Was ist und wozu taugt Wirtschaftsanthropologie?

Wirtschaftsanthropologie

Abstract [de]: Nach Jahren einer primär ökonomischen Orientierung in Deutschland wird klar: „Wirtschaftlicher Erfolg ohne geistiges Fundament ist hohl, kann abbrechen, taugt nicht für langfristige Identität.“ Deshalb soll es Aufgabe des „Instituts für Wirtschaftsanthropologie“ sein, die mathematisierte Ökonomik mit der Frage nach dem wirtschaftenden Menschen zusammenzubringen. Nur so können die Wirtschaftswissenschaften wieder nach den Bedürfnissen der Gesellschaft ausgerichtet werden und nicht umgekehrt!


Juni 2009

Was ist und wozu taugt Wirtschaftsanthropologie?

Überlegungen zur Errichtung des „Instituts für Wirtschaftsanthropologie“ im Rahmen der „Deutschen Elite-Akademie”

Sehr geehrte Damen und Herren,

die gegenwärtige Wirtschafts-und Finanzkrise ist in gewisser Weise das Spiegelbild der Unsicherheit von Mensch und Gesellschaft in unserer Zeit. Der Siegeszug der Religion war schon längst durch den Siegeszug der neuzeitlichen Wissenschaft abgelöst worden. In den letzten Jahren des 20.Jahrhunderts kam aber auch der innerweltliche Fortschrittsglaube in die Krise. Das lineare Geschichtsbild, das nur den Fortschritt kennt, war spätestens seit der Energiekrise 1973 mit ihren leeren Autobahnen und der aufkeimenden Einsicht in die Fragilität unserer technisch-naturwissenschaftlichen Zivilisation erschüttert. 

In Deutschland hatte nach dem 2.Weltkrieg über mehrere Jahrzehnte eine Art kompensatorischer Aufbruchsstimmung geherrscht, deren Selbstverständnis durch wirtschaftlichen Erfolg gespeist war. Als das „Wirtschaftswunder“ vorüber kam, wurde das Wort vom „Exportweltmeister“ recht bald zum Ausdruck neuer Identität. Gerade weil es Jahrzehnte gedauert hat, bis es zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Diktatur des Dritten Reiches kam, schob sich die wirtschaftliche Facette von Identität in Deutschland in den Vordergrund. Weder die französische Sprache noch die italienische Kultur oder die skandinavische Konsensgesellschaft waren Modell für Deutschland, sondern viel eher der Status als wirtschaftlicher Primus in Europa. 

Gleichzeitig veränderte sich die Gesellschaft radikal. Der Aufstieg durch Leistung und die Verheißung des persönlichen Erfolgs durch Leistung war die eine Seite. Die andere Seite war die immer stärkere soziale Schichtung der Gesellschaft, wie sie durch das unschöne Stichwort „Hartz 4“ angesprochen wird. Gerade in der gegenwärtigen Wirtschafts-und Finanzkrise wird aber auch deutlich: Wirtschaftlicher Erfolg ohne geistiges Fundament ist hohl, kann abbrechen, taugt nicht für langfristige Identität. 

Die besondere Legitimation und Identität Deutschlands im Blick auf das Wirtschaftliche verdeckte darüber hinaus, dass die Wirtschaftswissenschaften selbst Anteil an der Orientierungskrise hatten. Ihre zunehmende Mathematisierung war das Spiegelbild der Ökonomisierung weiter Lebensbereiche, führte aber-wie anhand des Beinahe-Zusammenbruchs des Weltfinanzsystems im Herbst 2008 ersichtlich-zur Illusion der Beherrschbarkeit der Welt durch ökonometrische Modelle. Die sinnvolle Spezialisierung in vielen Bereichen der modernen Wissenschaft fand ihre Kehrseite darin, dass die anthropologische Grundlage des Wirtschaftens außerhalb des Blickfelds geriet. 

Schließlich und endlich ist es Aufgabe jeder wirtschaftlichen Tätigkeit, zum Lebensunterhalt und zur Lebensfreude von Menschen beizutragen. In der steinzeitlichen Wirtschaft der Jäger und Sammler ging es um Beschaffung von Nahrungsmitteln und Schutz vor wilden Tieren; in der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft steht ebenfalls die Deckung des Lebensbedarfs, die unmittelbare Produktion von Lebensmitteln, im Vordergrund. 

Daran zu erinnern, ist keine Romantik, hilft aber zur Erkenntnis, dass das Ziel allen Wirtschaftens der Mensch ist, der Bedürfnisse und Bedarfe zu decken hat. Welche Bedürfnisse im Vordergrund stehen, ist nicht zuletzt eine Sache von Kultur und Gesellschaft, Staat und Gesetzgebung. Auch heute noch gehen Gesellschaften mit bestimmten Formen von Bedürfnissen sehr unterschiedlich um. Man vergleiche nur Deutschland, die Schweiz, die USA und Saudi-Arabien bezüglich der Gesetze zum Waffenbesitz, Prostitution, Tabak und Alkohol! 

Weil Gesellschaften ihre eigenen Werte in die Form von Gesetzen gießen, schaffen sie Rahmenbedingungen für das Wirtschaften, die sich die Wirtschaft alleine nicht zu geben vermag. Sie zeigen damit aber auch, dass Wirtschaft eben kein Selbstzweck ist, sondern der Lebensform einer Gesellschaft, einer Kultur, eines Landes dient. So ist das Ziel des Wirtschaftens, anthropologisch gesehen, keine abstrakte Norm wie der Shareholder Value, sondern die Deckung von gesellschaftlich akzeptierten Bedarfen und Bedürfnissen, die sich verändern, die kritisiert werden dürfen und die sich-auch technologisch bedingt-weiter entwickeln. 

Verweist die anthropologische Analyse des Wirtschaftsprozesses auf grundlegende Prozesse des Menschseins, so ist zugleich die Anthropologie des wirtschaftlich tätigen Menschen zurechtzurücken. Die Marktwirtschaft folgt, so der Wirtschaftsethiker Karl Homann, dem „Systemimperativ Wettbewerb“, der Menschen zu Höchstleistungen anspornt. 

Im Lauf der letzten Jahre wurde das Grundprinzip des Wettbewerbs so umfassend verallgemeinert, dass es teilweise bis zum Kindergarten durchgesetzt wurde. Dem Menschen als sozialem Wesen entspricht dies aber nur bedingt. Denn so sehr er sich im Sport, in der Mode und in seinem wirtschaftlichen Status von anderen unterscheiden möchte, so sehr wird er – in gleicher Weise-von einem tiefen Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Geborgenheit getrieben. 

Dem entspricht der Komplementärbegriff zum Wettbewerb, den wir mit „Kooperation“ umschreiben können. Schon evolutionär ergibt sich immer wieder ein faszinierendes Zusammenspiel zwischen Wettbewerb und Kooperation; und es kann nicht ohne weiteres als ausgemacht gelten, welches der beiden Lebensprinzipien „erfolgreicher“ ist. 

Anthropologisch braucht und lebt der Mensch beides. Jedes Unternehmen ist auf reibungslose Abläufe und die gute interne Kooperation angewiesen. Das Recht der Marktwirtschaft kennt sogar Institutionen zur Begrenzung unfairer Kooperation wie etwa das Bundeskartellamt. In jeder Strategie gibt es heute so etwas wie co-opetition, d.h. die Gleichzeitigkeit von Wettbewerb (competition) und Kooperation (cooperation) im Verhalten großer Firmen. 

Während der „homo oeconomicus“ als isoliertes Konstrukt längst ausgedient hat und die verhaltensorientierte Wirtschaftswissenschaft große Erfolge feiert, fehlt uns heute noch ein umfassendes, empirisch vertretbares, aber auch philosophisch ergiebiges Menschenbild des wirtschaftenden Menschen. Der Zusammenklang von „Wettbewerb und Kooperation“ nimmt den ganzen Menschen im Blick, nicht nur einzelne wirtschaftliche oder monetär bewertete Funktionen. 

Angesichts der weltweiten Finanz-und Wirtschaftskrise wurde der Ruf nach einer werteorientierten Unternehmensführung, nach Ethik in der Wirtschaft, immer lauter. Aber auch die Ethik braucht ein Fundament, denn wenn ich wissen will, wie Menschen sich verhalten, benötige ich grundlegende Annahmen über das Menschsein überhaupt. Wirtschaftsanthropologische Theorie und Praxis greift dieses Thema auf und liefert so erst eine Basis für wirtschaftsethische Überlegungen. Genau darin liegt der enorme innovative Wert der Wirtschaftsanthropologie! 

Die Forschung zu diesem noch jungen Wissenschaftszweig steckt noch in den Anfängen. Dabei gilt es, nicht nur die empirischen Humanwissenschaften wie die Soziologie, die Psychologie, die Pädagogik, aber auch die Wirtschaftswissenschaft selbst zu berücksichtigen, sondern auch auf den besonderen Beitrag zu achten, den die Religionen der Welt zu unserem Menschenbild auch im wirtschaftlichen Bereich machen. Nicht durch Zufall sind islamisch oder christlich orientierte Investment Fonds in den letzten Jahren immer stärker beachtet worden, weil eben hier Investmententscheidungen auf der Grundlage definierte Werthaltungen getroffen werden. Die Wirtschaftsanthropologie als wissenschaftliche Disziplin darf allerdings nicht ihrerseits einen überzogenen Geltungsanspruch aufbauen oder sich in den Dienst einer speziellen Religion stellen (sonst würde sie zur Wirtschaftstheologie), sondern sie hat die phänomenologische und heuristische Aufgabe des sorgsamen Beobachtens, Einordnens, Unterscheidens und auch Bewertens unterschiedlicher Modelle des wirtschaftlich handelnden Menschen. 

Die Deutsche Elite-Akademie hat Anfang 2009 die Errichtung eines Instituts für Wirtschaftsanthropologie beschlossen. Es setzt sich damit an die Spitze einer geistigen Anstrengung zur Überwindung der gegenwärtigen Wirtschafts-und Orientierungskrise weit über Deutschland hinaus! So bleibt zu wünschen, dass das neue Institut in Zusammenarbeit mit Privatdozent Dr. Koncsik blüht und gedeiht, aber auch die anderen Bereiche der Eliteakademie befruchten möge! 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


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