Versuch, über Wirtschaftsethik und den Werteverfall zu berichten
Abstract [de]: Als ich vor einiger Zeit von Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel gebeten wurde, einen Artikel über Wirtschaftsethik zu verfassen, habe ich natürlich sofort zugesagt. War ich doch selbst Opfer fehlender Wirtschaftsethik. Doch damit fing das Dilemma auch schon an. Ich musste mir die Fragen stellen: Für wen schreibe ich – wen will ich ansprechen? Was ist Wirtschaftsethik? Gab oder gibt es überhaupt Wirtschaftsethik?
April 2017
Versuch, über Wirtschaftsethik und den Werteverfall zu berichten
Als ich vor einiger Zeit von Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel gebeten wurde, einen Artikel über Wirtschaftsethik zu verfassen, habe ich natürlich sofort zugesagt. War ich doch selbst Opfer fehlender Wirtschaftsethik. Doch damit fing das Dilemma auch schon an. Ich musste mir die Fragen stellen:
Für wen schreibe ich – wen will ich ansprechen? Was ist Wirtschaftsethik? Gab oder gibt es überhaupt Wirtschaftsethik?
Die Frage für wen ich schreibe ist einfach zu beantworten: Für den Menschen.
Die Frage, wen ich ansprechen will ist ebenso einfach zu beantworten: Alle! Ich möchte die Menschen ansprechen, die in erster Linie die Wirtschaftsethik zu vertreten haben – aber auch diejenigen Privatpersonen, welche von den Auswirkungen gelebter oder verfehlter Wirtschaftsethik profitieren oder direkt oder indirekt darunter leiden müssen.
Widmen wir uns zunächst der Frage „was ist Wirtschaftsethik?“
Wohl jedem klar, ist es ein Wortbild aus Wirtschaft und Ethik. Als Wirtschaft kann man heute den Kreislauf von Waren oder Dienstleistungen im Tausch gegen Währung verstehen. Man spricht auch vom Wirtschaftskreislauf.
Es sollte einst ein Nehmen und Geben sein. Ein Warentausch von Produkten und Gütern die man selbst für sich und die Familie produzierte. Und was übrig war, wurde mit Freunden und Nachbarn oder auf dem Markt getauscht. Ware gegen Ware. Dieser Warentausch hat von Anbeginn den Zweck gehabt, die Bedürfnisse der am Warentausch Beteiligten zu befriedigen. Der Tausch von Waren gegen Waren war jedoch mitunter sehr umständlich und so wurde der Warenhandel zum Tausch Ware gegen Geld. Das erleichterte den Handel. Das Geld trat als Vertreter von Ware ein. Doch mit dem Geld als Tauschware traten dann andere Probleme auf. Während es beim Warentausch immer einen Käufer und einen Verkäufer gab, gibt es nun Dritte im Spiel: die Vermittler, die Händler. Vermittler und Händler der Geldwirtschaft.
Soweit im Kurzdurchlauf die Wirtschaft umrissen und schauen wir nun auf den Begriff „Ethik“.
Ich definiere Ethik als ein Zusammenspiel von Anstand, Ehre, Moral und Charakter im täglichen Handeln. Begriffe, die in der heutigen Zeit zwar oft gesprochen und geschrieben – aber nicht unbedingt gelebt werden. Viel zu oft erfahren wir im täglichen Leben, dass unsere Welt an vielen Stellen nur aus Lug und Trug besteht. In den Regalen der Supermärkte stehen die Mogelpackungen – große Aufmachung kleiner Inhalt. Politiker geben Wahlversprechen – man achte auf „versprechen“ – ab. Wahlversprechen, welche sie, wenn sie wieder gewählt würden, für uns nur Gutes bedeuten würden. Wenn dem so ist, weshalb erst nach der Wahl? Oder weshalb gibt die Politik keine Wahlzusagen ab? Bei Vertragsabschlüssen ist das Kleingedruckte zu beachten. In vielem Kleingedruckten stehen dann die Unliebsamkeiten und Bedingungen auf die man sich eingelassen hat. Rechnungen werden nicht bezahlt obwohl die Leistung in Empfang genommen wurde. Bestellungen getätigt obwohl kein Geld vorhanden ist. Aufträge bzw. deren Nachträge werden dem Grunde nach erteilt ohne sich über den Vergütungsanspruch zu einigen. Es werden Drohungen mit Verweis auf wirtschaftlich negative Auswirkungen ausgesprochen. Säumniszuschläge werden von den Stellen erhoben, die wir alle als Solidargemeinschaft mit bezahlen und finanzieren – ob wir wollen oder nicht. 1% je Monat – und das selbst bei bereits länger anhaltender Niedrigzinsphase. Zu Kontokorrentdarlehen wird einem der Weg bereitet und Überziehungszinsen unserer Sparkassen und Banken hinken den Säumniszuschlägen von Krankenkassen und Finanzämtern auch nicht hinterher. Wieso ist das so? Und was verbindet nun Wirtschaft und Ethik?
Die Geldwirtschaft trägt sich aus der Ehe zwischen Frau Geiz und Herrn Gier. Konnte man früher noch seinem Verkäufer direkt ins Gesicht schauen guckt man heute allenfalls der Kassiererin an der Kasse des Supermarktes in´s Gesicht. Man kann also gar nicht mehr den Handel von Angesicht zu Angesicht betreiben. Diese Anonymität, diese großen mehr oder weniger Unbekannten lenken und steuern den Handel. Wie oft bekommen wir über die Medien mitgeteilt, wie alles boomt und wie toll die Umsatzzahlen sind. Auch das Brutto-Inlandsprodukt soll auch für 2017 um ca. 1,5% steigen. Da sollte man doch meinen, alle wären happy! Aber wer hat letztendlich davon etwas? Kommt von all dem ganzen vermeintlichem Aufschwung denn auch bei den vielen fleißigen Händen am Fuße der Pyramide etwas an? Ist die Verteilung des Handels noch als gerecht zu empfinden? Nein, der Erfolg wird nicht gerecht aufgeteilt. Denn Geiz ist geil! Dieser Werbe-Slogan wurde von Saturn vor rund 15 Jahren im Marketing auf den Laufsteg gebracht. Für jeden Privatverbraucher verständlicherweise ein genialer Slogan. Und obwohl Saturn nach knapp 5 Jahren erkannt hat, dass der Slogan ausgedient hat, ist er in vielen Köpfen fest verankert. Einkäufer und Entscheider aus allen Bereichen sind nicht damit zufrieden, wenn sie mehrere vergleichbare Angebote vorliegen haben – nein, sie sind erst dann glücklich und zufrieden, wenn sie aus dem günstigsten Angebot noch einen Abschlag von 5, 8 oder mehr Prozent heraus holen können. Ein solches Handeln ist meiner Meinung nach unmoralisch und stellt indirekt auch den Auftragnehmer als denjenigen dar, der zuvor versucht hat den Auftraggeber über den Tisch zu ziehen. Glücklicherweise gibt es auch Einkäufer und Auftraggeber, die eben nicht zu der Art von Geschäftspartnern zählten. Ist man aber einmal einem Einkäufer oder Auftraggeber gegenüber weich geworden ist der gewährte Nachlass eben genau das an Prozenten, was einem Unternehmer fehlt um einen ausreichenden Umsatz zur Befriedigung seiner Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern, Finanzamt, Krankenkassen, Versicherungen, Mitgliedsbeiträgen zu Interessenvertretungen wie IHK oder HWK, Büromiete etc. sowie seiner eigenen Bedürfnisse zu haben. Man beginnt eine Kuh gegen ein Kalb, einen Zentner Mehl gegen ein gebackenes Brot zu tauschen. Dieses Feilschen ist nicht geil. Es ist Hobby und offensichtlich bereitet es nur einer Seite der Geschäftspartner nachher Freude. Welche Auswirkungen können aber diese gewerblichen Nachlassjägereien auf Verkäufer – also auf anbietender Unternehmerseite – haben? Die Lebensqualität des anbietenden Unternehmers und seiner Mitarbeiter verschlechtert sich. Ist das Warengeschäft letztendlich überhaupt noch kostendeckend? Oder zumindest kostenneutral? Welche Verantwortung hat hierbei der Käufer bzw. Auftraggeber? Eine alte Redewendung „Der geht über Leichen“ wird in Wiktionary.org mit folgendem Beispiel erläutert: Er ist als Geschäftsmann bekannt, der über Leichen geht. Es soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es da jemanden gibt der rücksichtslos ist und keine Skrupel hat bis zum Äußersten zu gehen. Sehr schnell kann sich so aus Geschäftspartnern eine Opfer-Täterbeziehung entwickeln. Ob bewusst oder unbewusst. Insbesondere kleinere und mittelständige Unternehmen oder Freiberufler werden Opfer, da sie sich von Ihren Auftraggebern in Situationen hineindrängen lassen. Entweder ist es der Preis oder es sind die Zahlungsziele. Subunternehmer lassen sich vielfach auf eigentlich rechtlich unwirksame Klausen im Vertrag ein wie z.B. „Zahlung erfolgt nach Zahlung durch den Hauptauftraggeber“. Mit dem Diktat des Auftraggebers „Da müssen aber noch 5% drin sein – sonst platzt der Deal“ nehmen Auftragnehmer viel zu oft den Auftrag an. Man braucht ja den Auftrag um weiter arbeiten oder produzieren zu können. Das kann im Einzelfall durchaus noch hinnehmbar sein, wenn man auf der anderen Seite diesen gewährten Nachlass als Rücklagen gerade für solche „Lückenfülleraufträge“ auf der hohen Kante liegen hat. Aber welcher kleinere Unternehmer hat dies schon? Was treibt heutzutage Auftraggeber dazu, grundsätzlich nicht mit den vorliegenden Angeboten zufrieden zu sein? Weshalb wird nicht von den vorliegenden Angeboten das günstigste, so wie es ist, beauftragt? Man könnte eine ganze Reihe alter Weisheiten aufzählen die alle etwas Wahres in sich bergen und immer wieder anwendbar sind. Billigkauf ist Teuerkauf! Oftmals muss die Qualität der Leistung den Nachlässen weichen. Dies wiederum kann zu Ersatzansprüchen führen denen der Unternehmer nicht gewachsen ist. Ist es das was ein Auftraggeber möchte? Leben und leben lassen!
Und es gibt noch diejenigen, die man getrost so nennen darf wie Ulrich Wickert eines seiner Bücher genannt hat: „Gauner muss man Gauner nennen“. Es beschreibt letztendlich die Gauner und Kriminelle, denen man ihre „Genialität“ so nicht zutrauen kann und möchte. Das sind Straftäter mit weißer Weste! Es sind diejenigen, die Spätnachmittags oder abends nach Hause kommen in den Garderobespiegel gucken und sich selbst auf die Schulter klopfen um sich zu bestätigen wie toll man doch heute wieder war. Diejenigen, denen es mal wieder gelungen ist durch Nichtstun sich viel Geld einzusacken oder die sich bei ihrem Arbeitgeber erfolgreich haben positionieren können. Das Schlimme daran ist, das unser deutsches Rechtssystem nach meiner Meinung genau diesen Schuldenkönigen in die Hand spielt. Durch Rechtsmissbrauch, Betrug, Verschleppung und Schikane werden die kleinen Fachbetriebe nicht nur bis an den Rand ihrer Existenz gedrückt. Die Gläubiger ziehen, wenn überhaupt, mit einer Klage vor Gericht um an ihre Forderung zu gelangen. Vermutlich steckt in vielen Fällen Methode hinter. Hier wollen die Schuldenkönige, dass dem Gläubiger bewusst wird: Ab jetzt kostet es erst mal wieder sein Geld. Und ab jetzt heißt es Geduld oder finanzielle Rücklagen zu haben. Es ist das Druckmittel, welches gezielt gegen Auftragnehmer eingesetzt wird. Denn im ersten Termin vor Gericht wird meistens die obligatorische Frage des Richters sein, ob man sich nicht vergleichen wolle. In dem Moment, wo die Parteien sich dann auf einen Vergleich einlassen hat der Gläubiger meistens verloren. Und der Schuldenkönig geht mit weißer Weste und praller Brieftasche nach Hause.
Ist es das, was unsere Wirtschaft voran bringt? Wollen wir Verlierer auf ganzer Strecke? Mit allen Konsequenzen wie dem Verlust von Arbeitsplätzen und Existenzen? Seit Jahrtausenden gilt der Spruch „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andren zu“. Was also treibt Menschen an sich unethisch zu verhalten? Ist es der Druck des Arbeitgebers oder der Dienststelle, fehlende Bestätigung eigenen Handelns? Wem will ich etwas beweisen? Und auf wessen Kosten? Vielen Schuldenkönigen ist vielleicht nicht bewusst, was sie tun. Nach Informationen des Hauptverbandes der Bauindustrie geht aus einem Zeitungsartikel der Aachener Nachrichten vom 06.10.2016 hervor, dass selbst öffentliche Einrichtungen und Ämter zunehmend in Kritik stehen. Aus diesem Grunde sollte jeder Betroffene darüber reden und schreiben. Wir alle müssen uns abends die Frage stellen: War mein handeln heute richtig?
Auswirkungen nicht gelebter Wirtschaftsethik werden besonders deutlich, wenn Schuldenkönige Insolvenzen verursachen – oder zumindest dazu beitragen.
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