Abstract [en]

Speaking of moral leadership, one often uses general principles, such as a code of conduct, as a guideline. They exist business-internally as well as globally like the Global Compact. The problem is that their practicability is generally constricted because of their superficiality. Managers need an explicit footing when it comes to guide a business, oneself and the employees and to lead them into the same direction. Such a footing cannot just be based in the own personality, it is found in a superordinate system of meaning which would be spirituality. A spiritual leader is able to perform one’s tasks credibly out an inner stability in the belief in a divine power. The resulting trust in oneself and others has positive effects on the overall business culture.

Abstract [de]

In Bezug auf einen moralischen Führungsstil werden gerne Leitbilder, von intern bis global in Form des Global Compacts, als Richtlinie in Anspruch genommen. Diesen ist jedoch zumeist eine gewisse Oberflächlichkeit zu Eigen, was ihre Anwendbarkeit stark einschränkt. Führungskräfte brauchen einen klaren Halt, wenn es darum geht, ein Unternehmen, sich selbst und die Unterstehenden anzuleiten und in eine gemeinsame Richtung zu führen. Ein solcher Halt kann sich nicht nur in der eigenen Person begründen, er findet sich in einem übergeordneten Sinnsystem, also in der Spiritualität. Ein spirituell Führender kann seine Aufgaben im Glauben an eine göttliche Kraft aus einer inneren Festigkeit heraus glaubwürdig und im Vertrauen auf sich selbst und Andere ausführen, was sich positiv auf die gesamte Unternehmenskultur auswirkt.

Februar 2010

Spiritualität in der unternehmerischen Führungsaufgabe

get pdf: Spiritualität in der unternehmerischen Führungsaufgabe

 

Vortrag: 

 „Global Compact – Geht es auch konkreter?“

Fachtagung Unternehmens-und Wirtschaftsethik

11. – 12. Februar 2010 an der Universität Jena

 

Es ist in der Tat notwendig, sich um konkretere Aussagen zu bemühen, als sie in den Prinzipien des Global Compact erkennbar werden. In diesen kärglichen Minimalforderungen finden die unterzeichnenden Staaten und Menschen einen dekorativen sittlichen Schutzraum, der sie davor bewahren kann, der Inhumanität und einer rudimentär gebliebenen sozialen Kompetenz bezichtigt zu werden. Mich erinnern diese ethischen Angebote der Vereinten Nationen auch an viele Führungsleitsätze von Unternehmen, die sich in einen pseudomoralischen Mantel hüllen, nur um dem kollektiven Anspruch zu genügen, der sich schließlich in der Ethik des Führens – so meinen viele Manager -manifestiere. Denn Ethik sei ja ein wieder modern gewordenes Thema, das dem Firmenprofil nütze, und das könne für die Stabilisierung der Markposition sehr relevant sein.

Ich will mich deshalb in meinen Überlegungen mehr dem erlebten Führungsalltag zuwenden, weil ich in ihm eher Ansätze für eine konkretere Verwirklichung sittlicher Haltungen erblicke als in einem unverbindlich standardisierten und breit interpretierbaren Verhaltenskatalog.

Ich spreche aus einer vierzigjährigen Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen nahezu aller Branchen. Hierbei habe ich oftmals an den mir zur Begutachtung vorgelegten Führungsprinzipien bemängeln müssen, dass sie sprachlich und inhaltlich mit einer Oberflächlichkeit übergossen waren, die sich mehr der öffentlichen Sprachschablonen bedienten, als die individuellen Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu würdigen.

Manchen Verantwortlichen musste ich sagen, dass ihre sogenannte Führungsphilosophie auch für jedes andere Unternehmen gelten könnte, weil sie jegliche „hausinterne Individualität“ vermissen lasse. Es kommt mir auch ohnehin schwer über die Lippen, im Zusammenhang mit einer Unternehmenskultur von „Philosophie“ zu sprechen, wie sich das als locker gesprochener Terminus im innerbetrieblichen Sprachgebrauch so eingenistet hat. Dies deshalb, weil es ein Uranliegen der Philosophie ist, zur Selbsterkenntnis des Einzelnen beizutragen. Selbsterkenntnis aber sei aller Weisheit Anfang, so resümieren zahlreiche Denker von der Antike bis zur Gegenwart. Die Bereitschaft zur Selbsterkenntnis aber bei Führenden der Politik, Wirtschaft und Kirche setzt ein aufrichtiges Interesse an persönlicher Weiterentwicklung voraus. Diese Bereitschaft indes schimmert nur sehr schwach durch manche Dialoge hindurch, die zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern stattfinden. In den Seminaren und Workshops frage ich deshalb häufiger, was Führende daran hindere, sich mehr um Selbsterkenntnis zu bemühen und im Mitarbeitergespräch auch einmal die Bitte um Rückmeldungen zum eigenen Erscheinungsbild, also zu ihrem Fremdbild und zu ihrem Verhalten, zu äußern. Verkürzt gesagt: Ich beobachte eine tiefe Verunsicherung, aus der eine Angst vor Veränderung erkennbar wird. Darüber hinaus habe ich in den zahlreichen Gesprächen immer wiederkehrende – subtile und offen gezeigte -Symptome von Identitätskrisen erlebt, die das Persönlichkeitsprofil und damit die personale Kultur vieler Führungskräfte dauerhaft als bedenklich erscheinen ließen. Weil sich viele Führungskräfte geradezu in einem Handlungsrausch befinden, werden sie von ihrer wirklichen Selbsterfahrung abgedrängt. Wenn sich der Mensch aber seiner sinngebenden Geborgenheit beraubt sieht, gerät sein Selbstverständnis gewaltig ins Wanken. In seinem Buch „Das erschöpfte Selbst – Depression und Gesellschaft in der Gegenwart“ führt der Soziologe Alain Ehrenberg aus, wie sich die Perversion von wahrer Identität zu einem neuro­pathologischen Egoismus, zu einer unbegrenzten Egomanie vollzogen hat. Er schreibt: „In den 1970er Jahren beginnt sich die Vorstellung durchzusetzen, dass jedem sein Leben selbst gehöre. Der Massenmensch beginnt, sein eigener Herr zu werden. Sein Horizont ist die Selbstverwaltung des eigenen Lebens. Der Begriff Verbot verfällt…Der souveräne Mensch, der sich selbst ähnlich ist und dessen Kommen Nietzsche verkündete, steht im Begriff, en masse Wirklichkeit zu werden. Es gibt nichts über ihm, das ihm sagen könnte, wer er zu sein hat, denn er gibt vor, nur sich selbst zu gehören.“ Mir sind am Gebaren von Führungskräften Symptome begegnet, durch die sich manche psychische und spirituelle Identitätsstörung manifestiert hat. Einige dieser Muster seien hier beispielhaft aufgeführt:

  • Abwehr von Konflikten durch eine überaus höfliche, gekünstelt freundliche und pseudoharmonische Gesprächshaltung
  • Eine überaus harte, kantig-abweisende Kommunikationsweise, die eine innere Verhärtung und Unzufriedenheit erkennen lässt
  • Eine egoistische Grundhaltung im gesamten Kommunikationsstil; diese Haltung zeigt sich etwa in der Unfähigkeit, zuhören oder die Bedürfnisse anderer Menschen wahrnehmen zu können
  • Frömmelnde Selbstgerechtigkeit, die das eigene Tun zur Norm für andere erhebt, gepaart mit religiösem Narzissmus nach dem Muster: „Ich bin heiliger als Du“!
  • Pharisäertum, das die Einhaltung einer Norm über ein notwendiges Handeln stellt
  • Sinnleere über den eigenen Lebensentwurf und die damit verbundene Suche nach überaktiver Freizeitbeschäftigung
  • Mitgliedschaft in Sekten in Verbindung mit Machtgebaren
  • Besitzdenken, das zu übersteigerter materieller Absicherung führt und damit Neid-und Geizgefühle erzeugt
  • Überbewertung von Sexualität und körperlichem Wohlbefinden
  • Ganz allgemein hedonistische Tendenzen in einem exaltierten Lebensstil, die zu mancherlei Abhängigkeiten führen
  • Suchtgebundenes Empfinden
  • Definition des eigenen Selbstwertes ausschließlich durch Leistung, so dass Versagensangst und Perfektionsstreben weitgehend das Lebensgefühl eines solchen Menschen bestimmen
  • Rationale Kritikabwehr, wodurch eine kritische Selbstreflexion unterbunden werden soll
  • Unfähigkeit, persönliche emotionale Erlebnisinhalte zu verbalisieren.

Wie aber soll nun menschlich motiviertes Führen gelingen, wenn es nicht von einer selbstkritischen Reflexion begleitet ist? Wer sich in seinem Selbstverständnis als Vorgesetzter lediglich durch seine hierarchisch verliehene Autorität und durch seine fachliche Kompetenz definiert, wird letztlich niemals den Zugang zu den wirklichen Persönlichkeitswerten von Geführten finden. Erst wer das Selbstbegreifen als ein ethisch-psychisches Postulat von Führung akzeptiert und internalisiert hat, kann den Weg zu einer offenen Dialoggestaltung beschreiten; denn auch in Zukunft gilt die Maxime: Wer andere begreifen will, möge zuvor sich selbst begriffen haben.

Dialogkultur ist immer auch Ausdruck einer Führungskultur. Zugleich offenbart sich in ihr der Reifegrad der Persönlichkeitsentwicklung eines Führenden. Dauerhaft aber, will eine Führungskraft überzeugend sein, muß sie sich in ihrer Führungskultur am praktischen Umgang mit den Handlungspartnern überprüfen lassen. Ja, letztlich tritt uns der Wesenskern der menschlichen Persönlichkeit – namentlich des Führenden -in ihrem und seinem Handeln entgegen.

An dieser Stelle sei die Kurzdefinition von „Führen“ zitiert, wie ich sie sonst in meinen Veranstaltungen anbiete: Führen meint eine bewusste, doch meistens unbewusste Einflussnahme auf psychische oder soziale Einstellungen von Einzelpersonen oder von Gruppen. Daraus ergibt sich der Gewissensappell an den Führenden: Wer führt, nimmt immer Einfluß, in welcher Weise dies auch geschehen mag. Der amerikanische Ökonom österreichischer Herkunft, Peter Drucker, sagte über das Führen: „Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie letztlich nur eine einzige Person führen können und müssen. Diese Person sind sie selbst.“ Führen ist daher eine Aufgabe, die den Einzelnen bis in die Tiefen seines Wesens in Anspruch nimmt. Damit das Führen gelinge, es also keine die Persönlichkeit des Geführten schädigende Einflussnahme werde, muß das Führungshandeln sittlich begründet sein. Wie wollen wir sonst die so oft eingeforderte Authentizität einer Führungspersönlichkeit erkennen, wenn nicht an den sittlichen Maßstäben, die sie setzt? Der Religionsphilosoph Romano Guardini empfahl einst den Führenden dieser Welt, wer einen Menschen führen wolle, müsse ihn erst einmal respektieren. Und hier – in diesen Worten Guardinis begegnet uns das wohl wertvollste Phänomen, das wir in der Ethik betrachten: die Würde der menschlichen Persönlichkeit. Führen und Würde bilden zwar auch ein Anliegen des Global Compact, doch es fehlt eine entscheidende Dimension, die die Würde in ihrem Ursprung hervortreten läßt: die spirituelle Dimension. Das nun ist mein Anliegen, Spiritualität und Führen als korrelierendes Paar in eine erfolgreiche Führungskultur integriert zu wissen. Dabei will ich „Spiritualität“ hier aus der trüben Verschwommenheit des modisch­esoterischen Sprachgebrauchs herauslösen und ihr die ehrbare Würde wiederverleihen, die ihr als Wirkungsfeld des Göttlichen zukommt. Vielleicht war es ja auch eine Flucht Vieler in die New Age-Szene, sich Spiritualität wenigstens noch als einen assoziativen Rest zu bewahren, wo der Glaube an das Göttliche geschwunden war und zu einer Ideologie der Selbsterlösung pervertiert wurde. Die Hybris der autonomen Subjektivität des neuzeitlichen Menschen war es, die ihn seinen Lebenssinn durch diskursive Auseinandersetzungen bereiten sollte. Ich meine, die menschliche Persönlichkeit ist als wahrer Sinnstifter des Lebens schlechthin überfordert. Daher flieht sie in Maßnahmenkataloge und normgebende Instanzen, deren sie sich immer dann bedient, wenn ihre Glaubwürdigkeit gefährdet ist. Der homo sapiens ist nun einmal in seiner sapientia begrenzt. Dies zu erkennen, könnte für manche bereits der Beginn von Demut sein! Um in die Sinnhaftigkeit des Lebens tiefer einzudringen, benötigt der sogenannte moderne Mensch auch heute noch das Geführtwerden durch einen Geist, durch eine Erkenntnisquelle, die sein eigenes Einsichtsvermögen bei weitem übersteigt. Dieses Geführtwerden wird in einer spirituellen Lebensgestaltung spürbar. Führungskräfte, die sich spirituell leiten lassen, führen anders als Personen, deren Lebensinterpretation von Rationalität und sonstiger analytischer Weltbetrachtung bestimmt wird.

Spiritualität weist über die Individualität hinaus, denn sie fragt nach dem tieferen Ursprung des menschlichen Daseins, nach seiner Sinnbestimmung schlechthin und gibt Antworten auf seine genuine Sinnsuche. Damit gelangt der Mensch in die Sphäre des Unsagbaren, des Geheimnisvollen, des Erahnbaren, des Göttlichen. Spiritualität meint das Ausgerichtetsein des Menschen auf ein immanentes Wesenhaftes, das der Sinnfindung im Leben seine einmalige und unzerstörbare Antwort einprägt. Hier erfüllen mich noch heute einige Erinnerungen an spirituelle Begegnungen in meiner Kindheit. Ein Volksmissionar, den ich vor 60 Jahren im thüringischen Eichsfeld erlebt habe, begann einmal eine seiner Predigten mit der spirituellen Anapher: „Ohne Gott ist die Seele heimatlos, ohne Gott ist das Leben trostlos, ohne Gott ist das Dasein hilflos.“ Aber auch das Eingangslied der „Deutschen Messe“ von Franz Schubert hat mich mit seinem tröstenden Dialogismus tief erfaßt: „Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken? Wem künd´ ich mein Entzücken, wenn freudig pocht mein Herz? Zu dir, zu dir, o Vater, komm ich in Freud´ und Leiden, du sendest ja die Freuden, du heilest jeden Schmerz.“ Als Jugendlicher schließlich erhielt ich von einem jesuitischen Exerzitienmeister die ermahnende Empfehlung als geistige Wegbegleitung. „Und denke daran, wenn das Boot nicht angebunden ist, treibt es im Strom umher!“

Ludwig Wittgenstein notiert in seinem Tagebuch vom 8. Juli 1916 folgende Sätze: „An einen Gott glauben, heißt die Frage nach dem Sinn verstehen, heißt sehen, dass es mit den Tatsachen der Welt nicht abgetan ist. An Gott glauben heißt sehen, dass das Leben einen Sinn hat.“ Not tut wohl eine echte Besinnung, die der Sinn-Rettung den Weg bereitet. Karl Jaspers hat die philosophische Spiritualität in seinem 1949 erschienenen Werk „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“ so ausgedrückt: „Die Situation fordert heute: Wir müssen zurück zu einem tieferen Ursprung, zu dem Quell, aus dem aller Glaube einst in seinen besonderen geschichtlichen Gestalten gekommen ist, zu diesem Quell, der jederzeit fließen kann, wenn der Mensch für ihn bereit ist.“

Spiritualität meint letztlich immer das Bewusstsein vom Einwohnen des Göttlichen im eigenen Wesensinneren. Das menschliche Dasein ist ja durch sein Geborenwerden bereits eine unbewusste Bindung zum Göttlichen eingegangen, auf die es sich – wann immer es als hilfreich und aus der Not rufend erscheint – zurückziehen und hoffend stützen kann. Darin besteht wohl auch der immanente Wesenszug des Menschen: von seiner innersten Konstitution her auf das Dialogische angelegt zu sein. Martin Buber hat darüber ausführlich in seinem „Dialogischen Prinzip“ gehandelt. Im Innendialog erlebt der spirituelle Mensch die sich offenbarende Selbstmitteilung des Göttlichen. „In dieser Wesenszwiesprache findet er seinen Frieden: die Versöhnung mit sich und seiner Welt…“, so sagt es der Nachfolger auf den Lehrstuhl Romano Guardinis, der Religionsphilosoph Eugen Biser.

Zahlreiche Führungskräfte holen sich spirituelle Impulse, indem sie sich hinter Klostermauern begeben. Ich habe damit aber nicht jene Narzissten unter den Managern gemeint, die selbst ihren Aufenthalt in der Mönchsklausur noch als Status propagieren und eine Woche später Entlassungen verkünden! Den verantwortungsvoll Führenden dagegen beschäftigt – wie ich weiß – immer wieder die Frage: Von welchem Geist lasse ich mich selbst leiten, wenn ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leite? Denn wer selbst den Weg nicht kennt, kann auch für Suchende kein Begleiter sein. Daher gilt, dass sich Führende von der unnachsichtigen Betriebsamkeit nicht verschlingen lassen dürfen. Vielmehr möge in ihnen die Einsicht wachsen, dass ein intensiver Umgang mit Materiellem auch eine um so tiefere Orientierung und Bindung an das Geistige verlangt. Die spürbare Inhabitation von Spiritualität gebiert im Menschen eine neue Identität mit sich selbst und wird zur Grundausrichtung für eine andere Unternehmenskultur als sie gemeinhin in betriebswirtschaftlichen Exkursen aufscheint. Denn ein auf Spiritualität gegründetes Führungsverständnis verspricht eine Kontinuität der Zuversicht und ein Bekenntnis zu einem würdevollen Umgang mit den Geführten.

Wie zeigt sich nun eine spirituelle Führungskultur in ihrer konkreten Verwirklichung im beruflichen Alltag? Ich will einige Merkmale im Persönlichkeitsprofil von Führenden darstellen, in denen sich die Früchte einer spirituellen Gesinnung widerspiegeln und die schließlich eine Unternehmenskultur prägen. Denn Unternehmenskultur ist letztlich der Ausdruck eines sinn-und wertbezogenen Umgangs mit dem Menschsein, der in der Persönlichkeit des Führenden verankert liegt.

Nun zu den Erfahrungen und Erkenntnissen:

1. Der spirituell Führende ist glaubensfähig.

Eine These, die beinahe als selbstverständlich gelten könnte. Ist doch Spiritualität, wie bereits dargelegt, auf das Engste mit dem Glauben an eine Göttlichkeit und ihre Verwirklichung im Alltag verknüpft. Doch häufiger tritt auch das Störfeuer der Glaubenszweifel auf, von dem das Innenleben zahlreicher Mitmenschen erschüttert wird. Diese innere Skepsis erwächst nicht zuletzt aus der Kritik an den Repräsentanten der Amtskirchen. So sagen mir viele Seminarteilnehmer, sie glaubten an eine höhere Macht und an ein Weiterleben nach dem Tode. Von der institutionellen Kirche aber seien sie enttäuscht. Dennoch werde das Gebet in der Familie weiterhin gepflegt. Was also meint „Glaube“? Im Hebräerbrief finden wir eine Antwort. Da heißt es: „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“(11,1) In der praktischen Dialoggestaltung des Führungsalltags finden wir einen ähnlichen Ansatz: Glauben meint den bewussten Verzicht auf Beweisführung. Oder auch noch: Glauben heißt das Fürwahrhalten von Aussagen, die jemand gibt, dem ich vertraue. Wenn sich Führungskräfte zu meditativ-kontemplativen Seminaren anmelden, so treibt sie geradezu ein Hunger nach Innerlichkeit in die stille Versenkung. Zwar könnten sie das stille Alleinsein auch bei einer einsamen Bergwanderung erleben; doch das innere Stillwerden gelingt besser in der spirituellen Atmosphäre einer klösterlichen Gemeinschaft oder in einem weltlichen Haus der stillen Einkehr. Führende suchen also bewusst die oftmals verloren gegangene Beziehung zu Gott, weil sie darin die entscheidende Kraftquelle für ihr Handeln erblicken. Sie erlernen das Beten erneut, aber nunmehr in einer wirklichen inneren Bereitschaft. Und Martin Walser sagte kürzlich in einem Interview, das er anlässlich seiner neuen Novelle mit dem Titel „Mein Jenseits“ gegeben hat: „Glaube ist Seelenarbeit. Wenn die Seelenarbeit erlischt, dann erlischt man…Das Jenseits muß sinnlich-gegenwärtig, jetzt erlebbar sein.“ Wird nicht in der kontemplativen Spiritualität der Vorhang zum Jenseits ein wenig geöffnet?

2. Der glaubensfähige Führende wirkt durch sein Handeln glaubwürdig.

Im Jakobusbrief ist die Beziehung zwischen Glaube und Handeln deutlich ausgedrückt. „Meine Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten?…So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat…Denn wie der Körper ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube tot ohne Werke.“(Jak 2,14-26) An ihrem Handeln wird die menschliche Persönlichkeit erkennbar. Deshalb ermahnt Seneca in seinem 20. Brief der „Epistulae morales ad Lucilium“ seinen geistigen Freund Lucilius mit folgenden Worten: „Handeln lehrt die Philosophie, nicht reden, und dies verlangt sie, dass jeder nach seinem eigenen Grundsatz lebe, dass das Leben nicht zur Rede im Widerspruch stehe oder gar zu sich selbst…Das ist die wichtigste Aufgabe der Weisheit und ihr sicherstes Merkmal, daß Handlungen mit Worten harmonieren, dass jeder überall sich selbst treu und immer derselbe bleibe…“ Die Glaubwürdigkeit ist ein hohes sittliches Prädikat. Der Führende vor allem, der nahezu ständigen Beobachtungen ausgesetzt ist, kann auf eine gelebte Identität zwischen Verkündetem und Handeln nicht verzichten, wenn ihm diese Anerkennung verliehen werden soll. Die spirituelle Grundorientierung verleiht ihm eine Entscheidungskompetenz, weil sie ihm Maßstäbe für ein verantwortungsvolles Handeln anbietet. Denn Handeln wird durch Entscheidenkönnen vollendet. Zugleich bedeutet aber Entscheidungsfähigkeit auch Bindungsfähigkeit. Diese Bewertung gilt allerdings auch für ihre Schattenseite: Entscheidungsunfähige Menschen scheuen zumeist auch tiefere und längere Bindungen, so dass Entscheidungsangst und Bindungsangst sozusagen ein pathologisches Geschwisterpaar bilden. Da sich der spirituelle Mensch an das Göttliche gebunden weiß, empfindet er die Eindeutigkeit seines Tuns als einen Ausdruck spirituellen Wirkens. Von ihm fühlt er sich namentlich in schwierigen Situationen beschützt und geleitet.

3. Der spirituell Führende lebt im Urvertrauen.

Im Gefühl des ständigen Beschütztseins erlebt der Mensch das Urvertrauen in besonderer Weise. In der Mehrzahl seiner Lebenstage spürt er in seiner Wesensmitte eine innere Harmonie und Ausgeglichenheit. Er strahlt Ruhe aus, die von seiner Umgebung als äußerst wohltuend empfunden wird. Bevor ich das Urvertrauen näher betrachte, will ich mein Verständnis von Vertrauen darlegen, so wie ich es in den persönlichkeitsorientierten Veranstaltungen anbiete:

Vertrauen ist das emotionale Vermögen, sich ohne Kontrolle und Absicherung in die Obhut oder Fürsorge eines Anderen zu begeben. Es liegt nahe, hierbei auch an Gottvertrauen zu denken. Mir erscheint diese Definition gegenwärtig besonders notwendig zu sein, da sich Führungskrisen nahezu ausschließlich als Vertrauenskrisen erweisen. Eine zerstörte Vertrauensbeziehung aber kann – im privaten wie beruflichen Leben – nur bedingt geheilt werden. Nun zum Urvertrauen. Zu den bedeutendsten Fachleuten, die sich mit dem Thema „Urvertrauen“ beschäftigt haben, gehört der inzwischen verstorbene Züricher Psychiater und Psychoanalytiker Balthasar Staehelin. Die Kernaussagen über das Urvertrauen hat er vor allem in seinem Buch „Haben und Sein“ niedergeschrieben. An diese Überlegungen lehne ich mich an. Nach allgemeiner psychoanalytischer Auffassung ist mit Urvertrauen eine stabile unerschütterliche Vertrauenshaltung des menschlichen Individuums zum eigenen Ich und zu seiner Lebensatmosphäre gemeint. Vielen psychischen Störungen etwa liegt ein mangelndes Urvertrauen zu Grunde. So kann es das Ziel psychotherapeutischer Bemühungen sein, im Menschen das gestörte Urvertrauen zu festigen. Wenn die Psychoanalyse häufiger von einer Ichschwäche oder einer Ichstärke spricht, so meint sie damit die Labilität oder Stabilität der Persönlichkeit als Ausdrucksform eines schwach oder stark ausgebildeten Urvertrauens. Diese Grundstimmung des Individuums zu sich und seiner Mitwelt wird ihm nach Auffassung der Psychoanalyse durch eine emotional gesunde Eltern-Kind-Beziehung in den ersten Lebensjahren vermittelt. Es besteht kein Zweifel daran, dass eine emotional liebevolle Beziehung der Eltern im Kind das Gefühl von Lebenswärme und Geborgenheit entstehen lässt. Das Kind entwickelt somit eine Vertrauensbeziehung zum Leben.

Staehelin erweitert nun das Verständnis von Urvertrauen, wozu ihn die Gespräche mit einer Vielzahl von Patienten in der Psychosomatischen Sprechstunde legitimieren. Er sagt: „Urvertrauen ist die Stimmung, in der sich unsere Teilhaftigkeit am Unbedingten austrägt, das heißt jene Stimmung, in der sich dieses Unbedingte unverstellt, gewusst oder auch nicht gewusst, im Alltag des Einzelnen leben kann. Wir erfahren also unseren gleichsam sakralen Anteil, auch wenn er nicht immer Sprache wird, stimmungsmäßig als Urvertrauen.“ Damit ist der Rahmen gesprengt, der das Urvertrauen allein einer biographischen Konstellation zuschreibt. Staehelin sagt weiter: „Der Mensch ist primär Urvertrauen. Er hat es nicht oder erwirbt es nicht erst sekundär. Wird er geboren, also hineingestellt in die Form seiner individuellen Geschichte, so ist er in den ersten Lebensjahren zwar noch zu hilflos, als dass er das Urvertrauen, das er mitbrachte, schadlos durchretten könnte, wenn ihm dabei nicht gewaltig geholfen würde…Nicht also die gute Mutter-Kind-Beziehung produziert das Urvertrauen…, sondern sie schützt nur das schon immer Vorhandene so lange, bis dieses selbst fähig ist, trotz bedrohlicher Geschehnisse im Alltag unerschütterlich zu sein.“

Im Urvertrauen als dem elementaren Gefühl tiefsten Geborgenseins zeigt sich die Wirkung des Spirituellen in der realen Welt. Ich habe daher der eben zitierten Definition von Urvertrauen hinzugefügt, es sei das Überzeugtsein vom Sinn des eigenen Daseins. Führende, die sich dieses spirituellen Auftrages bewußt geworden sind, fühlen sich auch ermutigt, den Geführten aus einer selbst erlebten tiefen Vertrautheit heraus Zuversicht und Hoffnung zuzusprechen. Nicht selten berühren sie damit eine Seite im Lebensgefühl der Mitarbeiter, die schon lange nicht beachtet und gepflegt worden ist, nämlich die Wertschätzung. Das Urvertrauen als spirituell verliehene Grundqualität trägt vielfache Früchte. Dies ist zum einen das Selbstwertgefühl als die Wahrnehmung der engsten Beziehung zu sich selbst. Die Tiefenpsychologie bezeichnet das Selbstwertgefühl ohnehin als die entscheidende emotionale Urerfahrung der menschlichen Persönlichkeit. Sie meint damit die elementare, emotional positive Einstellung des Menschen zu seinem Dasein, zu seinem Existieren. Sie äußert sich in dem Lebensmotto: Ich mag mich, weil es mich gibt, weil ich lebe. Diese Selbstakzeptanz wirft ihr Licht auch auf das soziale Feld des Führenden, indem sie das positive Gestimmtsein als sein Wesensmerkmal hervorhebt. Wer über ein hinreichend entwickeltes Selbstwertgefühl verfügt, kann auch seinen Mitmenschen jene Zuwendung geben, die er selbst aus der spirituellen Geborgenheit empfängt. Wer sich innerlich angenommen fühlt, der kann auch auf andere das Gefühl des Angenommenseins übertragen.

Im Übrigen sei noch gesagt: Im Akzeptiertsein liegt die wirkliche Ursache für eine gelungene Motivation in der Arbeitswelt. Damit kann ich zu einer weiteren Auswirkung des Urvertrauens überleiten: zum Selbstvertrauen. Es ist wohl kaum vorstellbar, dass ein unternehmerischer Erfolg ohne Selbstvertrauen gelingt. Denn Selbstvertrauen bedeutet das Überzeugtsein vom Sinn des eigenen Handelns. Dem liegt freilich noch ein anderes psychisches Geschehen zu Grunde: die Eigeninitiative des Menschen. Sie ist die eigentlich Bewegende, die den Menschen an seine Lebensaufgaben heranführt. Erst aus dem Erleben eigenen Gelingens kann sich allmählich in der Persönlichkeit das Selbstvertrauen heranbilden. Führende, die ihre Mitarbeiter zur Eigeninitiative ermuntern, legen damit den Grundstein für ein selbstverantwortetes Handeln.

Schließlich seien noch Gelassenheit und Geduld als Früchte des Urvertrauens und Selbstwertes genannt. Gelassenheit tritt nach dem Loslassen ein. Der spirituelle Mensch hat das Spannungsfeld zwischen dem Innen und Außen überwunden. In ihm ist eine Wertverschiebung vom Profanen, Säkularen, zum Sakralen eingetreten. Der sakrale Anteil des Menschen am Unbedingten, von dem Staehelin spricht, breitet sich im Gefühl innerer Gelassenheit aus. Was macht das Wesen des geduldigen Menschen aus? Ein geduldiger Manager – ein Widerspruch in sich selbst? Der geduldige Mensch wirkt sympathisch durch sein Wartenkönnen. Jedes Drängende oder Aufdringliche ist ihm im Laufe der Jahre fremd geworden. Auch wenn das längere Warten wie ein Zurückweisen seiner Person wirken könnte, so erlebt er es doch nicht als ein Mindergefühl, da er sich von einem Selbstwert getragen fühlt, der aus dem Metaphysischen stammt. So erscheint seine Demut als eine Tugend, die sich gern und freiwillig zurücknimmt, ohne einen Ansehensverlust zu erleiden. Demut im Führungsverhalten lässt eine dienende Haltung erkennen, in der Dienen und Helfen ineinander verschmolzen sind.

4. Spirituell Führende verändern ihren Interaktionsstil.

Es war mir bereits ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass sich die Unternehmenskultur in der gelebten Dialogkultur zeige. Führende und Geführte sind in eine kommunikative Zwangsrolle eingepfercht, der sie nur mühsam entrinnen können. Dieses Miteinander kann von täglichen Konfrontationen überschattet oder von einem verständnisvollen Umgang miteinander getragen sein. Überwiegen belastende Gefühle wie Minderwertigkeit, Abgelehntwerden, Ängste und Selbstzweifel, so droht sich ein neurotischer Schatten über das Betriebsklima zu

legen. Hier sei auch auf eine vielfach bestätigte Beobachtung hingewiesen, nach der Führungskräfte unter drei Ängsten besonders leiden: Versagensangst, Angst vor Profilverlust und Angst vor Konflikten. (Diese und noch andere psychische Belastungen werden z. B. als Ursachen dafür angeführt, dass am Sonntagnachmittag und Sonntagabend in den Betten zahlreicher Manager kein Sex mehr stattfindet. Sie sind gedanklich bereits beim Wochenbeginn, der nicht selten als bedrohlich erwartet wird.)

Überwindet aber das menschliche Zueinander jegliches hierarchisch-autoritäre Gebärdenspiel, so wächst eine Interaktion heran, die von einem freudigen Umgangsstil erfüllt ist. Der Führende, der sich von Spiritualität begleitet fühlt, bemüht sich stets, dies auch in seinen Interaktionen zu verwirklichen, also im Dialogischen nach Außen treten zu lassen. Er lässt sich von den Herausforderungen des Lebens erreichen, da er ja als unternehmerisch denkender Mensch seinen Realitätsbezug nicht verloren hat. Es ist vielmehr ein psychopathologisches Merkmal, wenn eine Führungskraft in ihrem Verhalten eine Realitätsablösung zu erkennen gibt, indem sie ständigen Verdrängungen erliegt.

Ein wesentliches Merkmal spirituellen Führens ist die lebendige Heiterkeit und ungekünstelte Lebensfreude. Beide lassen eine innere Freiheit erahnen, die sich von der Welt verfälschter Werte weit entfernt hat. Er weiß, dass seine Führung den Weg nach innen bevorzugt und nicht das Zurschaustellen seiner Leistungen in öffentlichen Applausgirlanden. Weil er seine wahre Authentizität im Bewusstsein des Göttlichen gefunden hat, kann er auch auf permanente Lobeserwartungen verzichten. Er lässt sich ja führen und vertraut deshalb mancher Intuition, die ihm geschenkt wird. Manchmal scheint es, als sei dieser Führende, obwohl er sich den rationalen Planungen des Alltags beugt, aller gesellschaftlich verpflichtenden Erwartungen enthoben, zugunsten eines Wohlwollens, das den Geführten Zuwendung und Wärme schenkt. Gewiß ist auch er von Zielsetzungen umzingelt, die ihm seine Auftraggeber in bedrängender Weise aufbürden. Doch seine innere Stabilität verleiht ihm einen souveränen Umgang mit den Gegebenheiten. So wirkt sich auch seine Konfliktbeziehung nicht belastend auf den Dialog mit den Geführten aus, weil er die ihm verliehene Eigenwürde auch in seinen Mitmenschen erkennt und ihr mit Achtung begegnet. Er praktiziert Toleranz ohne Herablassung, Konformität ohne Falschheit und Tugend ohne pedantische Moralität. Zuhören und Zuwendung bedeuten ihm Wertschätzung für seine Gesprächspartner.

Der spirituell Führende sieht sich letztlich einer unendlich höheren Ethik verpflichtet, einer Ethik, die das gesellschaftlich normierte Verständnis überwunden hat. In diesem Bewusstsein verschmelzen Ethik und Spiritualität zu einem Daseinsverständnis, das sich dem Irdischen entzieht und zu einer zeitlosen Weisheit aufsteigt.

Diese Weisheit wünsche ich allen Führenden, denn in ihr liegen Schönheit und Harmonie als Ausdruck des Göttlichen in der menschlichen Persönlichkeit.

 

Dr. phil. Baldur Kirchner

E-Mail: info[at]kirchner-seminare.de

www.kirchner-seminare.de

Posted by Dr. phil. Baldur Kirchner

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