem menschlichen Körper, mit abgestorbenem Großhirn, leben die Organe weiter, solange Intensivmediziner Wasser und Nährstoffe infundieren und Sauerstoff insufflieren. Diesen Schwebezustand zwischen „wirklich richtig lebendig“ und „wirklich richtig tot“ bezeichnen wir als hirntot.

Da die Persönlichkeitsrechte über den Tod hinaus gelten, gelten sie auch in dieser besonderen Situation zwischen definitivem Leben und definitivem Tod. Allein die soziale Übereinkunft, ein Mensch sei hirntot, rechtfertigt die Entnahme eines Herzens, trotz der Abwesenheit von „sicheren Todeszeichen“, welche sonst als Maß aller Dinge in Sachen Tod gelten. Verfasste der nun hirntote Mensch zu Lebzeiten eine Verfügung, die eine Organentnahme untersagt, muss diese ernst genommen werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Nieren in Kürze in der Erde verrotten oder im Krematorium verbrannt werden, obwohl sie das Leben eines Dialysepatienten hätten verlängern können. Jede Zuwiderhandlung stellte eine Störung der Totenruhe, und somit eine Straftat, da. Die einzige Rechtfertigung für die akzeptierte Störungen der Totenruhe, stellt die Verbesserung der Gesundheit der Lebenden da. Für den Toten bleibt die Organentnahmen, in Bezug auf den Gesundheitsaspekt, immer ein Nullsummenspiel, da während des biologischen Sterbens und beim Hirntod, die perspektivische Vorstellung gesund zu werden, keine Rolle mehr spielt. Nur deshalb darf das schlagende Herz eines Hirntoten entnommen werden. Sie sehen, Gesundheit stellt bereits hier – sogar im juristischen Kontext! – ein überindividuelles Konzept da. Der verfügte Wille des Hirntoten steht über dem Pietätsgefühl der Angehörigen. Kommt dann die Vorstellung dazu, die Öffnung des hirntoten Körpers, trage mehr Gesundheit in die Gemeinschaft, rechtfertigt dies beim anatomischen Präparierkurs im Medizinstudium und für eine Transplantation, die Organentnahme. Der sozial gedachte Gesundheitskontext rechtfertigt die Störung der Totenruhe. Selbst im Tot greift die Vorstellung bio-psycho-sozialer-informationellen Gesundheit. Verschriftlichte Gedanken in der Patientenverfügung, also Informationen, lassen das psycho-sozialen Pietätsgefühle der Angehörigen und die biologische Tatsache, dass das Herz noch schlägt, zurücktreten hinter der Absicht des Spenders, die Gesundheit der Gemeinschaft durch seine Organspende zu verbessern. In gleicher Weise stellt sich die Situation bei der Lebendspende da. Gibt ein lebender Mensch eine seiner Nieren für einen anderen Menschen, so verbessert sich bei dieser kleinen Zweiergemeinschaft die Gesamtgesundheit. Ganz kurz leuchtet hier so etwas, wie eine überindividuelle Gesundheit, im weitesten Sinne als Volksgesundheit interpretierbar, auf. (An dieser Stelle warne ich als Arzt dringend, vor einer Pflicht zu individueller oder noch mehr vor einer Pflicht zur Mitarbeit an einer Volksgesundheit! Volksgesundheit wird in der Regel rein biologisch – und somit unvollständig – definiert!)

Noch einmal zurück zur Organentnahme beim hirntoten Menschen, im ungeklärten Willenskontext. Legal wird dies nur möglich, wenn eine gesellschaftliche Bearbeitung des Konflikts zwischen dem Rechtsgut der pietätvollen Totenruhe des toten Spenders und dem Rechtsgut auf körperliche Gesundheit des lebenden Empfängers, stattgefunden hat. Die hier zu bewältigende, gedankliche Wegstrecke wäre die Fortsetzung des Übergangs vom vollumfänglich-feudalen Besitzrechts hin zum bürgerlichen Eigentum. Im Gegensatz zum feudalen Besitz bringt Eigentum Pflichten mit sich und schränkt aus sozialen Gründen die Verfügungsgewalt des Eigentümers erheblich ein. Dieser Übergang war die erste Stufe eines kulturellen Entwicklungsprozesses. Am Ende dieser Transformation stand die Vergesellschaftung von Kulturgütern und das Verbot der Sklaverei. Kulturgüter und Menschen galten fortan nicht mehr als Sache. Ausgerechnet die Kontextfaktoren bei der Organentnahme ohne Vorausverfügung, werden so zum Leichentuch des gegenwärtigen Sacheigentumsbegriffs. Aber so weit sind wir noch nicht. Damit eine Organentnahme ohne Verfügung möglich wird, müssen wir eine abermalige Transformation des Eigentumsbegriffs bewältigen. Am Ende dieses Prozesses regeln wir die Nutzung von Organen über den Begriff des Persönlichkeitseigentum und nicht mehr über den des Sacheigentums.

Natürlich kann eine Gesellschaft oder ein Gesundheitsminister entscheiden, ein lebender Mensch bedürfe eines Organs mehr, als ein Mensch, der im Zustand des Hirntods, nur mit künstlichen Mitteln am definitiven Sterben gehindert wird. Dieser gedankliche Schritt entkoppelt die Organentnahme bereits vollständig vom Sacheigentumsaspekt. Diese Vorstellung steht diametral in Widerspruch zum Kontext des Verfügens und des Vererbens. Beim Verfügen und beim Vererben legitimierte der Eigentumsaspekt, die Organvergabe, so wie es beim Sacheigentum das Testament tut. Möchte man Organe ohne Verfügung entnehmen, bleibt als einziger rechtfertigender Grund für den Tabubruch, nur die Zunahme der Gesundheit beim Empfänger, während der gesundheitliche Zustand des Spenders unverändert bliebe. Allein die Vorstellung eines Teilhabeausgleichs. Bewirkt bei dieser neuen Regelidee, dass der Tabubruch, der ungefragten Wegnahme von Organen, ohne juristische Folgen bliebe. Nun bedeutet hirntot, aber bereits juristisch tot. Folglich tritt der Erbfall bereits vor einer Organentnahme ein. Bei der Feststellung des Todeszeitpunks verstehen die Juristen keinen Spaß, hier gibt es keinen juristischen Spielraum. Hier entscheiden Zehntelsekunden über Erbfolgen. Bisher vererbten hirntote Patienten keine lebenden Organe. Die Bewertung einer Verfügung, in der ein Hirntoter seine Nieren zu Lebzeiten, nur für eine ganz bestimmte Person eingeräumt hat, ist meines Wissens den Juristen bislang erspart geblieben. Das gegenwärtig geplanten Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt die Ansprüche der erbenden Generationenreihe, wie beim Maori-Schädel. Die Spahn´sche Organtransplantationsidee berücksichtigt hier – eher intuitiv – Anspruchsvorstellungen im Sinne des Erbrechts. Räumt man den Angehörigen, wie derzeit bei der doppelten Widerspruchslösung avisiert, ein Mitsprachrecht ein, ändert dies bei der Organverteilungspraxis so ziemlich alles. Das exklusive Widerspruchsprivileg für Angehörige, kann derzeit nur über den Eigentumsbegriff der Erben begründet werden. Brisant würde dieses Widerspruchsprevileg, jedes mal dann, wenn ein erbberechtigter Angehöriger, seine Zustimmung zur Organentnahme davon abhängig machte, ob er selbst in den Genuss der Transplantation dieses Organs käme. In der gegenwärtigen Rechtslage, wird ein Angehöriger, mit hoher Wahrscheinlichkeit, davon ausgehen müssen ein Organ seines hirntoten Angehörigen, nicht zu bekommen. Zukünftig wäre dann alles anders. Immunologisch-medizinische Gründe rechtfertigen zunehmend weniger die Organverteilung allein durch die Ärzte, da mittlerweile regelmäßig auch blutgruppenungleiche Organe transplantiert werden. Bei einer doppelten Widerspruchslösung, im gegenwärtigen Sacheigentumskontext, wäre eine dramatische Kollision von Rechtsnormen absehbar. Legitimierte ein Sacheigentumsanspruch, über die Erbfolge, die Freigabe zur Organentnahme, käme die Verweigerung einer bevorzugten Transplantation, eines organbedürftigen Erben, einer Enteignung gleich. In dieser Situation wäre zu erwarten, dass der sich geprellt-wähnende Erbe, die Freigabe des Organs, blockierte. Besonders interessierte mich an dieser Stelle die juristische Umsetzung eines Pflichterbanteils, wenn mehrere Angehörige, beispielsweise bei einer familiären Nierenschwäche, um Spenderorgane konkurrierten. Die doppelte Widerspruchslösung nimmt den Transplantationsmedizinern die Organverteilung aus den Händen. Der Patient selbst und seine Erben übernehmen an deren Stelle.

Wenn man nicht einen Sondereigentumstatus für lebende Organe kreieren möchte, müsste im Sacheigentumskontext geklärt werden, wie die Einflussnahme der Angehörigen auf die Freigabe und die Verteilung von Organen hirntoter Verwandter zu regeln sei. So wie zu Lebzeiten, die Lebendspende von Organen für bestimmte Empfänger üblich sind, ist davon auszugehen, dass zukünftig Konstellationen entstehen, bei denen eine Organweitergabe an einen bestimmten Erben, nach dem eigenen Tod, verfügt wird. Sofort stellt sich die Frage, wie ein grauer Markt für geerbte oder verfügte Organe geregelt würde. Im Sachhandel sind Termingeschäfte über große Zeiträume nicht unüblich. Stellt man beim Umgang mit Personenteilen den Eigentumsaspekt in den Fokus, muss man ganz schlicht und einfach den erwarteten Terminhandel für Organe regulieren. Das ist eine weitere juristische Aufgabe, die mir, neben der Regelung des Pflichtanteils von Organerbschaften, nicht ganz unanspruchvoll erscheint.

Die direkte Mitwirkung von Angehörigen, erschwert in diesem Zusammenhang, die Regelfindung ganz erheblich und es gibt sehr, sehr gute Gründe diesen Teilaspekt des Verwandtenwiderspruchs zu überdenken. Aber auch ohne diese kleine Zusatzproblematik mündet jede Widerspruchslösung, im Kontext des Sacheigentums in unauflösbare Konflikte.

Denn, wie schon formuliert, koppelt das Konzept der Widerspruchslösung die Spenderorgane bereits prinzipiell vom Sacheigentumsbegriff ab und unterstellt sie einen gesamtgesundheitlichen Teilhabeausgleich. Die Verfügungsrechte würden im Vergleich zum gegenwärtigen Sacheigentum noch weiter reduziert! Schon bisher bestand gesellschaftlicher Konsens, die Gemeinschaft ließe dem, der ein Organ am dringendsten bräuchte, dieses auch zukommen lassen. Der Teilhabeausgleich bei der Organvergabe ist bereits jetzt geübte Praxis. (In der Vergangenheit wurde deutlich, dass die Ermittlung des Bedürftigsten, durch die vorhandene Vergabestruktur, nicht immer ganz einfach war.) Zukünftig soll nun dieser Teilhabeausgleich nicht nur bei der Verteilung, sondern auch bei der Organentnahme angewendet werden. Grundlage für die ungefragte Organentnahme, kann dabei nur die Vorstellung sein, die Organe nützten dem Hirntoten nicht mehr, könnten aber das Leben eines bedürftigen Organempfängers verlängern. Allein das fehlende, berechtigte Interesse des hirntoten Spenders an seinen Organen und die gesundheitliche Bedürftigkeit des Empfängers legitimierten dann die Organentnahmen. Das Rechtsgut der Wahrung des Pietätsgefühls der Angehörigen und auch das postmortale Recht auf die Unversehrtheit der Person stünde ab sofort hinter einem gesellschaftlichen Konsens zum Teilhabeausgleich, bei der Organentnahme, zurück.

Die Vorstellung eines Teilhabeausgleichs kann aber nicht nur allein für einen einzelnen bedeutenden Lebensbereich konsentiert werden. Ein bedeutender Lebensbereich nach Streit definiert sich als einer, bei dem durch ein Teilhabedefizit mit dem vermeidbar-vorzeitigen Tod eines Menschen zu rechnen ist. Schließlich stirbt in Deutschland kein Mensch unmittelbar daran, dass er keine funktionierenden Nieren hat. Die Dialyse hält ihn erst mal am Leben. Aus diesem Grunde wäre die Bearbeitung anderer bedeutender Lebensbereiche zwingend. Kein Mensch stirbt unmittelbar daran, dass er arm ist. Aber, beide Personengruppen, die Menschen ohne eigene Nierenfunktion und die Menschen in Armut, sterben früher als Menschen mit Nieren und solchen, die nicht in Armut leben. Die verfügbaren Daten belegen dies ganz eindeutig. Die Sozialmediziner formulieren: „Weil Du arm bist musst Du früher sterben.“ Armut kommt ein vergleichbarer Gesundheitsaspekt zu, wie der Bedürftigkeit nach einem Spenderorgan. Wird die Spahn´sche Idee der Widerspruchlösung, für die Organspende Gesetz, dann muss man erwarten, dass der dazu beanspruchte Teilhabeausgleich früher oder später auch bei allen übrigen, bedeutenden Lebensbereichen angewendet wird. Ich bin mir nicht sicher, ob sich der Herr Bundesgesundheitsminister darüber im Klaren war, welchen Impuls er hier, in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess hineingetragen hat. Natürlich begrüße ich den Spahn´schen Vorstoß, aus meiner ärztlichen Sicht, in jeder Hinsicht. Können mehr Menschen ein Spenderorgan erhalten, ist dies eine gute Sache. Was den „politischen Kollateralschaden“ des dazu erforderlichen Teilhabeausgleichs angeht, ist mir als Arzt ist jedes Mittel recht, mit dem sich die Gesundheit eines Menschen verbessert, ohne die Gesundheit eines anderen Menschen zu beschädigen. Insofern freue ich mich auf die spannende Diskussion des armutsreduzierenden Teilhabeausgleichs. Politisch gesehen bildet der Teilhabeausgleich in bedeutenden Lebensbereichen eine der seltenen, echten, sozialpolitischen Innovationen, die auf eine der etablierten Parteien zurückgeht. Die Art und Weise wie hier begründet wird, ist an sich schon revolutionär, richtig verwegen wird sie, weil sie sogar ein real vorhandenes Problem beseitigt.

Bereits die Neuordnung der Eigentumsvorstellungen von Sachen in der Archäologie und bei den Persönlichkeitsrechten, also das Ende der Sklaverei, gingen zeitlich Hand in Hand. Das ist sicherlich kein Zufall. Ein auffälliger zeitlicher Zusammenhang besteht auch zwischen dem Olympiavertrag von 1872 und dem Ende des Menschenhandels 1888 für die westliche Welt. In gleicher Weise wirkte davor der Übergang vom feudalen Besitz zum bürgerlichen Eigentum. Die eigentliche Revolution war also nicht die Abschaffung des Adels, sondern die gelungene Transformation des Eigentumsbegriffs und die Neujustage zwischen Eigentumsrecht und Persönlichkeitsrecht. Das Erlöschen des gottgegebenen königlichen Besitzrechts machte Privatbesitz zwar überhaupt erst denkbar. Viel relevanter waren die Konsequenzen, für die sich daraus ableitenden Persönlichkeitsrechte, der nicht-adeligen Menschen. Waren sie vorher „Schollenmobiliar“, so macht sie dieser Prozess zu Personen. Galt zuvor der persönliche Status, „Adel“ oder „Sache“, im Standessystem als angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, verpuffte dieser Nimbus in der Folge zunehmend wirkungsloser. Wir stehen an der vergleichbaren Stelle einer sozialen Entwicklung. Gehören Organe oder Daten zur Person oder sind es Sachen? Allein von der Antwort hängt es ab, wie in Zukunft gedacht und entschieden wird.  Organentnahmen, ohne Verfügung sind bei einem Eigentumsbegriff, der durch einen Teilhabeausgleich beschränkt wird, juristisch eindeutig und sauber darstellbar. In gleicher Weise hängt das Gelingen einer humanen Digitalisierung vom Eigentumsverständnis von Persönlichkeitsdaten ab. Bei der aktuellen Diskussion um die Verwertungsrechte von lebenden Organen und von Daten wiederholt das Wechselspiel zwischen Eigentums- und Persönlichkeitsrechten. Außerdem gehen die meisten der derzeit relevanten zivilisatorischen Konflikte auf eine veraltete Eigentumsvorstellung zurück.

Die Vorstellung, in welcher Weise wir Eigentum und Person zueinander denken, entfaltet eine enorme soziale Wirkung. Allein die Vorstellung ein Mensch könne einen anderen Menschen besitzen, degradierte Menschen zum Sklaven, der sich über den Sachbesitz definiert. Der Besitzer kann mit ihm machen was er will, ihn verkaufen, ihn verletzen, ihn töten. Begreift man ein Organ als Sache, bleibt jede Organentnahme ohne Verfügung, auch zur Organspende, mindestens eine Störung der Totenruhe, auf jeden Fall aber eine Beschädigung, des über den Tod hinaus geltenden Rechts auf Persönlichkeitsschutz, dem Rechts auf die Unversehrtheit der Person. Vergleichbar juristisch zweifelhaft sind gegenwärtige Versuche juristischer Personen, nach einer Einwilligung zur Datenübertragung, Eigentumsansprüche an Gesundheitsdaten natürlichen Personen anzumelden. Daten als Sachen betrachtet erzeugen das gleiche Spannungsfeld, wie bei den Organen. Betrachtet man Daten weder als Sachen, noch als Persönlichkeitsanteile, dann müsste, wie bei den Organen gefordert, einen Sondereigentumsstatus entwickeln. Auf einen Sondereigentumsstatus für Organe und Daten kann nur verzichtet werden, wenn diese als Personen- bzw. als Persönlichkeitsanteile akzeptiert werden. Dies schränkte zwar die Verfügungsrechte Dritter, gegenüber dem aktuellen Sacheigentumsbegriff weiter ein. Diese Intervention befriedete allerdings das Gro der gegenwärtigen, digitalisierungsbedingten Konflikte. Nur der Teilhabeausgleich, als Rechtfertigung zur Organentnahme, schafft Rechtssicherheit, im geplanten Kontext der Widerspruchslösung. Freizügiger Datenaustaussch persönlichen Daten gelingt nur über den bio-psycho-sozio-informationelle Gesundheitsbegriff nach Streit, der die Grundlage dafür bietet Daten als Persönlichkeitsanteil an der Person zu verankern. Dies wurde bereits ausführlich an anderer Stelle dargelegt.

Weil es nicht egal ist, in welchem Kontext wir etwas denken, ist es nicht egal, ob wir etwas als Sache oder als Persönlichkeitsanteil ansehen. Bei lebenden Organen versagte die Vorstellung offensichtlich. Folgerichtig gründet der Bundesgesundheitsminister sein Konzept zur Organentnahme für die Organspende auf einen Teilhabeausgleich. Sie sehen, gedachte Konzepte hinter der gemeinsamen Realität entfalten große Wirkkraft, mächtig lenken sie das Denken in eine bestimmte Richtung. Dies sogar dann, wenn der prominente Denker, auf Grund seiner politischen Verortung, wahrscheinlich gar keine Diskussion einer Eigentumsneuordnung führen wollten.

Im globalen Kontext geht es bei der Eigentumsfrage, um unsere europäische Vorstellung, wie Menschen „in einem guten Leben“ zusammenleben. Lassen wir uns auf die US-amerikanischen Vorstellungen des Zusammenlebens, die im Silikon Valley geboren wurde ein, dann laufen wir als Europäer stets hinterher. Jedenfalls solange wir das Einrammen einer Fahnenstange (an der meist ein „star spangled banner“ flattert) als einen gültigen Anspruch für Eigentum anerkennen. In gleicher Weise stehen wir mit unserer europäischen Haltung im chinesischen Kontext sozialer Abgeltung, dem Social Scoring, vorhersehbar als Versager fest. Weder die Vorstellung auf alles einen Eigentumsanspruch anmelden zu können, noch die Vorstellung jede menschliche Lebensäußerung sozial-mechanisch rückzukoppeln, entspricht unserer freiheitlich-europäischen Lebensweise. Wir tun gut daran, eigene Vorstellungen zu entwickeln, auch wenn andere Nationen gegenwärtig zu anderen Entwürfen kommen. Andernfalls erklären wir uns, als die weniger Angepassten, uns selbst zum ewigen Verlierer. Sowohl bei den direkten Sachfragen von Organspende und Digitalisierung, als auch bei der Entwicklung unserer Position innerhalb der globalen Staatengemeinschaft, gibt es gute Gründe einen eigenen europäischen Weg zu suchen. Sich auf die „von selbst entstehenden, soziale Übereinkunfte“, die formale Logik und das freiheitliche Menschenbild gleichzeitig zuzulassen, kennzeichnen unsere europäische Gemeinschaft. Aber nur wenn wir uns auf solch ein soziales Wagnis einlassen, eröffnen sich uns auch neue Horizonte.

 

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Posted by Stefan Streit

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